Die unfassbaren Heldentaten der Sara Dolohow
Das Schlimmste, das Phillis jemals passiert war, ... war nicht wirklich ihr erster richtiger Schultag in Hogwarts, aber es war schon eher eines ihrer schlimmsten Erlebnisse gewesen.
Es war die Erkenntnis, dass es nur in Camp Half-Blood und zu Hause beim Privatunterricht mit ihrer Mutter in Ordnung war, Legasthenie zu haben und deswegen nicht wirklich schnell oder überhaupt lesen zu können.
Oder die Erkenntnis, dass man in der Schule normalerweise nicht mindestens einmal in der Stunde nach draußen in die frische Luft gehen konnte, um ein paar Runden im Garten zu rennen, um die aufgestaute Energie loszuwerden – das war besonders schrecklich für Phillis gewesen.
Oder auch Hausaufgaben. Phillis wusste nicht einmal, warum sie in einer Ganztagesschule Hausaufgaben machen mussten, aber offenbar schien sonst niemand so ein Problem damit zu haben. Es beschwerten sich zwar alle, aber letztendlich schafften sie es immer, alles pünktlich abzugeben. Nur Phillis schaffte das nicht und sie verstand nicht, warum.
Phillis hatte also schon vor Jahren beschlossen, dass Schule dazu erfunden worden war, um Leute wie sie wie Idioten dastehen zu lassen. Phillis konnte vielleicht nicht wirklich gut lesen oder schreiben und sie lernte nicht gerne oder machte fleißig ihre Hausaufgaben, außerdem konnte sie nicht stillsitzen, war unkonzentriert, frustriert und gelangweilt vom Schulalltag, aber das alles bedeutete noch lange nicht, dass sie schlichtweg dumm war. Immerhin hatte ihre Mutter es auch geschafft, ihr zu Hause viel beizubringen und im Camp lernte sie sogar gerne (vielleicht, weil sie von anderen Demigöttern trainiert wurde, die genau wussten, wie man mit Kindern wie ihr umging). Warum hasste sie also Hogwarts? Vermutlich lag es an Hogwarts.
Phillis hatte das bisher nur ihrer Mutter erzählt – eigentlich hasste sie alles an Hogwarts. Nicht nur den Unterricht, sondern auch das Schloss an sich. Vielleicht war es, weil Phillis grundsätzlich die altgriechischen Gene in sich hatte (die es ihr auch erlaubten, Altgriechisch leichter zu lernen, aber auch die Hyperaktivität und die Legasthenie brachten) und das Schloss einfach so mittelalterlich war. Vielleicht war es auch, weil ihr Vater, Apollo, der Gott der Sonne war und besonders in den Wintermonaten waren die Gänge meist kalt und dunkel und die Kerzen beleuchteten nichts, wie es die Sonne konnte. Vielleicht war es auch nur der Kontrast zum Camp. Im Camp fühlte Phillis sich zu Hause (natürlich fühlte sie sich bei ihrer Mom auch zu Hause, aber im Camp war das etwas anderes). Im Camp waren hauptsächlich Kinder wie sie und sie war ausnahmsweise keine Außenseiterin mehr. Im Camp war sie sogar ziemlich bekannt – als eine der besten Bogenschützen hatte sie sich ihren Platz dort verdient und sie hatte begonnen, einen illegalen Süßigkeitenhandel zu betreiben (nachdem Zucker im Camp eine Rarität war, aber jeder von ihnen süchtig danach war), wodurch ihr Ansehen noch mehr gewachsen war.
In Hogwarts war das anders.
In Hogwarts war sie Phillis Dolohow – die Schande der Familie; beschämend für die Familie; ein Bastardkind und dazu noch schlecht in der Schule. In Hogwarts war sie hauptsächlich für ihre schlechten Leistungen bekannt... und für Quidditch.
