Die Ausführung des Plans

Unser Geschichtslehrer erzählte gerade irgendetwas über die Französische Revolution, aber ich hörte kaum zu.
Stattdessen überlegte ich, wie ich an den Perso meines Mates herankommen könnte.

Doch egal, wie sehr ich auch hin und her überlegte, eines stand fest:
Ich würde ihm dabei wahrscheinlich sehr nahekommen müssen.
Und genau da lag das Problem.
Wie sollte ich mein Vorhaben ausführen können, wenn uns nur wenige Schritte, vielleicht sogar nur wenige Zentimeter trennten?

Bei unserem ersten Aufeinandertreffen hatte ich mich schließlich kaum konzentrieren können.
Plötzlich ertönte der Gong. Und ich hatte immer noch keine Lösung gefunden.

Seufzend packte ich meine Sachen zusammen und stand auf.
Ich durfte jedenfalls keine Zuschauer haben. Wegen der Niemand-darf-von-Werwölfen-erfahren-Regel.
Tja, das hieß dann wohl, ich musste ihn irgendwie weglocken.
Und durfte ihm dabei auch nicht verfallen.
Toll. Das wird bestimmt einfach, dachte ich sarkastisch.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht auf meine Umwelt achtete und in jemanden hereinrannte.
Oh Mann. So langsam schien das wirklich mein Hobby zu werden.

"Tschuldigung", murmelte ich und wollte mich an der Person vorbeidrängen, doch da hielt mich diese am Arm fest.

Genervt drehte ich mich zu ihr hin und blickte in die blauen Augen einer Blondine. Um genauer zu sein: in die Augen der Blondine von gestern. Die, die mich angeknurrt hatte.
Na toll. Was wollte die denn schon wieder? Ein weiteres Gezicke konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen.

Dementsprechend genervt zischte ich sie an:
"Was?"

Unbeeindruckt antwortete sie:
"Alessandro sucht dich."

Ich runzelte die Stirn.
"Wer ist Alessandro?"

"Ach, ich weiß nicht, vielleicht ja dein Mate?!", antwortete sie verächtlich.
Als ob ich das wissen sollte.
Oh Mann, ich konnte sie jetzt schon nicht leiden.

"Wo ist er?", fragte ich und ersparte mir einen zickigen Kommentar.
Vielleicht war das genau die Gelegenheit, bei der ich ihm seinen Perso klauen konnte.

Einen Moment lang schien sie abwesend, wahrscheinlich fragte sie ihn gerade selbst über die Rudel-Telepathie, wo er sich befand.
Jedes Rudel konnte gedanklich miteinander kommunizieren. Ziemlich praktisch, wenn ihr mich fragt.

Dann sah sie mich wieder an und meinte:
"Du sollst ihn hinter der Schule treffen."

Und damit zischte sie ab. Wow. Sehr nett.
Aber egal. Ich hatte, was ich wollte.
Einen abgeschiedenen Ort, und die Anwesenheit meines Mates.

Also machte ich mich auf den Weg zu ihm. Und versuchte dabei, das aufgeregte Kribbeln in meinem Bauch zu ignorieren. Und das unbehagliche Gefühl bezüglich meines Vorhabens.

Schon nach kurzer Zeit war ich draußen und konnte seinen Duft wahrnehmen. Oh Gott, ich hatte fast schon vergessen, wie gut er roch.
Mmmh, das war auf jeden Fall mein neuer Lieblingsduft.
Unbewusst hatte ich meine Augen geschlossen und folgte der Duftspur.

Zu dem freudigen Kribbeln in meinem Bauch gesellte sich nun eine Begierde, die ich nur mühsam unterdrücken konnte.
Wie konnte es sein, dass ich ihm schon dermaßen verfallen war, obwohl wir uns gestern das erste Mal getroffen hatten?

Als ich ein Räuspern hörte, öffnete ich die Augen. Und sah in diese braunen Tiefen, die mich anblickten. Ohne es zu merken, war ich kurz vor ihm stehen geblieben. Gerade einmal ein halber Meter trennte uns.
Nervös befeuchtete ich meine Lippen.
Sofort huschte sein Blick zu diesen und sandte dabei einen Schauder über meinen Rücken.

Fuck, ich musste was tun.

"Hey,", irgendwie klang meine Stimme ganz rau. Was war nur los mit mir?!
Ich räusperte mich.
"Du heißt also Alessandro, hab ich gehört?"

Gleich darauf biss ich mir auf die Lippe. Was für eine doofe Anrede.
Und warum klang ich so verdammt unsicher?
Wo war mein Selbstbewusstsein hin?

Er grinste mich an.
"Yep. Und du?"

"Olivia. Aber meine Freunde nennen mich Liv."

"Olivia." Er ließ sich meinen Namen geradezu auf der Zunge zergehen. Eine Gänsehaut bildete sich dabei auf meinen Armen. Wie bei fast allem, was er tat, bemerkte ich genervt.

"Ein schöner Name."

"Danke.", entgegnete ich knapp. Meine Reaktionen auf ihn verunsicherten mich.

