Chiron nimmt Erziehungstipps von Birget an

Wenn der Tag schon mit We Will Rock You von Queen begann, musste er einfach nur gut werden.

Phillis fühlte sich ungewohnt ausgeschlafen (Schlaf kam in letzter Zeit nicht einfach und durchschlafen war noch schwieriger) und energiegeladen als Freddie Mercurys Stimme sie bei Apollos alltäglichen Morgenritual weckte. Phillis summte sogar leise mit, während sie sich ihre Quidditch-Uniform anzog.

Sie fühlte sich einfach gut – vielleicht war es Zufall aber vielleicht lag es auch daran, dass das erste Spiel der Saison des Gryffindor-Teams anstand: Gryffindor gegen Ravenclaw.

Beim Spiel Slytherin gegen Hufflepuff war Slytherin als Sieger hervorgetreten und Phillis war aufgefallen, dass beide Teams dieses Jahr vermutlich eher eine Herausforderung darstellen könnten, aber sie war zuversichtlich, dass sie trotzdem eine Chance auf den Pokal hatten.

Phillis opferte den Göttern noch etwas im Kamin, noch bevor sie zum Frühstück hinunterging. Sie fühlte sich nicht ganz wohl dabei, einfach so nachzugeben und die Beziehung zwischen ihr und den Göttern war mittlerweile ziemlich kompliziert – auch in ihren Augen – aber Chiron hatte sie davor gewarnt, die Götter in so gefährlichen Zeiten wie diesen zu provozieren und Zeus hatte (mehr oder weniger) ihr Leben gerettet. Eigentlich nicht wirklich, aber er hatte vermutlich das Gefühl, als wäre Phillis ihm etwas schuldig, obwohl er nur so gütig gewesen war, sie retten zu lassen.

Phillis war so gestresst von Schule, Quidditch, Krieg, Freunde und Feinde, dass sie nicht die Energie gefunden hatte, sich auch noch dagegen zu wehren und deswegen hatte sie nachgegeben. Ihr Opfer klang etwas halbherzig, aber das kümmerte die Götter dann kaum noch (ansonsten würden sie wohl tagtäglich ein deprimiertes Demigott-Kind im Camp mit einem Blitz grillen, das sich vielleicht nur wünschte, einmal von seinem Elternteil erhört zu werden).

Als sie zum Frühstück hinunter ging, hatte sie noch den Rhythmus von We Will Rock You im Kopf und ging in diesem Rhythmus auch – voller Selbstvertrauen und Sicherheit. In der Großen Halle hatten die Schüler sie wohl schon erwartet und die Gryffindors jubelten und klatschten begeistert, als sie eintrat.

Phillis hatte ganz vergessen, wie gut sich Triumph anfühlte.

Nach ihrem eigentlich schief gegangenen Auftrag, ihren schlechten ZAG-Noten, ihrer erbärmlichen Rückkehr nach Hogwarts und ihrer Unfähigkeit irgendetwas, was wichtig war, richtig zu machen, war es eigentlich ganz schön wieder einmal daran erinnert zu werden, wie es war, keine komplette Enttäuschung zu sein.

Phillis' Blick wanderte zum Ravenclaw-Tisch, die sie natürlich nicht so begeistert empfingen, aber wenigstens waren sie auch nicht wie die Slytherins zu den Hufflepuffs vor ungefähr zwei Wochen, als diese Spieler ausgebuht worden waren. Stumme Abneigung war besser für Phillis' Selbstwertgefühl.

Das Ravenclaw-Team saß schon zusammen, wie auch die Gryffindors und einen Moment lang war Phillis amüsiert von den gravierenden Unterschieden.

Die blauen Spieler saßen stumm und bleich zusammen, offenbar nervös und angespannt.

Die Gryffindors waren laut und benahmen sich auf eine Weise, die Phillis an Freitage im Camp erinnerte, wenn die Erobere-die-Flagge spielten und die Teams ihre Begeisterung laut verkündeten.

Grinsend setzte Phillis sich zwischen James und Marlene und wurde von beiden mit Schulterklopfen begrüßt.

„Kaffee für den Kapitän!", rief Sirius laut und mit einem breiten, aufgeregten Grinsen im Gesicht stellte Kingsley eine volle Tasse direkt vor Phillis ab.

Phillis hob die Tasse, als wäre es ein Krug und prostete ihrem Team zu, bevor sie einen kräftigen Schluck nahm und die Tasse wieder laut abstellte.

Das Team jubelte, als wären sie Krieger vor einer Schlacht.

„Wo ist Hestia?", fragte Phillis – alle anderen waren schon bereit und in Stimmung für einen Sieg.

„Da ist Hestia!", rief Sirius begeistert, als die jüngste Spielerin als letzte die Große Halle betrat. Sie trug schon ihre Uniform, wirkte aber eher wie die Ravenclaw-Spieler: bleich und nervös taumelte sie in die Große Halle.

„Hestia! Hestia!", begann das Team auf einmal zu singen und es brauchte nicht lange, bis der gesamte Gryffindor-Tisch es ihnen gleichtat und das gesamte versammelte Haus den Namen des Mädchens sang.

Hestia wurde knallrot und setzte sich schnell zum Team.

„Ihr seid solche Idioten", murmelte sie schüchtern.

„Bereit für dein erstes Spiel?", fragte James und schlug ihr kräftig auf die Schulter.

„Wenn deine Antwort etwas anderes als Ja ist, würde ich sie mir noch einmal überlegen", riet Sirius ihr grinsend.

„J-ja", stammelte Hestia schnell.

Das Team jubelte.

Hestia wurde noch roter und versteckte ihr Gesicht in ihren Händen.

„Lasst sie doch", beschützte Phillis ihre jüngste Mitspielerin (halbherzig), „Macht sie nicht noch nervöser."

Sirius schnaubte belustigt. „Das geht doch gar nicht!"