In ihrer frühen Kindheit hatte Phillis nicht sonderlich viel mit Quidditch anfangen können (ihre Mutter war nie ein Fan davon gewesen und Phillis hatte nicht wirklich ein anderes Vorbild gehabt, das es ihr hätte zeigen können), aber in Hogwarts hatte sie schnell erfahren, dass es die einzige Möglichkeit war, in einem Team Sport zu betreiben und deswegen hatte sie sich in ihrem zweiten Jahr beworben und sie hatte es tatsächlich ins Team geschafft (der Beginn einer weiteren Ära (und einer weiteren Sucht)).
Phillis war sich sicher, dass Quidditch das Zweitbeste in ihrem Leben gewesen war (der eindeutig schönste Moment war der Tag gewesen, an dem sie herausgefunden hatte, wie man am effektivsten während des Unterrichts aß und trank) und es war so ziemlich das einzige Hobby (neben Bogenschießen, Kaffee und Zucker), das sie schon seit mehreren Jahren verfolgte. Normalerweise hatte Phillis keine Geduld dafür, aber mit Quidditch konnte sie sich Stunden beschäftigen.
Phillis wurde jedes Jahr von ihrer Mutter zum King's Cross Bahnhof begleitet bis direkt vor den Zug.
Wer Phillis in Hogwarts kennenlernte, würde sie als „einschüchternd" beschreiben (es gab nicht direkt viele Zauberer oder Hexen, die körperlich fit waren und deswegen war auch nur die Andeutung von Muskulatur einschüchternd, obwohl Phillis im Gegensatz zu den Ares-Kindern schon beinahe schmächtig war und ihre Muskeln sich hauptsächlich auf die Hauptareale fürs Bogenschießen fixierten), aber wenn sie bei ihrer Mum war, war Phillis ein kleines Kind, das seine Mummy nicht verlassen wollte.
Sara Dolohow war eine Göttin.
Nicht wortwörtlich natürlich, immerhin hatte Phillis erfahren, dass es Götter tatsächlich gab, aber für Phillis würde es nie jemanden geben, der einer Göttin so nahe kam, wie Sara Dolohow (nicht einmal die Götter selbst). Phillis fand sie wunderschön. Braunes, seidiges Haar – immer ordentlich und glatt, als wäre es ein seidener Mantel. Große, warme, braune Augen ein wunderschönes Gesicht ohne jegliche Makel auf der bleichen Haut, die Phillis an Porzellan erinnerte und einer perfekten Sanduhr-Figur trotz der frühen Schwangerschaft mit Phillis, als Sara Dolohow gerade einmal einundzwanzig Jahre alt gewesen war. Das schönste an ihr aber war ihr Lächeln, besonders das, was sie nur für ihre Tochter reserviert hatte.
Sara Dolohow war die Perfektion für Phillis, während sie selbst Chaos war. Sandfarbenes, gelocktes Haar, wie es viele ihrer Geschwister hatten; himmelblaue Augen und sonnengeküsste Haut.
Sara Dolohow war eine Dame von gutem Hause und sie wusste, wie man sich benahm und ihre ganze Ausstrahlung ließ andere schon erstarren, aber Phillis hatte nie so wirklich herausgefunden, wie man so... perfekt war.
Sie schaffte es nicht, ihre Haare zu zähmen und aus irgendwelchen Gründen konnte man regelmäßig kleine Äste oder Gras in ihren Locken finden (selbst, wenn sie nicht draußen im Wald gewesen war). Ihr Gesicht war voller Sommersprossen und auch dem einen oder anderen Pickel (wie bei allen normalen Fünfzehnjährigen) und auch einigen Schrammen und Narben vom Training im Camp oder auf dem Quidditchfeld, die sich bleich von ihrer gebräunten Haut abzeichneten.
Meistens war Phillis' Kleidung dreckig oder unordentlich oder beides zugleich und egal, wie sehr Phillis sich anstrengte, sie schaffte es nicht, ihre Kleider rein und weiß zu halten, wie andere Mädchen und nach einem Tag im Freien kam sie häufig mit Löchern in der Hose zurück.
