99.

Hey meine Lieben, Audrey wird weiter erzählen... Lest selbst, was sie noch alles erlebt hat. <3

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# Audrey #

Nach meinem letzten Satz entsteht eine längere Pause. Ich ringe mit mir, kämpfe gegen die Tränen an, die über meine Wangen rinnen und es mir unmöglich machen, Zlatan anzusehen. Er weiß nicht, was ich dabei empfinde. In meinem Kopf sind wieder die Bilder, der Moment, als ich meinen Vater und Ari fand. „I-ich war doch diejenige, die die beiden fand. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich das war. Das kann niemand. Überall war Blut, ihre beiden leblosen Körper hingen dort, über und über mit Wunden verschandelt, mit durchgeschnittenen Kehlen. Doch das Schlimmste waren die Augen", ich hole Luft und zwinge mich dazu weiter zu sprechen, egal wie undeutlich es auch klingen, egal wie sehr mein Herz dabei schmerzen würde, „Sie waren leer. Ihre Augen, die sonst von Leben erfüllt gewesen waren, waren leer, kalt und tot. Bereits als ich die Treppe hochrannte, ahnte ich, was ich vorfinden würde. Es konnte gar nicht anders sein – doch als ich Ari neben meinem Vater entdeckte, schrie ich nur noch. Denn damit hatte ich nicht gerechnet. Ich kann dir nicht einmal sagen, wieso ich davon ausgegangen war, dass meine Schwester noch am Leben war, bei all dem Blut im Haus. Es kam mir nicht in den Sinn, ich konnte es mir überhaupt nicht vorstellen. Sie dann zu finden, so verstümmelt, das riss mein Herz entzwei. Ich konnte es einfach nicht fassen, sie war doch meine kleine Schwester gewesen. Der Mensch, für den ich Verantwortung trug. Aber alles, was ich noch für sie tun konnte, war zu ihren Füßen auf den Boden zu sinken und zu weinen." Bedrohlich schnell schlägt mein Herz, ich spüre, wie es mir schwerer fällt zu atmen, mit jedem Wort, mit jedem Bild, mit jeder Erinnerung, die ich mit Ibra teile. Der Schmerz ist grausam. Durchdringend und unaufhaltsam frisst er sich durch meinen Kopf, strömt zu meinem Herzen und nimmt es wieder auseinander, zerlegt es mit messerscharfen Schnitten in kleine Fetzen. Auch meine Seele scheint wieder schwarz wie die Nacht zu werden, als würde sie übergossen mit diesen Erinnerungen, die mich damals beinah um den Verstand brachten. Die mich beinah umbrachten. Ein lautes Schluchzen verlässt meine Kehle, mein Hals wird eng, ich bekomme kaum noch Luft und richte meinen Blick nach oben an die Decke, als gäbe es dort etwas, was mir helfen könnte. „Ich konnte ihr nicht helfen! Es war zu spät!", klage ich heiser, nehme nichts anderes mehr als diesen unsagbaren Schmerz in mir wahr, der mich lähmt, der mich in diesen Augenblick zurückkatapultiert, als ich Ari und Papa dort hängen sah. „Es tut mir leid!" Dass meine Stimme sich zu einem gequälten Schrei erhoben hat, und vermutlich durch das ganze Haus schallt, bekomme ich nicht mit. Ich hänge in diesem Moment fest, der mein Leben innerhalb von Sekundenbruchteilen aus den Angeln hob und alles vernichtete, was mir jemals etwas bedeutet hatte – als ich diese beiden geliebten Menschen verlor.

