62.Henry

„Scheiße! ... Das sieht verdammt gut aus", staunte ich erfreut und gratulierte mir selbst. Nachdem ich noch ein paar Informationen eingeholt hatte, machte ich mich also daran, meinen Plan umzusetzen. Der Gedanke dahinter, war lediglich der, dass ich zum Ort des Geschehens musste, um weitere Dinge heraus zu finden. So zupfte ich die Haare auf meinem Kopf zurecht, denn dank des Königs, war ich innerhalb weniger Tage an die richtige Ausstattung für diese Mission gelangt. In gewisser Weise hing nun wieder alles von meinen schauspielerischen Fähigkeiten ab. Ein Blick noch in den Spiegel, um alles zu prüfen, dann trat ich selbstsicher auf die Straße hinaus. Auf dem Weg zum Marktplatz, ich sorgte dafür so auffällig wie möglich zu sein, drehten sich einige Leute nach mir um. Wer konnte einer schwarzhaarigen Schönheit mit blasser Haut und roten Lippen, schon widerstehen? Und noch dazu, wenn sie so auffallend, fast schon provokanten Schrittes, durch die Straßen stolzierte. Ja ... ganz recht. Der einzige Weg, um die Entführer zu finden, war es mich entführen zu lassen!

So trug ich in aller Öffentlichkeit eine schwarze Perücke mit geflochtenen Zöpfen, schminkte meine Augenbrauen und Wimpern etwas dunkler und überdeckte die Bleichflecken auf meiner Haut mit Puder. Meine weiblichen Züge zeigten sich so durchaus hilfreich, ebenso mein schlanker Körperbau. Wobei ich zugeben musste, Probleme beim Anziehen des Kleides gehabt zu haben, da meine Muskeln mit dem Training sehr wohl etwas zunahmen. Ein extra geschneidertes Korsett, ehrlich ..., fragt mich nicht woher das kam, löste auch das Problem mit der nicht vorhandenen Oberweite.

„Hey, junges Fräulein! Du solltest lieber im Haus bleiben. Weißt du denn nicht, dass hier in der Gegend Mädchen entführt werden." Natürlich wusste ich das, war ja auch der Grund warum ich hier überhaupt so herumlief. „Ach wirklich, ... wie schrecklich. Warum tut denn niemand etwas dagegen? Man müsste den König informieren!" rief ich alarmiert aus und schlug mir gespielt verzweifelt die Hände vor den Mund. „Psch, nicht so laut", zischte einer der Händler und zog daraufhin ein besorgtes Gesicht. „Er hat Recht, du solltest wieder nach Hause gehen. Du bist sonst sicher eines ihrer nächsten Opfer."

Ich grinste, meine Verkleidung klappte ja hervorragend. „Ach nein das geht nicht. Meine Mutter ist krank und so muss ich die Besorgungen erledigen. Außerdem fürchte ich solche Entführer nicht! Schließlich bin ich eine starke Frau", verkündete ich kokett und blickte mit drolligen Augen in Richtung der Händler. Schnell hob dieser abwehrend die Hände, als ob er seine vorherigen Worte widerrufen wollte. „Aber, aber hübsches Fräulein. Ich habe nie behauptet, dass du das nicht könntest", lächelte er süß und fragte neugierig: „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Wie lautet dein Name?" „Henrietta ... wir sind aus dem nahen Wald an der Stadtgrenze gekommen. Meine Mutter hat es bisher bevorzugt, zurückgezogen zu wohnen, doch jetzt, mit ihrer schweren Krankheit, mussten wir in die Stadt ziehen, um sie besser behandeln zu können." Erklärte ich bemüht traurig, worauf die Männer sichtlich gerührt nickten. 

„Ach du armes Ding, was können wir dir den anbieten, um zu helfen? Brauchst du frische Feldgurken? Oder Stangensellerie? ... Warte, ich pack dir ein paar Sachen ein." Eifrig fing er an in einen Jutesack verschiedenste essbare Dinge zu packen. Der Händler am Nebenstand tat es ihm gleich. „Pass auf dich auf Mädchen, noch einen Verlust einer jungen hübschen Frau würde diese Stadt nicht verkraften", murmelte er. „Das ist sehr lieb meine Herren. Machen sie sich keine Sorgen, ich passe auf mich auf", versprach ich ihm und fühlte mich ein wenig schuldig, die beiden so übers Ohr zu hauen. Doch hey, ... niemand hatte darum gebeten mir Essen zu schenken. Ich verabschiedete mich höflich und setzte meinen Weg fort. Dies würde ich nun täglich machen, so dass irgendwann alle von meiner Existenz wüssten, unter anderem auch die Entführer.

