59.

Meine Lieben, ich bin zurück! Ich habe lange gebraucht, um endlich wieder einen freien Kopf zu kriegen, um wieder was tippen zu können... Freut euch, es wird wieder aufregend!

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Die Wochen vergehen, der Schnee verschwindet, in Paris zieht nach und nach der Frühling ein, doch ich komme nicht zur Ruhe. Ohne zu wissen, wo Audrey steckt oder wie es ihr geht, werde ich nie zur Ruhe kommen. Auf dem Spielfeld wirke ich eingerostet und missmutig, das Kicken bereitet mir keine Freude mehr. Auch meine Wut kann ich komischerweise nicht kanalisieren. Früher machte mich das immer zu diesem Ausnahmestürmer, zu diesem Monster, das alles niedermähte. Doch jetzt? Davon ist nichts mehr übrig. Meine Gedanken kreisen unentwegt um Audrey, um die Frau, die ich verloren habe – um die Frau, die mein Herz mitgenommen hat. Schon viel zu lange habe ich kein Tor mehr erzielt, was mich früher unfassbar frustriert hätte, doch jetzt kümmert es mich nicht. Es ist mir egal. Es bedeutet mir nichts, wenn ich dieses Glücksgefühl nicht mit Audrey teilen kann, brauche ich es auch nicht. Mein Trainer und der Verein sehen das natürlich anders und machen allmählich Druck. Was mich auch nicht schert. Irgendwann habe ich es aufgegeben vor Audreys Tür zu warten, sie anzurufen oder sie zu suchen. Aber vergessen – vergessen kann ich sie nicht. Gestern habe ich ihr einen Brief in den Briefkasten geworfen, in der Hoffnung, dass sie ihn jemals lesen wird.

Gleichgültig stapfe ich aufs Spielfeld, blende die gröhlende Menge aus und scanne wie jedes Mal die Ersatzbank, in der Hoffnung, dass ich neben Dr. Dardys doch wieder Audreys blasses, aber so wunderhübsches Gesicht entdecken würde. Vergebens. Sie ist nicht da. Seufzend schüttle ich den Kopf und atme tief durch. Diese 90 Minuten werden auch vorübergehen, so wie die vielen Male vor Audreys Verschwinden. Heute ist es besonders schlimm. Ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren und werde bereits nach 28 Minuten heftig von einem gegnerischen Verteidiger gefoult. Die Wucht des Aufpralls reißt mich zu Boden, der Schmerz durchfährt mein rechtes Knie und ebenso flammend meine Schulter. Ächzend bleibe ich liegen, ringe nach Atem, versuche es wegzuatmen, aber es gelingt mir nicht. Unaufhaltsam frisst sich der Schmerz durch meinen Körper, in mein Hirn, lässt mich verzerrt aufstöhnen und mit geballten Fäusten auf den Rasen hämmern. Der Kerl hat mich übel erwischt. Marco Verratti beugt sich besorgt über mich, erkennt an meinem Gesichtsausdruck, dass ich den Arzt brauche und von all dem danach kriege ich gar nicht mehr so viel mit. Das in einem solchen Fall übliche Prozedere folgt. Ich werde auf der Trage vom Feld getragen, damit der Doc mich untersuchen kann. Er entscheidet wie immer schnell und erklärt mir, dass er sich das in der Klinik ansehen müsse. Ich nicke benommen. Ob mein Kopf auch etwas abbekommen hat, kann ich nicht sagen. Der Schmerz lähmt meine Gedanken. Mir ist übel und ich schließe die Augen, während ich im Behandlungsraum der Klinik auf Dr. Dardys warte. Die Untersuchungen ziehen sich hin, das Ergebnis ist ernüchternd. Um eine OP komme ich zwar herum, aber nur mit der Prämisse, dass ich mich an Dr. Dardys Behandlungsplan halte. Ruhighalten, nur wenig Belastung nach gewisser Zeit. Meine Laune ist damit endgültig im Keller. „Können Sie nicht mein Knie operieren und dann bin ich schneller wieder fit?", will ich genervt wissen, worüber der Doc schmunzelt. „Ungeduldig wie immer. Zlatan, du hast Bänderanrisse, dein Körper sollte stark genug sein, das selbst zu reparieren, wenn wir nach einigen Wochen nicht den gewünschten Erfolg sehen, werden wir operieren. Okay?" Enttäuscht nicke ich. Er wird wissen, was er tut, aber ich weiß, diese Saison steht unter keinem guten Stern für mich. Gefrustet humple ich mit Schiene und Krücken zum Ausgang, als ich endlich gehen darf. Ausnahmsweise nehme ich den Hauptausgang und komme so an einer großen weißen Tafel vorbei, auf welcher scheinbar der Dienstplan der aktuellen Woche niedergeschrieben ist. Erst streift mein Blick die Buchstaben nur zufällig, doch dann bleibe abrupt stehen und starre dorthin. ‚A. Waiser' – dieser Name lässt meinen Atem stocken und taucht in dieser Woche am heutigen Tag auf. Vorher nicht. Verwirrt schaue ich auf die Tafel, als könnte sie mir meine vielen Fragen beantworten. Audrey, schießt es mir durch den Kopf. Sie ist wieder hier?! Wie verrückt hämmert mein Herz in meiner Brust, die Schmerzen sind wie weggeblasen und ich weiß nicht mehr, was ich tun wollte. Ich will Audrey sehen, jetzt!

