15.Henry

Ich hatte das Gesicht meines Verfolgers nicht erkannt, dafür war ich zu schnell gelaufen. Doch war er mir seit einer ganzen Weile dicht auf den Fersen. Innerlich wollte ich schreien, warum ließen sie mich nicht einfach in Ruhe, diese Wachen. 

Seit ich weggelaufen war, fingen sie an überall Steckbriefe zu verteilen. Worauf hin ich mich stets unter einer Kapuze bedeckt hielt, was mich natürlich verdächtig machte. Die ständige Jagd war anstrengend. Warum konnte ich ihn nicht abschütteln. Ich versteckte mich in einer Nische, die mir genug Platz bot und holte tief Luft. Mein Peiniger lief weiter, an mir vorbei, bis zur nächsten Kreuzung und blieb stehen. Hektisch sah er sich um und schüttelte den Kopf. Da erhaschte ich das erste Mal einen Blick auf sein Gesicht. Es war ... „Alexan...",schrie ich aus, doch mein Ruf wurde unterbrochen, als mir jemand von hinten die Hand über den Mund legte. Verzweifelt strampelte ich und versuchte mich loszureißen. Vergebens. Der kräftige Unbekannte zog mich hinter sich her, wie einen Sack Kartoffeln. Ich streckte meine Arme in Alex Richtung, riss die Hand für einen Moment von meinem Mund und rief erneut seinen Namen. Dann spürte ich nur noch einen dumpfen Schmerz in meinem Kopf und verlor das Bewusstsein.

Als ich erwachte brummte mein Schädel. Es war zappenduster und ich konnte Anfangs meine Finger vor den Augen nicht sehen. Noch völlig orientierungslos versuchte ich mich zu bewegen, doch musste ich feststellen, dass mir sowohl Beine als auch Arme gefesselt worden waren. Weshalb? Wie war ich hierher geraten? An so einen finsteren Ort. Langsam kamen einzelne Bruchteile meiner Erinnerungen an die Oberfläche. Ich wurde verfolgt, von einem Mann ... Alexander. Er hatte mich fast eingeholt, aber ich erkannte ihn zu spät. Dann eine Hand, ich wollte schreien, etwas traf mich hart. Plötzlich war alles wieder da. Jede Sekunde meiner Flucht und mir wurde klar was sie vor hatten. Sie wollten ein Lösegeld erpressen, darum wurde ich entführt. Aber wie konnten sie mich erkennen? Durch meine Verkleidung sollte eigentlich niemand meine wahre Identität herausfinden. Meine Gedanken machten mich darauf aufmerksam, dass Alex mich sofort bemerkte und erkannte. Mein Plan besaß also genügend Lücken. „Mist", fluchte ich, vorsichtshalber leise. Mir blieb keine andere Wahl, als einfach abzuwarten. Irgendwann würde mich jemand holen und den nächsten Schritt wagen. Und als ob meine Gedanken ein Stichwort gewesen waren, öffnete sich eine Tür, die mir in der Dunkelheit nicht aufgefallen war.

