81.


Hey meine Süßen, weiter geht's! Mal sehen, ob Zlatan das wieder grade biegen kann oder ob Audrey sofort flüchtet... Viel Spaß ❤

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# Audrey #

Drei Monate? Von ein paar Tagen haben wir gesprochen, drei Monate sind ein Vierteljahr! Eigentlich geht es überhaupt nicht um Zahlen, um Tage, Wochen oder Monate. Das ist nebensächlich. Natürlich verstehe ich, dass Zlatan nicht abgelehnt hat, es sind seine Kinder, sein Fleisch und Blut. Aber dieses Familienthema ist eben auch so eine Sache für mich. Wieder wische ich mir über die Wangen, um niemanden merken zu lassen, dass eine weitere Träne darüber kullert. Nachdenklich blicke ich zu dem schwarzen Jaguar hinüber, der in der Sonne döst. Meine eigene Familie existiert nicht mehr. Das ist es, was mich gerade nicht frei atmen lässt, was mir die Tränen in die Augen treibt und den Reflex zu flüchten verursacht. Mein Vater, meine Schwester und eben auch meine Mutter, alle weg. Um das Zittern meiner Hände zu dämpfen, vergrabe ich sie in meinen Hosentaschen und konzentriere mich wieder auf die Raubkatze vor mir. Ich wünsche mir, ich hätte diese Stärke, diesen Willen, den du verkörperst, denke ich verdrossen und seufze. Wie soll ich das hinkriegen? Zlatan alleine, in Kombi mit meinem Job und vor allem aber mit meiner Vergangenheit bringen mich immer wieder an meine Grenzen und jetzt soll ich mich drei Monate um zwei Grundschüler kümmern? Ich hab Zlatan noch nicht mal gesagt, wie viel er mir wirklich bedeutet und soll einen auf happy familiy machen? Das passt doch alles nicht zusammen! Meine eigene Schwester lebt nicht mehr, aber seine beiden Sprößlinge soll ich von jetzt bemuttern? Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich weiß es wirklich nicht.

„Es ist wegen deiner Schwester und deinem Vater, oder?" Zlatans tiefe Stimme erschreckt mich, ebenso wie die Tatsache, dass er mit einem Mal so nah hinter mir steht. Überrascht zucke ich zusammen, blicke nach rechts, direkt in seine braunen Augen. „Oder?", fragt er erneut, ich nicke stumm, versuche mit aller Macht zu verhindern wieder zu heulen, aber es ist unglaublich schwer. So etwas wie eine Familie habe ich seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr gehabt. Er weiß nicht, wie das ist. Er kann es nicht wissen. Er soll es auch nicht, denn diesen Schmerz wünsche ich nicht einmal meinem ärgsten Feind. Und Zlatan, Zlatan liebe ich. „Wirst du es trotzdem versuchen?", will er sanft wissen, unauffällig hat er meine Hand genommen und seine große, starke Hand beruhigt mich ein wenig. Ich könnte ehrlich sein und sagen, dass ich mich davor fürchte, aber was ändert das? Auf lange Sicht, wenn das hier mit uns wirklich funktionieren soll, muss ich mich an diesen Gedanken gewöhnen. Zlatan hat nun mal Kinder und die beiden bedeuten ihm unendlich viel. Deshalb verschweige ich meine Ängste und meine: „Wir versuchen es." Ich kann nicht hier im Zoo, vor dem Gehege des Jaguars zugeben, dass ich innerlich beinah zerbreche bei der Vorstellung Ersatzmutti zu spielen und eines Tages einen Rückfall zu erleiden und so einen seiner Jungs womöglich in Gefahr bringe. Sie würden mich umbringen, die Schuldgefühle. Allerdings durchzuckt meine heilende, aber dennoch geschundene Seele etwas, was mich kurz nach Luft schnappen lässt – Trauer. Trauer und Sehnsucht. Beides empfinde ich, wenn ich Vinc und Max zusammen sehe, wenn alles so alltäglich wirkt. Wenn wir nach außen wie eine ganz normale Familie wirken. Meine zweite Hälfte, meine Schwester Ari wird niemals hier stehen, sie wird niemals mehr meine Hand nehmen können und ganz erwachsen, wie sie damals schon mit ihren fünfzehn Jahren war, sagen können: „Ich hab dich lieb, große Schwester. Hab nicht so viel Angst. Alles wird gut." Ariana konnte das, mich vom Grübeln abbringen und an mein Herz appellieren. Ich habe sie immer später als Ärztin, Therapeutin oder Ähnliches gesehen, weil sie so ein großes Einfühlungsvermögen für ihre Mitmenschen besaß.

