63.Margaretha

Wir vernahmen das Quietschen des Tores und wussten, wir bekamen wieder Zuwachs. Die Halunken hatten erneut ein weiteres Mädchen entführt. Ich wollte mich zur Tür stellen, um den sicher verängstigten Neuankömmling nett zu begrüßen, doch ging alles viel zu schnell. Die Flügeltüren schwangen auf und vor den zwei Entführern wurde ein schwarzhaariges Mädchen in den Raum gestoßen. Sie fiel auf ihre Knie und blieb dort eine Weile beleidigt hocken. Ich wollte schon zu ihr gehen, vielleicht war sie ernsthaft verletzt, oder die Kerle hat ihr sonst was angetan, aber plötzlich drehte sie sich zu meiner Überraschung um und fing an wie ein Rohrspatz zu schimpfen. Man könnte fast meinen, dass all der angesammelte Zorn auf einmal aus ihr herausbrach. 

„Ist das eine Art? So behandelt man keine Frau! Hat euch denn nie jemand Marineren beigebracht?" Sie stand auf und zeigt auf ihre Knie. „So wollt ihr mich verkaufen, nicht euer Ernst, oder? Mit Schürfwunden auf beiden Knien!" Das Mädchen mit den schwarzen Zöpfen war ganz schön in Rage und irgendwie ... ich wusste nicht ganz woher, kam mir ihre Stimme bekannt vor. „Du liebes Bisschen, eure Kunden kaufen sowas?" Sie wies, wie ich von hinten erkennen konnte, abermals auf ihre Blessuren. „Was sind das den für Welche? Bauern, die sowieso kein Geld haben? Ihr verkauft uns an das gemeine Volk? Oh Gott, ... nie im Leben." Jetzt warf sie ihre Zöpfe keck auf den Rücken und baute sich vor den verdutzten Männern auf. „Ich will ein Leben in einem angesehenen Hause. Adelige haben eine viel höhere Lebensqualität und verstehen zumindest ein wenig das Gemüt der Frauen!"

Bewundernswert. Natürlich gab es vor ihr schon einige junge Damen, die sich auflehnten, doch alle hatten schlussendlich zu viel Angst vor dem Zorn der Entführer. Sie aber stampfte trotzig mit dem Fuß auf, drehte sich auf der Stelle herum und kickte mit dem Absatz ihres hohen Schuhes, in die Schienbeine der Halunken. Dann schnaubte sie und kam langsam auf uns zu. „Henrietta, warte doch mein Täubchen. Die Grobheiten kannst du dir für später sparen. Sei ein liebes Kind und beruhig dich wieder!" rief ihr der eine hinterher, während der andere einfach nur meinte: „Ach komm Bert, so sind die Weiber manchmal, die muss nur wieder runterkommen." „Henrietta", murmelte ich und sah in das Gesicht der Neuen. Mein Herz setzte ein paar Schläge aus und ich schlug meine Hände vor den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen. Erst als uns die Bewacher alleine ließen, lief ich auf die Person zu und versuchte so unauffällig wie möglich zu reagieren. „Soll ich deine Wunden versorgen?" dann murmelte ich leise: „Henry, ... um Gottes Willen, ... du bist hier? Und das ... zum Geier ... als Frau?" Er beugte sich zu mir herunter und zog mich in eine leichte, unauffällige Umarmung. „Margaretha ... endlich hab ich dich, ... euch gefunden. ... Geht es dir gut?" Ich nickte und blickte dem verkleideten Mann ins geschminkte Gesicht. „Ja, ... es ist alles gut, ... jetzt ist alles gut", schluchzte ich nun doch vor Freude und wischte hastig die Tränen weg. „Alles was nun zählt ist es hier heraus zu kommen. Vertrau mir, ... ich weiß was ich tue", versuchte er mich zu besänftigen, spielte mit seinen Haarzöpfen und zwinkerte mir zu. „Du siehst wirklich ... toll aus, ... aber als Mann gefällst du mir tausend, nein zweitausend Mal besser." Auf meinen Kommentar hin lachte er. „Danke schön, ... dacht schon ich müsste jetzt für immer eine Frau bleiben, weil ich so besser aussehe." Er grinste und ich stimmte vorsichtig in das Gelächter mit ein. „Alles andere später, ja?" ich sah in dankbar an und wir wandten uns den anderen Mädchen zu. Sie sahen zum Teil ein wenig verschreckt aus, aber nicht alle. 

