Neues Heim

Olivia p.o.v

"Ach, Liebes. Wir können froh sein, dass sie so gnädig sind."

Mama wuselte in meinem Zimmer herum und richtete meinen Koffer. Zwar wollte ich es selber machen, aber sie war besorgt, was meine neue Unterkunft anging. Allerdings aus anderen Gründen als ich. Und mit dem Packen lenkte sie sich einerseits ab, andererseits wollte sie mir einfach behilflich sein.

Noch heute würden wir uns verabschieden. Obwohl sie voller Sorge war (trotz der Nähe und der kurzen Aufenthaltsdauer) war sie auch erleichtert. Es hätte viel schlimmer für uns ausgehen können. Ich war mir sicher, dass diese Gnade größtenteils Alessandro zu danken war.

"Du weißt, nur weil du jetzt nebenan wohnst, kannst du uns trotzdem jederzeit besuchen."
Eindringlich sah sie mir in die Augen.
"Wir sind immer für dich da."

Ich überlegte kurz.
"Kann ich dann nicht einfach fast die ganze Zeit hier verbringen und nur zum Schlafen rübergehen? Sie haben ja nicht gesagt, wie viel Zeit ich pro Tag bei ihnen sein muss."

Mama hielt kurz inne.
"Ach, Liebes, zwar würde ich mich freuen, wenn du uns besuchst, aber ich glaube kaum, dass sie es gutheißen werden, wenn du kaum Zeit bei ihnen verbringst. Schließlich ist das ja Sinn der Sache."

Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen.
"Hast ja Recht.", murmelte ich.

Nach einer Weile war sie auch schon fertig.
"So, ich bin  fertig. Olivia, komm, steh auf."

Lustlos folgte ich ihrer Bitte und nahm meinen Koffer.
Dann gingen wir zusammen die Treppe herunter.
Stefan war mittlerweile auch schon da. Er saß am Tisch, mit seinem Handy in der Hand. Ihm gegenüber war Papa mit einer Zeitung.

"Adios, ihr Lieben. War schön, euch kennengelernt zu haben.", sagte ich in einem wehmütigen Tonfall.

Mein Bruder verdrehte die Augen, ohne den Blick von seinem Handy zu heben.
"Jetzt sei mal nicht so melodramatisch, Liv. Es wird schon nicht so schlimm sein, wie du denkst."

"Genau.", stimmte mein Vater ihm zu. "Und diese Woche wird schneller vergehen, als du 'Mate' sagen kannst."

"Mate.", sagte ich. "Oh guckt mal, die Woche ist noch nicht rum."

Mein Vater seufzte nur frustriert.
"Jetzt tu doch nicht so."

Die Zeitung legte er weg, stand auf und kam zu mir.
"Alles wird gut, ja?"
Er schloss mich in eine herzliche Umarmung.
"Außerdem wohnen wir ja gleich nebenan."

"Hm.", machte ich nur. Das half mir auch nicht viel. Ich musste immer noch diese Woche dort verbringen. Bei Alessandro.
Wie sollte ich das überleben? Ich war mir nicht sicher, ob meine Selbstdisziplin so weit reichte, dass ich mich an meine Entscheidung hielt.

Schließlich hatte ich mich von ihnen allen verabschiedet und ging mit meinem Koffer rüber.
Vor der Haustür blieb ich kurz stehen.
Ich könnte natürlich abhauen. Bei Lisa für eine Woche wohnen.
Aber das würde mir auch nichts bringen. Es würde sie nur wütender machen. Also drückte ich auf die Klingel.

Die Blondine machte mir auf.
"Willkommen in deinem neuen Heim.", hieß sie mich sarkastisch willkommen.
"Alessandro ist oben." Und mit diesen Worten ließ sie mich stehen und ging in Richtung Wohnzimmer.
Wow. Danke. War ja gar nicht so, dass ich keine Ahnung hatte, welches Zimmer Alessandro gehörte.
Und alle Zimmer wollte ich auch nicht ausprobieren müssen, nur um meins zu finden.

