Chiron ist seltsam (aber vielleicht gut-seltsam)
Die Siebtklässler hatten schon am ersten Schultag die Chance, Professor Chiron kennenzulernen.
Dritte Stunde: Verteidigung gegen die Dunklen Künste mit dem neuen Professor, aber es war schon lange nichts mehr besonderes, einen neuen Professor in diesem Fach zu haben und nach sechs Vorgängern waren die Schüler das schon gewohnt.
James hoffte nur, dass dieser Chiron halbwegs kompetent war, immerhin erwartete sie alle ein Krieg, sobald sie die sicheren Mauern von Hogwarts hinter sich ließen und wenn er eher der Meinung war, dass es Zeitverschwendung war, seinen Schülern etwas Nützliches beizubringen, waren sie wirklich aufgeschmissen.
Der erste Eindruck war eher positiv – jedenfalls oberflächlich gesehen.
Man hatte die Klasse für Verteidigung gegen die Dunklen Künste umgesiedelt, sodass es nun im Erdgeschoss stattfand, was im ersten Moment vielleicht sonderbar wirken mochte, immerhin hatte die alte Klasse immer funktioniert, aber wenn man sich daran erinnerte, dass Professor Chiron in einem Rollstuhl saß, war es nur natürlich, dass er nicht jeden Tag gefühlt tausend Treppen irgendwie hochkommen wollte.
Die Tische waren auf die Seite gerückt worden und die Stühle in einer Art Hufeisenform um die Tafel herum aufgestellt – sehr ungewohnt und seltsam für James und der Unterricht versprach interessant zu werden.
Die Wände waren geschmückt auf eine Art, die James beeindruckte – sie erinnerten ihn irgendwie an Lilys Zimmer. Verschiedene Zeitungsausschnitte aus Muggel- und Zaubererzeitungen waren aufgeklebt worden zusammen mit den wenigen offiziellen Fahndungsbildern von Todessern, bis wirklich bekannt waren (unter ihnen Antonin Dolohow, der Onkel von Phillis), aber da waren auch Bilder und Zeichnungen von Monstern oder magischen Tierwesen, die James noch nie gesehen hatte, beschrieben in einer Schrift und Sprache, die er nicht kannte.
Um dem allem noch einmal eine eher seltsame Komponente zu geben, hingen an den Wänden auch einzeln Waffen – tatsächliche Waffen, wie man sie normalerweise nur bei Ritterrüstungen sah oder auch in Muggel-Museen. Diese waren aber nicht aus Stahl oder Eisen, sondern aus einem bronzefarbenen Material. Offenbar gab es außer Phillis noch mehr Leute, die auf spitze Gegenstände standen.
Es stellte sich heraus, dass Professor Chiron tatsächlich im Rollstuhl saß und während James das schon beim Festmahl vermutet hatte, so waren andere Mitschüler wohl nicht auf die Idee gekommen und waren überrascht, den Professor sitzend in einem fahrbaren Stuhl in der Klasse zu sehen, als sich die Stühle langsam füllten.
James, Sirius, Remus und Peter setzten sich zusammen und zu seiner Überraschung setzte sich Lily mit Marlene neben ihm, aber obwohl sein Magen einen kleinen Hüpfer machte und er vor Aufregung ein wenig hibbelig wurde, so bemühte er sich, das nicht nach außen hin zu zeigen.
Chiron begrüßte jeden einzelnen mit einem willkommenen Lächeln und einem leichten Nicken oder sogar einer verbalen Begrüßung, wartete aber sonst geduldig darauf, dass alle anwesend waren.
James beobachtete, wie sich Snape mit ein paar seiner Slytherin-Freunde ihnen gegenüber hinsetzte (nachdem kaum andere Plätze noch frei waren) und er funkelte James böse an, als er sah, dass Lily neben ihm saß, aber James riss sich zusammen und versuchte, nicht darauf zu reagieren.
Lily saß direkt neben ihm, also könnte sie jede Provokation bemerken und Remus hatte ihm geraten, dass er (besonders in Lilys Nähe) Snape einfach ignorieren sollte und seit er so erfolgreich mit Phillis gewesen war, hatte James beschlossen, häufiger auf ihn zu hören, wenn es um so etwas ging. Sirius' Ratschläge stellten sich im Nachhinein als etwas... kontraproduktiv heraus.