„Henrietta ist also dein Name? Kennst du unsere „Haushälterin so gut?" Die Worte kamen von Kate. Sie war eine schwierige Person, weshalb sie auch noch immer hier war, weil sie keiner haben wollte. „Haushälterin? Was meinst du damit? Wir sitzen hier doch alle in einem Boot. Oder wie soll ich das verstehen", meinte Henry entrüstet und näherte sich Kate mit einem abfälligen Blick. „So ganz stimmt das nicht", belehrte sie die „Neue" wieder. „Im Gegensatz zu ihr, müssen wir uns jedes Mal stundenlang herrichten und aufputzen, damit wir nach Alter und Grüße aufgestellt werden und man uns wie Vieh auf dem Markt beschaut. ... Nur sie ist davon ausgenommen." Er ignorierte ihre Hochnäsigkeit und meinte nur: „Ich verstehe, ... du würdest also gerne mit ihr tauschen. ... Aber ... was macht es für einen Unterschied? Ihr habt alle eine Familie, seid gefangen und könnt nicht nach Hause." Auf diese Worte hin, trug sie ihre Nase noch etwas höher. „Sie ist eben eine bescheuerte Ziege, die sich bei den Männern mit ihrem köstlichen Essen eingeschleimt hat." Ich konnte ihr den Ärger nicht mal verdenken, doch mit ihrer Art fand sie hier wirklich keine Freunde. Ich beschloss mich nun auch mal zu Wort zu melden, um mich zu verteidigen, doch dies war nicht mehr nötig. Henry baute sich vor Kate auf und wechselte einfach das Thema. „Ich weiß wie wir hier rauskommen, vertrau mir, ja?" Und diesen Satz sprach er nicht mit verstellter Stimme, aber mit so einer Überzeugungskraft, dass niemand daran zweifelte, selbst die aufmüpfige Lady nicht. Sie alle machten nur große Augen und warteten auf die nächsten männlichen Worte der Neuen. Ich lächelte verliebt, so war er, Henry, der Mann der gekommen war um uns, mich zu retten.

Doch selbst ein großer Retter brauchte einmal eine Pause vom, in diesem Fall „Frau sein". „Oh Gott, das verdammte Korsett erwürgt mich noch. ... Wie könnt ihr sowas nur tragen?" nörgelte er und zog an den Schnüren. Somit erwachten auch die anderen Mädchen wieder aus ihrer Verblüfftheit und begannen zu kichern. „Warte, ... ich helfe dir", bot ich an, doch hielten mich seine Hände davon ab. „Ich bin mir nicht sicher, aber es dauert zu lange das ganze wieder anzuziehen. Was wenn die Kerle hereinkommen?" Berechtigte Frage. Ich überlegte: „Heute ist Sonntag, also denke ich nicht, dass ein Kunde kommt. Außerdem haben wir den Herren so viel Anstand beigebracht, an der Tür zu klopfen, bevor sie eintreten. Du kannst dich also jederzeit in eine Decke hüllen." Das Kichern im Hintergrund wurde lauter. „Na dann, ... befrei mich." Ich zog an der Schleife auf seinem Rücken, löste das Korsette, so das es über seine Hüfte glitt und seinen durchaus männlichen Oberkörper entblößte. Nun hatten es auch die Letzten mitbekommen. „Henriett..., ahhh ... seht nur ..., Himmel wir sind gerettet!" riefen sie durcheinander und ich musste sie besorgt zur Ruhe bringen. Erst als ich mich umdrehte starrte ich ungläubig auf seine jetzt entblößte Brust. Dort zierte sein Schlüsselbein entlang eine Brandnarbe. Hatten die Leute aus der Wäscherei ihm das angetan? Ich war bestürzt, er musste so viele schlimme Dinge durchleben und stand trotzdem nun vor uns und grinste Kate lässig mit seinem noch geschminkten Gesicht und der schwarzen Perücke an, die natürlich sofort versuchte meinem Henry schöne Augen zu machen: 

