Die Versammlung

Olivia p.o.v

Als endlich der letzte Gong ertönte, packte ich schnell meine Sachen zusammen und ging als eine der Ersten nach draußen.
Da Alessandro in der Mittagspause da gewesen war, musste er auch Mittagschule gehabt haben.
Was bedeutete, dass er jetzt auch nach Hause ging.

Also musste ich schnell sein, um nicht wieder zusammen mit ihm laufen zu müssen.
Dank meiner Dummheit würden wir in nächster Zeit ja sowieso viel zu viel Zeit zusammen verbringen....

Zum Glück konnte ich Alessandro nirgends entdecken, als ich es aus der Schule geschafft hatte. Gut.
Dann konnte ich alleine nach Hause gehen.

Obwohl ich bei dem Gedanken hätte erleichtert sein müssen, spürte ich Enttäuschung in mir aufkommen.
Ein Teil von mir wollte meine Zeit mit Alessandro verbringen.
Doch diesen Teil musste ich ignorieren.

Komischerweise fühlte sich der Weg ohne Alessandro länger an.
Ich war froh, als ich endlich zu Hause angekommen war.

"Hallo! Bin da.", rief ich ins Haus hinein, sobald ich die Tür aufgeschlossen hatte.
Meinen Rucksack pfefferte ich in die Diele, dann ging ich zur Küche nach hinten durch.
Doch statt Mama saß am Esstisch Papa. Vor sich das Legendenbuch der Werwölfe.

"Olivia. Wir haben ein Problem. Ich habe keine Ahnung, wie man die Lossagung rückgängig machen kann.", ernst blickte er mich nun an.

Ich seufzte.
"Das wird auch nicht nötig sein."

Da ich noch ein bisschen hungrig war, der Tag war schließlich anstrengend gewesen, suchte ich im Kühlschrank nach Essen. Und wurde fündig.
Auch wenn Mousse au chocolat vielleicht nicht gerade das Gesündeste war, hatte ich Lust darauf.

"Aber Olivia, sie werden nicht gerade begeistert von der Lossagung sein. Wir müssen sie irgendwie besänftigen."

Mit dem Mousse au chocolat in der Hand ging ich auf den Tisch zu und setzte mich gegenüber meinem Vater hin.

"Papa, die Lossagung hat nicht funktioniert, okay? Also müssen wir uns darum auch keine Gedanken mehr machen."

Jetzt runzelte er die Stirn.
"Und das weißt du erst jetzt? Weißt du eigentlich, wie viel Zeit ich mit diesem Buch hier verbracht habe?", entgegnete er wütend, während er es demonstrativ hochhielt.

"Alessandro hat es mir gesagt. Ich war mir vorher schon nicht ganz sicher, aber dann hat er gemeint, dass er mir nicht seinen vollen Namen gesagt hat. Wegen einer Vorahnung oder so."
Ich zuckte die Schultern.
Ich wollte nicht daran denken. Ich wollte jetzt einfach mein Mousse au chocolat genießen.

"Nun.", Papa massierte sich die Nasenwurzel. "Das ändert so einiges. Zwar wird es ihnen nicht gefallen, dass du es versucht hast....aber wenigstens hat es nicht geklappt. Ja, das ist schon Mal ganz gut."

"Für euch vielleicht.", murmelte ich frustriert.

"Olivia, ich verstehe ja deine Beweggründe, aber du kannst nicht nur an dich denken, sondern musst das ganze Rudel im Blick haben. Diese Lossagung hätte ernsthafte Folgen für uns alle nach sich ziehen können."

"Ja, ich verstehe ja schon.", grummelte ich.
Ich tat es tatsächlich. Dennoch blieb ich bei meiner Meinung.

Darauf entgegnete Papa nichts mehr.
Bis ich mein Mousse au chocolat fertig gegessen hatte, schwiegen wir beide. Ein angenehmes Schweigen.
Wir hingen beide unseren eigenen Gedanken nach.

