Erobere die Flagge

Die nächsten Tage verbrachte Phillis damit, sich an das Leben als Hüttenälteste zu gewöhnen.

Sie leitete (wie schon früher) Bogenschießübungen – auch für andere Hütten, half in der Krankenstation aus, prügelte sich für Marty mit Birget (er hatte ein Talent dafür mit ihr Streit anzufangen und die Kämpfe musste dann Phillis austragen, nachdem er Pazifist war – das war jedenfalls seine Ausrede, aber Phillis glaubte, wenn er seine Kämpfe selbst führen würde, würde er nicht immer Streit mit Birget suchen), erwischte Daphne dabei, wie sie mit Tyrone, Sohn des Ares alleine in der Hütte war (es war verboten, dass ein Junge und ein Mädchen alleine in einer Hütte waren) und sorgte innerhalb ihrer Hütte für Ordnung (was für einen so unordentlichen Menschen wie Phillis schon eine ziemliche Heldentat war). Hana brachte sie auch so oft wie es mit ihrem ziemlich vollen Tagesplan möglich war Klavier bei und sie lernte tatsächlich sehr schnell.

Nachdem Phillis ihr ein paar Grundlagen gezeigt hatte, hatte sie den Dreh schnell raus und konnte Lieder schon teilweise nur nach Gehör spielen, aber das verwunderte Phillis nicht – wenn Hana auch nur halb so gut war, wie Ruth es gewesen war, dann würde sie jedes Instrument innerhalb von Tagen lernen. Hana besuchte zudem auch noch Stunden bei Chiron und er brachte ihr wohl bei, wie man diese Kraft einsetzte. Einmal hatte Hana ihr noch einmal gezeigt, wie es funktionierte und wieder hatte Phillis das Gefühl gehabt, in einer ganz anderen Welt zu sein – als würde es Hana schaffen, sie nur durch Musik in eine andere Welt zu schicken in der alles ruhig und friedlich war.

Leider schaffte sie es im Moment nur wenige Minuten (wenn sie nicht gerade in einer Stresssituation war), bevor sie zu erschöpft war – beim ersten Versuch war sie bewusstlos zusammengebrochen und Marty hatte sie wegen einer Erschöpfung in der Krankenstation behandeln müssen.

Neben all diesen Aufgaben half sie auch noch Houdini in so ziemlich alles seinen Lebenslagen (außer es ging darum, ein generelles Arschloch zu sein – darin war er ziemlich gut).

Houdini schaffte es so ziemlich jeden Camper zu verärgern und Phillis wusste nicht, wann sie auch noch für ihn Schlichterin geworden war, aber die meiste Zeit verbrachte sie damit, mit unterschiedlichen Campern zu reden und zu verhandeln, damit diese Houdini nicht zusammenschlugen oder im Schlaf ermordeten.

Phillis war nur beinahe durchgedreht, als Houdini es geschafft hatte, alle Hüttenältesten gegen sich aufzubringen, als er jeden einzelnen von ihnen während der ersten Versammlung der Hüttenältesten in diesem Sommer (und die erste Versammlung, der Phillis beiwohnte – es war ein aufregendes und doch irgendwie verstörendes Erlebnis gewesen) beleidigt hatte – inklusive Phillis. Daraufhin hatten sich Saskia von der Demeter-Hütte, Rhonda von der Hephaistos-Hütte und Josh von der Aphrodite-Hütte geweigert, noch irgendetwas mit Houdini zu tun zu haben. Deswegen hatten sie auch ihre Bündnisse während der Erobere-die-Flagge-Spiele gekündigt, obwohl Houdini und Phillis mit ihnen schon alles ausgehandelt hatten und Phillis hatte einspringen müssen, damit Apollo und Athene nicht alleine gegen das gegnerische Team antreten mussten.

Phillis hatte ihnen dann versprochen, eine Woche lang keine laute Morgenmusik mehr zu veranstalten und das war den drei Hüttenältesten wohl viel wert gewesen, denn sie hatten sich bereit erklärt für Phillis zu kämpfen – nur leider NUR für Phillis. Houdini war ihnen egal.

Ihn störte das nicht, das seine Geschwister waren ein wenig beleidigt, nachdem Phillis mehr oder weniger die Führung übernommen hatte – nur Ruben unterstützte sie noch. Anscheinend war er der einzige in Hütte sechs, der Vertrauen in Houdini hatte und das war auch kein Wunder – Houdini beleidigte jeden, dem er begegnete und der einzige Grund, ihn nicht zusammen zu schlagen war tatsächlich, ihn schlichtweg zu mögen und deswegen über diesen (eigentlich ziemlich großen) Fehler hinweg zu sehen.

