Olivias Tod
Olivias p.o.v.
Alles um mich herum war weiß. Aber nicht so strahlend weiß wie die Wände im Krankenhaus.
Nein, es war irgendwie ein mondweiß. Wenn es so etwas überhaupt gab. Alles erstrahlte im silbrigen Licht des Mondes. Und ich war mittendrin.
War es das? War das das Totenreich? War ich schon tot? Ich hätte schwören können, dass ich noch am Leben gewesen war. Aber vielleicht hatte ich meinen Tod auch einfach verpasst?
Ich wusste es nicht.
Ich hatte mir schon so viele Gedanken um den Tod gemacht, aber trotzdem hatte ich keine Ahnung, wie er ablaufen würde. Na ja, wer wusste das schon?
Aber konnte man seinen Tod wirklich verpassen?
Bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte, unterbrach mich eine liebliche Frauenstimme.
"Du bist noch nicht tot."
Verwundert drehte ich mich um.
Und blickte die schönste Frau auf Erden an. Sie hatte langes silbernes Haar, das wie der Mond leuchtete. Ihre Augen waren von einem herrlichen Silber, das sich zu bewegen schien.
Sie hatte einen hellen Teint. Ihre Wangenknochen waren hoch und scharf gestochen. Keine einzige Unreinheit verunzierte ihre Haut. Und ihre Figur! Sie war schlank, aber nicht zu schlank. Groß, größer als ich.
Und sie hatte so ein wunderschönes Kleid an. Wie Silber umfloss es ihren Körper.
Ohne dass sie etwas sagen musste, wusste ich, wer sie war. Die Mondgöttin Luna.
"Wo bin ich?", fragte ich. Okay, das hörte sich ziemlich klischeehaft an.
Aber es interessierte mich nun mal.
Erst als die Worte meinen Mund verlassen hatten, wurde mir klar, dass die Mondgöttin Luna vor mir stand.
Was musste ich tun? Knicksen? Mich verneigen?
Es war nie die Rede davon, dass man der Mondgöttin mal in natura begegnen würde. Deshalb gab es dafür auch keine Anleitung, keine Etikette.
Amüsiert lächelte sie mich an.
"Du musst nichts dergleichen tun, lycanthropa.", erklärte sie mir sanft. Selbst ihre Stimme war schön wie der Mond, klang so seidig glatt.
Ich konnte sie nur fassungslos anstarren. Hatte sie gerade meine Gedanken gelesen?!
"Tatsächlich ja. Aber keine Sorge, ich kann dies nur in diesem Zwischenreich tun. Wir sind hier in einem Reich zwischen dem der Lebenden und dem der Toten. Solange du in diesem Bereich bist, kannst du sterben als auch ins Leben zurückgeholt werden."
Verwirrt runzelte ich die Stirn.
"Das hört sich ja alles interessant an, aber ich kann nicht gerettet werden. Das weiß ich, seit diese Krankheit bei mir diagnostiziert wurde."
Sanft lächelte sie mich an.
"Nichts ist unmöglich. Besonders nicht, wenn Liebe mit im Spiel ist.", verkündete sie dann geheimnisvoll.
Sollte das etwa heißen, ich hatte noch eine Chance? Bei dem Gedanken überkam mich Hoffnung. Aber sofort schob ich sie weg. Ich konnte mir keine Hoffnung leisten.
Traurig sah Luna an mir vorbei in die Leere.
"Ich kann nichts gegen diese Krankheiten tun. Das steht außer meiner Macht."
Dann sah sie mich wieder direkt an und lächelte zufrieden.
"Aber ich kann andere Dinge tun. Ich kann euch einen Mate schenken. Euch einen letzten Wunsch erfüllen. Und so habe ich versucht, dir zu helfen, lycanthropa parva. Jetzt können wir beide nur hoffen, dass dein Mate die richtige Entscheidung trifft. Denn ich habe bereits alles in meiner Macht stehende getan."
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Die Mondgöttin hatte versucht, mir zu helfen? Aber warum?
Natürlich beantwortete sie sogleich meine stumme Frage.
"Alle Werwölfe liegen mir am Herzen. Vor langer Zeit habe ich euch geschaffen. Ihr seid alle wie meine Kinder. So versuche ich natürlich, euch zu helfen."
Das hörte sich irgendwie schön an. Dass jemand auf uns aufpasste. Über uns wachte. Aber.... ich hatte zwei Werwölfe getötet. Ich konnte es nicht bereuen, weil ich es tat, um Alessandro zu retten. Ich hätte jedes Mal wieder so gehandelt. Aber wie sah sie das denn?
Sie stieß ein tiefes trauriges Seufzen aus.
"Nicht alle Werwölfe sind gut. Und diese zwei Männer deiner Art waren es auch nicht. Natürlich ist das keine Entschuldigung dafür, dass du sie getötet hast. Aber ich kann dir deswegen auch keinen Vorwurf machen. Sie haben deinen Mate bedroht. Da ist deine Reaktion ganz verständlich."
Okay. Da hatte ich wohl noch Glück gehabt. Wer hätte gedacht, dass die Mondgöttin ein so großes Herz hatte?
Alessandros p.o v.
"Wir müssen etwas tun!"
Verzweifelt blickte ich alle an. Wir konnten Olivia doch nicht einfach so sterben lassen! Ohne es zumindest versucht zu haben!