Nachdem ich fertig war, warf ich die Verpackung in den Mülleimer und meinte:
"Gut, dann lass es uns hinter uns bringen."

"Hm, ja gleich." Nachdenklich sah er mich an.
"Was meinst du? Sollen wir ihnen eine Tafel Schokolade oder so mitbringen? Als Gastgeschenk oder so ähnlich?"

Ich zuckte mit den Schultern. Das war mir so ziemlich egal.
Aber ich verstand schon, dass es Papa wichtig war.

"Schaden kann es ja nicht.", sagte ich daher.

Er nickte. Dann verschwand er kurz und kam darauf wieder mit einer Tafel Schokolade und einer Flasche Wein.

So gingen wir dann nach nebenan. Bei dem Gedanken, gleich dem ganzen Rudel oder zumindest einem großen Teil davon gegenüber zu stehen, wurden meine Hände ganz schwitzig.
Mit tiefen Atemzügen versuchte ich mich zu beruhigen.

Dann klingelte Papa auch schon.
Nach kurzer Zeit wurde die Tür auch geöffnet.
Vor uns stand der Typ vom Mittagessen.
Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie er hieß.

"Hey, kommt doch herein.", begrüßte er uns lächelnd. "Die anderen sind hinten."

"Hallo.", grüßte mein Vater freundlich zurück. "Ich bin Anton, Olivias Vater. Wir haben hier ein kleines Präsent für euch mitgebracht."

Damit streckte er die Tafel Schokolade und die Flasche Wein vor sich aus.
Der Typ schien überrascht zu sein.
"Oh, wow, okay, danke. Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.", sagte er, während er Papa die Sachen abnahm.

Mein Vater winkte nur ab.
"Keine Ursache."

Während er uns nach hinten führte, wo wahrscheinlich das Wohnzimmer lag, stellte er sich uns nun vor.

"Ich bin übrigens Tom."

"Schön, dich kennenzulernen, Tom.", erwiderte Papa freundlich.
Als ich nichts von mir gab, schenkte Papa mir einen auffordernden Blick.

Ich verdrehte die Augen, murmelte dann aber auch:
"Sehr erfreut."

Und dann waren wir schon beim Wohnzimmer. Es war viel größer als unseres, aber schließlich musste hier auch ein ganzes Rudel Platz finden.

Auf der Couch saßen ein älterer Mann mit einem kleinen Mädchen, das an ihn gekuschelt lag.
Gegenüber von ihnen lief der Fernseher mit leisem Ton.
Auf einem Sessel saß die Blondine, aber ohne ihren Mate.
Sonst war es überraschend leer.
Dann würde ich wohl doch nicht alle heute kennenlernen. Puh. Glück gehabt.

Der Mann blickte auf.
"Setzt euch doch.", sagte er.
Ohne Begrüßung, ohne ein 'Hallo'.
Wow.
Mein Vater ignorierte diese kühle Begrüßung und blieb bei seinem freundlichen Lächeln.

"Guten Tag, Alpha Leone. Schön, Sie wiederzusehen."
Oh. Das war der Alpha? Alessandros Vater? Hm. Das erklärte, warum er nicht so begeistert war, uns zu sehen.

Auch jetzt entgegnete er nur kühl:
"Ich wünschte, ich könnte dasselbe behaupten. Doch jetzt setzt euch doch bitte."
Mit dem Kopf deutete er auf zwei Sessel, die gegenüber der Couch standen.

Um ihn nicht noch mehr zu reizen, setzten wir uns schließlich.
"Mein Sohn wird gleich kommen.", ließ der Alpha uns wissen.

Wir nickten nur.

