Besuch von göttlichen Tantchen

Phillis war wieder eingeschlafen – sie musste wirklich müde gewesen sein, wenn sie so viel am Tag schlief und dann auch noch bei so einem Lärm schlafen konnte.

Remus hatte mit ihr gesprochen, als ihm plötzlich aufgefallen war, dass Phillis nicht mehr antwortete und er hatte ihr nur lächelnd die leere Tasse mit Kaffee abgenommen und sie dieses Mal schlafen lassen.

Er hatte sie in Ruhe lassen wollen, aber dann war ihr Kopf auf seine Schulter gesunken und plötzlich hatte Remus keine andere Möglichkeit mehr gehabt, als selbst dicht neben Phillis sitzen zu bleiben und ebenfalls ein wenig zu schlafen. In seinen Augen war er vollkommen unschuldig – er hatte einfach keine andere Möglichkeit gehabt und natürlich hatte er das sehr, sehr schade gefunden, aber da war er machtlos.

Er hatte nicht wirklich geschlafen. Er hatte die Augen geschlossen, hatte seinen Kopf auf den von Phillis gelegt und den Geruch ihres Parfüms genossen – er musste sie einmal fragen, woher sie ein Parfüm mit Schokoladengeruch nahm. Sie roch wie eine Tasse heiße Schokolade.

Es wurde immer ruhiger im Gemeinschaftsraum und Remus öffnete widerwillig die Augen, mit dem Wissen, dass Phillis nicht auf dem Sessel schlafen sollte und sie lieber in ihr Bett gehen sollte, als er direkt vor sich Sirius sah, der ihn breit angrinste.

Remus zuckte erschrocken zusammen und weckte damit eher unsanft Phillis, die alarmiert sofort hellwach war und sich kampfbereit umsah, aber nur Sirius als Bedrohung wahrnahm.

„Wie spät ist es?", fragte sie müde und rieb sich die Augen.

„Nicht einmal Mitternacht", gestand James, der mit Peter ein Sofa näher an den Kamin rückte (niemand wusste so genau, ob er damit Lily, die ebenfalls noch im Gemeinschaftsraum war, beeindrucken wollte oder nicht), „Bereit für eine etwas... intimere Runde?"

„Geht es noch intimer, als Moony und Phil es jetzt schon sind?", fragte Sirius neckisch und blinzelte Remus vielsagend zu, „Nicht schlecht, Moony, nicht schlecht."

„Halt die Klappe", zischte Remus mit knallrotem Kopf und stand auf, um sich zu strecken.

Phillis blieb noch etwas benommen im Sessel sitzen und starrte ins Feuer – sie war vermutlich noch immer nicht ganz wach und würde bald wieder einschlafen.

„Warum gehst du nicht ins Bett, Phil?", fragte Remus sie ruhig, „Du bist müde."

„Du willst die Heldin des Tages wegschicken?", fragte Sirius empört, „Phil ist für unseren Sieg verantwortlich!"

„Hm?", machte Phillis müde – sie hatte nicht wirklich ein Wort verstanden und Remus half ihr auf die Beine.

Nun stand Phillis zwar, aber sie konnte wohl auch im Stehen schlafen und Remus sah sie amüsiert an.

„Komm schon, Phil", er schubste sie leicht in Richtung Treppe, „Ins Bett mit dir, bevor du vor Müdigkeit umkippst."

„Ich hätte Kingsley nicht heilen sollen", murmelte sie müde, „Ich schlafe sonst nie so viel."

Remus verstand nicht genau, was sie damit meinte, aber nachdem sie beinahe schon schlief, musste ihr Gebrabbel wohl keinen Sinn mehr ergeben.

Phillis stolperte tatsächlich zur Treppe, die in den Schlafsaal der Mädchen führte und Remus war erleichtert, dass sie ausnahmsweise nicht so stur gewesen war, aber seine Erleichterung währte nicht lange.

