Kapitel 04 - Gefangen
"Was meinte sie nur mit "schon wieder"...?", fragte ich mich selbst. "Die Antwort muss wohl in der Vergangenheit liegen..", zu meinem Pech hatte ich daran genau so viele Erinnerungen wie an den Grund meiner blutigen Verletzungen; gar keine.
Nachdem ich den Tee fünf Minuten habe ziehen lassen, warf ich den Teebeutel samt Verpackung in den Müll, nahm die Tasse, setzte mich auf das Ecksofa und stellte die Tasse auf dem kleinen Tisch vor mir ab. Leise seufzend legte ich mich hin und blickte mit einem nach und nach immer emotionsloser werdendem Gesichtsausdruck an die Decke. Ich konnte spüren, wie sich langsam eine unangenehme Leere in in mir ausbreitete. An die Decke starrend verweilte ich so noch gefühlte Stunden. Es war einfach nichts. Keine Gedanken, keine Gefühle, nichts. Die Zeit schien angehalten zu sein, ich vergaß alles um mich herum, die verschiedenen Eindrücke schienen zu verschwimmen. Es war als wäre ich in einer anderen Welt gefangen. In einer Welt, die meine Seele mit ihren scharfen Krallen nach und nach langsam aufschneiden würde, mit jedem der vielen Schnitte qualvoll einen Teil von ihr öffnen und meine Emotionen herausreißen würde.
Doch wie sehr wurde ich schon verletzt? Wie viele Wunden trug meine Seele? Und wie lange brauchte es, bis diese sich letztendlich als Narben verewigten?
Zu viele Fragen, die mich jeden Tag beschäftigten, jedoch zu wenig Klarheit, als dass ich mir Antworten hätte erschließen können.
Der Vibrationston meines Handys ließ mich wieder in die Realität zurückkehren. Erschrocken setze ich mich ruckartig auf und sah mich erstmal um. Ich erkannte die vertraute Umgebung wieder, was mich kurz erleichtert aufatmen ließ. Als der Ton noch einmal ertönte, suchte ich mit meinen Augen nach dem Gerät. Letztendlich befand es sich in der Tasche meines dunkelgrauen Hoodies. Ich nahm es in die Hand und entsperrte es. 264 WhatsApp Nachrichten. 66 davon stammten aus der Klassengruppe, die restlichen 198 von Nagisa. Warte... Von Nagisa?
198 Nachrichten und zwei verpasste Anrufe. Und ein dritter Anruf. Ich nahm nach kurzem Überlegen ab.
"Endlich!", ertönte Nagisas Stimme, aus welcher ich einen erleichterten Unterton heraushören konnte.
"Erklärung für die 198 Nachrichten und zwei verpassten Anrufe, Nagisa-Chan?", antwortete ich mit einem provokanten Grinsen auf den Lippen, welches er leider nicht sehen konnte.
"Hör auf mich so zu nennen." schmollte er.
"Jajaja, Nagisa-Chan~
Bekomm ich meine Erklärung?", sagte ich, während ich mir bildlich vorstellte, wie rot er sein musste.
"Uhm... Das... Ich hab mir Sorgen gemacht..!", stammelte er, woraufhin ich schmunzeln musste, da der leicht nervöse Klang seiner Stimme die Vorstellung provozierte, noch deutlicher zu werden.
"Ahaha, wie süß~", säuselte ich amüsiert, wurde danach jedoch wieder ernster, als ich fortfuhr.
"Nun ja, ist sonst noch was?"
"Nein. Also, ja. Ähm... Ja. Ja, es ist noch was."
"Ich höre?"
"Also, wir sollen in Partnerarbeit eine sehr ausführliche Präsentation über ein Thema unserer Wahl halten. Der Vortrag soll wenigstens eine Viertelstunde lang gehen. Dabei sollen wir das Thema erklären und beschreiben, sowie eine Powerpoint Präsentation und dazu noch ein Plakat machen."
"Hm, hört sich nach viel Arbeit an."
"Wird es wohl auch sein", er stoppte kurz. "Laut Korosensei sollen wir uns am besten außerhalb des Unterrichts mit dem Vortrag befassen."
"Dient wohl auch dazu, die Klassengemeinschaft zu stärken, hm?"
"Ja, scheint so", Nagisa legte eine kurze Pause ein, bevor er weiter sprach. "Uhm, sollen wir uns dann einfach mal treffen?"
"Können wir machen. Kommst du zu mir? Bin momentan sowieso alleine."
"Geht klar. Wie spät?", fragte er, woraufhin ich auf eine große digitale Uhr blickte, die an der Wand rechts von mir angebracht war.
04:11 p.m.
"Hm... Halb fünf?" stellte ich die Gegenfrage.
"Okay, gut. Dann bin ich um halb fünf bei dir."
"Bis dann." und schon legte ich auf.
Nach dem Telefonat fühlte ich mich tatsächlich schon etwas besser. Ich griff nach der Tasse mit dem Kirschblütentee, welcher mittlerweile nur noch lauwarm war. Ich hielt mir die Tasse an den Mund und trank einen großen Schluck. Ich roch den, meiner Meinung nach angenehme Duft des Tees, sodass ich noch einen Schluck nahm. Ich stellte die Tasse wieder auf die hellgarue, runde Holzoberfläche des Couchtisches und stand vom Sofa auf. Kurz danach lief ich schnell zur Treppe und diese hinauf zu meinem Zimmer. Ich sperrte die Tür auf und lief zu meinem Schrank, dessen Türen ich öffnete und nach irgendwelcher schwarzen Kleidung griff. Mit den Sachen ging ich in den Bereich, der die ziemlich geräumige Dusche darstellte und legte sie auf eine dafür gedachte Ablage. Mit der Handfläche betätigte ich den Lichtschalter für die Lichter in der Dusche, welche den vergleichsweise kleinen Bereich in ein hellblaues Licht tauchten. Ich zog mich aus und legte die Sachen zu den anderen. Das Wasser fing an aus dem Duschkopf zu laufen, als ich den Mechanismus dazu aktivierte. Mit einer kurzen Handbewegung an der Regulierung für warmes beziehungsweise kaltes Wasser stellte ich das Wasser wärmer, sodass es mir in einer angenehm warmen Temperatur über die Schultern prasselte. Das größte Problem dabei war wohl, dass das Wasser die Verbände aufweichte.
Immerhin habe ich so einen Grund, sie abzunehmen und mir die Verletzungen anzusehen.
Nach zehn Minuten war ich aus der Dusche draußen und hatte mich umgezogen.
Zu meinem Glück konnte ich mich etwas von der misslichen Lage, in die mich diese Leere gebracht hatte, ablenken.
Nun stand ich in einem schwarzen T-Shirt und schwarzer Jeans mit einer Verbandrolle vor dem Spiegel im Bad und sah mir die Schnittwunde an meinem Hals an. "Hm...", nachdem ich einen kurzen Blick auf die Stichwunde an meiner Hand geworfen hatte, schnitt ich etwas von dem Verband ab und verbund zuerst meine Hand, danach war mein Hals dran.
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