Sara hatte sie deswegen nie geschimpft und deswegen hatte Phillis nie verstanden, dass das sich nicht gehörte... das hatte sie erst in Hogwarts gelernt und es eine weitere unangenehme Erfahrung in der Schule gewesen.
Für Phillis war es ihre Mutter, die eine Göttin war und es gab niemanden, der sie vom Gegenteil überzeugen konnte, immerhin war es ihre Mutter gewesen, die die unglaubliche Heldentat vollführt hatte, ein Kind wie Phillis überhaupt aufzuziehen. Es war nie einfach gewesen und Phillis schämte sich noch immer dafür, aber gleichzeitig schaffte sie es einfach nicht, ein perfektes Kind zu sein.
Es war auch ihre Mutter gewesen, die Phillis trotz ihrer regelmäßigen Wutausbrüche erzogen hatte und sie war immer geduldig gewesen und hatte sich nie anmerken lassen, wie sehr Phillis sie verletzte. Phillis hatte sie einmal in der Nacht weinen gesehen – sie selbst war der Grund gewesen, aber egal, wie sehr sie sich auch bemühte, sie hatte immer wieder Aussetzer, in denen sie ihre Mutter psychisch (selten auch physisch) verletzt hatte, aber Sara hatte sie nie darauf angesprochen. Phillis wusste aber, dass sie ihrer Mutter sehr viel Leid gebracht hatte.
Es war auch Sara gewesen, die ihre Tochter das erste Mal nach Amerika gebracht hatte und ins Camp, damit sie dort lernen konnte, auch dem anderen Teil ihrer Familie zu verstehen.
Wenn ihr Vater, Apollo, so mächtig war, warum hatte er sie nicht erzogen? Warum hatte er sich nicht ihren Wutausbrüchen ausgesetzt? Warum hatte er sie nicht nach Amerika begleitet? Warum hatte er ihr nicht mühsam beigebracht, zu lesen und zu schreiben und zu leben? Warum hatte er Phillis nie im Arm gehalten, wenn sie aus der Schule nach Hause gekommen war und am liebsten nie wieder dorthin zurück wollte?
Wo war Apollo gewesen, als Phillis einen Gott gebraucht hätte?
Apollo war vielleicht ihr Vater, aber er war für Phillis kein Gott.
Es war auch immer nur Sara, die ihre Tochter zum Bahnsteig begleitete – bis zum Zug, obwohl Phillis sich eigentlich für so viel Fürsorglichkeit schämen sollte. Von ihren Klassenkameraden wusste sie, dass sie sich andauernd darüber beschwerten, dass ihre Eltern sie überhaupt noch begleiteten („Ich bin jetzt schon fünfzehn, Mum! Das ist beinahe erwachsen!"), aber Phillis kannte dieses Schamgefühl ihrer Mutter gegenüber nicht. Sie liebte ihre Mummy und würde am liebsten das ganze Jahr über bei ihr bleiben, aber Sara bestand darauf, dass sie auch lernte, eine Hexe zu sein, obwohl dieser Teil ihrer Herkunft weniger spannend für den hyperaktiven Halbblut war.
In Hogwarts war Phillis einschüchternd, aber am Bahnsteig war sie ein richtiges Mama-Kind und wollte Sara gar nicht mehr loslassen, als sie sich vorm Zug noch einmal umarmten – er würde in wenigen Minuten schon abfahren.
Es war schön, Sara zu umarmen. Sie roch immer nach Blumen und war so schön warm und perfekt zum Umarmen, wie Phillis fand. Und sie vergaß die Welt um sich herum, wenn sie sie umarmte. Sie konnte sich nur auf ihren Geruch konzentrieren und konnte so das rege Treiben um sie herum einfach ausblenden und es gab ihr einen Moment Ruhe inmitten des Chaos'.