„Phillis! Warte!" Es war ein Mädchen, das Remus noch nie gesehen hatte, aber nachdem sie kaum älter als dreizehn Jahre aussah, vermutete er, dass sie eben eine jüngere Schülerin war, die er noch nie gesehen hatte. Sie hatte kastanienbraunes Haar und trug Muggelkleidung. Was Remus aber auffiel, war der Bogen, den sie an der Schulter trug mit einem Köcher mit Pfeilen und in ihren Händen war eine Gitarre.

Phillis drehte sich verwirrt um und erblickte das Mädchen und sofort riss sie erschrocken die Augen auf.

„Mylady!", rief sie aus und Remus sah dabei zu, wie sie sich leicht, aber ungelenkig verbeugte.

„Phillis", sagte das Mädchen noch einmal und wies Phillis mit einer Handbewegung an, sich wieder zu setzen und Remus seufzte müde, als Phillis tatsächlich wieder zurückkam und sich auf eines der Sofas setzte.

Remus warf seinen Freunden fragende Blicke zu, aber sie alle schienen verwirrt zu sein.

Phillis' Blick fixierte sich auf die Gitarre in den Händen des Mädchens. Phillis erkannte die Gitarre genauso, wie sie das Mädchen als die Göttin Artemis erkannte – die Göttin, die eigentlich bei Ruth und den anderen sein sollte. Die Gitarre in ihren Händen gehörte eigentlich Ruth. Sie war mit Blechen Himmlischer Bronze beschlagen und konnte auch als Waffe benutzt werden.

Phillis' Blick fiel auf einen kleinen Fleck. Er sah wie getrocknetes Blut aus.

Artemis trat auf Phillis zu und hielt ihr die Gitarre hin. „Ruth wollte, dass du sie nach ihrem Auftrag bekommst. Ich habe ihr diesen Wunsch erfüllt", verkündete Artemis mit einer seltsamen Distanz in der Stimme, die Phillis schon von Mr D kannte, wenn wieder einmal ein Demigott gestorben war und er so tat, als würde es ihn nicht interessieren. Es war wohl ein Selbstschutzmechanismus von Göttern – man hielt Demigötter auf Distanz, um keine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Dann wurden sie vielleicht weniger verletzt.

Phillis streckte die Hände aus und nahm ehrfürchtig die Gitarre entgegen. Sie hatte sie schon einmal gehalten, als Ruth ihr erlaubt hatte, darauf zu spielen, aber in diesem Moment fühlte es sich falsch an, sie zu halten und Phillis blickte wieder in Artemis' junges Gesicht.

„Ruth, ist sie –" Phillis' Stimme versagte und sie schluckte schwer. Sie konnte es nicht einmal aussprechen. Ihre Gedanken rasten, als sie an den Traum dachte, in dem Ruth angegriffen worden war – sie hatte nie explizit Ruths Tod gesehen. Vielleicht hatte sich ihre Vision erfüllt, aber der Ausgang war nicht der, den sie erwartet hatte.

„Ich habe auch noch einen Brief für dich", sagte Artemis und holte scheinbar aus dem Nichts einen Brief hervor und reichte ihn an Phillis weiter.

Sie nahm ihn und als Absender war Chiron angegeben, aber auch so hätte sie seine ordentliche, leicht lesbare Schrift erkannt.

Als Phillis wieder aufblickte, war Artemis fort.

„Was ist gerade passiert?", fragte James und blinzelte, als wäre er gerade aus einer Trance erwacht, „Wer war das?"

„Phil?", fragte Sirius und lachte nervös, „Habe ich das gerade geträumt? Warum träume ich von dir, Phil?"

Remus sah Phillis besorgt an. Irgendetwas stimmte nicht, das sah er an ihrem Blick und außerdem hatte sie aufgehört herum zu zabbeln.

Phillis reagierte nicht auf die Fragen oder die Blicke und öffnete nur den Umschlag und holte einen Brief hervor.

Sie las ihn ruhig durch und blickte dann wieder auf.