„Kleines, sieh mich an!", dröhnt Zlatans tiefe Stimme in meinen Ohren, ich wehre mich mit Händen und Füßen gegen den Druck auf meinen Körper, weil ich das Gefühl habe, dass mein Brustkorb immer enger wird und ich gleich ersticke. „Sieh mich an!" Ein heftiger, aber kurzer Schmerz durchdringt meinen Nacken, ich reiße die Augen auf und erkenne endlich wieder etwas anderes vor mir, als nur meine tote Schwester und meinen erhängten Vater. Zlatan. So wie er mich ansieht, ist auch er aufgewühlt. Keuchend schaue ich nach links und rechts, Ares steht vor mir, bellt wie verrückt und Ibra löst allmählich seine Arme von mir. Erschöpft sinke ich gegen die Rückenlehne des Sofas. „Was war das?", frage ich ängstlich, er blickt zu Boden, während Ares nun aufgeregt über meinen Handrücken schleckt, als wolle er mich beruhigen. „Du hattest eine Panikattacke", erklärt Zlatan ernst, ich schlucke. „Was hast du getan?", will ich mit zittriger Stimme wissen, denn es hat sich anders angefühlt als sonst, als ich aus diesem Strudel gerissen wurde. Es war nicht sein regelmäßiger Herzschlag, nicht seine Wärme, die mich zurückholten. „Ich musste dir weh tun, entschuldige", meint er und fährt sich durch die Haare. Erschrocken blinzle ich mehrmals. „Ich hab dir in den Nacken gegriffen, es muss sicher sehr weh getan haben, aber du hast dich überhaupt nicht mehr beruhigt", entschuldigt er sich erneut, ich schüttle nur den Kopf und murmle: „Schon okay."

Dann erhebe ich mich wortlos, wanke mit weichen Knien erst zu meiner Tasche, ziehe meine Zigaretten hervor und gehe anschließend auf die Terrasse. Jetzt brauche ich eine Pause. Tief inhaliere ich den bitteren Rauch, bemühe mich gleichmäßig zu atmen und meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Die Anspannung und die Erinnerungen schwächen mich, sie rauben mir viel Kraft. Dennoch bin ich nicht bereit aufzugeben und Zlatan da sitzen zu lassen. Ich ziehe das jetzt durch, selbst wenn das Risiko bestehen bleibt, dass es mich noch einmal von den Füßen wirft. Noch immer zieht es in meinem Nacken. Zlatan muss fest zugepackt haben, wenn ich das jetzt noch spüre. Trotzdem bin ich ihm dankbar dafür, er hat mich nicht allein gelassen. Ob es für ihn auch so anstrengend ist? Er kann nur daneben sitzen und muss es aushalten, dass ich alle paar Minuten in Tränen ausbreche, das stelle ich mir auch sehr aufwühlend vor. Nach einer Weile hat sich mein Herz beruhigt und ich gehe wieder hinein. Ares lässt sich von Zlatan die Ohren kraulen, beäugt mich aber sehr genau und legt sofort seinen Kopf auf meine Knie, als ich mich wieder neben Ibra setze.

