Gespräch mit einer Pferdefresse
Eigentlich durfte Phillis gar nicht mehr außerhalb des Turmes sein, aber sie musste noch Chiron im Camp kontaktieren.
Eigentlich hätte sie das etwas früher machen können, immerhin waren auch kurz vor der Ausgangssperre kaum noch Leute unterwegs (höchsten ein paar panische Schüler, die in der letzten Minute noch in die Bibliothek mussten), aber Phillis hatte es schlichtweg... vergessen.
Das Training mit Marlene hatte länger gedauert, als sie gehofft hatte. Marlene war ziemlich unkonzentriert gewesen und es hatte nicht wirklich so funktioniert, wie Phillis es sich gewünscht hatte, aber zum Schluss hatte sie wenigstens einen kleinen Erfolg vorzuweisen und Phillis war sich sicher, dass Marlene nach einem oder zwei weiteren Trainingseinheiten auf jeden Fall besser wäre.
Phillis kontaktierte Chiron nicht häufig im Camp. Wenn Phillis mit jemanden aus der göttlichen Seite ihrer Familie kommunizieren wollte, benutzte sie am liebsten Iris-Messages, aber das Problem dabei war, dass sie nur eine begrenzte Anzahl an Drachmen hatte (die göttliche Einheit – goldene Münzen, die jeder in der göttlichen Welt annahm) und Iris (diese Abzockerin) immer eine Münze pro Anruf verlangte. Hermes war genauso schlimm – für einen Brief, den Phillis über Hermes-Express senden wollte, verlangte er eine Drachme. Natürlich war er dafür sehr viel schneller und effektiver, als eine Eule, aber trotzdem fand Phillis das beizeiten etwas zu teuer, um regelmäßigen Kontakt zu pflegen.
Aber Phillis wollte auch nicht unbedingt Eulen ins Camp schicken. Erstens war der Weg nach Amerika sehr weit und das tat sie den armen Tieren nicht so gern an und zweitens wäre es seltsam, wenn sie Eulen an ihre göttliche Familie senden würde, die von dem Wissensstand der Zaubererwelt eigentlich eher Muggel waren.
Die Lösung, die sie gefunden hatten war, dass Phillis ihre Briefe ins Camp einfach an ihre Mutter schickte und diese sendete sie dann weiter mit der Muggel-Post und ihre Freunde aus dem Camp schickten einfach alles an die Adresse ihrer Mutter oder mit dem Hermes-Express. Das Problem dabei war, dass es wieder lange dauerte, aber es war besser, als gar keinen Kontakt zu hegen.
Aber dieses Mal brauchte Phillis eine schnelle Antwort und deswegen bereitete sie eine Drachme für Iris vor und hielt ihren Zauberstab in der Hand. Sie hatte sich in einer Kabine im Mädchenklo im zweiten Stock eingeschlossen und wer sich auskannte, der wusste, dass dort die Maulende Myrte Leuten gerne auf die Nerven ging und deswegen kam eigentlich nie jemand hierher. Zum Glück war Myrte im Moment auch nicht hier, also hatte Phillis absolute Ruhe.
Sie hielt ihren Zauberstab in die Höhe und sagte: „Iria." Es war ein Zauberspruch, den sie sich gezwungenermaßen selbst beigebracht hatte, nachdem er für Zauberer eigentlich nutzlos war. Er erschuf nur einen Regenbogen und Phillis kannte den Spruch auch nur aus einer Hexen-Zeitschrift, die zufällig im Gemeinschaftsraum liegengeblieben war.
Aus der Spitze ihres Zauberstabs entsprang ein blasser Regenbogen, aber er würde reichen.
Phillis warf die Drachme in den Regenbogen, die sofort verschwand und Phillis sagte deutlich: „Oh, Göttin, nimm mein Opfer an. Zeig mir Chiron im Camp Half-Blood."
Ein Bild formte sich und Phillis warf einen Blick auf Chiron im Rollstuhl, wie er wohl gerade im Großen Haus war und sich über einige Landkarten und Postkarten beugte (Postkarten waren ausgezeichnete Referenzbilder für Landschaften, die Demigötter in Träumen sahen) beugte.
„Chiron!", sprach Phillis ihn an und Chiron sah sich überrascht um, bis sein Blick auf sie fiel.
„Phillis!", erkannte er sie sofort, immerhin war sie regelmäßiger Gast in den Sommern seit fünf Jahren, „Wie geht es dir? Ist etwas passiert?"
„Mir geht es gut, ich...", Phillis hatte es schon immer schwer gefunden, ihre Probleme zu formulieren und deswegen behielt sie sie meistens für sich, aber diese Probleme waren wichtiger, als ihre Unfähigkeit, mit Menschen zu reden. „Ich habe geträumt... heute... gestern... in der Nacht."
„Erzähl mir von dem Traum", wies Chiron sie sanft an und rollte direkt vor das Bild im Regenbogen.
„Du kennst ihn schon... ich habe von einem Gespräch zwischen dir und Ruth geträumt", gestand Phillis, „Sie hat von einer Sonne erzählt, die hinter schwarzen Wolken verschwindet..."
„Das ist erst gestern gewesen, ja", bestätigte Chiron.
„Ich habe das auch schon geträumt", gestand Phillis und erzählte ihrem Trainer von ihrem Traum mit dem Lagerfeuer und der verschwindenden Sonne.
Als sie fertig war, nickte Chiron nachdenklich.
„Was bedeutet das?", fragte Phillis, als die Stille zu lang andauerte, „Warum haben wir beide davon geträumt?"