„Was steht darin?", fragte Peter neugierig, aber Phillis beantwortete ihm die Frage nicht.

„Ich muss mit Professor McGonagall sprechen", sagte sie nur mit einer seltsam monotonen Stimme und stand auf.

„Jetzt noch?", fragte Lily erschrocken, „Wir sollten überhaupt nicht mehr wach sein, geschweige denn in den Gängen herumspazieren!"

„Lily hat Recht", stimmte James ihr besorgt zu, „Denk an ihre Drohung – du darfst dich nicht erwischen lassen!"

„Ist alles in Ordnung?", fragte Remus.

Phillis vermied Augenkontakt und nickte leicht. „Klar... alles gut... ich muss nur etwas mit Professor McGonagall besprechen..."

Sie taumelte wie in Trance aus dem Gemeinschaftsraum und die paar, die zurückgeblieben waren, sahen sich verunsichert an. Sie hatte die Gitarre mit sich genommen.

„Was ist passiert?", fragte Marlene sich, „Habt ihr sie gekannt? Das Mädchen?"

„Sie ist nicht in Gryffindor", vermutete Lily, „Ich hätte wenigstens ihr Gesicht erkannt."

„Sollte Phil jetzt wirklich alleine sein?", fragte Remus sich besorgt, „Sie hat etwas... verwirrt ausgesehen."


Phillis klopfte am Büro von Professor McGonagall und natürlich brauchte es länger als sonst, bis sie eine Antwort erhielt.

McGonagall öffnete in ihrem Morgenmantel (mit Schottenmuster) die Tür und sah Phillis überrascht an.

„Miss Dolohow, wissen Sie, wie spät es ist? Ich hoffe, es ist dringend!", rief sie streng.

Phillis blinzelte. War es wirklich dringend? Sie war sich nicht ganz sicher – für sie war es natürlich dringend, aber sie hatte gelernt, dass Erwachsene „dringend" eher als „lebensbedrohlich" oder „lebensgefährdend" einstuften und das traf nicht wirklich auf diese Situation zu.

Professor McGonagall sah Phillis nun mit einem etwas sanfteren, besorgten Blick an, als sie ohne zu antworten einfach vor sich hinstarrte und McGonagall war auch aufgefallen, dass Phillis bleicher war, als sonst.

„Miss Dolohow, schlafen Sie noch?", fragte Professor McGonagall, „Schlafwandeln Sie?"

„Ich hoffe es", gestand Phillis, aber nachdem Ruths Gitarre, die sie sich mit dem Gurt umgelegt hatte und Chirons Brief in ihrer Hand sich sehr real anfühlten, bezweifelte sie es. Andererseits hatte sie schon realistischere Träume gehabt. „Aber... ich denke nicht..."

McGonagall sah Phillis besorgt an. „Sind Sie krank? Fühlen Sie sich nicht wohl?"

Phillis schüttelte den Kopf. „Nein... ich...", sie runzelte die Stirn und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, aber sie verstand sie selbst nicht mehr. Alles in ihrem Kopf schrie, aber es waren Worte, die sie nicht verstand, als würden ihre Gedanken eine fremde Sprache sprechen. Eine Sprache, die nur aggressiv und wild klang. Phillis fuhr sich mit der Hand über die Augen, in der Hoffnung, die schwarzen Punkte vor ihren Augen zu vertreiben. Ihr war kalt.

„Miss Dolohow", McGonagall legte eine Hand auf ihre Schulter und Phillis zuckte zurück.

„Professor", endlich konnte Phillis wieder klar genug denken, um zu sprechen, „Ich muss in den nächsten paar Tagen nach Hause fahren... schon morgen..."

McGonagall blinzelte verwirrt. „Das geht nicht einfach so, es braucht die Erlaubnis Ihrer Mutter und des Schulleiters, um –"

„Bitte, Professor", unterbrach Phillis sie mit einer seltsam emotionslosen Stimme, „Meine Schwester ist gestorben. Ich muss zu ihrem Begräbnis."

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