Nach einem Schluck Wein sehe ich Zlatan lange an. „Willst du das wirklich? Es wird noch schlimmer", stoße ich hervor, er nimmt meine Hand, beugt sich zu mir herüber und drückt mir einen Kuss auf die Schläfe. „Schon, ich mache mir nur etwas Sorgen, ob du das packst." „Ich muss", entgegne ich und schließe einen Augenblick die Augen, bevor ich den nächsten Teil meines Lebens vor ihm ausbreite. „Ich weiß nicht, wie lange ich in den Blutlachen der beiden gehockt habe. Aber es müssen einige Stunden gewesen sein. Meine Mutter fand mich dort und rief schließlich die Polizei. Was dann geschah, war schrecklich. Die Zeit nach dem Mord war furchtbar. Es wurde natürlich in alle Richtungen ermittelt, sogar meine Mutter und ich wurden verdächtigt. Besonders ich, weil ich ja stundenlang da gesessen hatte, ohne irgendwen zu informieren. Es brauchte einen fähigen Arzt, der bestätigte, dass ich unter Schock stand und einen Kollegen meines Vaters, der mit seinen Ermittlungsergebnissen nach einer gefühlten Ewigkeit alle Indizien entkräften konnte, die auf mich als Täterin hinwiesen. Hast du eine Ahnung, wie das ist, wenn dir erst zwei geliebte Menschen genommen werden und du selbst dann plötzlich verdächtigt wirst, es getan zu haben? Bereits in der Phase bekam ich die ersten Panikattacken, ich zerbrach beinah an dem Schmerz, an dem Verlust und auch an dem Druck, der aufgebaut wurde. Es fing schleichend an, ich wusste nicht genau, was mit mir geschieht, als ich nachts aus den Albträumen hochschreckte und schlecht Luft bekam. Immer wieder habe ich mir eingeredet, dass das vorübergehen würde, dass ich das schaffen würde. Ich ging sogar wieder zur Schule, machte mein Abitur, obwohl ich manchmal nächtelang nicht schlief. Vor meiner Mutter konnte ich meine Veränderungen bis zu einem gewissen Grad verbergen, ich wollte nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen um mich macht. Doch irgendwann schöpfte sie Verdacht, dass etwas nicht stimmte, von dem, was wir erleben mussten, mal abgesehen. Natürlich befand ich mich in psychologischer Behandlung, ich sollte das Trauma verarbeiten. Allerdings weigerte ich mich innerlich so sehr dagegen auch nur einen Satz über das zu verlieren, was wirklich in mir vorging, dass das total erfolglos blieb. Schließlich wuchs mir das Ganze über den Kopf, die Panikattacken nahmen Überhand, ich nahm ab, sah aus wie ein Zombie und benahm mich merkwürdig. Auf Wunsch meiner Mutter ging ich zu einem anderen Therapeuten, doch auch dem verschwieg ich das, was mit mir geschah – dass ich jede Nacht in mein Kissen weinte, kaum noch schlafen konnte. Die Panikattacken hatten sich schon bis zur Ohnmacht gesteigert und ich kam kaum noch zurecht im Alltag. Es war ein Wunder, dass ich trotz allem einen guten Abschluss hingelegt habe, ich weiß selbst nicht, wie ich das angestellt habe. Lu war damals die Einzig, die mitbekam, was mit meinem Körper passierte. Sie versuchte mich immer wieder dazu bewegen, endlich mit der Sprache rauszurücken und mir helfen zu lassen, verriet mich aber nicht. Als ich allerdings ein Jahr danach ernsthaft versuchte mir das Leben zu nehmen, war es vorbei mit dem Versteckspiel. Zumindest konnte ich nicht mehr alles verheimlichen. Meine wahren Gefühle schon, aber die Ärzte stopften mich natürlich mit Tabletten voll, weil ich eindeutig einen an der Klatsche hatte, vollkommen neben mir stand und alle Nase lang Panikattacken hatte, die ich überhaupt nicht mehr kontrollieren konnte. Ich hasse diese Menschen dafür, dass sie mir das angetan haben, dass sie mich zu einem wehrlosen, vor sich hinvegetierenden Gemüse gemacht haben. Ich wurde ruhig gestellt, das war dann ein Erfolg. Wenn ich im Dämmerzustand auch keinen Satz mehr zustande brachte, das war egal. Panikattacken hatte ich so natürlich auch keine mehr, auch meine Selbstverletzungen waren nicht möglich, aber geholfen haben sie mir damals nicht. Sie haben mich mit meinem Unterbewusstsein, mit den Erinnerungen in meinem eigenen Körper weggesperrt. Und das, Zlatan, ich schwöre es dir, das war die Hölle. Die absolute Hölle."

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Ihr merkt langsam, es wird nicht unbedingt schön, was Audrey da alles erzählen wird. Sie hat viel durchgemacht und hat Zlatan davon bisher nur wenig berichtet. Wird ihre Beziehung das aushalten? Er wollte es ja so...

Ich weiß, dass diese Kapitel auch für euch etwas anstrengend sind, aber das gehört eben auch zu dieser Story. Ich hoffe, das ist okay?

Wie fandet ihr das Pitel?

Alles Liebe,

eure Mercy aka Floraly <3


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