Hestia ließ mit einem verzweifelten Stöhnen ihren Kopf auf den Tisch sinken.

Nach dem Frühstück, als es Zeit wurde, dass die Spieler zum Feld hinunter gingen, sprachen sie sich nur einen Moment lang ab, bevor sie theatralisch wie immer eine richtige Vorstellung abzogen.

Sie standen synchron von ihren Plätzen auf und gingen dann im Gleichschritt aus der Großen Halle hinaus – allein dieser Auftritt verschaffte ihnen mehr Aufmerksamkeit von ihren Mitschülern, die sie mit Applaus und begeisterten Rufen hinaus begleiteten.

Phillis fühlte sich einfach gut und selbstsicher und zuversichtlich.

In der Umkleidekabine besprachen sie nur noch ein letztes Mal ein paar Einzelheiten, aber sie waren vorbereitet und besser als in diesem Moment würde das Team den Plan nicht kennen. Phillis hatte ihn den Spielern regelrecht eingeprügelt.

Als es Zeit wurde, hinaus zu gehen, versammelten sie sich in ihrer typischen beinahe-Dreiecksformation und als ein Team und eine Einheit schritten sie würdevoll und im Gleichschritt aufs Feld.

Die Ravenclaws warteten schon in der Mitte bei Professor Hawes, der wie immer das Spiel pfeifen würde. Sie sahen nicht sonderlich begeistert davon aus, ihre Gegner so selbstbewusst zu sehen und das laute Jubeln der Quidditch-Fans machte ihre Situation sicher nicht angenehmer, aber Phillis fühlte sich toll.

„Kapitäne, schüttelt euch die Hände!", verlangte Hawes und Phillis trat vor, um die Hand der Ravenclaw-Kapitänin Davis zu schütteln. Sie beide funkelten sich feindselig an, aber Phillis blinzelte nicht und schaute auch nicht zuerst weg. Es war Davis, die ihrem Blick nicht mehr standhalten konnte und zuerst wegsah. Phillis konnte sich ein triumphierendes Schmunzeln nicht verkneifen.

„Auf die Besen!", befahl Hawes und wie sie es geübt hatten stiegen die Gryffindors synchron auf ihre Besen, aber Phillis war etwas überrascht, als sie sah, dass es die Ravenclaw ihnen gleich taten. Sie hatten also schon von ihnen gelernt.

„Auf meinen Pfiff!", warnte Hawes sie alle und alles um Phillis herum wurde leise, als sie sich auf das Spiel hyperfokussierte. Auf einmal gab es nur noch das Spiel und die Zuschauer um sie herum verschwanden.

Die Bälle wurden freigelassen und einen Augenblick später pfiff Hawes das Spiel an.

Sofort schossen alle Spieler in die Höhe und es gelang James zuerst den Quaffel für sein Team aus der Luft zu schnappen, aber plötzlich war da ein Jäger von Ravenclaw, der ihn mit einer geschickten Handbewegung einfach aus seinen Händen fischte.

Von der Seite kam Sirius und beschoss den Jäger mit einem Klatscher, aber einer der Treiber von Ravenclaw kam dazwischen und konnte ihn abwehren.

Sie schossen über das Spielfeld und der Ravenclaw-Jäger gab den Quaffel an einen Teamkameraden weiter, der damit weiter in Richtung Kingsley mit seinen Ringen raste.

Bevor sie ihn einholen konnten, startete er schon einen Versuch, das erste Tor des Spieles zu werfen, aber da war schon Kingsley und mit einer beinahe schon lächerlichen Leichtigkeit wehrte er den Quaffel ab und er fiel direkt in die Hände von Phillis.

„Nach vorne!", rief James ihr zu, „Ich decke dich!"

Phillis wusste nicht, was es war, aber einen winzigen Moment lang verschwand das Spielfeld vor ihren Augen und stattdessen blickte sie wieder hinunter auf ihren Brustkorb und Bauch – dort steckte wieder die Klinge, mit der Pirro Navaja sie diesen Sommer erstochen hatte. Ein brennender Schmerz – dann war es schon wieder vorbei und offenbar war nur ein Augenblick vergangen, in dem Phillis wie erstarrt mit dem Quaffel in der Hand einfach in der Luft geschwebt war.

Dann warf sie ihn zu James, der ihn verwirrt auffing. „Nach vorne!", befahl Phillis ihm und ihre Stimme ließ keinen Raum für Wiederspruch, obwohl James sie zweifelnd ansah, aber ohne zu zögern gehorchte.

Sie rasten nach vorne und Hestia schloss sich – wie sie es trainiert hatten – der kleinen Gruppe an, während Marlene jegliche Angriffe der Ravenclaw-Jäger abwehrte.

Nun waren die Gryffindors vorne und scheinbar konnte sie nichts aufhalten.

James hatte noch immer den Quaffel, aber kurz vor den Ringen schoss ein Klatscher direkt auf ihn zu. Er reagierte instinktiv und automatisch, warf den Quaffel in Phillis' Richtung, damit er beide Hände frei hatte, um eine Rolle auf dem Besen zu machen.

Phillis fing den Quaffel und direkt vor ihr waren die Ringe, aber plötzlich hatte sie das Gefühl, als wäre jemand direkt hinter ihr. Sie wirbelte herum und dieser kurze Moment der Unaufmerksamkeit reichte, damit einer der Ravenclaw-Jäger ihr den Quaffel einfach aus den Händen reißen konnte.

Phillis war zu überrascht, um im ersten Moment darauf zu reagieren, aber zum Glück war da Hestia, die selbstbewusst sich direkt in den Weg des Jägers stellte, der erschrocken eine scharfe Kurve reißen musste, damit sie nicht zusammenstießen. Er fiel beinahe vom Besen und damit das nicht geschah, ließ er den Quaffel fallen, damit er sich mit beiden Händen festhalten konnte.

James fing den Quaffel und im nächsten Moment fiel das erste Tor.