Traurig sehe ich wieder nach vorn, lasse meinen Blick auf dem Jaguar ruhen, der dazu übergegangen ist sein Gehege zu durchstreifen. Sein fast schwarzes Fell, in dem sich die Flecken dennoch deutlich abzeichnen, glänzt im Sonnenlicht und ich studiere schließlich den Ausdruck in seinen Augen, als er sich wieder ablegt und mich anzustarren scheint. Das, was ich glaube in seinen Augen zu erkennen, fühlt sich merkwürdig vertraut an. Misstrauen, Zorn und dennoch etwas Warmes, Liebevolles. Einen kurzen Augenblick lang ist es beinah so, als würde ich meinem eigenen Spiegelbild tief in die Augen schauen. Es ist unheimlich.

Irgendwann reiße ich mich davon los und wir schlendern noch eine Weile durch den Zoo, bis Max und Vinc trotz des Mittagessens im kleinen Restaurant verkünden, sie hätten Hunger. Die Art und Weise, wie sie unleidlich werden, lässt mich aber vermuten, dass sie einfach nur müde sind und keinen Bock mehr haben zu laufen. Zlatan ist scheinbar derselben Meinung, weshalb er die beiden sogar die letzten Meter bis Auto trägt. Dass Max dabei schon die Augen zufallen, registriere mit einem Schmunzeln. Die Rückfahrt verläuft recht still. Sowohl Max, als auch Vinc sind innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen und auch Zlatan und ich schweigen. Es gibt im Moment nichts, was wir uns zu sagen haben. Zwischen uns steht mit einem Mal die Verantwortung, die Bürde, die wir ungefragt aufgedrückt bekommen haben. Für unsere noch recht frische und irgendwie zerbrechliche Beziehung wird das nicht leicht, das wissen wir wahrscheinlich beide. Trotzdem lächle ich, als er während der Fahrt meine Hand nimmt. Es ist, als wollte er mir stumm vermitteln, dass es okay ist, dass ich keinen Freudentanz veranstaltet habe und etwas überfordert mit der Situation bin.

Zu Hause werde ich ins Kinderzimmer zur Bespaßung abkommandiert, Zlatan bereitet das Abendessen vor. Während ich mit Vinc und Max interessante Legokonstruktionen kreiere, verdränge ich meine Bedenken bestmöglich. Die beiden sollen nicht das Gefühl bekommen, dass ich sie nicht hier haben will oder sie nicht mag. Denn das muss ich zugeben, sie wachsen mir mit jeder Stunde mehr ans Herz. Man merkt zwar, dass die beiden sowohl von Helena, als auch von Zlatan viele Freiheiten erhalten und ich manchmal wirklich nur den Kopf schütteln kann, was Zlatan ihnen durchgehen lässt, aber sie sind trotzdem wirklich putzig. Max gleicht seinem Vater jetzt schon deutlich im puncto Temperament, Vinc' zurückhaltende, fast schüchterne Art ist sehr liebenswert, vor allem weil man bei ihm sehr schnell merkt, ob er sich wohlfühlt oder nicht. Es ist heute weniger anstrengend gewesen mit den beiden, weil Zlatan dabei war, immerhin. Genau im richtigen Moment schallt es aus der Küche: „Essen ist fertig!". Sonst wäre hier ein Legokrieg ausgebrochen und ich wäre mittendrin gewesen. Erleichtert bugsiere ich die zankenden Geschwister an den Esstisch, spreche schließlich ein Machtwort, weil Zlatan wieder so tut als wäre nix. Ich weiß ja, ich wollte mich nicht einmischen, aber das geht nicht. Max und Vinc sollten zu schätzen wissen, dass sie einander haben. Sicher, mit sechs und acht Jahren wussten Ari und ich das auch noch nicht so konkret, dennoch legten meine Eltern immer viel Wert darauf, dass wir einigermaßen gut miteinander auskamen. Und als wir älter wurden trug diese Erziehung tatsächlich Früchte. Wir waren keine erbitterten Feindinnen oder Konkurrentinnen, wie ich es von manchen meiner Freundinnen hörte, die ebenfalls eine jüngere Schwester in Arianas Alter hatten. Ari und ich waren eher so was wie beste Freundinnen. Wir nannten das immer ‚beste Schwestern'. Ein Geheimnis, das wie miteinander teilten, war gut aufgehoben, denn keine von uns würde es preisgeben. Unter anderem mit diesem Verhalten trieben wir unsere Eltern gelegentlich fast in den Wahnsinn, aber eigentlich nahmen sie es doch recht locker. Mein Vater sagte immer: „Besser sie halten zusammen und unterstützen sich, als anders. Sie passen aufeinander auf. Dafür werde ich sie nicht bestrafen." Einmal konnte ich nicht auf meine Ari aufpassen. Ein einziges Mal. Und dieses eine Mal bezahlte sie mit ihrem Leben und ich mit lebenslangen Schuldgefühlen und Albträumen.