Herein kamen, wegen des blendenden Lichtes, anfangs nur zwei große Schatten. Die beleibtere der beiden Gestalten, ich hätte sie auch einfach fett nennen können, doch war jetzt wirklich nicht die Zeit dazu, sich Gedanken darüber zu machen, begann zu sprechen: „Na, ... aufgewacht Kleiner?" Ich knurrte nur beleidigt. „Oh ... schlecht gelaunt? ... Wir haben da was für dich, dass wird deine Stimmung gleich heben", lachte er und als ob es nicht schon Strafe genug wäre hier drinnen zu sitzen, reichte mir die zweite Person, die ich eindeutig als weiblich identifizieren konnte, eine Schüssel. „Da! Du bist bestimmt hungrig. ...Damit kannst du der hervorragenden Schlossküche mal entfliehen. Sir Henry", kicherte sie spöttisch. Ich konnte nicht genau erkennen was sie mir da vor die Füße stellte, aber es schien sich irgendwie zu bewegen. Sie richtete sich auf, schüttelte ihre langen lockigen Haare und schien wieder gehen zu wollen. „Hnt! Wn hnhmm ...", mein Mund war durch einen Knebel verschlossen und ich war so wütend, dass ich mit meinen zusammengeschnürten Füßen, die Schale mit dem „Essen" wegstieß. Lachend drehte sie sich zu mir und langsam bekam ich einen Einblick auf ihr Gesicht. Markante Wangenknochen, große Nase und volle Lippen, die wahrscheinlich mit zu viel Farbe bedeckt waren. Sie sah nicht aus wie eine Kidnapperin, aber woher sollte ich auch wissen, wie solche Leute aussehen. Am liebsten hätte ich sie angebrüllt, beschimpft und womöglich auch geschlagen, wenn ich mich nur ... Ihre schrille Stimme holte mich aus den wirren Gedanken. „Möchte der feine Knabe wissen was mit ihm passiert? Sehr hell scheinst du mir nicht gerade zu sein. Du bist doch schon fünfzehn ... nicht wahr?" Sie tätschelte meinen Kopf und zog dabei die Binde von meinem Mund. Angewidert spuckte ich den Knebel aus. „Sechzehn verdammt! Und ist es in einem dunklen Raum leider gar nicht so einfach „helle" zu sein. Was zum Henker glauben sie überhaupt. ... Außerdem bin ich dem Schlossherrn nichts wert, er würde keinen Kreuzer für mich ausgeben", merkte ich sarkastisch an, obwohl ich von den Steckbriefen wusste. Keine Ahnung woher dieser Mut kam, oder war es einfach nur Respektlosigkeit? Ich? Gegenüber Frauen? Wo waren meine Manieren geblieben? Diese Situation wuchs mir eindeutig über den Kopf, als verwöhnter Königssohn hatte ich keine Ahnung vom rauen Alltag des Lebens. „So so, frech werden, was? Du kannst uns vieles erzählen, ... egal, sobald wir das Lösegeld einkassiert haben, bist du sowieso wieder zurück im Schloss", sagte sie beiläufig, während ein Zucken um ihren Mundwinkeln spielte. Sie schien zu lachen. „Zurück ins Schloss! Nie ... niemals! Nicht in Tausend, nein nicht in einer Million Jahren", beschwerte ich mich lautstark und ich klang wie ein hitzköpfiges kleines Kind, das ich war. Zorn stieg in mir hoch. Für dieses lächerliche Preisgeld wollten sie mich eintauschen? Diese Halunken! Doch im Angesicht der Lage, in der ich mich befand, um Essen zu bangen, nicht zu wissen wo man schlafen sollte, stehlen zu müssen, um nicht zu verhungern und das schlechte Gewissen ... . Geld war so mächtig, dies erfuhr ich jetzt am eigenen Leib. Sobald man welches besaß, machte es einem sofort das Leben leichter. Meine Wut konnte nicht einmal wirklich ziel fassen, war sie auch schon wieder verpufft. Darum sollte ich mir schleunigst einen anderen Plan ausdenken. So kam ich nicht weiter. Vielleicht ließ sie sich von mir verführen? Sie fand mich niedlich und ich, sie nicht schlecht gebaut. Sorry das war etwas taktlos.

Erneut riss sie mich aus meinen Grübeleien. „Ein Weilchen wirst du dich noch gedulden müssen. Komm ja nicht auf die Idee davon zu laufen. Vergiss es, ... ich bewache dich rund um die Uhr, mein Lieber." Ha! Wusste ich es doch. Mit ihrem Schuh schob sie mir die Schale wieder hin. „Mahlzeit, du solltest mit deinem Essen nicht so verschwenderisch umgehen", damit machte sie auf dem Absatz kehrt und folgte ihrem Kumpan aus dem Raum. Die Tür fiel ins Schloss und ich schrie meine Frustration in die Finsternis. Bis ich schließlich keine Stimme mehr hatte und die Tränen mein Gesicht benetzten. Mir wurde unbehaglich, der Hunger, die Müdigkeit und Ungewissheit vor der Zukunft brachten mich an die Grenzen meines Verstandes. Um nicht vor mich hin zu fantasieren, lenkte ich meine Aufmerksamkeit den Stricken zu, die sie mir um gebunden hatten. Es waren feste Seile, die sehr fachmännisch zusammen geknotet worden waren. Durchreiben war unmöglich, mir fehlte das passende Werkzeug und die Kraft. Aber ich gab nicht auf, zumindest eine der Fesseln wollte ich loswerden. Als ich mich nun am Boden krümmte um an meine Füße zu gelangen, vernahm ich von außen aufgebrachte Stimmen. „Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Ihr wollt den Königssohn aufgespürt haben? Ihr? ... Das ich nicht lache", dröhnte der Mann. Es war nicht „Fetti", der vorhin bei mir war. „Meister, ... er ist es, ... ganz bestimmt. Er sieht genau so hübsch aus, wie auf dem Bild des Steckbriefes. ...Naja, ... bis auf die Haare, aber das ist doch klar. Im Schloss werden Perücken getragen." Dies war die Stimme der Frau. Ein kleiner Lichtblick tat sich auf. Sie waren sich also gar nicht sicher, ob ich der Richtige war? Ich grinste, mir war gerade ein totsicherer Plan gekommen, wie ich auf keinen Fall zurück gebracht werden würde.