"Bis dahin kannst du uns ja erklären, Olivia, warum du eine Lossagung für nötig gehalten hast.", durchdringend blickte der Alpha mich an. Ein komisches Gefühl überkam mich. Als könnte der Alpha mit seinen beinahe schwarzen Augen in mein Inneres sehen.
Die Wahrheit herausfinden, sobald ich den Mund aufmachte.
Natürlich war das purer Schwachsinn. Aber trotzdem wollte dieses Gefühl nicht verschwinden.

Daher zuckte ich nur mit den Schultern.
"Ich hatte meine Gründe.", war alles, was ich entgegnete.

Der Alpha zog eine Augenbraue nach oben. Ihm schien diese Antwort wohl nicht genug zu sein.
Aber was sollte ich schon sagen? Dass ich Angst vor dem Rudel hatte? Nein, danke.
Und die Wahrheit würde am besten ganz versteckt bleiben.

Bevor der Alpha mich weiter befragen konnte, wurde auch schon die Glastür zum Garten draußen geöffnet und Alessandro kam herein.
Mit nacktem Oberkörper.
Er war wohl gerade in seiner Wolfsgestalt gewesen. Und hatte sich nicht die Mühe gemacht, ein Hemd zu suchen.

Ohne mein Zutun blieb mein Blick an seinem Oberkörper hängen. Ich hatte ja schon gewusst, dass er muskulös war - bei meiner Begrabschung hatte ich das gemerkt - aber so?!
Er hatte ein verdammtes Sixpack!

Nicht zu heftig wie diese ganzen Bodybuilder, sondern genau richtig.

"Papà, lass gut sein.", meinte er, aber ich hörte kaum hin. Ich war viel zu sehr fasziniert von seinem Anblick.

"Herr Abens, es freut mich, Sie wieder zu sehen.", begrüßte er meinen Vater.
So langsam sollte ich meinen Blick vielleicht wieder auf sein Gesicht lenken, bevor es noch jemand bemerkte.
Nur mit Mühe gelang mir das auch.

"Die Freude ist ganz meinerseits.", antwortete Papa gerade.

Nach einem kurzen Seitenblick auf mich fragte Alessandro schließlich:

"Ich nehme mal an, Olivia hat Ihnen nicht von unserer Abmachung erzählt?"

Mit gerunzelter Stirn und einem kurzen fragenden Blick auf mich fragte Papa schließlich unsicher:

"Abmachung? Was für eine Abmachung?"

Ich biss die Zähne zusammen. Na toll. Musste er das genau jetzt erwähnen? Ich meine, ich hätte ja auch ein, zwei Monate später oder so bei ihm einziehen können.
Aber nein, es musste natürlich sofort sein.

"Willst du es ihm erzählen oder soll ich das machen?", fragte mich Alessandro freundlicherweise.

"Das kannst ruhig du machen."
Schließlich war es seine Idee.

Alessandro lächelte mich kurz an, dann wandte er sich wieder an meinen Vater.

"Olivia hat sich bereit erklärt, eine Woche hier zu bleiben. Um mich und das Rudel besser kennenzulernen."

Bei diesen Worten spannte sich mein Vater unmerklich an. Ihm schien wohl die Vorstellung nicht zu gefallen, dass ich bei einem fremden Rudel wohnen würde. Besonders wenn es sich um das Bloodthirst-Rudel handelte.
Auch wenn mein Mate ein Teil davon war.
Aber ich wusste, er würde nichts dagegen sagen. Das konnten wir uns nach meiner Lossagung nicht leisten.

"Das kommt ziemlich...überraschend.", sagte Papa schließlich.
"Wann wird sie denn einziehen?"

"So bald wie möglich.", antwortete Alessandro.
Hm. Ich konnte mich nicht daran erinnern, so etwas ausgemacht zu haben. Andererseits...dann hätte ich es rum. Wenn ich diese eine Woche überstand, wäre ich vielleicht gestärkt für die weiteren Wochen mit Alessandro.
Denn ich wusste jetzt schon, dass es eine Herausforderung sein würde, auf engstem Raum mit Alessandro zuammenzuleben.