„Bist du traurig?" Max' kleine Patschehand liegt auf meinem linken Handrücken. Irritiert sehe ich auf. „Wie bitte?", stammle ich, irgendwie starren mich alle an. Oh Gott, bitte, ich hab jetzt nicht geheult oder?! „Was ist?", will ich wissen, räuspere mich schnell, weil meine Stimme so rau klingt. „Du, du hast irgendwas gesagt. Auf Deutsch", erklärt Zlatan mir und mustert mich eindringlich. „W-was denn?", stottere ich verwirrt und fühle mich extrem unwohl, weil ich scheinbar höchst spannend zu sein scheine, so wie mich alle immer noch ansehen. „So was wie ‚ nur ein einziges Mal'", erwidert Zlatan und zieht fragend die Augenbrauen hoch. Es dauert einen Augenblick, bis ich trotz seiner kreativen Aussprache verstehe, was er gesagt hat. „Oh, achso", murmle ich betreten und senke meinen Blick. „Bist du traurig?", meldet sich Max wieder zu Wort. Bei seinen warmherzigen Augen, kommen mir tatsächlich fast die Tränen. Was ist bloß los mit mir? „Nein, nein. Ich bin nicht traurig", lüge ich den Kleinen an, der mir aber nicht zu glauben scheint. „Willst du meinen Nachtisch?" Über dieses Angebot muss ich dann doch lachen. Kopfschüttelnd lehne ich dankend ab. So schnell wie die Traurigkeit Besitz von mir ergriffen hatte, so schnell verschwindet sie wieder. Dank dieses kleinen Achtjährigen, der mich im positiven Sinne gerade an meine Schwester erinnerte. Sie war genauso. Selbst noch mit Fünfzehn. Lächelnd beobachte ich, wie Max nun doch seinen Schokopudding selbst verdrückt. Als ich aufsehe, treffen sich Zlatans und mein Blick. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen er in meine zu blicken scheint, ohne dass ich es will, ohne dass ich ihn aufhalten könnte. Ich werde vor ihm nicht verbergen können, dass ich noch immer verunsichert bin und sehr wohl traurig bin oder war.

Nachdem die Max und Vinc ins Bett verfrachtet worden sind, stehe ich mit einem Glas Wein an der großen Fensterfront im Wohnzimmer und versuche diesen einen Gedanken endlich wieder loszuwerden, der mich seit vorhin ununterbrochen quält. Ich hätte auf Ari aufpassen sollen. Ich hätte auf sie aufpassen müssen. Es verlangt mir etliches ab, um nicht in Tränen auszubrechen. Wenigstens die Panikattacke bleibt aus, dennoch fühle ich mich hundeelend und verschwinde schließlich im Bad, um eine heiße Dusche zu nehmen, vielleicht hilft das.