Phillis und Houdini hatten zusammen eine Strategie für Erobere-die-Flagge entworfen und obwohl man es Houdini keineswegs ansah, so wusste Phillis einfach, dass er sehr nervös war. Er war einer von diesen Menschen, die nur noch von diesem einen Thema sprach, das ihnen Sorge bereitete oder Angst machte – immer.

Während den Stunden, in denen Phillis für ihn Klavier spielte, murmelte er die Pläne immer wieder vor sich hin und seine Finger waren immer in Bewegung – meistens machte er damit irgendwelche unnötigen Bewegungen.

Phillis war also ziemlich froh, als der Freitag endlich kam – das bedeutete, dass dieser Stress endlich verschwinden würde (bis zum nächsten Freitag jedenfalls).

Nach dem Abendessen trugen Birget und Houdini mit jeweils zwei von ihren Geschwistern die Flaggen hinein – die eine knallrot mit einem Eberkopf und einem blutigen Speer (Ares) und die andere hellgrau mit einer Eule und einem Olivenbaum (Athene). Es war Tradition, dass die beiden Hütten gegeneinander antraten und die Gründe, warum das nicht passierte, waren meistens irgendwelche Herausforderungen, wenn sich Hütten stritten und dieser Streit nur durch einen Kampf geschlichtet werden konnte (Verweis auf das Völkerballspiel von Hütte sieben und fünf vor ein paar Jahren).

Houdini sah wie immer neutral und am ehesten noch genervt aus, als alle begeistert schrien und jubelten. Sein Blick fand Phillis an ihrem Tisch und sie lächelte ihm aufmunternd zu. Er lächelte natürlich nicht zurück.

Als die Teams vorgestellt wurden, stellten sich Phillis und ihre Geschwister zur Athene-Hütte zusammen mit den Kindern der Demeter, der Aphrodite und von Hephaistos – Team Blau.

Das Gegnerteam – Team Rot – bestand nur aus Ares- und Hermes-Kindern, aber das waren im Moment die Hütten mit den meisten Leuten und alle aus der Ares-Hütte waren schon länger als ein Jahr im Camp, während in den anderen Hütten mehr Neulinge waren.

Letztendlich waren sie zahlenmäßig ziemlich ausgeglichen.

„Präge dir die da gut ein – gegen die kämpfen wir heute", wisperte Phillis Hana zu, die ziemlich bleich war. Phillis hatte versucht, ihr alles zu erklären, aber sie war dennoch ziemlich nervös. Phillis verstand das – sie hatte dasselbe gefühlt, als sie das erste Mal Erobere-die-Flagge gespielt hatte.

„Hergehört!", schrie Birget und ihre laute Stimme zeigte sich ausnahmsweise einmal nützlich, denn alle hörten sie selbst über den Lärm des Jubelns hinweg, „Wir haben noch einen Verbündeten! Laertes – der Sohn des Hermes!"

Mit einem fiesen Grinsen im Gesicht und einem riesigen Schwert (das nicht sein goldenes war) lässig auf seiner Schulter abgelegt trat Laertes zu Birget – das Grinsen galt nur Phillis.

„Verräter!", schrie sie scherzhalber, aber einen Moment lang meinte sie, sein Grinsen vereiste und ein unsicherer Blick flackerte über sein Gesicht – aber im nächsten Moment sah er wieder wie der selbstbewusste, gutaussehende Sohn des Hermes aus, der Phillis beigebracht hatte, wie man ein Taschendieb war und wie man ein Auto kurzschloss.

„Ich vermute, wir haben ein Problem", bemerkte Houdini ausdruckslos und seine Stimme klang müde, während er fassungslos auf Laertes blickte – das war eine Variable, die weder Phillis noch Houdini mit einberechnet hatten.

Laertes war zwar ein Sohn des Hermes (die im roten Team spielten), aber trotzdem war er mehr als neutraler Lehrer für Schwertkampf im Camp.

„Unser Plan wird trotzdem funktionieren", versicherte Phillis Houdini selbstsicher, „Lass dich davon nicht einschüchtern."

„Wenn ich mich nicht von diesem riesigen, vernarbten Typen einschüchtern lassen soll, von wem dann?", fragte Houdini und Phillis öffnete den Mund, um ihm eine Antwort zu geben, aber ihr fiel keine gute ein, also ließ sie es lieber.

Chiron schlug mit einem Huf auf einen der Marmortische, um die Camper zu beruhigen, damit er gegen den Lärm ankam. „Helden und Heldinnen!", rief er laut, „Wie immer dieselben Regeln –"

„Er muss sie immer wieder wiederholen – wenn er es einmal nicht tut, gilt die Regel nicht mehr und wir brechen sie", wisperte Phillis Houdini grinsend zu.