Hastig bewege ich mich auf den Anmeldetresen zu, hinter dem wie üblich eine junge Krankenschwester sitzt und auf der Tastatur herumtippt. Sie hebt lächelnd den Kopf und strahlt mich an. „Ja? Was kann ich für Sie tun?" „Dr. Waiser? Ist sie, ist sie hier?", stoße ich hervor und fixiere die junge Frau eindringlich. Sie blättert in einem Buch, welches über Kopf wie ein Kalender wirkt. „Hmmm, ja. Seit heute wieder. Möchten Sie sie sprechen?" Die Kleine hat keinen blassen Schimmer, sehr gut. „Ja, bitte", nicke ich und versuche ruhig zu wirken, was ich innerlich nicht bin. Ruhig. Ich bin alles, nur nicht das. Audrey wird ausgerufen und mein Puls beginnt zu rasen, als sich einige Minuten später eine Tür im Gang hinter mir öffnet und Audrey im Flur erscheint. Ihr entspannter Gesichtsausdruck wird schlagartig von Entsetzen abgelöst und sie macht auf dem Absatz kehrt, ohne sich auch nur in meine Richtung zu bewegen. Nein, du wirst nicht wieder weglaufen, denke ich verbissen und setze an ihr zu folgen. „Audrey!", rufe ich ihr hinterher, doch sie ist im Vorteil, durch mein lädiertes Knie, dass sich beim Versuch schneller zu gehen schmerzhaft in Erinnerung bringt. „Audrey!", brülle ich verzweifelt, da ist sie schon verschwunden.

Atemlos bleibe ich in dem weißen, sterilen Gang zurück. Wende meinen Blick nicht von der Ecke ab, um die sie geflüchtet ist. Noch immer rast mein Herz, ich bekomme kaum Luft. Sie ist wieder da und sie sieht erholt aus, nicht ehr so ausgemergelt und zerbrechlich. Sie sieht gut aus, als würde es ihr gutgehen. Meine Audrey ist wieder da, meine Audrey.