Die Gryffindors jubelten, aber Phillis fühlte sich überhaupt nicht wohl.

„Komm schon, Phil!", rief ihr jemand zu und einen kurzen Moment lang glaubte sie, es wäre Pirro, aber es war doch nur James – ihr war gar nicht aufgefallen, dass er im Moment ähnliche Haare wie Pirro hatte.

Phillis versuchte dieses Gefühl abzuschütteln – sie hatte im Moment keine Zeit dafür, im Moment hatten sie ein Spiel zu gewinnen und die Ravenclaw waren eindeutig besser geworden. Sie hatten wohl trainiert und stellten nun wirklich Gegner dar, aber noch bevor der Jäger der Ravenclaws mit dem Quaffel die Hälfte des Spielfeld erreichen konnte, schnappte sich Hestia schon den Ball und drehte so scharf um, dass die Ravenclaw-Spieler einfach an ihr vorbeiflogen.

Sie kamen wieder auf Phillis zu, die sich kaum von der Stelle gerührt hatte und nur Momente nach dem ersten Tor fiel schon das zweite.

Die Gryffindors jubelten. Phillis war übel.

„Geht's dir gut?", fragte Marlene im Vorbeifliegen.

Phillis konnte nicht antworten. Ihr Herz raste seltsam und sie konnte nicht anders, als sich ständig umzusehen, ob jemand hinter ihr war.

Phillis atmete einmal tief durch und nickte dann, bevor sie sich wieder James und Hestia anschloss.

Als James sah, dass sie wohl wieder im Spiel war, nickte er ihr zu und warf ihr den Quaffel zu, während er selbst einem Jäger ausweichen musste, aber Phillis behielt den Quaffel nicht, sondern warf ihn weiter zu Hestia, aber wohl etwas zu voreilig, denn ein Ravenclaw-Jäger schnappte ihn sich aus der Luft. Sirius schoss ihn mit einem Klatscher ab und James erhielt den Quaffel wieder.

„Phil, was ist?" fragte James sie besorgt, als sie Seite an Seite wieder zu den Ringen der Ravenclaws flogen.

Phillis antwortete nicht, sondern ließ sich zurückfallen, damit er auf gar keinen Fall hinter ihr war.

James sah sie besorgt an, konnte sich aber besser auf das Spiel konzentrieren, als Phillis und er warf schon das dritte Tor.

Plötzlich hatte Phillis das Gefühl, in Gefahr zu sein und sie wirbelte herum und griff nach dem Bogen auf ihren Rücken, nur, dass dort natürlich kein Rücken war, immerhin war sie in Hogwarts, auf einem Besen während eines Quidditch-Spieles. Ein Klatscher schoss auf sie zu und bevor sie die Chance hatte, auszuweichen, war da schon Sirius, der mit einem kräftigen Schlag den Klatscher von ihr ablenkte.

Er grinste sie kurz an und rief ihr zu: „Ich hab deinen Rücken im Blick! Hab das Ziel im Auge!" Mit diesen Worten war er schon wieder weitergeflogen.

Phillis hatte ihr Team wirklich gut trainiert, denn obwohl sie etwas neben der Spur war, gelang es James und Hestia mehr oder weniger im Alleingang noch weitere zehn Tore zu schießen. Der Hauptgrund dafür war vermutlich, dass schon beinahe zwei Stunden vergangen waren und noch immer keine Spur vom Goldenen Schnatz und die Ravenclaws hatten vielleicht Techniken geübt, aber die Ausdauer hatten sie eher vernachlässigt und während das Gryffindor-Team noch weiterhin ziemlich fit war, wurden die blauen Spieler langsam müde.

Phillis meinte, langsam den Verstand zu verlieren. Sie bildete sich ein, jemand wäre hinter ihr, aber immer, wenn sie sich umdrehte, war da nie jemand. Manchmal meinte sie Pirro zu sehen, aber natürlich war er nicht da.

Sie starteten wieder einen Angriff, Hestia hatte den Quaffel und Phillis flog hinter James und ihr, während die Ravenclaw-Jäger sie beinahe schon halbherzig verfolgten, so erschöpft waren sie.

Der Hüter der Ravenclaws war schon ziemlich frustriert, nachdem er die Quaffel kaum aufhalten konnte (die Ravenclaws hatten wohl auch vergessen, dass es noch mehr Spieler außer den Jägern gab) und diese Frustration machte ihn angreifbar, wie Phillis wusste, aber obwohl sie geistig und psychisch von dieser seltsamen Paranoia erschöpft war, erkannte sie, dass Hestia auf keiner guten Position war, um ein Tor zu schießen.

James wurde von den Jägern geblockt, also warf Hestia den Quaffel zu ihr zurück, aber Phillis war eigentlich viel zu weit entfernt, um schon ein Tor zu werfen.

Phillis fing den Quaffel und wollte nach vorne starten, als da plötzlich nicht mehr die Ringe waren, sondern Werwölfe – Lycaon mit seinem Rudel hatte sie umzingelt und statt einem Quaffel war da plötzlich ein Messer in ihrer Hand.

Phillis wusste, was sie tun musste und sie warf das Messer, wie sie es schon einmal getan hatte.

Für die Zuschauer im Hogwarts-Stadion war es ein wirklich legendärer Wurf. Ihnen allen war aufgefallen, dass Phillis nicht so fit war, wie sie es in ihren letzten Spielen schon seit ihrem zweiten Jahr in Hogwarts gewesen war und sie waren etwas enttäuscht, dass diese legendäre Kapitänin selbst noch kein einziges der dreizehn Tore geschossen hatte, aber sie alle wurden daran erinnert, was für eine ausgezeichnete Jägerin Phillis war, als sie dieses eine Tor schoss.