Als die Stunde begann, schloss sich Chiron mehr oder weniger der Runde an, indem er seinen Rollstuhl in das Stuhl-Hufeisen schob und ein Teil von ihnen wurde, anstatt wie andere Lehrer vor ihnen zu stehen (was Chiron natürlich nicht möglich war) und etwas Distanz zu schaffen. Die Tafel war direkt neben ihm und es schien eine besondere Tafel zu sein, denn sie ließ sich noch weiter hinunterschieben als andere in Hogwarts, sodass selbst Chiron sitzend ganz oben schreiben konnte.
„Guten Morgen, Klasse", begrüßte er sie mit einem freundlichen Lächeln, „Wie ihr alle bestimmt schon herausgefunden habt, bin ich euer neuer Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Ihr könnt mich gerne duzen und einfach nur Chiron nennen, wenn ihr euch wohler damit fühlt, aber siezen ist natürlich auch in Ordnung. Von mir aus könnt ihr mich nennen, wie ihr wollt, solange es nicht Tyrone ist und am besten ihr fragt nicht, was es damit auf sich hat."
Das war einmal eine wirklich seltsame Vorstellung gewesen und einige in der Klasse sahen sich unsicher an, etwas überfordert mit dieser neuen Art des Unterrichtens, aber Chiron ignorierte die angespannte Stimmung einfach oder hatte ein Talent dafür, sie zu überspielen.
„Ich versuche so schnell wie möglich alle eure Namen zu lernen, also gebt mir eine Woche dafür und wenn keiner von euch etwas dagegen hat, werde ich euch auch alle duzen. Sollte jemand etwas dagegen habe, kann er das natürlich offen sagen oder mir anonymer einen Brief zukommen lassen oder mich einfach jedes Mal offen beleidigen, wenn ich jemanden falsch anspreche – ich habe schon alles hinter mir."
Sirius neben James machte ein amüsiertes Geräusch, als könnte er kaum darauf warten, einen Lehrer zu beleidigen und nicht dafür bestraft zu werden.
„Wenn ich euch vielleicht noch ein wenig aus meinem Leben erzählen soll: Ich unterrichte schon einige Zeit lang, obwohl es schon lange her ist, dass ich eine Klasse wie die eure unterrichtet habe –"
James wusste nicht, was das bedeutete – wie konnten Klassen denn sonst sein?
„– und deswegen habe ich wohl etwas unkonventionelle Lehrmethoden. Wie ihr vielleicht an meinem Akzent schon erkannt habt, komme ich aus Amerika und unterrichte normalerweise dort, aber nachdem Professor Dumbledore mich darum gebeten hat und meine... "Vorgesetzten" dem zugestimmt haben, werde ich ein Jahr lang hier in Hogwarts unterrichten."
„Nur ein Jahr?", fragte Lily, „Das können Sie jetzt schon sagen?"
Chiron lächelte freundlich. „Könntest du mir gleich deinen Namen sagen, so lerne ich schneller."
„Lily Evans, Sir."
„Ja, Lily, ich werde schon nach diesem Jahr Hogwarts wieder verlassen – es scheint aber nichts Neues für euch zu sein, immerhin habt ihr wohl jedes Jahr einen neuen Professor in diesem Fach –"
Schüchternes, zurückhaltendes Lachen von einigen aus der Klasse.
„Aber ich habe zu Hause auch noch Verpflichtungen und werde dort ebenso gebraucht, wie hier in Hogwarts, wenn nicht sogar noch mehr. Ich besitze aber Wissen, mit dem Zauberer und Hexen für gewöhnlich nicht vertraut sind und indem ich es an euch weitergebe, könnt ihr es an weitere Generationen weitertragen und meine Anwesenheit ist nicht mehr von höchster Bedeutung. Ich werde versuchen, in diesem einem Jahr euch alles beizubringen, das euch helfen kann, zu überleben."
„Zu überleben?", wiederholte James interessiert, „Sie sprechen vom Krieg?"
„Man lernt niemals nur für eine einzige Situation im Leben", erklärte Chiron ruhig, „Wissen ist Macht. Man kann es adaptieren und in Situationen anwenden, in denen es niemand erwartet. Um das aber zu schaffen, muss man sich zuerst ein Arsenal zulegen, um aus diesen Möglichkeiten die beste wählen zu können und das werde ich euch beibringen. Taktiken, Strategie und natürlich Denken in Stresssituationen – das könnte euch wohl für eure UTZ auch nützen, habe ich Recht?"
Wieder lachten ein paar leise.
„Außerdem sollte ich euch vorwarnen, dass es mir nicht erlaubt ist, einen Zauberstab zu tragen –"
„Was?", rief Mulciber von Slytherin dazwischen, „Warum tragen Sie keinen Zauberstab?"
