58.Henry

Es war vollbracht, endlich! Vor einigen Minuten waren die Wachen des Königs gekommen, hatten die Wäscherei gestürmt und jeden Mitarbeiter festgenommen. Natürlich probierte Björn alles abzustreiten, doch als er von dem eindeutigen Beweis erfuhr, musste er sich geschlagen geben. Mir warf er einen bitterbösen Blick zu, als er mit verbundenen Händen abgeführt wurde. „Wie hast du das gemacht, du Satansbraten?" wollte er wütend wissen. „Wie sind die Beweise zum König gelangt? Wer war dein Verbündeter?" seine hervorstehenden Augen durchbohrten mich regelrecht, doch ich machte mir nichts aus seinen Verwünschungen, sondern zwinkerte nur und meinte: „Magie! ... Das muss Magie gewesen sein. Ich ... würde ihnen doch niemals schaden, ... Sir. ... Leben sie wohl, sie fiese Ratte!" letzteres in sehr sarkastischem Tonfall. 

Er schickte daraufhin noch weitere, viel schlimmer Flüche, hinterher. Kajetan warf mir, als die Wachen draußen waren, einen verwirrten Blick zu. „Wie hast du das bloß geschafft? Henry? ... Was bedeutet das jetzt? Was passiert mit uns. ... Ist das real? ... Er kommt nicht mehr zurück?" stotterte er ungläubig und auch die Blicke der anderen Kinder ließen darauf schließen, dass sie nicht genau wussten, was gerade passiert war, und vor allem nicht, was dies nun für sie bedeutete. „Ja, ... wir sind frei! Frei zu gehen wohin wir wollen", klärte ich sie auf, jedoch war mir wohl bewusst, ganz so war dem nicht. Was sollten die kleinen Kinder, ohne Geld und ohne Familie schon groß auf die Beine stellen können. Doch darüber musste ich mir wohl später Gedanken machen. „Henry Morrow! Der König wünscht sie zu sprechen", ertönte die laute Stimme eines Offiziers, der wieder hereingekommen war. Ich zögerte nicht lange. „Sehr wohl Sir, ich werde mit ihnen kommen. Erlauben sie mir bitte nur mein eigenes Pferd zu satten, da ich keinesfalls mit diesen Schurken in einem Wagen fahren möchte. Der Bote schien amüsiert von meiner Aussage, doch erstattete mir die Erlaubnis. Schnell winkte ich noch die Truppe zu mir. „Hört gut zu, ich weiß nicht wie lange ich aus sein werde, aber packt eure Sachen und vergesst nicht eure abendlichen Rituale, ja?" Schnell drückte ich die Kleinsten an mich und hauchte jedem ein Küsschen auf die Stirn. Dann sattelte ich Ashley und war bereit.

Ich wusste nicht ganz genau, was der König von mir wollte, falls es Dank sein sollte, so schuldete ich ihm gewiss welchen, ich war so glücklich, diesem Halunken das Handwerk gelegt zu haben, dass ich gar nicht so richtig mitbekam, wie schnell ich nach dem Ritt vor dem König stand. Die Wachen entfernten sich leise und so waren Siegfried und ich, wieder einmal alleine. „Henry Morrow, ... nennst du dich. Ich weiß zwar nicht viel über die Vorfälle im Königshaus Englands, ... doch war dies nicht der Name, der ihrem Bruder auferlegt wurde? Morrow?" seine Feststellung überraschte mich ein wenig. Was wusste er noch alles über mein Elternhaus? „So ist es", gab ich zu. „Der Name Morrow erscheint mir, als nun einfachen Mann, passender zu sein und ... er verbindet mich auf eine Weise mit meinem ... geliebten Bruder..." Unsere Blicke trafen sich und es dauerte einen Moment bis er zustimmend nickte. „Was hast du nun vor, Henry? Ich bin dir zu Dank verpflichtet, ohne deine genauen Pläne und Beweise, wären wir niemals in der Lage gewesen, Björn seine Schuld nach zu weisen. Und Margaretha, ... sie hat sehr viel Mut bewiesen, den Boten zu spielen. Natürlich werde ich dich entlohnen. Was stellst du dir vor?" fragte er freundlich. Mein Entschluss stand fest: „Ich habe nicht vor in den Adel zurück zu kehren. ... Als "normaler" Mann, ... der ich jetzt bin. ... Selbst wenn Theodore nicht gut regiert, ich kann, ... als sein jüngerer Bruder nichts daran ändern." Ich sah betroffen zu Boden. War es in der Tat so? Oder wollte ich es nicht? Innerlich zermalmten mich diese Gedanken, immer und immer öfter. Irgendwann musste ich mich ihnen stellen, sonst ... „Eine Bitte hätte ich, eure Majestät." Ich richtete mich wieder auf und versuchte meine Gedanken zu verdrängen, es gab zurzeit wichtigere Dinge zu klären, Dinge die nicht mich betrafen. „Wäre es möglich den Lohn an die Kinder der Wäscherei zu verteilen. Sie verlieren ihre Arbeit und ihre Bleibe, wenn sich niemand um sie kümmert. Ich komme gut allein zurecht, doch die Kleinen ...?" ich hielt inne, da der König sich räusperte und anscheinend etwas sagen wollte. „Es ist in Ordnung, ich werde für eine Bleibe sorgen, ... doch ... was wird mit dir? Hast du keine Pläne? Du wirst doch nicht bei ihnen bleiben wollen? Was wird mit der Suche nach deinem Bruder?" er sah mich ernst an, fast wie ein Vater, der seinem Sohn zur Vernunft bringen wollte. Und ich musste zugeben, etwas eingeschüchtert zu sein. 