Mein Vater nickte ein paarmal bedächtig, als müsste er diese Nachricht erst verdauen.
"Nun, dann werden wir wohl gleich packen."

Ich blieb immer noch still. Was sollte ich auch sagen? Dass ich froh wäre, wenn diese Woche vorbei wäre? Dass ich lieber ein Haus mit Krokodilen, Skorpionen und anderen gefährlichen Tieren teilen würde, als mit Alessandro?
Nein, ich glaube, es war besser, wenn ich den Mund hielt.

Papa wollte schon aufstehen, als ihm noch etwas einfiel.
"Sind wir hier dann schon fertig?", ein unsicherer Ton lag in seiner Stimme.
Er wollte wissen, ob meine Entscheidung Folgen tragen würde.

Alessandro wollte schon antworten, aber sein Vater kam ihm zuvor.

"Wir sind fertig, wenn Ihre Tochter sich entschuldigt hat."

Streng sah er mich an. Wartete auf meine Reaktion.
Und ich? Ich wollte mich nicht entschuldigen. Meiner Meinung nach hatte ich nichts Falsches getan.
Gut, ich hätte meinen Eltern von der ganzen Sache vielleicht erzählen sollen...aber bei ihnen hatte ich mich schon entschuldigt.
Und für die Lossagung hatte ich einen guten Grund. Auch wenn ich diesen nicht nennen konnte.

Auffordernd zog der Alpha eine Augenbraue hoch.
Trotzig sah ich ihn an.
Ich weiß, es war nur eine Entschuldigung. Kein großes Ding. Aber wenn ich etwas nicht meinte, dann sagte ich es auch nicht.

Vielleicht wäre es schlauer, mich zu entschuldigen, auch wenn ich es nicht ernst meinte.
Allein schon, um den Alpha bzw. das ganze Rudel nicht noch mehr zu verärgern.
Aber ich weigerte mich.

"Gott, das ist doch nicht schwer!", meldete sich die Blondine nun zum ersten Mal zu Wort. Die ganze Zeit hatte sie nur auf den Fernseher gestarrt und uns nicht beachtet.

"Eine kleine Entschuldigung, das wirst du wohl noch schaffen, oder etwa nicht?", spöttisch sah sie mich an.

Sofort regte sich Wut in mir. Aber ich kämpfte sie nieder. Ein Rumgezicke würde mir auch nicht weiterhelfen.

"Natürlich kann ich mich entschuldigen.", meinte ich schließlich. "Aber das wäre dann nicht ernst gemeint."

"Dann tut es dir also nicht leid, was du getan hast?" Der Alpha hatte seine Stimme gesenkt. Aber ich konnte gut den drohenden Unterton heraushören. Er sollte mir vielleicht Angst einjagen.
Tat er auch. Zum Teil. Denn ich konnte und wollte immer noch nicht lügen, nur damit alle zufrieden waren.

"Wie gesagt, ich hatte meine Gründe."

Seine Miene verfinsterte sich. Nicht gut. Aber vielleicht würde er jetzt selbst zu dem Schluss kommen, dass ich nicht geeignet für seinen Sohn war.
Das wäre für alle das Beste, auch wenn mich der Gedanke schmerzte, von Alessandros Eltern nicht akzeptiert zu werden.

Genau dieser stieß jetzt ein Seufzen aus.
"Ist okay, papà. Sie muss sich nicht entschuldigen."

Einen Moment lang sahen sich die beiden an. Als würden sie stumm miteinander kommunizieren. Oder eben telepathisch.
Dann nickte der Alpha schließlich.

"Ich erwarte dich noch heute hier in diesem Haus, Olivia.", sagte er.

Ich nickte nur. Zwar war mir das nicht ganz recht. Aber nochmal zu protestieren kam wohl nicht in Frage.
Nicht, wenn ich mein Rudel nicht in Gefahr bringen wollte.

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