„Gesetze und Regeln", antwortete Chiron schlicht, „aber für euch bedeutet das, dass ich euch dieses Jahr keine Zauber beibringen kann – jedenfalls nicht direkt. Ich habe schon einmal einen Zauberstab gehalten und habe viele der Zauber gelernt, also kann ich euch die Theorie beibringen und andere Professoren bitten, sie vorzuzeigen, aber von mir werdet ihr leider keine Magie sehen."
James seufzte leise. Also war er doch ziemlich nutzlos – er würde sich alles selbst beibringen müssen.
„Das wird mich aber nicht daran hindern, dafür zu sorgen, dass jene, die wirklich lernen wollen, auch lernen können", sagte Chiron bestimmt, „Ich werde euch also eine Liste mit Zaubersprüchen zur Verfügung stellen, mit der ihr die Theorie zu den Zaubern lernen könnt und ihr euch diese vielleicht selbst beibringen könnt. Sollte das nicht reichen, steht meine Tür jederzeit offen – von fünf Uhr in der Früh bis allerspätestens ein Uhr in der Früh, immerhin bin ich alt und brauche meinen Schlaf."
„Meinen Sie das ernst?", fragte Sirius ungläubig.
„Natürlich", bestätigte Chiron, „Ich würde es bevorzugen, wenn ihr irgendwie die Möglichkeit habt, mich zumindest sechs Stunden zuvor zu kontaktieren, damit ich mich auch vorbereiten kann, aber ich bin es gewohnt, dass manche Probleme nicht warten können und eher akut auftreten. Ich werde versuchen, euch in jeglichen Lebenslagen zu helfen und obwohl ich akzeptiere, dass Vertrauen nicht so einfach kommt, hoffe ich doch, dass ihr im Laufe des Jahres lernt, mir zu vertrauen. Ich bin hier, um euch auf das Leben vorzubereiten und euch alles beizubringen, das ich weiß – natürlich geht sich das nicht in den wenigen Stunden aus, die uns bleiben, immerhin besitze ich Wissen der letzten Jahrtausende, aber wenn eine Frage auch außerhalb des Themas in der Klasse auftritt, werde ich mich bemühen, eine Lösung zu finden."
Das war eine wirklich beeindruckende Ansprache gewesen, aber James bezweifelte, dass er das durchziehen würde – besonders nicht ein ganzes Jahr.
„Außerdem wollte ich euch noch ein Projekt von mir vorstellen, das ich dieses Jahr in Hogwarts durchführen will", verkündete Chiron, „Es betrifft alle Schüler ab der Vierten Stufe mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten, aber in eurem Fall natürlich nicht, nachdem ihr schon alle erwachsen seid. Ich werde versuchen, euch beizubringen, wie man ohne Zauberstab überlebt – nicht nur normales Leben als Muggel, sondern Leben in der Wildnis, wie man Feuer macht, Zelte aufbaut, Essen findet und kocht. Ich bin mir nicht sicher, ob Interesse dafür besteht, aber Professor Dumbledore hat erwähnt, dass es nicht schadet, wenn man es erst einmal anbietet und dann schaut, ob jemand kommt und wenn auch nur einer erscheint, werde ich versuchen, demjenigen möglichst viel beizubringen. Ich werde die Flyer dafür am Ende der Stunde verteilen und ihr könnt es euch noch einmal in Ruhe überlegen."
James und Sirius tauschten Blicke aus – das klang schon einmal interessant, wenn es wirklich so werden würde, wie er sagte.
Chiron sah auf seine Uhr. „Jetzt haben wir noch Zeit für eine kurze Vorstellungsrunde, damit ihr alle eure Namen einmal gehört habe und vielleicht noch ein paar Fragen? Warum fangen wir nicht hier bei dir an? Einfach Name und vielleicht noch einen Fakt über dich, wenn du das willst oder auch nicht. Vielleicht auch eher eine Frage an mich oder auch Wünsche und Anmerkungen für mich, damit ich meinen Unterricht danach ausrichten kann?"
Sie stellten sich alle vor und die meisten fanden es zu dämlich, etwas über sich selbst zu sagen und beließen es einfach beim Namen.
Lily fügte nach ihrem Namen noch eine Frage hinzu: „Sir, unterrichten Sie in Amerika auch Zauberer?"
„Tatsächlich nicht", gestand Chiron, „Ich unterrichte Kinder und Jugendliche, die lernen wollen, wie man gegen Monster kämpft und überlebt. Ein ganzer Haufen interessanter, junger Leute mit Geschichten, die niemand hören will, bis man sie hört."
Das war eine sehr kryptische Antwort, aber James horchte auf – Monster? Wer kämpfte gegen Monster?