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# Audrey #

Nein verdammt! Bereits in meiner ersten Schicht laufe ich ihm in die Arme?! Das kann nicht wahr sein! Ich bin gerannt, als wäre der Teufel hinter mir her, so sehr bin ich jetzt außer Atem. Gott, was habe ich mich erschrocken, als ich Zlatan dort stehen sah. Die junge Schwester am Empfang weiß wohl noch nicht, dass ich allen strikt untersagt hab, ihn darüber zu informieren, dass ich wieder hier bin – er sollte es nicht wissen. Mit dieser Entscheidung habe ich meine Stelle als Monsieur Dardys Assistentin bei PSG natürlich in den Sand gesetzt. Doch mir war nichts anderes übrig geblieben. Ich kann Zlatan nicht so einen Brief schreiben und dann wieder das Team mitbetreuen. Dr. Dardys war zwar froh, dass ich mich nach meiner längeren Pause doch dazu entschloss, meine Residency hier zu beenden, und schluckte vorerst auch meinen Wunsch, mich von jedweder Behandlung abzuziehen, die mit Ibra zu tun haben könnte. Somit auch von der Teambetreuung des Fußballvereins. Ich glaube, insgeheim hofft er, dass ich es mir doch noch anders überlege und ihn bald wieder begleite, doch das wird nicht passieren. Ich weiß, dass es mir nicht gut tun würde, wenn ich wieder in Zlatans Nähe wäre – deshalb bleibe ich dabei, egal wie schwer es werden wird. Zlatan ist kein schlechter Einfluss, doch ich kenne mich, mich und mein sich noch immer nach ihm verzehrendes Herz. Ich würde wieder weich werden und wenn ich dann wieder einen Rückfall habe, reiße ich ihn wieder mit in den Abgrund. Lu unterstützte meine Entscheidung anfangs noch, konnte wohl irgendwie nachvollziehen, was ich damit erreichen wollte, Zlatan so von jetzt auf gleich aus dem Weg zu gehen. Doch jetzt, wo ich wieder hier arbeiten werde, schüttelt sie nur noch en Kopf. Wieder höre ich ihre Stimme. „Das ist bescheuert! Ihr werdet euch natürlich über den Weg laufen! Wirf doch deine Karriere nicht weg, nur weil der Mann dir was bedeutet. Das ist so irrational! Du kannst beides haben, es geht dir gut! So gut wie noch nie! Wieso erklärst du es ihm nicht und spielst endlich mal mit offenen Karten? Er würde es verstehen und dir sicher auch verzeihen. Du bist ihm nicht egal und er dir auch nicht, das weiß ich doch!" Immer und immer wieder redete sie auf mich ein, ohne Erfolg, ich blieb stur. Mit dem Ergebnis, dass ich mich jetzt nicht traue das Klinikum zu verlassen, weil er ja auf mich warten könnte. Seufzend schlüpfe ich in meine Jacke und schaue in den Spiegel, bevor ich die Umkleide verlasse.

Die dunklen Augenringe sind verschwunden, meine leichenblasse Haut ist wieder rosig und meine Wangen wieder voller. Ich ähnle wieder mir selbst, was mir gefällt, aber es ist gleichzeitig ein wenig unwirklich – wieder hier zu stehen und mein Spiegelbild zu betrachten, welches dem von vor einigen Monaten nicht mehr ähnelt. Kopfschüttelnd krame ich die kleine Dose aus meiner Tasche, schlucke die kleine Pille und spüle den bitteren Geschmack mit einem Schluck Wasser hinterher. Angewidert verziehe ich das Gesicht. Nur langsam verschwindet der Geschmack auf meiner Zunge und ich entspanne mich wieder. Nach einem letzten Blick in den Spiegel raffe ich mich auf und mache mich auf den Weg hinaus. Freundlich wünschen mir alle Kollegen, denen ich begegne einen schönen Feierabend. Niemand scheint sich daran zu stören, dass ich jetzt schon gehe. Im Gegensatz zu früher sind meine Schichten gekürzt worden. Dr. Dardys hatte darauf bestanden. Er akzeptierte da keine Widerworte meinerseits. Ich befürchte, dass das auf Dauer Ärger mit den anderen Assistenten bedeuten könnte, diese Sonderbehandlung, aber ich bin dennoch froh darüber. Diese 72-Stunden-Schichten haben mich zusätzlich zerstört und so habe ich die Hoffnung, dass ich es dieses Mal schaffen könnte. Mental gestärkt und mit etwas weniger Belastung. Durch diese Änderung wird sich meine Residency zwar verlängern, damit habe ich aber prinzipiell kein Problem. Ich will erstmal abwarten, wie es laufen wird, bevor ich mir Gedanken mache, ob ich damit wirklich einverstanden bin.

Kurz zögere ich, bevor ich durch die großen, automatischen Schiebetüren auf die Straße hinaustrete. Vorsichtig schaue ich mich um. Zlatan kann ich nicht entdecken, worüber ich erleichtert ausatme. Der laue Wind des milden Frühlingsabends streichelt meine Wangen und ich gehe absichtlich noch Stück zu Fuß, bevor ich in die Metro steige und nach Hause fahre. Dort angekommen, gönne ich mir eine heiße Dusche und bereite mein Abendessen vor. Essen gehört endlich wieder zu den festen Ritualen in meinem Leben. Ich habe wieder Freude daran und probiere neue Rezepte aus. Als ich dann später auf der Couch sitze, sehe ich meine Post durch. Erschrocken erkenne ich Ibras Handschrift auf einem der Briefumschläge. Sofort beginnt mein Herz wieder zu rasen. Hin- und hergerissen starre ich auf den weißen Umschlag in meinen Händen. Nach einem Moment des Nachdenkens reiße ich ihn doch auf.