„Hey, ... du bist in der Tat keine Frau, nicht wahr?" „Ganz recht meine Liebe", gab er zurück und registrierte weitere neugierige Blicke der restlichen Mädchen. „Margaretha? Hast du irgendetwas, um mich zu ... bedecken?" „Oh ja, ... natürlich." Ich lief schnell zum Schrank und holte ein paar alte Hemden, die die Entführer uns zum Flicken gaben. Als mein Held sich angezogen hatte, erklärte er mit ernster Stimme: „Meine Damen, damit dies hier klappt, brauche ich die Hilfe von jeder von euch. Darum bitte ich euch, kommt zur Ruhe und hört mir jetzt genau zu." Er sprach in einem dringlichen Ton und vermittelte somit den Ernst der Lage. Wir setzten uns alle auf den Boden und er erläuterte uns seinen Plan. Niemand, aber auch wirklich niemand störte ihn.

Kate war die erste die sich zu Wort meldete: „Danke, ... dass du hier bist und ... uns rettest." merkte sie sehr unterwürfig an. Alle nickten hoffnungsvoll. Als die Mädchen sich dann im Raum verteilten, nahm mich Henry zur Seite. „Ich habe sozusagen den Auftrag bekommen, dich ... nach Hause zu bringen. Mein Auftraggeber meinte: Du Henry, wenn du sooo alt und weise bist, bring doch bitte mein Schwesterchen zurück. Sie ist sicher ganz unglücklich dort." „Mein kleiner Jonathan, ... wie sehr ich ihn vermisse", schwärmte ich und lächelte verträumt, worauf mich mein Retter sanft an sich zog. „Margaretha, ... womöglich ist dies nicht der beste Zeitpunkt, doch ich schwor mir, es dir zu sagen, wenn ich dich wiedersehe. Wer weiß wann wir getrennt werden und ob unsere Pfade sich dann jemals wieder kreuzen." ich amüsierte mich über seinen vornehmen Ton, doch was er gleich sagte verschlug mir den Atem. „Ich kann kaum an etwas anderes denken als an dich, Margaretha. Ich werde auch nicht lange herumreden, nein ... ich liebe dich", die letzten Worte hauchte er mir sanft ins Ohr. Das Blut stieg mir zu Kopf und ich lief rot an. Er war möglicherweise ein ehemaliger Königssohn, könnte jede Adelige wählen, warum also gerade MICH? Innerlich spürte ich, dass mir die Antwort bereits bekannt war, denn in der Liebe gibt es keine Logik, sie kommt und schlägt zufällig ein. Das Glücksgefühl, das in mir herrschte, war unbeschreiblich. Henry und ich ...

Er lächelte verlegen. „Ich ... ich liebe dich auch "Sir" Henry." brachte ich so gut es ging mit Schmetterlingen im Bauch heraus. Für diesen Moment, als sich danach unsere Lippen sanft berührten, schien die Zeit still zu stehen. Alles war vergessen, die Entführung, die Mädchen um uns, die bevorstehende Flucht. Einzig und allein das Gefühl zählte, die Zärtlichkeit seiner Hände, die mich streichelten, die Wärme und der Duft seines weiblichen Parfums, Dinge, die ich niemals nie mehr in meinem Leben wieder vergessen würde.

Mou, so viel Kitsch, Kitsch, Kitsch und nochmals Kitsch XD Aber trotzdem!

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