„– Der Bach ist die Grenze. Der gesamte Wald ist zugelassen. Alle magischen Dinge sind erlaubt. Die Flagge muss offen gezeigt werden und darf von nicht mehr als zwei Personen bewacht werden. Gefangene dürfen entwaffnet, aber nicht gefesselt oder geknebelt werden. Töten oder Verstümmeln ist nicht gestattet. Ich werde als Schiedsrichter fungieren – unser heutiger Feldarzt ist Marty, Sohn des Apollo. Bewaffnet euch!"

Chiron breitete die Arme aus und die Tische füllten sich mit Waffen und Phillis fand es wie immer amüsant, wie es Parallelen zwischen Hogwarts und dem Camp gab – in Hogwarts aber füllten sich die Tische magisch mit Essen, im Camp mit Waffen.

Hana wurde beim Anblick der Waffen etwas bleich, aber Phillis klopfte ihr ermutigend auf die Schulter und drückte ihr einen Bogen in die Hand – sie ging schon ziemlich gut damit um – jedenfalls besser als mit einem Schwert oder einer anderen Waffe. Pfeil und Bogen waren für sie vorerst die beste Wahl.

„Daphne, Amadeus!", sprach Phillis ihre beiden Geschwister an, „Helft Hana mit ihrer Rüstung – nur leichte Rüstung, sie muss ja noch spielen können!"

Phillis blinzelte Hana vielsagend zu und Hana lächelte nervös. Das gehörte zu ihrem Plan und Phillis hoffte, dass es funktionierte. Hana hatte wenig Vertrauen in ihre Fähigkeiten, aber Phillis war sich sicher, dass es funktionieren würde.

„Komm, ich helfe dir", bot Phillis einem jüngeren Sohn der Demeter an, der ganz rot wurde, als Phillis seine Lederbänder zusammenknotete seiner viel zu großen Rüstung.

Phillis selbst reduzierte ihre Rüstung wie bei jedem Spiel nur auf Knie- und Armschützer – eine ähnliche „Rüstung", wie sie sie auch beim Quidditch trug. Sie blieb lieber beweglich und beim Bogenschießen störte eine schwere Rüstung manchmal.

Bobby war gerade dabei, sich eine kugel- (und pfeil)sichere Weste anzuziehen und Houdini bediente sich mit einem Aspis – einem Rundschild, das Hopliten getragen hatten. Er hob es versuchshalber auf, es war aber zu schwer und beinahe ließ er es wieder fallen. Mit rotem Kopf sah er sich um, ob ihn jemand gesehen hatten, aber es hatte nur Phillis beobachtet, die ihn amüsiert angrinste.

Houdini verdrehte die Augen und legte den Rundschild wieder hin und nahm lieber ein leichteres Schild.

Phillis drückte Leuten aus ihrem Team Helme mit blauer Helmzier in die Hände, während die Verbündeten von der Ares-Hütte die mit der roten nahmen.

Als alle bewaffnet und ausgerüstet waren, trat Birget vor und schrie: „Rotes Team, zu mir!"

Das rote Team jubelte und schrie, als Birget sie brüllend in den Wald führte, die Flagge hoch erhoben und das blaue Team blieb zurück und wandte sich an Houdini.

Houdini räusperte sich und sagte weniger enthusiastisch: „Blaues Team?"

Kein Jubeln, kein Geschrei. Phillis seufzte und trat vor, hob ihren Bogen und brüllte: „Blaues Team! Machen wir sie fertig! Sie werden noch den Geschmack von Tränen auf ihren Lippen haben, wenn wir fertig mit ihnen sind!"

Nun jubelten die Helden und trommelten auf ihre Schilde.

Houdini sah sie verstört an, hob aber die Flagge und führte sie in den Wald.

Houdini und Phillis hatten zusammen einen Plan konzipiert, der sie hoffentlich zum Sieg führte – noch nie zuvor hatte Phillis sich so sehr auf ein einfaches Erobere-die-Flagge-Spiel vorbereitet, aber noch nie zuvor war sie Hüttenälteste gewesen und noch nie zuvor hatte sie eine so wichtige Rolle dabei gespielt, immerhin hatte Houdini eigentlich keine Ahnung von Kriegsführung (dafür hatte er Ahnung von einer Menge anderer Dinge) und Phillis hatte das meiste übernommen.

„Ich glaube, ich fühle tatsächlich so etwas wie Nervosität", bemerkte Houdini leise, als er und Phillis nebeneinander gingen – leise genug, dass ihn niemand außer Phillis hörte.

„Das ist ganz normal – ganz natürlich", beruhigte Phillis ihn, aber Houdini sah sie an, als hätte sie ihn gerade beleidigt.