Es schien ein unmöglicher Wurf zu sein – Phillis war noch viel zu weit von den Ringen entfernt, um wirklich treffen zu können, aber Phillis schien das (aus der Sicht der Zuschauer) nicht zu interessieren. Als würden Naturgesetze für sie nicht gelten warf sie den Quaffel und er schoss eine unmöglich erscheinende Entfernung hinweg direkt auf einen der Ringe zu und hätte man abgemessen, hätte man herausgefunden, dass Phillis exakt die Mitte getroffen hatte, denn Phillis verfehlte nie ihr Ziel.

Einen Moment lang waren alle – selbst die Ravenclaw-Spieler – zu überrascht von diesem Wurf und es war still, bevor das ganze Stadion – selbst die Ravenclaw-Fans – zu jubeln begannen, denn so einen Wurf sah man nicht alle Tage, nicht einmal bei Weltmeisterschaften.

Aber Phillis hörte den Applaus und das Jubeln gar nicht.

Sie spürte nur, wie plötzlich jemand hinter ihr war und instinktiv wirbelte sie herum und schlug zu, in der Erwartung, Pirro Navaja zu erwischen, bevor er die Chance hatte, sie zu erstechen.

Aber natürlich war da nicht Pirro.

Es war ein Ravenclaw-Jäger, der nicht einmal die Absicht gehabt hatte, sich an sie anzuschleichen. Durch die Entfernung der beiden Besen hatte er zum Glück die Chance, Phillis' Schlag auszuweichen, die sofort realisierte, was passiert war und ebenso erschrocken die Augen aufriss, wie der Jäger.

Hawes hatte es leider gesehen und pfiff wütend in seine Pfeife, bevor er zu ihnen flog.

„Dolohow! Was sollte das?", fragte er sie wütend.

Phillis öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder wie ein Fisch an Land. „Ich... ich...", stammelte sie, „Ich... habe gedacht, es wäre ein Klatscher", log sie schließlich.

Hawes musterte sie misstrauisch, aber auch mit Sorge im Gesicht, bevor er trotzdem einen Freiwurf für Ravenclaw anordnete.

„Was sollte das denn?", fragte James sie, als alle auf Position gingen.

Phillis schüttelte nur den Kopf. Sie hatte eigentlich selbst keine Ahnung. Sie wusste nicht, warum sie so war. Bisher hatte sie die Spannung von Quidditch-Spielen immer genossen, aber nun hatte sie das Gefühl, dass sie nicht sie selbst war, seit das Spiel begonnen hatte – ein Spiel, das vielleicht an eine Kriegssituation oder ein Kampffeld erinnern könnte.

Der Jäger von Ravenclaw versenkte den Quaffel in einem der Ringe – das erste Tor für Ravenclaw.

Die Ravenclaw-Fans jubelten, während die für Gryffindor buhten.

Phillis hoffte, dass das Spiel bald vorbei war.

Es stand hundertvierzig zu zehn für Gryffindor, also brauchten sie eigentlich nur noch drei Tore, damit auch der Goldene Schnatz den Ravenclaw nichts mehr brachte.

Als hätte Phillis mit diesem Gedanken das Schicksal herausgefordert, rief der Kommentator plötzlich etwas von dem Schnatz und tatsächlich – nach zwei Stunden Spielzeit hatten Silas und der Ravenclaw-Sucher endlich den Schnatz entdeckt und schossen nun beide dem kleinen, goldenen Ball hinterher, aber der Spieler von Ravenclaw war etwas vor Silas.

Phillis wusste, dass sie verloren hatten, noch bevor der Ravenclaw-Sucher den Schnatz mit seiner Hand umschloss und wie in Trance bemerkte sie, wie die Welt still wurde.

Sie hatte verloren. Sie hatte versagt.

Es war bei weitem das schlimmste Spiel gewesen, das Phillis je gespielt hatte und trotzdem hatte sich das Team eigentlich gut geschlagen, aber letztendlich hatte Phillis sie alle enttäuscht. Vielleicht, wenn sie etwas besser gewesen wäre, vielleicht hätten sie dann gewonnen. Vielleicht hätten sie dann auch ohne den Schnatz gewonnen, wie sie es schon einmal getan hatten.

Aber Phillis hatte es nicht geschafft, diese Gedanken abzuschütteln. Wie sollte sie einen Krieg gewinnen, wenn sie nicht einmal ein Quidditch-Spiel gewinnen konnte?

All ihre Vorbereitung, ihre Strategien, ihre Taktiken – das alles hatte nichts gebracht. Sie hatte verloren und irgendwie fühlte es sich für Phillis so an, als hätte sie nicht ein Spiel verloren, sondern einen Kampf. Sie dachte an Birget, Laertes, Marty und Wesley, die irgendwo da draußen waren und sich auf sie verließen. Houdini und auch Dumbledore, die Vertrauen in sie hatten. Chiron, der sie immer darauf vorbereitet hatte und immer an sie geglaubt hatte.

Phillis hatte sie alle enttäuscht und sie meinte beinahe Pirro lachen hören, wie er schon wieder triumphierte.

Schon wieder hatte Phillis einen Auftrag nicht erfolgreich beenden können. Schon wieder hatte sie versagt. Schon wieder hatte sie alle enttäuscht.

Die Spieler landeten, während die Ravenclaws jubelten und Phillis spürte kaum den festen Boden unter ihren Füßen.

In ihren Ohren rauschte es, aber sie behielt den Kopf hoch erhoben und ließ sich keinen Moment lang anmerken, wie panisch sie eigentlich wegen dieser Niederlage war.

Das Team ging stumm, aber zusammen zurück in die Umkleidekabine, während sich auch die Zuschauer und das Ravenclaw-Team auf den Weg zurück zum Schloss machte, um dort weiter zu feiern. Den Gryffindors war überhaupt nicht nach feiern.

Phillis ging mit hoch erhobenen Kopf und das Team folgte ihrem Beispiel. Noch immer war sie ein Vorbild für sie. Keiner von ihnen bemerkte den inneren Tumult, der in dem Mädchen vor sich ging.