Genervt machte ich die Tür zu und stieg die Treppe hoch.
Dort angekommen blieb ich stehen.
Ich konnte jetzt ja wohl nicht an jeder Tür klopfen, oder?

Ich dachte nach. Ich könnte ihn anrufen....wenn ich seine Handynummer hätte.
Und telepathisch konnte ich ihn auch nicht erreichen, weil wir nicht im selben Rudel waren.
Aber warte mal...wir waren Mates. Wir mussten uns auch telepathisch unterhalten können.
Auch wenn wir es noch nie versucht hatten.

Na, dann wäre das jetzt wohl das erste Mal. Ich konzentrierte mich also auf Alessandro, auf das Band zwischen uns.
Und dann schickte ich einfach meine Gedanken an ihn. Wie bei einem Rudelmitglied.

Hey, ich bin's, Liv. Ich steh hier oben in eurem Haus und weiß nicht, wo..
Bevor ich zu Ende sprechen konnte, wurde auch schon eine Tür am Ende des Gangs geöffnet.
Alessandro kam heraus. Diesmal mit T-Shirt. Puh. Glück gehabt. Oder auch nicht. Wie man's sieht.

"Liv?" Fragend blickte er mich an, während er auf mich zukam.

"Hast du gerade getan, was ich glaube, was du getan hast?"
Er hatte einen erstaunten Gesichtsausdruck.

Ich zuckte mit den Schultern.
"Sieht wohl so aus. Kannst du mir mein Zimmer zeigen?"

"Natürlich. Komm mit." Und damit führte er mich nach hinten, ans Ende des Gangs. Genauer gesagt in das Zimmer, aus dem er gekommen war.

Dann drehte er sich zu mir um.
"Das ist mein Zimmer. Du wirst hier bei mir wohnen."

Was?! Entsetzt blickte ich ihn an. Das war ja wohl nicht sein Ernst?! Ich konnte nicht in einem Zimmer mit ihm sein. Das ging nicht. In einem Haus war ja schon schlimm genug.
Aber in einem Zimmer...

Er lachte kurz belustigt auf.
"Jetzt mach nicht so ein entsetztes Gesicht. Wir haben einfach keinen Platz mehr. Und ich werde schon nichts tun, was du nicht willst.", Verschwörerisch zwinkerte er mir zu.

Ich schluckte. Toll. Aber wer sagte mir, dass ich mich genauso unter Kontrolle haben würde?!

"Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?", fragte ich schließlich.

Mir hochgezogenen Augenbrauen blickte er mich an.
"Hättest du dann überhaupt eingewilligt?"

Nein. Definitiv nicht.
Er musste die Antwort an meinem Gesicht abgelesen haben, denn er nickte vielsagend.
"Siehst du? Und jetzt komm. Ich mach mit dir einen Hausrundgang."

Er nahm mir den Koffer ab und stellte ihn ins Zimmer. Erst jetzt nahm ich es näher in Augenschein. Und der nächste Horror erwartete mich. Es war nicht sonderlich groß. Deswegen gab es nur ein Bett rechts an der Wand, einen Schreibtisch daneben, einen Schrank links von der Tür und eine Kommode am anderen Ende. Keine Couch oder andere Schlafgelegenheit. Und auf dem Boden war auch nicht viel Platz. Aber es würde gehen müssen. Denn ich würde ganz sicher nicht mit ihm in einem Bett schlafen.

"Habt ihr hier noch Decken und Kissen?", fragte ich ihn schließlich.

Verwundert blickte er mich an.
"Wofür denn?"

"Na ja, wenn ich dann auf dem Boden schlafe, wäre es schon besser, wenn..."

Er unterbrach mich, bevor ich zu Ende sprechen konnte.

"Du wirst nicht auf dem Boden schlafen, cara mia."

