Kapitel 50
Es waren zwei Tage vergangen. Um auf die Toilette zu gehen, wurde ich raus gelassen und auch, um mit Michele zusammen zu essen. Aber ich blieb immer im Keller. Das Sonnenlicht hatte ich seitdem nicht mehr gesehen.
Ava war anscheinend bei Alex. Michele hatte ihr aufgetragen zu behaupten, ich wäre alleine und betrunken in ein Taxi gestiegen. Aber ich konnte nur hoffen, dass er seiner Schwester nicht glaubte. Aber er würde Ava alles glauben, dafür liebte er sie zu sehr.
Letzten Abend hatte ich ein Telefonat zwischen Michele und Ava mitbekommen. Sie hatte dabei erzählt, dass Alex sie zurück nach Amerika schicken wollte, um sie zu schützen. Wenn er nur wüsste, was seine Zwillingsschwester getan hatte. Sie wollte wohl so tun, als würde sie zurück fliegen, aber anstelle es wirklich zu tun, wollte sie zu Michele zurückkommen und bei ihm wohnen.
Nach dem Gespräch war Michele mehr als nur genervt gewesen. Hatte gehofft Ava leicht loszuwerden, in dem sie einfach auf ihren Bruder hören würde, aber das tat sie nicht. Sie liebte Michele wirklich, dabei benutzte er sie bloß. Ich wollte sie gerne beschützen, aber sie würde mir eh nicht glauben.
"Guten Morgen, anima mia", hörte ich Michele hinter mir, "Meine Männer haben gesagt, dass du bereits im Bad warst und geduscht hast. Ich hoffe die Kleidung, die ich dir rausgesucht habe, gefällt dir."
Es war nichts besonders, an den Sachen. Eine beige Hose, eine hellblaue Bluse und rosane Ballerinas. Nichts was ich sonst tragen würde, aber was für eine Wahl hatte ich denn? Es waren saubere Sachen und nicht so freizügig, wie das kurze Kleid, dass ich im Club getragen hatte. Ich tat alles, um Michele zu gefallen. Meine Hoffnung war, dass er mir irgendwann genug vertrauen würde, dass ich von hier verschwinden konnte.
"Guten Morgen, vita mia. Ja, sehr schön, Dankeschön", antwortete ich also lächelnd.
"Das ist gut. Meine wunderschöne Lady darf doch nicht unglücklich sein", lächelte er ebenfalls. Plötzlich aber verzog sich sein Gesicht, "Ava kommt heute zurück. Ich werde sie von hier Fernhalten, damit sie dir nicht wieder weh tut, aber ich kann nichts versprechen."
"Was wirst du mit ihr tun? Ich dachte, ich wäre deine Lady. Trotzdem sitze ich hier unten im Keller, während sie sich frei im Haus bewegen kann", gespielt enttäuscht sah ich den schwarz haarigen Mann vor mir an.
"Das wird sich bald ändern. Mach dir keine Gedanken", versuchte Michele mich zu besänftigen. Sanft drückte er mir einen Kuss auf die Stirn, "Ich lasse dir ein paar Bücher und einen MP3-Player runter bringen. Dann hast du ein bisschen Ablenkung, bis wieder komme."
Und wieder verließ er mich. Seine Antwort auf meine Frage beunruhigte mich. Was hatte er nur mit meiner besten Freundin vor? Ja, sie hatte einen Fehler gemacht. Sie hatte dem falschen Mann vertraut, aber dafür sollte er sie doch nicht umbringen! Auch wenn ich mich mittlerweile fragte, ob nicht alles von ihrer Seite aus gespielt war. Immerhin hasste sie mich so sehr, dass sie mich entführte. Dabei dachte ich immer, sie würde mir vertrauen. Zumindest so sehr, wie ich ihr auch vertraute. Mit dieser Einschätzung lag ich wohl falsch.
Quietschend öffnete sich die Tür zu meinem Gefängnis. Verwirrt sah ich auf. Vor mir stand einer der Wachen, die normalerweise meine Tür bewachten.
"Michele meinte ich sollte dir ein bisschen Gesellschaft leisten, damit du nicht so alleine bist", erklärte sich der breitschultrige Mann. Er war Mitte bis Ende dreißig und hatte blonde Locken, die sein Gesicht umarmten. Als Kind muss er wie ein kleiner Engel ausgesehen haben. "Ich bin Emilio."
"Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Aurora, aber das wusstest du schon." Unsicher zeigte ich auf die zwei Stühle, die an einem kleinen Tisch in meiner Zelle standen. Nachdem Ava weg war, hatte Michele immer mehr Möbelstücke hier rein bringen lassen, damit es zumindest den Anschein eines gemütlichen Zimmers machte. Auf dem einfachen Holztisch stand eine Vase mit rosane Rosen. Michele hatte sie mir geschenkt. Die Farbe rosa steht bei Rosen für Schönheit und Verliebtheit. Weder empfand ich das, wenn ich an Michele dachte, noch mochte ich rosa farbene Rosen. Ich wollte meine orange roten von Luca bekommen. Diese stehen für Freude und Glück, was ich in diesem Moment wirklich vermisste.
"Weißt du etwas davon, was dort draußen vor sich geht?", fragte ich vorsichtig nach. Ich wollte nicht zu aufdringlich sein und versuchte mir meinen Fragen bedacht vorzugehen. Emilio sollte nicht an Michele weiter erzählen, dass ich ihn ausgefragt hätte oder irgendetwas negatives, was Michele gegen mich aufbringen könnte.
"Ava kam vor etwas zehn Minuten an. Sie zieht gerade in ihr Zimmer und scheucht die Angestellten von Michele herum. Aber deine Familie macht es Michele gerade besonders schwer. Er hatte die Hoffnung, dass sich jetzt alle gegenseitig zerfleischen, wenn du weg bist. Aber sie arbeiten alle zusammen. Deine Familie, dein Mann und die Morettis. Sie gehen alle gemeinsam als eine geschlossene Front vor. So war das nicht geplant. Aber erwähne das nicht vor Michele. Er ist sehr gereizt deswegen. Nur wenn er hier unten bei dir ist, ist er beherrscht und freundlich. Wenn er wüsste, dass du es weißt, wäre das etwas anderes. Ich will mir nicht ausmalen, wie er dann zu dir wäre", flüsterte Emilio mir zu. Flüchtig sah er sich um, ob nicht doch jemand ihn hören konnte, obwohl wir alleine in diesem Raum waren. Panisch sah ich ihn an.
"Wieso erzählst du mir das?", fragte ich ängstlich. Was bewirkte er damit? Wollte er mein Vertrauen, um mich an Michele auszuliefern? "Er wird dich dafür bestrafen, wenn Michele hört, dass du das erzählt hast."
"Du hast meinem kleinen Bruder das Leben gerettet."
Verwirrt sah ich ihn an. Wie kam er denn auf so etwas.
"Du bist Raphael. Michele hat uns erzählt, was du getan hast. Einer von deinen Patienten war mein kleiner Bruder. Ich habe mich freiwillig hier postieren lassen, als ich erfahren habe, wer du bist. Ich stehe hier nicht, um dich gefangen zu halten, sondern um dich so weit zu beschützen wie ich es kann", vertraute der Mann mir an.
Ich sagte nichts. Was hätte ich auch sagen können. Ich hatte so vielen Menschen geholfen, auch bei kleinen Verletzungen. Ich konnte mich nur an ganz wenige Gesichter erinnern.
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