„Ich bin aber nicht normal und nichts an mit ist natürlich – warum bin ich nervös?"

Phillis seufzte. „Ein menschliches Verhalten, Mr Roboter – halte dich einfach an den Plan und alles wird funktionieren", versprach sie selbstsicher, „Wir sehen uns beim Treffpunkt."

„Ich hoffe, du weißt, was du tust", murmelte Houdini und während er die restliche Gruppe an den Ort führte, an dem sie die Flagge verstecken würde (wie Phillis und Houdini es schon vor Tagen geplant hatten) und Phillis ließ sich zurückfallen und packte Hana an dem Kragen ihrer leichten Lederrüstung, die sie kaum vor Schwerthieben schützen würde, aber sie bot Schutz gegen Pfeile und vielleicht auch konnte sie leichtere Schläge abwehren.

„Phillis, ich weiß nicht, ob ich das –", sagte Hana nervös, aber Phillis unterbrach sie.

„Dann ist es ja gut, dass ich weiß, dass du das kannst. Ich habe Vertrauen in dich."

Hana schluckte schwer, aber nickte, als Phillis sie ermutigend anlächelte.

Zusammen gingen sie etwas in den Wald hinein abseits der Wege und zu der Stelle, an der sie erst am Vormittag etwas versteckt hatten.

Es war Hanas Violine – sie hatten nicht gewollt, dass jemand aus dem Roten Team sah, dass Hana sie mit in den Wald nahm, sie hätte Verdacht schöpfen können und deswegen hatten sie sie im Wald versteckt – sozusagen als Ass im Ärmel.

Mit der Violine holten die beiden Töchter des Apollo die restliche Gruppe schnell ein und sie fanden sie schon beim Ort, an dem sie die Flagge verstecken würden – eine Baumgruppe im nördlichen Wald, die einen natürlichen Schutz gegen Angreifer von allen Seiten bieten würde.

Als Houdini sie erblickte, wirkte er erleichtert, aber mit dem Helm (und der Tatsache, dass er Houdini war) war das nicht ganz so einfach zu sagen.

„Phillis, dein jüngster Bruder –"

„Bobby", erinnerte Phillis ihn.

„– und diese beiden Demeter-Kinder –"

„­Ashton und Dougie."

„– sind auf Position – das Team von der Demeter-Hüttenältesten –"

„Saskia."

„– stehen schon bereit und das Team von Ruben wartet nur noch auf dein Kommando. Ich habe deine anderen beiden Geschwister –"

„Amadeus und Daphne."

„– zum Bach geschickt und ich werde –"

„– hierbleiben und die Flagge bewachen", unterbrach Phillis ihn.

Dafür hättest du mich jetzt aber nich unterbrechen müssen", tadelte Houdini sie genervt.

Phillis grinste verschmitzt. „Ich weiß, es macht nur so viel Spaß."

Houdini seufzte müde. „Wie auch immer – bist du sicher, dass ich Beschützer-Dienst machen muss?"

„Du bist perfekt für diesen Job", versprach Phillis, „Ruben wird für dich auf die andere Seite des Baches gehen, um die Ehre eurer Hütte zu verteidigen."

Houdini schnaubte nicht so begeistert von dem Plan, aber das war eine Bedingung von Phillis gewesen und sie genoss es.

„Bist du bereit?", fragte Houdini sie.

„Absolut", grinste Phillis, „Es kann losgehen!"

Phillis schloss sich Ruben an und bei ihm war auch noch ein Sohn des Hephaistos – ein wirklich großer, muskulöser und kräftiger Jugendlicher namens Atticus, der zusammen mit Phillis, Ruben und Hana auf die andere Seite des Baches gehen würde, um sich eventuell die Flagge zu schnappen.

Saskia würde mit einem zweiten Team genau dasselbe versuchen und der Plan war, dass einer von ihnen es schon schaffen würde mit ihren jeweiligen Stärken.

„Bereit für die Schlacht?", fragte Phillis Ruben und Atticus.

Ruben grinste begeistert. „Ich hätte dich schon früher nach Taktiken fragen sollen – du hast viel gelernt, mein Schüler."

„Nur vom Besten", schmeichelte Phillis ihm und warf Ruben einen Arm um die Schulter.

Ruben war ein Jahr jünger als Phillis und der Hüttenälteste von Hütte sechs gewesen, bevor Houdini gekommen war und er war es auch gewesen, der Phillis im letzten Sommer alles über Kriegsstrategien und Taktiken beigebracht hatte, was er wusste (und das war eine Menge). Eigentlich hatte sie das nur gebraucht, um als Kapitän beim Quidditch den Pokal zu gewinnen (das war ihr gelungen) aber jetzt konnte sie das Wissen auch für den Zweck verwenden, für den es eigentlich gedacht gewesen ist – Krieg.

