34.Henry
Die kommenden Tage waren hart. Die Ratte gönnte mir keine Ruhe. Abends waren alle fix und fertig und mein erster und einziger Versuch tatsächlich ein Liedchen zu singen, um mir Mut zu machen, erstickte in einem Protestruf der anderen. Seitdem sind mittlerweile weitere 3 Tage vergangen und mein Bett wurde in den hintersten Winkel des Raumes verfrachtet. Ich fühlte mich mehr denn je ausgestoßen und verachtet.
Am achten Tag startete ich meinen ersten Fluchtversuch. Während die anderen beim Mittagessen waren, schnappte ich meine Habseligkeiten und schlich mich hinaus. Ja genau, wir bekamen zumindest was zu essen und dies war auch die einzige Zeit, in der wir ohne Aufsicht blieben. Das hatte ich als meine Chance gesehen. Ich schlich mich also hinaus und freute mich schon, schließlich ist es nicht so selbstverständlich, dass man frei ist... Ach egal.
Mein Bündel über der Schulter lief ich im Eiltempo auf das Eingangstor zu. Zugegeben, ich war zu dieser Zeit etwas naiv, denn natürlich war es keineswegs so einfach wegzulaufen, wie gedacht. „Halt Nummer zwölf!" hörte ich ihn hinter mir schreien. „Na, wo wollen wir denn hin? Bleib sofort stehen du missratener Bengel!" Die Beleidigung traf mich diesmal ziemlich hart. Verdammt ... und schon wurde ich von zwei Männern festgehalten. „Halt lascht misch...", eine Hand wurde auf meinen Mund gelegt. „Häh?! Hast du ernsthaft geglaubt, es würde so einfach sein?" Langsam hob ich meinen Kopf und starrte den Mann, die Ratte, mit einem entschlossenen Blick an, biss die Hand auf meinem Mund, sodass ich für kurze Zeit sprechen konnte. „Ich werde nicht aufgeben!" zischte ich in Richtung meines Peinigers. Dieser gab sich unbeeindruckt und zuckte gelassen mit den Schultern. „Na und? Wenn du dich immer so dämlich anstellst, bleibst du hier, für den Rest deines Lebens." Sein schallendes Gelächter würde ich nie vergessen. „Ich werde dir schon noch Vernunft eintrichtern, denn an einer Strafe kommst du nicht vorbei!" donnerte er weiter.
Gesagt getan. Er machte seine Worte wahr. Für die nächsten drei Tage musste ich arbeiten anstatt mit den anderen Mittag zu essen. Abends bekam ich nur eine kleine Schale Suppe und ein hartes Stück Brot. Doch selbst wenn ich damit rechnen konnte, dass die Strafen noch schlimmer werden würden, konnte ich nicht einmal daran denken aufzugeben. Ich wollte hier raus!
Immer noch weit abseits der anderen, erlitt ich, diesen Abend einen leichten Gefühlsausbruch. In meinem Bett liegend, meinen Kopf unter den Armen versteckt, heulte ich in die dünne Matratze. Es war heute einfach zu viel gewesen, die Arbeit, dann die Müdigkeit und der Hunger. Ich schniefte und spürte wie Rotz aus meiner Nase lief. Noch bevor er auf das Leintuch tropfte, es war anzunehmen, dass dieses Lacken seit Ewigkeiten, trotz Wäscherei, nicht gewaschen wurde, wischte ich ihn mir in meinen Schlafkittel. Es war alles so furchtbar deprimierend. Nicht wie bei dem Bauern, Joachim.
Dank meines „Freundes", stolz-grimmig lächelte ich, ja ich konnte Noah tatsächlich als meinen ersten Freund bezeichnen, war die Zeit dort im Nachhinein gut gewesen.
Mein Lächeln wurde immer breiter, in Erinnerungen daran, trotzdem flossen dicke Tränen meinen Wangen herunter. Als ich zaghaft zu einem Einschlaflied anstimmte, beschwerte sich erstaunlicher Weise jedoch diesmal niemand. Es handelte sich bei dem Text um etwas, worüber ich mit Noah gesprochen hatte.
Calling You
You thought this was what you'd always want
Or is this just only what you wanted to want?
Why'd you lose the consistensy
But you know that can take you no far
Run away run away from the day I gave up can't see you no more!
...
Are you ready? Go! Face your desire what will I see...
...
Now the time! no more cry!
Get up now forget about that sight!
I walk my way!
I walk my day!
No comparing no denying
You walk you way! You walk you day!
Yeah! go you own new way, will take you far away!!
I'm here that's right
This is where I stand
I stand alone
Dont look back just staring the way!
...
"Liebe" murmelte ich verträumt. Noah hatte mir klar gemacht, dass Liebe nicht nur bedeutete, das man verheiratet wurde, nein ... es gab einen anderen, viel tiefsinnigeren Wert. Ich stellte mir eine unerklärliche Zuneigung zweier Menschen vor, die bis zu ihrem Lebensende zusammen glücklich sind. Dieser Gedanke weckte Träume in mir. Wie würde sie sein? Die wahre Liebe? Auch wenn vielleicht noch viel Zeit bis dorthin verging, wer wusste schon genau, wann und wo sie auf mich wartete. Ich würde geduldig sein, durchhalten, hier irgendwie rauskommen, ... leben und dann womöglich ... "lieben?..." Mit der wundervollen Erkenntnis, irgendwo jemanden zu haben, der zu mir passt, schlief ich ein.