„Ich weiß es nicht genau, ... zuerst möchte ich mich bei ... Margaretha bedanken und dann, ... wenn ich ehrlich bin ... eigentlich möchte ich ihn nicht suchen, ... jetzt noch nicht. ... Was würde es schon bringen? Ich habe nichts, mit seinen Problemen zu tun ... und kann nichts daran ändern ..." Sein Blick war verständnisvoll. Dann streckte er mir seine Hand entgegen. „Ich möchte dir etwas vorschlagen. In einer gewissen Weise sind wir gleichwertig, dir fehlt es sozusagen nur an der Ausbildung deines Könnens. Tritt in meine Dienste und werde mein Spion. Ich werde dafür sorgen, dass du sowohl einen Unterricht im Kampf als auch eine Bleibe erhältst. Natürlich bist du frei zu gehen, wann immer du möchtest. ... Es ist deine Entscheidung, es liegt bei dir, ... Henry Morchester." Mit so einem Angebot hatte ich wahrlich nicht gerechnet. Auch war ich bestimmt davon ausgegangen, dass er mir ins Gewissen reden würde, Jonathan zu suchen. Ich überlegte, dachte lange nach, doch Siegfried schien dies nicht zu stören. Er deutete mir nur sich zu ihm an den kleinen Tisch zu setzen. Dem ging ich nach und ließ abermals eine geraume Zeit verstreichen, bis ich schließlich meine Stimme erhob. „Gut, ... ich bin einverstanden. Ich werde mich in ihre Dienste begeben", sagte ich entschlossen, so dass er keine Zweifel an meiner Entscheidung haben konnte. Siegfried lächelte gutmütig und sagte zufrieden: „Es freut mich Henry, ... Sir Henry." Er legte eine Hand auf meine Schulter und drückte sie leicht. „Wie versprochen werde ich mich um alles folgende Kümmern. Wollen sie mir nicht noch ein wenig Gesellschaft leisten und mit mir zu Abend essen?" Ich wunderte mich nicht über die Änderung seiner Ansprechweise zu mir, als König musste man aus Respekt, seine wichtigsten Angestellten siezen. Es war jedoch eine ungewohnte Sache, an die ich mich erst wieder gewöhnen müsste. „Sehr gerne, eure Hoheit. Wenn das ihr Wunsch ist."

Kurz gefasst war es ein fröhlicher Nachmittag. Siegfried lies sich meine Geschichte erzählen und ein Diener brachte uns verschiedenste Speisen und zu meiner großen Freude, TEE. Als sich Stunden später unsere Unterhaltung um die Wäscherei drehte, fielen mir die Kinder wieder ein und ich sprang auf. „Verdammt! ... Verzeihen sie ... Sir." Ich verbeugte mich hektisch. „Aber ich muss gehen, ... sie warten auf mich. Die Kinder ... sie machen sich bestimmt schon Sorgen." Ärgerlich raufte ich mir die Haare und fühlte mich schuldig. „Egoistischer Schwachkopf", schimpfte ich mich innerlich und ohne auf die Antwort des Königs zu warten, lief ich aus dem Raum und mit gelegentlichen Aufhalt-versuchen seitens der Wachen, hinunter zum Stall, in welchem ich Ashley abstellte, stieg auf und preschte zum Tor hinaus in Richtung Wäscherei. „Oh Gott, ... Himmel! Ich bin der schlechteste große Bruder, den es überhaupt gibt. Hab sie einfach vergessen ... arg!" Wenn ich nicht mit dem Halten der Zügel so beschäftigt gewesen wäre, hätte ich mich schlagen können.