„Du hast Houdini extra in den Wachdienst eingeteilt, oder?", fragte Ruben amüsiert mit einem Blick auf seinen jüngeren Bruder, der inmitten der Gruppe doch etwas verloren schien. Wenn es darum ging, individuell intelligent zu sein, war Houdini ganz vorne dabei, aber in einer Gruppe arbeitete er nicht so gut.

„Die Rache dafür, dass er beinahe alle unsere Bündnisse riskiert hat", bestätigte Phillis, „Bei der Flagge ist er alleine und kann niemanden beleidigen – Neun-Finger-Bobby ist im Wald und spielt Scharfschütze."

„Eine ausgezeichnete Idee", lobte Ruben sie amüsiert.

„Gehen wir?", schlug Atticus mit seiner tiefen, brummigen Stimme vor und deutete in den Wald hinter sich.

„Eine ausgezeichnete Idee", grinste Phillis und schulterte ihren Bogen, „Hana! Wir gehen!"

Hana beeilte sich, ihr hinterher zu kommen und sie hatte Mühe, ihren Bogen und Köcher auf ihrer Schulter zu behalten, während sie mit ihrer Geige und dem Bogen für diese in den Händen durch den Wald stapfte und Phillis bemühte sich zwar, den einfachsten Weg durchs Dickicht zu finden, damit ohne ihre Hände nicht die Balance verlor und hinfiel, aber das war in einem so wilden Wald wie dem Wald im Camp kaum möglich.

Hana beschwerte sich aber keinen Moment und bemühte sich, mit den anderen Schritt zu halten, obwohl ihr Helm immer wieder über ihre Augen rutschte und sie ihn mit ihrem Ellenbogen ungeschickt wieder nach oben schieben musste.

Nahe der Grenze zum Bach blieben sie versteckt im Unterholz stehen und beobachteten den Wald dahinter, aber niemand aus dem roten Team war zu sehen.

Ein Muschelhorn ertönte – das Zeichen, dass das Spiel begann und sofort rannten brüllend ein paar von Ares' Kindern aus dem Wald und überquerten den Bach, scheinbar ohne Schwierigkeiten, aber damit hatte Phillis gerechnet (sie hatte oft genug mit den Kindern des Kriegsgottes gespielt, jetzt wusste sie, wie man gegen sie spielte.

Ein paar Kinder der Athene hatten einfache Fallen aufgestellt und sofort wurde einer der Areskinder von einem Netz nach oben gerissen und er zappelte dort oben hilflos und brüllte beleidigt. Seine Geschwister versuchten ihm zu helfen, aber da waren auch schon Amadeus und Daphne, die sie mit Pfeilen beschossen und nachdem verstümmeln (leider) verboten war, wichen sie auf verschiedene Trickpfeile aus, die explodierten, grell wie die Sonnen schienen und so die Gegner blendeten oder schlicht weitere Seile hervorspringen ließen, die sich um deren Füße wickelten und damit Gegner zu Fall bringen konnten.

Es war keine dauerhafte Lösung, aber die Kinder des Ares waren damit lange genug abgelenkt, dass die Athene-Kinder ihnen die Waffen abnehmen konnten und sie damit Gefangene waren.

Phillis grinste zufrieden – bis jetzt verlief ihr Plan perfekt.

„Gehen wir", zischte sie ihrem Team zu – sie durften möglichst lange nicht gesehen werden, „Die haben die Situation hier unter Kontrolle und alle sind abgelenkt. Achtet auf frisch umgegrabene Erde – Birget hat vielleicht Landmienen versteckt."

„Was?", quickte Hana leise, aber sie hatten keine Zeit, sich lange darum zu kümmern und sie überquerten den Bach und kamen auf die andere Seite.

Bis jetzt waren sie noch nicht entdeckt worden und es war Zeit für Phase zwei.

„Okay, ich bin in der Nähe", sagte sie zu den anderen, „Ich behalte euch im Auge und achte auf Gegner – ihr kennt den Plan?"

„Ich habe heute Nacht davon geträumt, so oft hast du ihn mir schon erklärt", scherzte Ruben grinsend.

„Albträume", stimmte Atticus ihm düster zu, „Ich habe geträumt, es ist schief gegangen und du hast mich mit deinem Bogen verprügelt."

„Das droht dir wirklich, wenn ihr es versaut", warnte Phillis und verkniff sich ein Grinsen, als Atticus (der wirklich groß war – größer als Phillis) nervös schluckte und eilig nickte.

Phillis verschwand in den Wald, gerade so weit entfernt, dass sie ihr Team noch sehen konnte.