Einen Augenblick lang betrachte ich das Tattoo unter meiner Brust. Freiheit. Noch immer bin ich nicht frei. Noch immer nicht. Wenn ich mich ansehe, fällt mir wieder auf, wie verschieden Ari und ich gewesen sind. Nur die Augen, die glichen sich bis ins kleinste Detail. Angestrengt starre ich in das Grünblau, das mit jeder meiner Bewegungen die Farbnuance zu ändern scheint. Als würde ich Ari in die Augen sehen, denke ich lächelnd, wobei meine Fingerspitzen über den Spiegel streifen. Das kalte Glas unter ihnen erinnert mich daran, dass ich mir das alles nur herbeisehne, dass es nicht der Realität entspricht. Mit diesem tonnenschweren Herzen in meiner Brust wende ich meinen Blick dennoch nicht ab. Eine einzelne Träne rinnt über meine rechte Wange und dieses Mal wische ich sie nicht fort, dieses Mal verfolge ich ihren Weg mit den Augen, bis sie von meinem Kinn tropft. Da ich meinen Anblick letztendlich doch nicht mehr ertrage, entledige ich mich schnell meiner Unterwäsche und stelle mich unter die Dusche. Absichtlich lasse ich das Wasser so heiß werden, dass es anfängt auf der Haut zu prickeln und zu brennen. Immerhin spüre ich mich dann noch. Schnell umhüllt mich der warme Dampf, ich verschwinde in diesem Dunst und kann meinen Tränen endlich freien Lauf lassen. Sie vermischen sich mit dem heißen Wasser, mein Schluchzen geht in dem Rauschen des Wassers unter.

Mit geschlossenen Augen stütze ich mich mit den Händen an den Fliesen ab und unterdrücke mein schmerzerfülltes Klagen nicht mehr. Niemand wird es hören. Als ich etwas auf meinem Rücken spüre. Schreiend fahre ich herum, mein Herz explodiert beinah vor Schreck. Ein zögerlich lächelnder, nackter Zlatan steht vor mir. Wortlos geht er einen weiteren Schritt in der großen Dusche auf mich zu, drängt mich so gegen die Fliesen und direkt und den Strahl des heißen Wassers, welches nun wieder mit voller Wucht auf mich niedergeht. Auch über seinen Körper perlt das Wasser, die Wassertropfen vollführen einen Tanz von seinen Schultern abwärts, über seinen muskulösen Oberkörper immer weiter hinab. Schweigend hänge ich an dem Haselnussbraun seiner Iris, was meine Seele augenblicklich etwas erleichtert, was mich aber auch die Lippen zusammenpressen und mein Schluchzen unterdrücken lässt. Stumm legt er seine Hände auf meine Wangen, beugt sich weiter vor, hält direkt vor meinem Gesicht inne. Nasse Haarsträhnen kleben an seinem Hals, Wasser rinnt über sein Gesicht, über seine Lippen. Ich rühre mich nicht, sehe ihn nur an und wünsche mir, er würde nicht wissen, warum mein Herz immer wieder bricht, warum meine Seele keine Ruhe gibt. Alles wäre so viel leichter, wenn er es nicht wüsste, wenn es nie geschehen wäre, wenn ich nicht für den Rest meines Lebens ertragen müsste, dass ich meine kleine Schwester nicht beschützen konnte, dass ich nicht auf sie aufgepasst habe. Alles wäre so viel leichter.

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Audrey schwelgt in Erinnerungen und kämpft mit sich... Zlatan hatte zwar die richtige Vermutung, aber die Angst kann er ihr trotzdem nicht nehmen. 

Ihr Wunsch ist doch verständlich oder? Wenn das alles nie passiert wäre, wäre sie ein anderer Mensch, ein weniger komplizierter Fall definitiv... Oder wenn sie Zlatan nie etwas von dem erzählt hätte - was wäre dann? Wäre es dann wirklich leichter?

Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen?

Genießt die Sonne,
eure Floraly ❤

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