Meine Sorgen waren jedoch unbegründet. Als ich ankam, lagen die Kinder in ihren Betten, nur Kajetan kam auf mich zu und wir verließen leise den Schlafsaal. Wir setzten uns gemeinsam in den Gang und ich begann ihm zu erzählen, was nun auf sie zukommen würde. „Warte, ... das heißt der König wird für uns sorgen? ... Wow Henry! ... Großartig! ... Du bist einfach ... großartig. Wie ... wie können wir dir danken?" brachte er aufgeregt hervor. Ich lächelte. „Gar nicht, ist doch selbstverständlich. Wir sind ja in gewisser Weise eine ... Familie." Er schien erfreut darüber, doch sein Blick wurde sofort wieder ernst. „Aber, ... du hast jetzt nur erzählt was mit uns passiert, wir können zusammen bleiben ... und du? Was wird aus dir?" Ich beugte mich nach vor und klopfte im freundschaftlich auf die Schulter. „Keine Sorge, ihr macht das schon. Was mich betrifft, ... Kajetan, ich bin erwachsen ... und langsam muss ich mich entscheiden, wie ich leben möchte. Ich habe mich entschieden der Königlichen Garde beizutreten und dafür werde ich hart trainieren." Auf meine Aussage hin wurden seine Augen groß und er sah mich ungläubig an. „Du trittst der GARDE bei? Wirklich? Du wirst ein echter Musketier?" Ich nickte, dies war die offizielle Bezeichnung für mein zukünftiges Spionageleben, bedeutete zugleich aber auch weitaus mehr Verantwortung. „Ja, ... so sieht es aus, ... mein Leben bekommt nun endlich einen Sinn. ... Und jetzt komm, es ist spät. Wir sollten schlafen gehen."

Mir blieb eine Woche, bis ich endgültig zur Ausbildung antreten sollte. Eine Woche um Sachen zu erledigen, die mir wichtig waren. In den ersten Tagen passierte nicht viel. Wir machten alles sauber und bereiteten den Umzug der Kinder vor und dann bat ich Kajetan für eine Weile auf die Kleinen aufzupassen. Ich rückte meinen schwarzen Hut zurecht, so dass er meine immer noch weißen Haare verdeckte. (Ich befürchtete wirklich, meine Kopfhaut dauerhaft geschädigt zu wissen, da kein schwarzer Ansatz zu erkennen war). So marschierte ich schnellen Schrittes in die Stadt, um dort Margaretha zu treffen. Ich hoffte es sehr, doch leider schien sie genau an diesem Tag nicht am Stand ihrer Eltern helfen zu müssen. Enttäuscht kehrte ich um, wollte es aber Tags darauf wieder versuchen.

Am nächsten Morgen kam ein Reiter vorbei, erkundigte sich wie es uns ginge und teilte feierlich mit, dass die Kinder sich bereithalten sollten, um aufzubrechen. Ihre neue Bleibe, ein Häuschen von welchem aus sie zu ihren Arbeitsstätten gehen würden, lag nahe an Joachims Hof. Soviel konnte ich den Beschreibungen entnehmen und es freute mich zu wissen, dass ich sie dort besuchen konnte. Nun war es soweit, wieder stand eine Trennung bevor, darum entschied ich diesen Tag den Kindern zu widmen und dem Drang meine Margaretha zu sehen in den Hintergrund zu schieben. In diesen letzten Stunden sorgte ich dafür, jedem genug Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Wer wusste schon so genau, wann ich sie wiedersehen würde. Die Abendliche Geschichte wurde doppelt so lange wie üblich und alle blieben wach und kuschelten sich zu mir. Dieses Gefühl vermisste ich bereits jetzt schon. „Henry? Warum gehst du weg?" erkundigte sich Mary und sah mich aus großen nassen Augen an. „Ja Henry, ... bleib doch einfach bei uns", bettelte Leonard, doch so sehr sie auch baten und ich mich innerlich wandte, meine Entscheidung war gefallen. Das Reich der Familie Morchester galt gerettet zu werden, zwar redete ich mir selbst ein, dass ich so oder so nicht ausrichten konnte, doch diese Ausbildung und die Tätigkeiten als Spion des Königs, wären auf jeden Fall von Vorteil. Eventuell könnten sie mich ungewollt zu meinem Bruder führen, zu Jonathan, und dann würde ich wissen, was ihn zurückhielt. Wollte er wirklich nichts mehr mit den Leuten zu tun haben, die diese lächerlichen Lügen über ihn verbreiteten. Ich hatte keine Ahnung ... keinen blassen Schimmer.

Die Nacht ging zu Ende und ein neuer Tag brach an. Noch vor Mittag wurden sie alle mit einem Wagen abgeholt. Tränen flossen, ich drückte alle noch und gab jedem von ihnen ein paar ganz persönliche Worte mit auf ihre Reise. „Wir sehen uns wieder, Kajetan. Pass gut auf die Kleinen auf und lass dich nicht unterkriegen. Vergiss nicht du bist der Älteste, ja?" Er lächelte mich etwas traurig an. „Mach ich, ... werde du nur ein starker Wachmann, um uns alle zu beschützen, versprich mir das!" Ich grinste und wuschelt durch seine braunen Haare. „Klar doch! Du wirst mich gar nicht wiedererkennen, so kräftig werde ich sein", scherzte ich und hob die Faust, um meine spärlichen Muskeln zu präsentieren. Wir lachten beide los und umarmten uns ein letztes Mal. Der Wagen fuhr ab, ich stand allein vor der Wäscherei und winkte ihnen schweren Herzens noch lange nach.

Henry hat es geschafft nun kann er sich endlich der Suche nach seinem Bruder widmen.

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