Aber sobald Phillis und das Team außer Sicht von jeglichen außenstehenden Schülern war, veränderte sich Phillis komplett.

Die selbstsichere Fassade verschwand und mit einem wütenden Aufschrei warf sie ihren Besen wie einen Speer gegen einen der Spinds.

Ihre Teamkollegen waren mehr als überrascht von diesem plötzlichen Wutausbruch. Nachdem sie gesehen hatten, wie Phillis trotz der Niederlage mutig ihre Haltung bewahrt hatte, waren sie etwas verwirrt, dass das alles scheinbar nur eine Fassade gewesen war und nun, in der Sicherheit von Freunden, riss Phillis sich nicht mehr zusammen und hielt sich nicht mehr zurück.

Sie trat eine der Banken mit solcher Wucht, dass diese umkippte. Sie zog sich ihren Helm vom Kopf und warf ihn mit erschreckender Zielgenauigkeit gegen einen Spiegel, in dem sie ihr eigenes Spiegelbild sah. Sie schlug gegen die Wand, sodass diese leicht bröckelte, aber hauptsächlich hörte man das Knacken ihrer Knochen. Phillis war geübt darin, Sachen und Leute zu schlagen, aber gegen eine Wand hatten nicht einmal ihre Knochen eine Chance und sie brachen, als wären sie aus Porzellan.

Phillis schrie auf, aber mehr aus Wut als aus Schmerzen – wütend auf ihren Körper, dass er versagte, während sie kämpfen wollte.

„Phillis!", rief James erschrocken. Zugegeben, er hatte schon einmal einen Wutanfall von Phillis gesehen, aber noch nie so.

„Halt die Klappe, Potter!", zischte Phillis und funkelte James mit einem tödlichen Blick an, sodass dieser zurückzuckte in der Erwartung, dass sie ihn als nächstes schlagen würde (was natürlich nie passiert wäre), „Ich will es nicht hören!"

„Phillis!", versuchte es auch Sirius, weniger unsicher als James. Er kannte solche Situationen und nachdem er schon sein Leben lang die Wut seiner Mutter ertragen hatte, war Phillis ein Kinderspiel. „Hör auf! Du kannst doch nichts dafür, dass wir verloren haben!"

„Ich kann nichts dafür?", wiederholte Phillis ungläubig und ihre Stimme schoss eine Oktave in die Höhe. Noch nie hatte jemand aus dem Team Phillis so aufgelöst und wütend gesehen und gleichzeitig hatte sie noch nie mit solcher Verachtung mit jemanden von ihnen gesprochen, wie in diesem Moment mit Sirius. „Ich habe versagt, Sirius! Ich weiß, für dich klingt das nicht so schlimm –"

„Es war nur ein Spiel", bestätigte Sirius eilig, „Wir haben noch ein paar andere Spiele vor uns und wir können noch immer den Pokal –"

„Denkst du wirklich, hier geht es um diesen dämlichen Pokal?", kreischte Phillis und ihre Hände fanden wie so häufig ihre Haare und sie zog an ihnen, bis sie auszureißen drohten, aber sie selbst spürte die Schmerzen kaum, „Ganz sicher nicht! Hier geht es um eine verlorene Schlacht und weißt du, was passiert, wenn ich eine Schlacht verliere? Wenn ich die enttäusche, die mit vertrauen, die ihr Leben in mich setzen, die mich –"

Phillis' Gedanken waren nicht klar genug, um den Satz zu beenden und frustriert schrie sie auf und zog noch fester an ihren Haaren, bevor sie eine Wand trat. Ihr Fuß tat weh, aber sie spürte es kaum.

Ihre Teamkameraden waren zugegeben vollkommen überfordert und jeder von ihnen wartete darauf, dass jemand eine Entscheidung fällte. Instinktiv fielen ihre Blicke auf jenen, der gleich nach Phillis am ehesten ihr Anführer war, aber James spürte in diesem Moment nur Sorge um Phillis, wusste aber nicht, was er tun konnte oder sollte. Durfte er sie in so einen Zustand berühren? Sollte er einen Lehrer holen? Vielleicht Dumbledore? Vielleicht Chiron? Vielleicht auch Remus – als Phillis' Schwester gestorben war, hatte er sie ein wenig unter Kontrolle bekommen, damit sie sich nicht mehr selbst wehtun konnte.

Zum Glück wurde James die Entscheidung abgenommen, als eine große Person die Umkleidekabine betrat – genau genommen war es ein sehr großer Zentaur. Chiron war außerhalb seines Rollstuhls mindestens so groß wie ein echtes Pferd und mit dem menschlichen Oberkörper sogar noch größer, sodass jeder zu ihm aufschauen musste.

Er sah sehr ernst aus und sein Blick verließ niemals Phillis, als wäre sie irgendein wildes Tier, das außer Kontrolle war. Er trug einen Köcher mit Pfeilen und seinen Bogen und James fragte sich einen Moment lang, ob Phillis in Chirons Augen gefährlich genug war, um sie zur Strecke zu bringen. In einer Hand hielt er eine runde Scheibe – einen Schild, wie James auf dem zweiten Blick erkannte. Musste er sich vor Phillis schützen? War Chiron bereit für eine Schlacht?

„Ich kümmere mich um sie", versprach Chiron ernst, ohne seinen Blick von Phillis abzuwenden, „Alle anderen – geht und zieht euch im Schloss um."

Es war ein wenig so, als würde Chiron sie alle evakuieren – als wäre Phillis ein Brand, der gelöscht werden musste. James vertraute darauf, dass Chiron wusste, was zu tun war und er scheuchte das Team schnell aus der Umkleidekabine. Leise wisperte er ihnen zu, dass sie am besten mit niemanden darüber sprachen – er wollte nicht, dass dieser kurze Schwächemoment von Phillis publik wurde und irgendwie wusste er, dass er sich auf das Team verlassen konnte.