Gespannt wartete ich darauf, ob und wie er funktionieren würde. Die letzten Minuten hatte ich mich im gesamten Raum herum gewälzt, um so viel Dreck wie möglich an meine Kleidung zu heften. Zwar schmerzten mir jetzt alle Gelenke und ich hatte mir eine Schramme am Knie zugezogen, doch mein Ziel war erreicht. Es dauerte auch nicht lange, bis die Tür aufschwang und drei Personen an mich heran traten. Da meine Augen mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt waren, erkannte ich den Fremden als schlanke Person, nicht sonderlich groß mit kurzen Haaren und einem Bärtchen. Der Mann beugte sich näher zu mir, um mich genauer in Augenschein zu nehmen und ich bemühte mich angestrengt auf den Boden zu starren. Ungeduldig riss er mich am Kragen hoch und zischte: „Du? ... Du bist der Königssohn?" Seine kleinen Augen durch bohrten mich regelrecht. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt, doch hatte ich mir schon etwas zurechtgelegt. „Königskind? So jemanden sucht ihr?" Ich sah ihn mit ängstlicher Unschuldsmiene an. „Hm, ... ja ganz recht. Hörst du auf den Namen Henry Morchester?" wollte er wissen. Nicht ein Mucks kam über meine Lippen. Für wie dumm hielt er mich. Doch mein Schweigen würde er vielleicht falsch deuten, darum stammelte ich: „Morchester? ... Henry? ... Keine Ahnung. ... Oder doch? ... Warten sie, ... ist das nicht der älteste Sohn der Königsfamilie?" Ein verwirrter Blick traf mich und die hübsche Dame hinter ihm wollte sich schon lautstark einmischen. Ein erhobener Finger ließ sie aber augenblicklich verstummen. „Spiel nicht den Dummen, ...Bauernjunge. Wo kommst du her?" fragte er mit zu gekniffenen Augen. „Ich ... ich bin aus dem Nachbarsdorf und suche hier Arbeit. Unsere Familie ist groß und es gibt viele hungrige Mäuler zu stopfen. Mutter ist krank und Vater ..." „Schweig, ... was interessiert mich deine Familie?" Er war immer noch skeptisch. „Wie heißt du", fuhr er mich an und ich antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Gilbert ... Gilbert Morrow!" Für einen Moment verzog er den Mund, hatte ich ihn wirklich überzeugt? Waren diese Leute ernsthaft so doof? „Er ist es nicht, ... seht wie er aussieht. Drei Tage machen einen Adeligen nicht zum schmutzigen Stallburschen, dazu würden sich diese hochnäsigen Spießer niemals herablassen", raunte er jetzt in mein Ohr und zog noch kräftiger an meinem Hemdkragen. „Aber! ... Vorhin war er ...", mischte sich die Frau wieder ein und wurde abermals unterbrochen. „Halt endlich deine vorlaute Klappe!" pfauchte er genervt und stieß mich von sich. „Nichts aber! Das ...", er zeigte mit dem Finger auf mich. „Ist einfach nur ein stinknormaler Junge." Ungläubig sah sie an ihm vorbei und da der „Boss" nun mit dem Rücken zu mir stand, schenkte ich ihr ein keckes Grinsen und spitzte meine Lippen zu einem Kussmund. Wie mutig! ... Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und ich merkte wie sie innerlich kochte. Der Respekt, oder die Angst vor dem Bärtigen ließen sie jedoch schweigen. „Du dummes Gör, ... alles nur ein Wunschdenken." Er tätschelte ihre Wange und somit schien die Angelegenheit fürs erste erledigt zu sein. Doch was sie nun mit mir, da ich jetzt doch nicht der Prinz war, für den sie mich zuerst hielten vorhatten, wusste ich nicht.

Pfuhh, das bislang längste Kapitel (glaube ich) vielen Dank fürs Lesen^^

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