Mit ihrem Bogen in der Hand achtete sie auf jede Bewegung und auf jede Gefahr, während sie durch das Unterholz stapften und besonders Atticus half Hana dabei, wenn es darum ging, über einen umgefallenen Baum zu klettern oder eine kleine Böschung nach oben.

Alles war ruhig und Phillis fragte sich, ob das etwas Gutes oder etwas Schlechtes war.

Vielleicht waren sie auf dem falschen Weg und die Flagge war ganz woanders – wenn es darum ging, die Flagge zu finden, war Phillis keine sonderlich große Hilfe gewesen, nachdem Birget das Versteck dafür immer spontan auswählte und keine Muster zuließ – besonders, wenn sie wusste, dass ehemalige Verbündete auf der anderen Seite waren.

Vielleicht war Birget auch nur so selbstbewusst und sicher, dass sie nicht einmal in die Nähe der Flagge kommen würden, dass sie vollkommen auf Angriff gesetzt hatte und deswegen alle ihre Spieler auf die andere Seite des Baches geschickt. Das wäre theoretisch eine gute Strategie und Phillis hatte sich selbst überlegt, ob sie genau so agieren sollte und nur Houdini und Bobby zum Beschützen zurückließ, hatte sich dann aber doch auf eine mehr defensive Strategie entschieden. Wenn Birget tatsächlich auf Angriff gegangen war, würde ich das als ein großer Vorteil herausstellen.

Vielleicht wollte Birget auch nur, dass sie dachten, sie wären auf der falschen Spur, aber so spielte Birget normalerweise nicht. Natürlich war es möglich, dass sie ihre Strategien komplett geändert hatte (nachdem ihr das erste Mal seit Jahren die Bogenschützen fehlten, nachdem die Apollo-Kinder nicht auf ihrer Seite waren) und sie nun eher mit Hirn agierte, statt mit Kraft. Es war allgemein bekannt, dass die Kinder der Athene für solche Psycho-Spielchen immer zu haben waren, während Birget und die anderen Ares-Kinder eher ihre spartanisch kämpften als eine Einheit, die aber wenig mit Strategie und mit mehr direkte Angriffskraft zu tun hatte.

So oder so – Phillis redete sich ein, dass sie auf dem richtigen Weg waren und wenn nicht, dann wäre Saskia mit ihrem Team auch noch im Wald und sie durchsuchten einen anderen Bereich nach der Flagge und je nachdem, welche Möglichkeit letztendlich stimmte, einer von ihnen würde sie schon finden.

Plötzlich ertönte ein lauter Aufschrei und aus dem Gebüsch vor Hana, Ruben und Atticus sprangen einige Leute vom roten Team und unter ihnen auch Laertes, der an der Wange einen kleinen Schnitt hatte und er hatte wohl seinen Helm verloren, sodass man sein keckes Grinsen sehen konnte.

Sie waren zu fünf und damit in der klaren Überzahl und schnell waren die drei vom blauen Team umzingelt – Phillis blieb noch unentdeckt im Wald und spannte ihren Bogen – sie hatte nur einen Versuch.

Hana quickte erschrocken auf, während Ruben und Atticus drohend ihre Schwerter hoben, aber gegen eine solche Übermacht (besonders mit Laertes im Team) hatten sie keine Chance – jedenfalls nicht ohne Phillis.

„Was haben wir denn da?", fragte Laertes grinsend und sah die drei Teammitglieder von Phillis an, „Drei neue Gefangene – wie schön, dass ihr beschlossen habt, zu uns zu kommen!"

Phillis atmete tief durch und zielte.

„Nehmt ihnen die Waffen ab und bringt sie –", wollte Laertes den anderen befehlen, aber da schoss Phillis ihren Pfeil ab. Sie stieß einen Warnschrei aus und ihre Teammitglieder reagierten sofort so, wie sie es geplant hatte und schlossen ihre Augen und schützen ihre Gesichter mit ihren Händen.

Der Pfeil schoss direkt durch die Gruppe hindurch, aber in ihrer Mitte explodierte er in der Luft, aber nicht in einer Feuerexplosion, sondern in pures Sonnenlicht und die Leute aus dem roten Team wurden geblendet.

„Los jetzt!", schrie Phillis und Ruben, Atticus und Hana rannten los – sie waren wohl auf dem richtigen Weg.

Phillis spannte einen weiteren Pfeil und rannte parallel zu ihnen im Wald mit etwas Abstand und sie hörte, wie sich die anderen schon erholten und die Verfolgung aufnahmen.

„Pirro – Phillis hinterher!", befahl Laertes, „Ihr anderen – folgt mir!"

Phillis war sich nicht sicher, ob sie beleidigt sein sollte, weil Laertes ihr nur einen einzigen Neuling hinterherschickte, aber vielleicht konzentrierte er sich lieber auf die größere Gruppe.