„Oh ja, bring sie lieber weg!", spottete Phillis hämisch, als sie einen kurzen Moment klar genug denken konnte und sie lachte ein wenig wahnsinnig, „Bin ich eine Gefahr für sie, Chiron?"

„Phillis, genug." Chiron klang trotz der eskalierenden Situation ruhig und gefasst. Phillis stockte tatsächlich überrascht einen Moment lang. Aber nicht lange.

„Ha!", machte sie spöttisch, „Lass mich doch einfach in Ruhe!"

„Das geht nicht, Phillis, und das weißt du", sagte Chiron ruhig, „Wenn du deine Wut an jemanden auslassen willst, Phillis, dann an jemanden, der dir gewachsen ist."

„Ich habe niemanden verletzt, oder?", erinnerte Phillis ihn, die Hände mit den blutigen Knöcheln fest zu kampfbereiten Fäusten geballt.

„Du hast dich verletzt, Phillis", sagte Chiron ruhig.

„Ha!", machte Phillis. Sie spürte die Schmerzen kaum, aber sie wusste, dass sie da waren und sobald sie sich beruhigt hatte, würde sie die Konsequenzen in ihrer vollen Wucht spüren.

„Leg dich mit jemanden an, der auch eine Herausforderung ist, wenn du deine Wut loswerden willst!", verlangte Chiron und er klang streng. Kurzerhand warf er Phillis den Schild zu und Phillis fing diesen mehr aus Reflex auf. „Du bist kein Gegner für dich! Das ist eine unfaire Schlacht und du weißt doch, dass ich das niemals gutheißen kann."

Phillis schnaubte abfällig. „Das ergibt keinen Sinn!", lachte sie – sie klang übertrieben spöttisch, „Wenn du philosophieren willst, rede doch mit Houdini!"

Chiron antwortete ihr darauf nicht und ging nicht weiter darauf ein. „Fünf runden um das Feld!", verlangte er, „Nimm den Schild mit, du wirst ihn brauchen!"

Phillis zögerte einen Moment. Auf der einen Seite respektierte sie Chiron und tief im Inneren wusste sie, dass er ihr half, indem er sie zu Bewegung zwang. Er wollte wirklich, dass es ihr besser ging und Phillis wusste auch, dass es ihr mit etwas Bewegung besser gehen würde. Wenn ihr Körper erst einmal ausgepowert war, konnte ihr Geist sich ebenfalls beruhigen...

Auf der anderen Seite war sie immer noch eine pubertierende Demigöttin, die gerade einen kompletten Nervenzusammenbruch hatte und nicht bereit war, einer Autoritätsperson zu gehorchen.

„Nein", sagte sie also mit derselben Energie, die auch ein trotziges Kleinkind aufgebraucht hätte. Irgendwie hoffte sie auf eine wütende Reaktion von Chiron.

Sie erwartete nicht, dass er seelenruhig bleiben würde. „Fünf Runden", wiederholte er mit einer solchen Autorität in der Stimme, dass Phillis noch einmal wütend schnaubte, dann aber wieder aus der Umkleidekabine hinausging aufs Feld.

Die Tribünen waren leer, die jubelnden Zuschauer wieder im warmen Schloss, als Phillis ihre Runden begann.

„Schneller!", verlangte Chiron laut, als er hinter ihr aus der Umkleidekabine trat.

Phillis fluchte und sie war ziemlich kreativ damit. Chiron war davon überhaupt nicht beeindruckt und er nahm seinen Bogen von der Schulter und setzte einen Pfeil an.

„Pfeil!", warnte er Phillis locker und diese hatte nur einen Moment Zeit, um zu realisieren, dass Chiron keinen Witz machte und tatsächlich einen spitzen Pfeil auf sie schoss. Instinktiv hob sie ihren Schild und spürte, wie der Pfeil darin steckenblieb – er hätte ihren Kopf getroffen.

Perplex blieb sie stehen. „Bist du wahnsinnig?", kreischte sie, „Du hättest mich umbringen können!"

Chiron ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken. „Du hast eine Schlacht verloren! Du musst trainieren, um die nächste zu gewinnen!"

Phillis traten die Wuttränen in die Augen, aber Chiron hatte Recht. Das war genau das, was sie sich selbst vorgeworfen hatte.

„Weiterrennen!", verlangte Chiron.

Phillis gehorchte wieder nur zögerlich, bevor sie wieder langsam zu joggen begann.

„Schneller!", verlangte Chiron.

Phillis fluchte wieder, als sie beschleunigte.

„Pfeil!", warnte Chiron sie unbeeindruckt und kurz darauf folgte ein Pfeil.

Dieses Mal rollte Phillis sich am Boden ab, um ihm zu entkommen, kam wieder auf die Beine und rannte weiter, ohne viel an Geschwindigkeit zu verlieren – genau genommen führte ihre Frustration und ihre Wut dazu, dass sie noch schneller rannte. Wuttränen brannten in ihren Augen, aber sie wollte nicht weinen. Sie weinte doch nicht, weil sie ein dämliches Spiel verloren hatte. Sie war keine so schlechte Verliererin, obwohl sie überhaupt nicht gerne verlor. Aber hier ging es auch gar nicht um das Quidditchspiel.

Phillis zählte gar nicht mit, wie viele Runden sie rannte, aber Chiron wohl schon. Hin und hier schickte er einen Pfeil in ihre Richtung, um sie anzuspornen.

„Die letzte Runde sprinten!", befahl er ihr und Phillis fluchte und schimpfte, als sie noch einmal alles gab und wirklich sprintete, als würde sie von einem Monster davonrennen. Sie war müde, sie war frustriert und sie war wütend. Am liebsten hätte sie sich in ihr Bett verkrochen und hätte sich vor der Welt versteckt, aber Chiron brachte sie dazu, diese dämlichen Runden zu rennen.