Das Ganze artete zugegebenen Maßen ein wenig aus ... Es war fast schon peinlich, wie mir die ganzen Männer, egal ob jung oder alt, hinterhergafften. In ihren Augen war ich die weibliche Anmut in Person, so hübsch und graziös. „Oh seht mal, da kommt Prinzessin Henrietta!" Aber hallo? Muss ich da wirklich etwas dazu sagen? Ich war nicht mal eine Frau, verdammt!

Na ja, über Geschmack lässt sich ja, wie man sagt, streiten, darum betete ich um ein schnelles Ende. So viel Aufmerksamkeit wäre gar nicht nötig gewesen. Wie lange wollten diese Entführer noch warten? Ich wurde ungeduldig, denn zu der Zeit konnte ich nicht ahnen, dass die Halunken schon längst an meinen Fersen hingen und nur auf eine günstige Gelegenheit warteten, um die Falle zuschnappen zu lassen.

Schon in den Morgenstunden des nächsten Tages sollte es beginnen. Beim Verlassen des Hauses, in dem ich vorübergehend wohnte, lauerte mir jemand hinter einer Ecke auf. Wenn ich keine Trainingseinheiten in Selbstverteidigung gehabt, und somit Arthurs immense Stärke immer wieder zu spüren bekommen hätte, wäre dieser Angriff sicherlich überwältigend gewesen. Von Hinten gepackt, drückte ich meine Arme auseinander und stieß mich von ihm ab, so dass ich mit einem Ruck nach vorne geschleudert wurde. In der Schnelle der Bewegung, wäre mir bestimmt die Perücke vom Kopf gefallen, wenn ich nicht mit Klammern, Schnüren und Drahtstücken dafür gesorgt hätte, sie nicht zu verlieren. Ich stützte mich mit meinen Händen ab und drehte mich um. Das Gesicht des „Entführers" war hinter einem schwarzen Tuch beinahe zur Gänze verdeckt, nur zwei dunkelgrüne Augen blickten mich leicht verdattert an.

Ups, ... ich sollt doch „Opfer" spielen. „Hiiiiiiiiielfe! So heeeeelft mir doch!" weiter kam ich nicht, da landete eine Hand auf meinem Mund und ließ mich verstummen. Ich konnte nur hoffen, laut genug gewesen zu sein, um Arthur den Beginn meines Verschwindens zu signalisieren.

„Hmmm ... Mmpf ... maaa", die letzten verzweifelten „Wörter", dann verdrehte ich theatralisch meine Augen, schnaufte und täuschte eine Ohnmacht vor. Der Mann schien, oh ja, es gibt so naive Menschen, überzeugt und zog mich an den Armen in die Höhe. Dann „warf" er mich mit einem Ruck über seine Schulter und stöhnte unter der Last. Schwerfällig schleppte er mich zu einem Fuhrwagen und ließ mich hineinplumpsen. „Na warte, die Beule am Kopf kriegst du zweifach zurück, du Mistkerl", dachte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Die Reise konnte beginnen,  mit meinem Lehrmeister der uns klammheimlich verfolgen sollte.

„Endlich hab ich sie. Die kleine Schönheit, he he he. Sie wird uns ein Vermögen einbringen ... und wenn nicht, dann nehm ich sie, he he he", frohlockte der Halunke, der sich auf den Kutschbock setzte. „Ahhh, ich werde ihn mit Beulen übersehen!" wollte ich schreien, doch biss ich die Zähne zusammen, als wir mit einem Ruck losfuhren. Nach einer halben Stunde hielt ich es einfach nicht mehr aus. Ich begann mich zu langweilen, niemand kann so lange bewusstlos bleiben, ohne dass man sich Sorgen macht. Bis auf diesen Dummkopf da vor mir, der hatte wahrscheinlich meine falschen Brüste in seinem Kopf, sonst nichts! „Uahh, ... wo bin ich? Was ist passiert?" stöhnte ich und versuchte meine Fesseln etwas zu lösen. „Hmm, wieder aufgewacht mein Fräulein?" Er schenkte mir einen kurzen Blick über die Schulter. „Schon gespannt, was dich erwartet? ... Weiß du warum du jetzt hier bei mir bist? Das kann ich dir sagen ... so hübsche Mädchen wie du sollten in diese Zeiten lieber zu Hause bleiben, aber du warst so dämlich und bist so auffällig mit deinen weiblichen Reizen durch die Stadt stolziert und hast nicht auf die Ratschläge gehört, die dir die Händler nahelegten. Also wundere dich nicht." „Oh wie schlimm", spielte ich mit. „Oh nein, ... werde ich nun dorthin gebracht, wo die anderen Mädchen sind? Nein wie schrecklich! Wer sorgt dann für meine arme, kranke Mutter?" Ich war mir fast sicher, dass er einer der Händler vom Marktplatz war. Nicht nur seine Stimme, sondern auch seine Art zu sprechen, verrieten ihn. 