Die restlichen Schüler stellten sich wieder nur mit Namen vor und waren alle zu unsicher, um Fragen zu stellen oder Anmerkungen zu geben, aber Chiron schien das nicht zu stören und nachdem er ihnen tatsächlich zum Schluss noch jeweils einen Flyer für sein Projekt in die Hand drückte, entließ er sie ein paar Minuten zu früh.
„Und? Was denkt ihr von ihm?", fragte James seine Freunde.
„Noch schwer zu sagen", antwortete Remus nachdenklich, „Scheint ein seltsamer Kerl zu sein, aber vielleicht ist er ja wirklich kompetent. Er hat gesagt, er kann uns in jedem Lebensbereich helfen? Er scheint jedenfalls von sich selbst zu denken, dass er halbwegs intelligent ist."
„Das muss aber nicht automatisch bedeuten, dass er es auch ist", meldete sich Sirius, „Er könnte auch einfach nur so tun, als ob. Und dass er keine Magie wirken darf, ist schon seltsam, oder nicht?"
„Hagrid darf das auch nicht, oder?", erinnerte sich Peter.
„Hagrid haben sie auch von der Schule geworfen", erinnerte James ihn, „Vielleicht ist er damals auch von der Schule geflogen und jetzt unterrichtet er uns... spricht nicht wirklich für ihn, oder?"
„Sprecht ihr gerade über Chiron?", fragte Lily dazwischen und sie und Marlene gesellten sich zu ihnen, „Er ist etwas sonderbar, oder? Aber... gut-sonderbar?"
„Denkst du?" James war da weniger sicher. „Das werden wir wohl erst wirklich in seinen Stunden sehen..."
„Am Montag gleich in der ersten Stunde haben wir schon die nächste", erinnerte sich Marlene, „Und dieser Flyer sieht auch interessant aus – wir könnten uns das einmal ansehen!"
„Ich hoffe, er ist in Ordnung", seufzte James, „Wäre wirklich praktisch, einen guten Lehrer in unserem letzten Jahr zu haben..."
Am Montag aber war die Klasse von Chiron zugesperrt und die Schüler versammelten sich davor, aber selbst, als die Stunde schon angefangen hatte, war von Chiron noch nichts zu sehen.
„Ich habe ihn auch nicht beim Frühstück gesehen", erinnerte sich Remus, „Hat er vielleicht verschlafen?"
„Verschlafen? An seinem zweiten Arbeitstag?", spottete Sirius und sah seine Freunde feixend an, „Tja... jetzt wissen wir wohl, was für eine Typ Lehrer er wohl ist, oder?"
„Vielleicht ist er auch krank", überlegte Peter positiv gestimmt, „und McGonagall hat einfach vergessen, uns zu sagen, dass die Stunde heute ausfällt."
„Nein, sie hat es nicht vergessen", verkündete plötzlich jemand und Professor Dumbledore persönlich kam ihnen am Gang entgegen, „Tatsächlich habe ich das wohl übersehen, ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen."
„Professor Dumbledore!", rief Lily überrascht, „Wissen Sie, wo Professor Chiron ist?"
„Chiron hat für einen Notfall gestern zurück nach Amerika müssen", erzählte Dumbledore ernst, „Die Stunde heute wird leider ausfallen, er weiß noch nicht, wann es ihm möglich sein wird, zurück nach Hogwarts zu kommen."
„Er ist nicht mehr im Schloss?", fragte Lily überrascht.
„Tja... er scheint wirklich nicht so engagiert zu sein, wie er gesagt hat", flüsterte Sirius James leise zu, aber wohl nicht leise genug, denn Dumbledores Blick richtete sich auf ihn.
„Mr Black, ich wäre nicht so voreilig mit Ihrem Urteil", sagte Dumbledore streng mit einem seltsam traurigen Blick, „Einer seiner Schülerinnen ist verletzt worden – sie wissen noch nicht, ob sie es überstehen wird."
Das löste eine erschrockene Stille unter den Schülern aus und Sirius schluckte nervös.
„Er hat zurück nach Amerika müssen, um sie mit seinen Heilkünsten zu unterstützen und – sollte es schon zu spät sein – ihr Beistand zu leisten. Ich denke, er hat etwas Respekt und Verständnis verdient."
Sirius nickte schwach – das waren natürlich sehr gute Gründe, nicht zum Unterricht zu erscheinen.
„Chiron trug mir auf, Ihnen allen zu sagen, dass es ihm leidtut, dass er nicht hier sein kann und er wird sich bemühen, so schnell wie möglich zurück zu kehren."
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