Nach dieser Runde hoffte Phillis, dass Chiron sie frei ließ, aber da hatte sie sich getäuscht.

„Jetzt runter zum See!", verlangte Chiron, „Lass den Schild hier, den brauchst du nicht mehr!"

„Was?", fragte Phillis laut und ihre Stimme schoss wieder in die Höhe.

„Du hast mich gehört, Phillis!", sagte Chiron nur, „Hopp! Hopp!"

Phillis funkelte ihn wütend an, bevor sie mit einem mächtigen Schrei den Schild von sich warf und obwohl Schild-/ oder Diskusweitwurf niemals wirklich ihre Stärke gewesen war, so flog er doch wie eine Frisbee quer über das Feld und landete mehrere Meter weiter im Gras.

Chiron sah sie nur unbeeindruckt an und Phillis joggte wieder los, aus dem Stadion hinaus, aber dann nicht in Richtung schloss, sondern zum Schwarzen See.

Kurz war hinter ihr nicht zu hören. Dann das Getrappel von Hufen, als Chiron ihr mit etwas Vorsprung hinterherkam, immer näherkam und sie dann überholte.

„So langsam, Phillis?", fragte er sie unschuldig, aber mit einem amüsierten Ton.

Phillis fluchte und beschleunigte, aber gegen einen Zentauren hatte sie kaum eine Chance.

Weit vor Phillis erreichte Chiron den See und während Phillis vollkommen verschwitzt war und keuchend atmete – unter anderem von den Runden zuvor – war Chiron vollkommen entspannt und hatte sich nicht einmal wirklich beeilt.

„Einmal quer durch den See!", verlangte Chiron von ihr, „Ich renne darum herum – wir treffen uns auf der anderen Seite. Wenn du schneller bist als ich, war's das für heute!"

Phillis hatte es aufgegeben, sich zu beschweren. Sie kickte nur ihre Schuhe von sich und sie landeten irgendwo, bevor sie schon zum See rannte und in das eiskalte Wasser lief. Es spritzte überall auf und Phillis' Quidditchuniform sog sich schnell mit dem eisigen Wasser voll. Einen Moment lang fragte Phillis sich, warum sie sich überhaupt so von Chiron herumkommandieren ließ. Dann sah sie, dass er schon mit seiner Runde begonnen hatte, und sie beeilte sich.

Nach ein paar Metern spürte sie die Kälte nicht mehr und nach ein paar weiteren Metern spürte sie gar nichts mehr, so kalt war das Wasser nun Mitte November.

Sie war müde und schon ziemlich erschöpft von den gerannten Runden davor, aber trotzdem machte sie weiter, obwohl sich ihr Körper so anfühlte, als würde er nicht weiter können.

Beinahe schon automatisch schwamm sie durch den See und verlor die Orientierung, wie viel Zeit vergangen war oder wie viele Meter sie schon hinter sich gebracht hatte. Zug – Zug – Atmen. Zug – Zug – Atmen. Den Rhythmus wiederholte sie, ohne viel nachzudenken und vielleicht war das das einzige, das sie weitermachen ließ. Ihre Gedanken verloren sich im Rhythmus, bis sie nur noch daran denken konnte, um zu überleben. Und das kalte Wasser restartete ihr Gehirn auch noch.

Plötzlich waren da Steine unter ihr und kurz darauf zog sie sich ans Ufer.

Sie spürte ihre Gliedmaßen nicht mehr und bemerkte erst da, dass sie zitterte, aber sie hatte es geschafft. Wie eine Eidechse zog sie sich mehr an Land, als wirklich zu gehen und sobald sie trockenes Gras unter sich spürte, fiel sie einfach in sich zusammen und schloss die Augen. Sie wollte nur noch ins Bett.

Dann hörte sie Hufgetrappel und kurz darauf kam Chiron zu ihr. Sie zwang ihre Augen auf und sah Chiron auf sie hinunterblicken, als er wohl überlegte, ob sie wieder wiederbelebt werden musste.

Phillis stöhnte, bevor sie zitternd auf die Beine kam – ihre Knie fühlte sich an wie Pudding.

Beinahe schon erwartete sie, dass Chiron noch eine Aufgabe für sie hatte, aber die hatte er nicht.

„Wie geht es dir jetzt?", fragte er sie ruhig.

Phillis fühlte sich grauenvoll. Ihre Glieder schmerzten, ihr war kalt, sie war müde, sie war erschöpft, ihre Hand pochte schmerzvoll und vermutlich hatte sie sich etwas gebrochen und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, war ihr noch immer bewusst, dass ihr Team das Spiel verloren hatte. Aber die Wut darüber hatte sich verändert und jetzt realisierte sie, dass diese Wut eigentlich Angst gewesen war.

Plötzlich waren Tränen in ihren Augen, obwohl Phillis nicht weinen wollte, aber Chiron hatte das wohl erwartet und ganz untypisch für ihn breitete er die Arme aus, damit Phillis ihn umarmen konnte, obwohl sie klatschnass war und Chirons Hemd nun auch.

Chiron umarmte sie und Phillis weinte. Sie versuchte ihre Gefühle in Worten auszudrücken, aber sie schluchzte zu fest dafür. Chiron drängte sie aber auch nicht, sondern wartete geduldig, bis Phillis sich wieder etwas beruhigt hatte und sie sprechen konnte.

Phillis ließ ihn los, noch immer nicht ganz ruhig, aber ruhig genug, um keine Umarmung mehr zu brauchen. Sie wischte sich mit ihrem nassen Ärmel Tränen aus den Augen – wie zu erwarten war das wenig effizient.

„Willst du darüber sprechen?", fragte Chiron. Er sprach ihren kompletten Aussetzer nicht mehr an und Phillis war auch ganz froh darüber. Sie hatte sich wieder beruhigt und realisierte erst jetzt, wie sie sich benommen hatte. Scham drückte noch nicht einmal annähernd das Gefühl aus, das sie in diesem Moment verspürte und sie vermied es, Chiron direkt in die Augen zu sehen.