„Liebste sessa,

ich kann dich nicht vergessen. Egal wie viel Zeit vergeht, ich kann dich nicht vergessen, dein wunderschönes Lächeln, deine weichen Lippen, das, was du mit meinem Herzen gemacht hast. Mit mir. Ich wäre bereit, dir so viel Zeit, wie auch immer du brauchen wirst, zu geben – wenn ich dich doch nur wiedersehen dürfte. Keinerlei Ansprüche stelle ich an dich, ich verlange nichts – nur komm bitte wieder zurück und sag mir, was ich tun kann, damit du mir glaubst, dass du mich nicht in einen Abgrund zerrst, sondern das Einzige bist, was mich frei atmen lässt. Audrey, ich kann nicht ohne dich. Seit du verschwunden bist, gibt es mich irgendwie auch nicht mehr. Du hast mir das gegeben, was ich wohl immer gesucht hatte, aber nie wusste, dass ich es überhaupt gesucht habe.

Bitte, komm zurück und lass mich wieder in deine ozeanblauen Augen schauen, die im Sonnenlicht so leuchten. Mein Herz krepiert ohne dich, ich verrecke allmählich und will mich nicht dagegen wehren – wenn ich nicht bei dir sein kann. Alles ist bedeutungslos geworden – ohne dich.

Jeden Tag bete ich, dass es dir gut geht, dass du Hilfe gefunden hast und deinen Weg gehst. Wenn auch ohne mich, aber das ist eigentlich das Einzige, was ich mir wirklich wünsche – neben der Tatsache, dass ich dich wiedersehen möchte – dass es dir gut geht. Nur das. Dass es meiner Kleinen gut geht.

Wenn es in deinem Herzen noch einen winzigen Rest von dem gibt, was du mit mir geteilt hast, wenn ich dort noch einen kleinen Platz habe, wenn es noch einen Funken Hoffnung gibt – dann bitte lass uns es nochmal versuchen. Ich würde alles für dich aufgeben, nur um bei dir sein zu können. Wir können komplett von vorn anfangen, was auch immer du willst. Ich vermisse dich so sehr, sessa. So, so sehr.

In Liebe, dein Zlatan"

Mit Tränen in den Augen verlässt meine Kehle ein Keuchen. Zlatan. Wenn du nur wüsstest, wie sehr ich dich vermisse, wie sehr du mir fehlst, wie viele Male ich mich in den Schlaf geweint habe, weil ich so verzweifelt war und du nicht neben mir lagst. Schmerzhaft verkrampft sich mein Herz, es erinnert sich bei Zlatans Worten daran, was er mir gegeben hat, was er zum Leben erweckt hat. Der Takt meines Herzschlags wird unregelmäßig, meine Hände beginnen zu zittern und ich schnappe mir schnell die angebrochene Tablettenpackung auf meinem Wohnzimmertischchen, drücke eine Tablette aus dem Blister und würge sie ohne Wasser hinunter. Es dauert nicht lang, dann ebbt die aufkommende Panik ab und ich kann mich wieder kontrollieren. Dennoch sind meine Hände schweißnass und ich spüre, dass mein Gesicht glüht – und dass ich weine. Meine Wangen sind feucht, von den großen Tränen, die sich ihren Weg bis zu meinem Kinn gebahnt haben. Was soll ich bloß tun? Wie soll ich das schaffen? Ich werde Zlatan nie vergessen können, egal wie weit ich mich von ihm entferne. Er wird immer ein Teil meines Herzens bleiben. Immer. Denn entgegen seiner Annahme ist es nicht nur ein kleiner Teil, den er in meinem Herzen einnimmt - kein kleiner Teil.

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Hui, da wirds ja gleich emotional beim Wiedereinstieg, was?! Audrey ist zurück, Zlatan will nicht wirklich aufgeben - werden die beiden wieder zueinanderfinden?  Sollen sie das überhaupt?

Ich hoffe sehr, dass euch das Pitel gefallen hat und freue mich auf eure Reaktionen.

Fühlt euch umarmt,

eure Floraly <3

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