„Ganz recht Henrietta! Keine Sorge, deine Mutter wird schon versorgt werden, ... die Glückliche. Mit so einer Schönheit als Tochter." Ein wütendes Schnaufen entkam mir, was bitte hätte eine verlassene kranke Frau, von der Schönheit ihres Sprösslings. „Du kranker Bastard!" schrie ich ihn an und erntete einen erstaunten, ja fast schon ängstlichen Blick von ihm. „Arg ... grrr." Ich biss meine Zähne zusammen, um nicht weiter zu schimpfen. „Nur nicht die Nerven verlieren", redete ich mir ein, wir mussten die Mädchen finden, um jeden Preis. „Ahhh, ... gibt es da noch eine andere Seite von der süßen Henrietta? Ich mag es, beschimpft zu werden. Also tu dir keinen Zwang an, mein Täubchen." Meine gefesselten Hände zitterten so stark, nach dem Verlangen, diesem ... ich fand kein Wort mehr für ihn, ...eins auf sein bescheuertes Maul zu hauen. Dieser Typ war das Letzte und genau deshalb würde ich meine Rolle perfekt weiterspielen, um diese Verbrecherbande auffliegen zu lassen und die Mädchen zu retten, vor allem Margaretha.

„Was machen sie denn mit uns? Werden wir ...", ich wollte keine Vermutungen anstellen, nein ... ER sollte meinen Satz vervollständigen. „... Verkauft! Ihr jungen Schönheiten bekommt ein neues Heim, eine Aufgabe und einen Mann," grinste er hämisch und leckte sich über die Lippen. Zwar hatte ich mit sowas gerechnet, doch könnte ich mich immer noch bei diesem Gedanken übergeben. Menschen zu verkaufen war etwas widerwärtiges, man fühlt sich wie eine Ware, mit deren Wert so gering und bedeutungslos gehandelt wurde. Es war erniedrigend und diese jungen Frauen mussten sicher noch ein viel schlimmeres Leben ertragen als ich auf dem Bauernhof.

Die restliche Fahrt über bemühte ich mich ruhig zu bleiben und wie wir wissen, würde das am besten mit einem Lied funktionieren. Ich richtete mich also lediglich ein wenig auf und lies meine „Engelsstimme" erklingen.

Drive me

I was afraid of the resounding loneliness
Because surely nobody wants to get hurt
I waited for a fading memory
Because nobody tries to see anything
Why won't you ever change your mind

I never turnaway now
Even if I can only see it inside of myself
I'd rather keep believing then hurting each other
I really want to
See you again! Walk again! Believe again!
From here on...

Nach einer Weile gelangten wir in eine sehr unwegsame Gegend, was es für mich schwierig machte, eine Position zu finden, in der ich nicht mit blauen Flecken überseht werden würde. Eine steinige Einöde bot sich mir, weites fast kahles Gelände, felsig und kalt. Als wir endlich unser Ziel erreichten, war ich halb durchgefroren und stinksauer. Die letzten Meter führten uns über eine Art „Zugbrücke" durch ein eisernes Tor, dann blieb der Wagen stehen. Mein Chauffeur hüpfte vom Kutschbock, packte mich sogleich an den gefesselten Händen und zog mich hoch. Eine weitere Gestalt, ein hagerer Mann mit einem stacheligen Backenbart, öffnete die Tür und ließ uns ein. „Na sieh mal einer an, Bert", sagte er erfreut MICH zu sehen!? „Hübsches Ding, das kleine Flittchen." Mein Entführer, Bert also, welcher sich mit einem Ruck von seinem Tuch, das um sein halbes Gesicht gewickelt war, befreite, grinste nur und nickte.

Boah, ... diese Typen regten mich so auf, ... ich war knapp davor planignorierend auszurasten und ihnen die Haare vom Kopf zu reißen. Es machte mich verrückt, noch nicht eingreifen und handeln zu dürfen. Aber die Tatsache, dass ich Margaretha und die anderen Mädchen retten wollte und das nur im Beisein meines Lehrmeisters möglich sein würde, brachte meine Gedanken wieder in den Griff. Arthur hielt sich versteckt und wartete auf mein Signal. Doch jetzt war eindeutig noch nicht der richtige Zeitpunkt.

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