Phillis rannte und hörte hinter sich jemand anderen rennen, aber Pirro kam ihr nicht hinterher – Phillis hatte bemerkt, dass alle aus der Gruppe der Roten schwere Rüstung getragen hatten und sie war mit ihrer leichten Rüstung klar im Vorteil.

Phillis konzentrierte sich also darauf, dass sie ihr eigenes Team und deren Verfolger im Auge behielt.

Es schien wohl eine Gruppe aus Hütte elf zu sein – die Kinder des Hermes waren ausgezeichnete Läufer (als Dieb musste man das sein) und waren grundsätzlich schneller, als die meisten anderen im Camp (inklusive den Nymphen) und deswegen war es auch nicht wirklich ein Wunder, dass sie langsam aufholten.

Damit hatte Phillis aber schon gerechnet und als sie glaubte, genug Abstand zu Pirro zu haben, blieb sie einen Moment lang stehen und band einen dünnen Faden an einen Baum und das andere Ende an einen ihrer Pfeile.

Sie atmete tief durch und schoss – der Faden spannte sich und als der Pfeil in einem anderen Baum steckenblieb, spannte sich nun ein Stolperseil quer über den Weg.

Kurz darauf donnerten auch schon die aus dem roten Team daher und sie übersahen das dünne, aber stabile Seil mitten im Weg.

Lachend beobachtete Phillis, wie Laertes zuerst darüberfiel und anstatt aus seinem Fehler zu lernen, konnten die anderen nicht frühzeitig stehenbleiben und fielen ebenfalls darüber.

In einem Haufen aus Schwerter, Rüstung und Menschen lagen die vier nun auf dem Waldboden und versuchten sich irgendwie zu befreien, was aber nicht so einfach war, wenn sich das Seil und die Beine geschlungen hatte.

Phillis drehte sich um, um zu sehen, wo Pirro geblieben war, als sie erschrocken erkannte, dass er sich wohl an sie angeschlichen hatte.

Gerade im letzten Moment wich Phillis seiner Harpune aus und schrie erschrocken auf. „Wolltest du mich von hinten erstechen?", fragte sie entsetzt und sie spürte, wie das Adrenalin ihr dieses süchtig machende Gefühl gab, das sie so sehr liebte.

Pirro grinste. „Ich doch nicht!"

„Schade – dir wäre es nämlich fast gelungen", bemerkte Phillis und sie trat Pirro geschickt gegen das Schienbein (womit er wohl nicht gerechnet hatte), zückte einen Pfeil und spannte in innerhalb von kaum einer Sekunde.

Pirro schielte auf den Pfeil, der direkt auf sein Gesicht gerichtet war und Phillis verlangte grinsend: „Waffe her oder ich vergesse, dass töten verboten ist."

Pirro grinste ebenfalls und ließ seine Harpune fallen, bevor er die Hände erhob. „Ich ergebe mich!"

Phillis trat die Waffe etwas weg von ihm, bevor sie den Bogen wieder sinken ließ und mit einem letzten Grinsen in Pirros Richtung rannte sie in die Richtung, in der ihr Team verschwunden war.

Es dauerte nicht lange, da erblickte sie ihre blauen Helmzierden im Dickicht und als sie näherkam, blickte Ruben auf, bevor er erleichtert lächelte.

„Guter Schuss", lobte er sie, „Ich habe schon gedacht, sie hätten dich erwischt – wir wollten schon ohne dich beginnen."

„Ich habe mich noch um ein kleines Ärgernis kümmern müssen", winkte Phillis ab.

„Birget und Eden bewachen die Flagge", klärte Atticus sie auf.

„Birget ist die Verteidigung und Eden ist der schnellste Läufer – sollte jemand versuchen mit der Flagge abzuhauen, wird er die Verfolgung aufnehmen", erkannte Phillis die typische Strategie von Birget.

„Ich übernehme Eden", schlug Ruben vor, „Du haust mit der Flagge ab, Phillis."

Phillis sah ihn verwundert an. „Du überlässt diese Ehre mir?"

„Du hast dir das verdient – wir alle wissen, dass das alles hier nur dein Plan ist", schnaubte Ruben und klang unzufrieden damit, aber er hatte es wohl akzeptiert.

„Okay...", nahm Phillis gerne an, „Habt ihr alle die Ohrstöpsel?"

Als Antwort hielten Ruben und Atticus ihr die kleinen, grellgelben Oropax entgegen und Phillis nickte zufrieden.

„Dann los – Hana?"

Hana atmete tief durch und legte ihre Violine an, bevor sie nervös nickte.

Phillis, Ruben und Atticus stopften sich die Ohrstöpsel in die Ohren und die Welt wurde ganz leise, bevor sie ganz offen hinaustraten.