______________________________________
Immer wieder versuchte ich in den nächsten Wochen abzuhauen. Einfach weg hier, über verschiedenste Wege, aber keiner meiner Versuche gelang. Jedes Mal wurde ich geschnappt und bestraft. Seit meinem dritten gescheiterten Vorhaben, begannen sie handgreiflich zu werden. Ich kassierte etliche Schläge und Tritte, doch mit so etwas konnten sie mich nicht in die Knie zwingen. Mich doch nicht!
Dies war nun mein siebenter Fluchtversuch innerhalb von drei Wochen, die ich hier war. Die anderen hatten mich schon als total irr abgestempelt und mieden mich mehr denn je. Nur Kajetan nicht, da wir gemeinsam arbeiteten, als Zweierteam.
Ich fokussierte also die Hecke, durch die ich gleich klettern wollte und spannte meine Muskeln an. Diesmal würde es klappen. Wie naiv ich doch immer noch war.
Ich hatte es fast geschafft, die Freiheit vor mir, doch dann packte mich wieder einer der Wachen am Kragen und rief: „Gefunden! Sir Björn! Der Ausreiser wollte schon wieder weg!"
Einige Minuten später fand ich mich zwischen zwei kräftigen Männern eingezwängt, die mich zurück in die Fabrik trugen. Daraufhin trat die Ratte an mich heran, sah mich an und leckte sich mit seiner Zunge, über die widerlich hervorstehenden Zähne.
„Nummer 12, du schon wieder ... wann wirst du endlich vernünftig? Du weißt, dass du bestraft wirst, richtig? ... Macht dir das etwa Spaß? Stehst du auf Prügel? Ist es das was du willst?" Seine Augen quollen fast aus den Höhlen, so starrte er mich an. Ich senkte meinen Blick niedergeschlagen, kochte jedoch innerlich vor Wut. Diesmal hätte es klappen können. Doch bevor ich mich weiterärgern konnte, stutzte ich. Zwei weitere Wachen kamen und jeder von ihnen trug einen schwer aussehenden Metalleimer in der Hand. „Wa ... was ... was habt ihr vor?" erkundigte ich mich argwöhnisch. Von Björn kam ein Seufzen: „Das mein Kleiner, wirst du gleich zu spüren bekommen", verkündete er unheilvoll.
Einer der Wachen packte mich unsanft und zerrte mich zu einem Steinbecken. Mit uns kamen die zwei Männer mit den Eimern, die vollgefüllt mit irgendeiner Flüssigkeit zu sein schienen. Und ebenfalls der Mann, der hinter diesem Vorhaben steckte. „Auf den Stuhl", meinte einer unwirsch. Widerwillig tat ich, was er verlangte, auch wenn ich zitterte wie Espenlaub. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. ... „Bitte lass es Wasser sein, bitte!" flehte ich innerlich, gegen meine Vorahnung. Meine Augen waren fest verschlossen, mein Mund zusammengepresst, dann spürte ich einen kratzigen Lappen, der ebenfalls Augen, Nase und Mund verdeckte. Ich wusste was nun geschehen würde und mein Atem wurde flach. Im nächsten Moment riss einer der drei, meinen Kopf an den Haaren nach hinten und goss die stinkende Masse darüber. Sie rieben das Bleichmittel grob ein und ich spürte, wie die Flüssigkeit meinen Nacken hinunter ran.
Es war ein grässlicher Schmerz, den es erzeugte, als diese Lauge das erste Mal unberührte Haut traf. Ich schrie und zappelte. Die Tropfen rannen in meine Stirn und meiner Nase entlang, trafen aber Gott sei dank meine Augen nicht, sondern versickerten in dem Lappen. Nachdem der zweite Eimer leer war, hatte ich viel Energie verbraucht, indem ich mir die Seele aus dem Leib schrie. „Na also, ... da siehst du es. Eine bleibende Erinnerung an deine Dummheit. ... Du willst das sicher nicht wiederholen, richtig?" Die Stimme der Ratte drang nur verschwommen in mein Gehirn. Ich war so fertig, dass ich ihm eine Antwort schuldig blieb.
„Verschwinde jetzt, und wasch dich! ... Keine Fluchtversuche mehr verdammt noch mal, verstanden?" schickte er mir hinterher, während ich mich mit letzter Kraft zu dem Brunnen schleppte. Mit dem Seil zog ich einen Holzkübel mit eiskaltem Wasser herauf und leerte ihn über mir aus, bedacht auch diesmal meine Augen zu schließen. Das ganze wiederholte ich vier Mal, bis ich mich einigermaßen sauber fühlte, aber bis auf die Knochen durchgefroren war. Dann trottete ich in Richtung des Schlafsaales.
('-'*)♪ Armes Henry... X~X, aber er ist stark, und genau das müssen wir auch sein!👍
#stayhealty
#stayathome
Lg Tsuna-saw-ada
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top