Einen kurzen Moment lang hatte Phillis das Bedürfnis, stur zu bleiben und nicht darüber zu sprechen, aber auf der anderen Seite hatte sie nicht wirklich jemand anderen, mit dem sie überhaupt darüber sprechen konnte. Hagrid würde ihr vielleicht zuhören und ihr versichern, dass ihre Sorgen unbegründet waren, aber genau darum ging es: Hagrid würde ihr versichern, dass nichts ihre Schuld war, auch wenn es eigentlich so war. Manchmal war das genau das, was Phillis brauchte, aber im Moment brauchte sie vielleicht genau das Gegenteil.

„Es werden alle sterben, oder nicht?", fragte sie Chiron deswegen, „Alle verlassen sich auf mein Urteilsvermögen und ich führe sie in den Tod."

Chiron antwortete einen Moment lang nicht. „Das sind deine Sorgen?", fragte er ruhig.

„Wenn ich nicht einmal ein einfaches Quidditchspiel gewinnen kann, wie soll ich einen Krieg gegen Voldemort, gegen Pirro und vielleicht sogar gegen die Göttin Eris gewinnen?", fragte Phillis etwas verzweifelt und ihre Hände fanden wieder ihre Haare, aber ihre Kopfhaut schmerzte noch von davor und dieser Schmerz ließ sie realisieren, was sie wieder machte. Schnell ließ sie ihre Hände wieder sinken.

„Ihr habt euch gut geschlagen", erinnerte Chiron sie.

Phillis schnaubte spöttisch. „Es hat aber nicht für einen Sieg gereicht, oder?"

„Eine Schlacht ist nie nur von einer Variable abhängig", erklärte Chiron, „Es ist die Summe von allen Variablen, die perfekt zusammenspielen müssen, um das perfekte Ergebnis zu erzielen. In diesem Fall wart ihr den Ravenclaws eindeutig in Taktik, Geschick und Technik überlegen, aber durch Glück und einen zumindest ziemlich guten Sucher haben sie gewonnen. So ist das im Leben."

„Sollte mich das beruhigen?", schnaubte Phillis und verschränkte ihre Arme vor der Brust, „Es beruhigt mich nämlich überhaupt nicht!"

„Du bist nur eine Variable in diesem Krieg, Phillis", sagte Chiron erbarmungslos ehrlich, „Ein Verbindungsstück zwischen zwei Welten, aber letztendlich auch nur eine kleine Komponente im großen Ganzen."

„Warum kommen dann gefühlt alle mit ihren Fragen zu mir?", fragte Phillis stur.

„Weil sie Vertrauen in dich haben und du gut darin bist, ihre Probleme zu lösen", antwortete Chiron ihr.

„Bis ich dann einen riesen Fehler mache und keine Antworten mehr für sie habe", seufzte Phillis und ließ ihre Schultern hängen.

„Bis jetzt ist das noch nicht passiert", sagte Chiron, „Aber wenn du wirklich denkst, dass du der Sache nicht gewachsen bist, dann zwingt dich niemand dazu, weiter zu machen. Wir wissen beide, dass du nie in diesen Krieg involviert werden wolltest."

Phillis dachte wirklich einen Moment lang über seine Worte nach. Sie wollte wirklich nie involviert werden und besonders die ganze Sache mit Voldemort und seinen Todessern wirkte auf sie so, als sollte sie lieber einen großen Bogen darum machen, aber insgeheim wusste sie, dass sie schon viel zu tief drin war, um jetzt noch hinaus zu kommen. Unterbewusst legte sie ihre Hand auf die Wunde an ihrem Bauch, die noch bis zu ihren Rippen reichte. Pirro hatte sie erstochen und sie damit direkt in diesen ganzen Krieg hinein gezogen, als würde man mit einer Harpune einen Hai fangen und auf ein Schiff ziehen. Nach diesem Vergleich wusste Phillis, dass sie niemals Haifischflossen essen konnte (nicht, dass sie schon jemals welche probiert hätte).

Phillis seufzte und schüttelte den Kopf. „Es würde ja sonst niemand schaffen, oder?"

Chiron lächelte leicht. „Aber das bedeutet nicht, dass du allein kämpfen musst, Phillis", versprach er, „Hinter dir stehen deine Freunde und Verbündeten – du kannst dich auf sie verlassen und auch Verantwortung abgeben. Ich bin mir sogar sicher, dass sich ein gewisser Sohn der Athene sehr darüber freuen würde, wenn er seinen außerordentlichen Verstand benutzen könnte – seine Stiefmutter hat mir geschrieben, dass ihm sehr langweilig ist."

Phillis grinste. Das klang wirklich nach Houdini.

„Und jetzt geh zurück ins Schloss", scheuchte Chiron sie weg, „Trockne dich, damit du nicht auch noch krank wirst! Und lass dir von dieser wirklich außergewöhnlichen Krankenschwester deine Hand ansehen, ich glaube, sie muss behandelt werden."

Phillis hatte schon beinahe wieder vergessen, dass sie eine Wand geschlagen hatte (obwohl es sich eher so anfühlte, als hätte die Wand sie geschlagen).

Phillis nickte eilig. „Klar! Danke, Chiron!" Sie drehte sich um und rannte zurück ins Schloss, bevor Chiron noch etwas zu ihr sagen konnte.

Chiron sah ihr mit einem leichten, aber auch wehmütigem Lächeln hinterher.

Vertrauen war wichtig. Es war wichtig, seinen Verbündeten vertrauen zu können und nicht ständig auf der Hut vor ihnen zu sein.

Chiron fragte sich, ob Phillis es jemals wieder schaffen würde, das zu tun und er fragte sich, ob es bis dahin nicht schon zu spät sein würde.

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