Birget schrie eine Warnung und holte schon mit einem ihrer Speere aus, um ihn zu werfen, aber da begann Hana schon zu spielen und Phillis konnte sie vielleicht nicht hören, aber sie sah die Wirkung, die ihre Musik hatte.

Birgets und Edens Blick wurden ganz glasig und sie wankten ein wenig wie Bäume im Wind. Eden sabberte sogar ein wenig, als er von Hanas Musik in einer Welt der Träume geleitet wurde.

Phillis und Ruben reagierten sofort – Atticus war dabei, um Hana zu verteidigen, die nach dem Spielen erschöpft oder sogar bewusstlos sein würde.

Phillis achtete nicht mehr, was um sie herum passierte, sondern schnappte sich nur die Flagge als wäre sie ein Quaffel und sie müsste ihn quer über das Feld auf die andere Seite bringen, um dort ein Tor zu schießen.

Die Welt um sie herum war komplett leise, was sie etwas verstörte, aber sie traute sich nicht, auch nur einen Moment lang unachtsam zu sein, um sich die Oropax wieder herauszuziehen und deswegen blieb die Welt stumm, während sie nur ihr eigenes Herz hörte, als sie durch den Wald rannte.

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie etwas auf sie zuschoss und erblickte da einen von Birgets Brüdern, der wohl die Verfolgung aufgenommen hatte, aber Phillis blieb nicht stehen.

Sie rannte und rannte und sie wusste nicht, wie lange es noch bis zum Bach war, nachdem sie ihn auch nicht rauschen hörte, aber sie blieb nicht stehen.

Endlich entkam sie dem Wald und musste nun nur noch über den Bach – es hatte sich noch jemand der Verfolgung angeschlossen und natürlich war es Laertes.

Phillis hatte etwas Vorsprung und im letzten Moment sprang sie ab, flog nahezu über das Wasser des Baches und kam ziemlich schmerzvoll auf dem harten Boden auf der anderen Seite wieder auf, rollte sich ab und blieb schließlich liegen.

Schwer atmend klammerte sie sich noch an die Flagge, als diese sich golden mit einer Sonne darauf färbte und mit zitternden Händen zog sie sich die Ohrstöpsel wieder heraus, nur um zu hören, wie um ihr herum die Leute jubelten.

Über ihr erschien das Gesicht von Houdini – er blutete aus der Nase und wie immer lächelte er nicht, aber er wirkte nicht unzufrieden. Wortlos hielt Phillis eine Hand hin und sie nahm sich an, um sich von dem zwölfjährigen auf die Beine helfen zu lassen, wobei Houdini dabei keine sonderlich große Hilfe war, aber die Gestik zählte, besonders, weil Houdini sich offenbar überhaupt nicht wohl dabei fühlte, die Hände von anderen zu berühren und er wischte sich seine gleich danach an einer Hose ab.

Chiron trötete wieder in das Muschelhorn und beendete damit das Spiel.

Es fühlte sich für Phillis so an wie damals, als sie den Quidditchpokal gewonnen hatten, aber dieses Mal wurde nursie bejubelt.

Dieses Gefühl, das beinahe so berauschend war, wie Gefahr und Phillis grinste breit und hob die neu gefärbte Flagge hoch über ihren Kopf, während die Leute um sie herum jubelten und begeistert schrien.

Phillis suchte in der Menge nach Birget, die ihren Helm abgenommen hatte – ihre kurzen Haare waren nass vor Schweiß und standen wild in alle Richtungen ab, aber sie lächelte zufrieden und nickte Phillis anerkennend zu.

Laertes bemerkte Phillis zunächst nicht und dann erkannte sie, dass er etwas weiter hinten stand und er schien in Gedanken versunken, während er auf seinen Helm blickte. Er schien ihren Blick zu bemerken und sah auf – einen Moment lang schien sein Blick feindselig und finster. Dann lächelte er, aber es war irgendwie nicht das Lächeln, das Phillis irgendwann zu lieben gelernt hatte.

Sie wurde aber abgelenkt, als ihre Geschwister sie von allen Seiten umarmten und Daphne, Amadeus und selbst Bobby klammerten sich an sie, während sie begeistert auf und ab sprangen, also blieb Phillis nichts anderes übrig, als ebenfalls zu springen und wenn es auch nur halb so lächerlich aussah, wie es sich anfühlte, mussten sie ziemlich dämlich aussehen, aber im Moment war das in Ordnung, immerhin hatten sie gewonnen und als sich alle zusammen versammelten, bejubelten sie Phillis' Namen und dieses Gefühl des Triumphes war so berauschend, Phillis konnte kaum darauf warten, es wieder zu spüren.

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