Plötzlich meldete sich Hendrik zu Wort.
Du bist ihr Mate. Vielleicht kannst du ihr helfen?
Ungeduldig sah ich ihn an.
"Das würde ich ja gern! Aber wie?"
Hendrik wiegte den Kopf nachdenklich hin und her.
Na ja. Vielleicht kannst du ihr etwas von deiner Kraft schenken? Vielleicht musst du sie markieren, die Bindung so stärken und ihr etwas von deiner Kraft leihen?
Er klang nicht gerade sicher. Aber wenn das die letzte Chance war...
Ich musste es versuchen. Es war mir egal, dass ich sie so ohne ihre Einwilligung markieren würde. Ich würde alles tun, um sie zu retten.
Da war es mir egal, ob sie mich dann hassen würde. Hauptsache, sie lebte.
"Gut. Ich mache es."
Ich hatte mir immer gewünscht, dass die Markierung für uns beide wundervoll ablaufen würde. Romantisch. Dass sie sie genießen würde.
Nie hätte ich mir vorstellen können, dass sie sie nicht einmal richtig wahrnahm.
Aber wenn es sie rettete, konnte mir das egal sein.
Vorsichtig beugte ich mich über sie. Ihr Atem ging so flach. Ihre Brust hob sich kaum noch. Sanft legte ich meine Lippen auf ihren Hals.
Verdammt, ich war so aufgeregt. Diese Markierung hatte ich mir immer gewünscht. Wenn alles klappen würde...ich durfte nicht einmal daran denken.
Meine Reißzähne kamen hervor. Fast schon ungeduldig. Zu lange hatte ich hierauf gewartet.
Und auch wenn es unter diesen Umständen war, war es doch so besonders.
Dann biss ich ihr sanft in den Hals.
Sofort spürte ich wie das Band zwischen uns heller aufleuchtete. Es wurde stärker. Gleichzeitig keuchte Olivia auf.
Auf einmal konnte ich sie besser spüren. Konnte ihre Präsenz besser wahrnehmen. Ihre nun schwache Präsenz.
Plötzlich überschwemmte mich Schmerz. Merda. Das waren ihre Gefühle. Sie spürte Schmerz.
Fuck.
Hilfesuchend sah ich zu den anderen.
"Was jetzt?"
Ich hatte sie gebissen. Was konnte ich noch tun? Denn ich spürte nicht, dass sie stärker wurde. Ihr Herzschlag wurde zwar nicht schwächer, aber auch nicht stärker.
Er blieb konstant.
Wahrscheinlich muss sie auch dich beißen, damit es funktioniert., meinte Hendrik. Aber er klang noch immer unsicher. Doch was sollten wir sonst tun?
"Liv.", flüsterte ich. "Liv, du musst jetzt kurz aufwachen. Nur noch ein letztes Mal."
Doch sie rührte sich nicht. Verdammt, sie rührte sich einfach nicht! Das konnte doch nicht wahr sein! Ich durfte sie nicht verlieren!
"Olivia Abens.", sagte ich nun mit lauterer Stimme. Mit meiner Alphastimme. "Du wirst jetzt aufwachen. Sofort."
Zwar gehörte sie nicht meinem Rudel an. Aber viele reagierten trotzdem auf diese Stimme. Es war eine Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Die Autorität verströmte.
Und tatsächlich bewirkte sie etwas. Ihre Augenlider zuckten. Gebannt hielt ich den Atem an. Doch nach einer Weile stieß ich ihn wieder enttäuscht aus.
Sie hatte sich immer noch nicht geregt.
"Schick ihr etwas von deiner Energie.", sagte da Marie.
Fragend blickte ich sie an.
"Von meiner Energie? Und wie mache ich das?"
"Du musst das Band in dir suchen. Dich ganz darauf konzentrieren. Und dann deine Energie, etwas von deiner Lebenskraft hinüberschicken. Wenn es klappt, sollte das Band aufleuchten."
Okay. Das hörte sich gar nicht so kompliziert an. Schnell schloss ich die Augen und suchte das Band. Es war in meinem Herzen verankert.
Ich sah es vor mir, wie es silbern zwischen Olivia und mir lag.
Nun stellte ich mir vor, wie es aufleuchtete, wie ich meine Energie darüber schickte. Zuerst passierte gar nichts.
Doch dann schien es, als flösse plötzlich ein Tropfen über das Band. Und ein weiterer und ein weiterer.
Immer mehr schienen über das Band zu fließen. Geradewegs zu Olivia.
Und ich spürte auch wie ihre Präsenz, ihre Lebensenergie, stärker wurde. Ihre Atemzüge wurden kräftiger. Sie gewann an Kraft.
Zwar wurde ich immer schwächer, aber das war mir egal. Hier ging es nur um Olivia. Hier ging es nur um sie. Es war mir egal, was es kostete, um sie zu retten.
Hauptsache, ich konnte sie retten.
"Alessandro! Du musst aufhören!", hörte ich da plötzlich wie durch Watte eine schwache besorgte Stimme.
Doch es war mir egal. Olivia wurde zwar von Sekunde zu Sekunde stärker, aber immer noch fehlte etwas. Ich musste ihr alles geben. Damit sie lebte, brauchte sie alles.
Und ich war nur zu bereit, es ihr zu geben. Wenn es das war, was sie brauchte.
Egal, was es mit mir machte.
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