Aber irgendwann mussten sie sich wieder loslassen und sofort wurde Phillis schon beinahe von den verschiedenen Eindrücken übermannt.
Da waren ein paar Siebtklässler, die laut lachten (zu laut); eine Erstklässlerin wischte sich heimlich über die Augen, damit niemand ihre Tränen sehen konnte; eine Familie stand schweigsam zusammen – sie wussten nicht, was sie zum Abschied sagen sollten; da hinten war jemand mit einem Besen – dieser Besen war bestimmt neu; ups! Da hatte jemand eine Feder verloren, aber jemand anderer hatte es auch schon bemerkt und hob sie schnell auf, um sie zurück zu geben. Eine Eule kreischte laut. Eine Katze rannte beinahe auf die Gleise und wurde gerade noch so von einer Slytherin-Schülerin eingefangen. Warum trug sie schon ihre Uniform? Sie mussten diese unbequeme Kleidung doch erst im Zug anziehen, kurz bevor sie in Hogwarts ankamen.
Sara kannte ihre Tochter und wusste auch, dass es nicht so einfach war, ihre Aufmerksamkeit zu erhalten und zu behalten, aber sie hatte so ihre Tricks.
Sie legte beide Hände auf Phillis' Schultern und wartete, bis Phillis sie direkt ansah, bevor sie eindringlich auf sie einsprach: „Phillis, hast du alles? Deine Uniform für heute beim Festmahl?"
„Jaah! Im Rucksack!"
„Deinen Zauberstab?"
„Klar. Hier ist er."
„Dein Schwert? Deinen Bogen mit Pfeilen?", fragte Sara etwas leiser und Phillis nickte.
„Im Koffer."
Phillis blickte nervös über ihre Schulter zur Lok. Bald würde der Zug abfahren und etwas, das ihr auf der Liste von ungemütlichen Erlebnissen in Hogwarts noch fehlte war, den Zug zu verpassen.
Sara bemerkte, dass die Aufmerksamkeit ihrer Tochter nicht mehr auf ihr lag, aber das war in Ordnung – sie hatte alle Antworten bekommen.
„Geh jetzt", lachte Sara liebevoll und küsste noch einmal die Wange ihrer Tochter und strich ihr durch die chaotischen Haare, „Du verpasst ja noch den Zug und was macht dann dein Team ohne ihren Kapitän?"
Phillis grinste stolz auf sich und zeigte dabei ihre Zähne. Sie hatte sich erst diesen Sommer eine kleine Ecke bei ihrem oberen Schneidezahn ausgeschlagen. Noch eine Imperfektion, die sie auf ihrer Liste hinzufügen konnte, aber wenigstens fiel diese nicht auf, außer man stand ihr nahe.
„Pass auf dich auf", bat Sara ihre Tochter noch ein letztes Mal und drückte sie an sich, „Und schreib auch einmal nach Hause. Wir sehen uns zu Weihnachten wieder."
„Ich hab dich lieb, Mum", nuschelte Phillis in die Brust ihrer größeren Mutter und genoss noch für einen Moment die absolute Sicherheit, die sie verspürte, bevor sie realisierte, dass es Zeit war, ihr „Hogwarts-Leben" zu starten und sie löste sich widerwillig von Sara.
„Geh jetzt", Sara stieß ihre Tochter spielerisch in Richtung Zug, „Und lass von dir hören, sonst komme ich persönlich vorbei!"
„Dann schreibe ich wohl lieber nicht", grinste Phillis zurück und Sara verdrehte die Augen und scheuchte Phillis mit einer Handbewegung zum Zug.
Phillis lud ihre Koffer auf und stieg gerade ein, als das Warnsignal ertönte, dass der Zug bald losfahren würde.
Phillis stellte sich an ein Fenster und winkte ihrer Mutter und Sara blieb auf dem Bahnsteig stehen, während die ersten Eltern schon gingen und wartete, bis der Zug losfuhr und dann hinter einer Ecke verschwand.
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