"Aber..."

"Kein Aber. Und jetzt komm.", Damit nahm er mich an der Hand und bescherte mir somit ein Prickeln.

"Hier ist das Badezimmer.", Er zeigte nach rechts. "Leider müssen wir es uns mit den ganzen Leuten auf diesem Stock teilen. Aber oben gibt es auch eins und unten auch."

So ging es weiter. Zu jeder Tür nannte er die Leute, denen es gehörte. Doch da ich noch kaum welche aus seinem Rudel kannte, sagte mir das auch nicht viel. Und ich vergaß die Namen sowieso gleich wieder.

Unten zeigte er mir die Küche, das Wohnzimmer hatte ich ja schon gesehen, das Esszimmer und die Zimmer seiner Eltern.

"Und du kannst jederzeit in den Garten, um dich zu verwandeln. Aber wäre trotzdem gut, wenn du vorher Bescheid sagen würdest."

Nun, das würde nicht vorkommen. Ich verwandelte mich sowieso nur, wenn ich musste. Nämlich bei Vollmond.
Zwar konnte man sich dagegen wehren. Manche schafften es, die Verwandlung bei Vollmond ganz zu verhindern. Aber das verbrauchte enorme Energie. Und es war nicht natürlich. Nicht gut für den Körper.
Daher hatte ich es nie ausprobiert. Auch wenn mich jede Verwandlung dem Tod näher brachte. Es zu unterdrücken würde das nicht verhindern. Wahrscheinlich würde es es eher verschlimmern.

"Wann gibt es Abendessen?", fragte ich schließlich, um von dem Thema abzulenken.

"Gut, dass du fragst.", ertönte eine liebliche Stimme hinter mir.
Schnell drehte ich mich um. Hinter mir stand eine ältere Frau mit langen braunen Haaren, dunklem Teint und braunen Augen. Sie war ein wenig größer als ich, aber nicht viel.

"Du musst Olivia sein. Ich bin Macella, Alessandros mamma*."

"Schön, Sie kennenzulernen.", antwortete ich freundlich. Sein Vater mochte mich ja schonmal nicht, daher war es gut, wenn wenigstens seine Mutter mich symphatisch fand.
Denn auch wenn es idiotisch war, wollte ich, dass seine Eltern mich mochten.

"Ach, du kannst mich duzen. Wir sind ja jetzt eine Familie!", glücklich strahlte sie mich an. Unwillkürlich fragte ich mich, ob sie wusste, dass ich mich von ihrem Sohn lossagen wollte. Oder sah sie einfach gutmütig darüber hinweg?

"Abendessen ist übrigens gerade fertig geworden, es gibt heute Lasagne, das ist Alessandros Lieblingsessen. Magst du auch Lasagne? Glaube mir, sie wird dir schmecken, ich mache sie immer nach dem Rezept meiner eigenen Mamma*, nach Alessandros nonna**..."

Und so ging es weiter. Es war unglaublich, in welchem Tempo Macella sprach. Und so viel!
Wow.

"Mamma*, es ist okay. Das Essen wird noch kalt.", stoppte Alessandro schließlich den Redefluss seiner Mutter.

"Oh, natürlich, du hast Recht! Kommt, kommt."

Und damit huschte sie auch schon ins Esszimmer.
Verblüfft sah ich Alessandro an.
"Deine Mutter ist ja...", verzweifelt suchte ich nach einem passenden Wort.
"... unglaublich.", sagte ich schließlich.
Ich war noch zu überrumpelt, als dass mir ein besseres Wort eingefallen wäre.

Alessandro lächelte zerknirscht.
"Ja, so kann man wohl sagen. War es dir zu viel?"

"Was? Nein, nein, ich hatte nur nicht damit gerechnet."

Erleichtert lächelte Alessandro mich an.
"Komm, dann essen wir jetzt mal."

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*mamma = (Italienisch) Mama
** nonna = Oma

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