„Ich weiß es nicht", gestand Chiron, „Und ich weiß auch nicht, was der Traum bedeuten könnte. Ich werde bei deinen Geschwistern nachfragen, ob sie ähnliche Träume haben. Es kann kein Zufall sein, dass gleich zwei Töchter des Apollo von Sonnen träumen."
„Und ich habe noch eine Frage", gestand Phillis, „Ich habe eine neue Professorin – Professor Ioneb."
„Ein Monster?", fragte Chiron sofort, der solche Lehrer wohl schon von anderen Schützlingen gewohnt war.
„Ich weiß es nicht", gestand Phillis und verzog das Gesicht, als sie von der ersten Stunde erzählte, „Es ist so gewesen, als würde sie genau wissen, dass ich Legasthenie habe... es ist einfach... unfair..."
„Wie behandelt sie andere Schüler?", fragte Chiron sie weiter, aber Phillis zuckte mit den Schultern.
„Ich habe sie eigentlich kaum im Unterricht erlebt", gestand sie, „Ich bin weggegangen, aber morgen habe ich wieder eine Stunde mit ihr."
„Behalte sie auf jeden Fall im Auge", riet Chiron ihr, „Und ich werde dir einen Brief schicken, nachdem ich deine Geschwister nach ähnlichen Träumen gefragt habe."
„Ich werde einmal bei anderen Schülern nachfragen, was sie von Ioneb halten", schlug Phillis vor, „Aber sie hat meine Haare als „sonnig" beschrieben... auffällig, oder nicht?"
„Da können wir uns nicht sicher sein", gestand Chiron, „Mich hat einmal ein sterblicher Schüler „Pferdefresse" genannt."
Phillis konnte sich einen amüsierten Laut nicht verkneifen und auch Chiron lächelte wohlwollend.
„Aber ich muss dir zustimmen, Phillis", gestand Chiron wieder etwas ernster, „Die Götter verhalten sich seltsam. Irgendetwas scheint auf den britischen Inseln zu passieren, aber sie verraten mir nicht, was es ist. Aber es kann kein Zufall sein, dass Ruth und du ähnliche Dinge träumt."
Phillis dachte an den Zaubererkrieg, von dem sie als Schüler so gut es ging beschützt wurden und auch ihre Mutter behielt sie im Dunkeln, aber trotzdem schien eine seltsame Stimmung in der Welt der Zauberer zu herrschen. Voldemort. Sie nannten ihn nicht einmal mehr beim Namen, aber Phillis wusste, dass er der Grund dieser Nervosität war. Er und seine Todesser und ihr Kampf für „Blutreinheit".
Phillis hätte Chiron gerne davon erzählt. Sie hätte ihm gerne erzählt, dass sie eine Hexe war und dass sie vielleicht wusste, was selbst die Götter in Aufruhr versetzte (denn letztendlich war jeder Krieg der Sterblichen auch irgendwie ein Krieg der Götter, obwohl es meistens die Götter waren, die diese Kriege ursprünglich begannen – vielleicht war es dieses Mal wieder so), aber sie hatte Chiron bisher noch nichts verraten, so wie sie auch ihren Bekannten in Hogwarts und nicht einmal Dumbledore erzählt hatte, dass sie eine Halbgöttin war.
Sie trennte diese beiden Welten und obwohl es kompliziert für Phillis war, so war es auch sicherer für sie.
Wenn Reinblüter nicht einmal Muggelgeborene akzeptieren konnten, wie reagierten sie dann erst auf Demigötter. Phillis wollte nicht mit Werwölfen und Vampiren in eine Schublade gesteckt werden, da hielt sie lieber einen Teil ihres Lebens geheim.
Plötzlich hörte Phillis, wie eine Tür geöffnet wurde und sie erstarrte und auch Chiron schien an ihrer Körperhaltung zu verstehen, dass jemand in der Nähe war. Phillis drehte das Bild etwas zur Seite und öffnete vorsichtig die Tür der Klo-Kabine, aber das Bad war noch immer verlassen. Sie atmete erleichtert aus und ließ die Tür wieder zufallen.
„Nichts", sagte sie, „aber ich sollte trotzdem aufhören – ich darf eigentlich gar nicht mehr draußen sein."
Chiron sah sie streng an. „Ihr Jungspunde sehnt euch ja geradezu nach Ärger", schimpfte er sie, aber Phillis glaubte nicht, dass Chiron jemals wirklich streng aussehen konnte (höchstens enttäuscht und das war noch viel schlimmer), „Ab ins Bett mit dir – es muss sehr spät bei dir sein, wenn ich mich nicht täusche..."
Phillis grinste verschmitzt.
„Und hab ein Auge auf diese neue Professorin, bekomm nicht zu viel Ärger und pass auf dich auf", verabschiedete Chiron sich.
„Ihr auch", brachte Phillis heraus – sie hatte Heimweh nach dem Camp, aber sie wischte mit ihrer Hand durch die Nachricht und das Bild von Chiron verschwand.
Sie wartete noch einen Moment länger im Klo, bevor sie die Tür wieder öffnete und das Bad verlassen wollte, aber sie hatte das Gefühl, als würde sie beobachtet werden.
Misstrauisch sah sie sich um, aber da war niemand.
Wahrscheinlich bildete sie sich das nach all dem Gerede über Professor Ioneb ein. Sie atmete tief durch und verließ das Mädchenklo, ohne zu wissen, dass sie tatsächlich belauscht worden war und James Potter und Sirius Black tauschten unter dem Unsichtbarkeitsmantel verwirrte Blicke aus. Phillis Dolohow wurde immer seltsamer.
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