"Warum bist du gestern abgehauen?", fragte er mich direkt.

Tja, damit hatte ich nicht gerechnet. Gerade verfluchte ich mich innerlich für diese Dummheit. Natürlich würde er danach fragen.
Aber ich hatte natürlich nur an meinen Plan denken können.
Tja, da musste ich jetzt wohl improvisieren.

"Ich...es war einfach zu viel.", platzte es da aus mir heraus.
Stimmte ja auch. Die Erkenntnis, dass ich einen Mate hatte. Meine Reaktionen auf ihn.
So etwas hatte ich noch nie zuvor verspürt.

"Verstehe.", antwortete er bedächtig.
"Na ja, ich hatte auch nicht damit gerechnet, auf meine Mate zu treffen. Aber ich hatte wenigstens eine Vorwarnung."

"Ach ja?", stirnrunzelnd blickte ich ihn an. Wie konnte er es vor mir gewusst haben?

Er grinste leicht.
"Als wir durch dieses Gebiet gezogen sind, habe ich deinen Geruch wahrgenommen. Mir war klar, dass es nur der meiner Mate sein konnte. Ursprünglich war es nicht der Plan, hier zu bleiben, aber jetzt, wo ich dich gefunden hab..."

Den Rest des Satzes ließ er in der Luft hängen.
Und da ging mir plötzlich ein Licht auf. Meine Mutter musste gewusst haben, dass sie hier waren. Schließlich war Papa der Beta des Alphas. Unser Alpha musste es ihm gesagt haben und somit auch Mama.
Meine Mutter hatte mir wahrscheinlich nichts gesagt, weil sie dachte, dass ihr Rudel weiterziehen würde.
Sie konnte ja nicht wissen, dass ich die Mate eines der Ihren war.

"Ist euer Rudel wirklich das Bloodthirst?", fragte ich.

Sein Lächeln erlosch. Aufmerksam betrachtete er mich, während er antwortete.
"Ja. Macht dir das Angst? Ich kenne die Gerüchte, die um uns im Umlauf sind."

Einen Moment lang dachte ich ernsthaft darüber nach. Hatte ich Angst? Vor meinem Mate nicht, nein.
Aber vor den anderen?

"Ich weiß nicht.", antwortete ich schließlich. "Ich werde mir wohl erst selbst ein Bild machen müssen."

Verständnisvoll nickte er. Dann fragte er vorsichtig:
"Darf ich dich umarmen?"

Wachsam blickte ich ihn an. Ich hatte mich schon gewundert, warum er mich nicht sofort angesprungen hatte, sobald er mich sah, oder sobald er meinen Geruch wahrgenommen hatte. Denn das war es, was die meisten männlichen Mates taten.
Aber offensichtlich hatte er Angst, dass ich das nicht wollte.
Meine Reaktion gestern musste ihn mehr verunsichert haben, als er durchblicken ließ.

Zögerlich nickte ich. Es würde eine Herausforderung sein, ihn wieder loszulassen. Denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mir eine Umarmung gefallen könnte. Sehr gefallen.

Aber ich musste einen Schritt auf ihn zugehen, wenn ich mein Vorhaben durchziehen wollte.

Erleichtert kam er einen Schritt auf mich zu. Immer noch vorsichtig legte er die Arme um mich.
Instinktiv spannte ich mich an. Aber nach einem Moment entspannte ich mich wieder. Er war so schön warm.
Fast ohne mein Zutun legten sich meine Arme um seine Mitte und ich schmiegte mich an ihn.

Daraufhin verstärkte er seinen Griff und legte seinen Kopf in meine Halsbeuge.
Geräuschvoll atmete er ein und ließ ein leises Knurren hören, was mir einen Schauder über den Rücken jagte. Als wollte er jemandem klarmachen, dass ich zu ihm gehörte. Da hier niemand anderes war, wollte er es wohl mir klarmachen.

Aber auch ich legte nun meine Wange an seine Brust und drückte mich enger an ihn.
Gefühle wallten in mir auf. Ich verspürte Geborgenheit in seinen starken Armen und eine unermessliche Liebe zu ihm wärmte meine Brust.
Außerdem verspürte ich einen enormen Besitzanspruch. Am liebsten würde ich allen zeigen, dass er meins ist und nur mir gehört.
Und je länger er mich umarmte, desto mehr Verlangen spürte ich in mir aufkommen. Ich wollte mehr, wollte ihn küssen, seine Lippen auf mir spüren, ihn beißen und...

Hastig löste ich mich von ihm und sprang ein paar Schritte zurück.
Doch statt mich zurück zu halten, ließ mich Alessandro frei und schenkte mir ein zerknirschtes Lächeln:

"Zu viel?", fragte er verständnisvoll.

Mit roten Wangen nickte ich.
"Zu viel.", wiederholte ich leise.

Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich ihn auch nur eine Sekunde länger umarmt hätte. Ich wäre wahrscheinlich nie von ihm losgekommen. Das zeigte mir nur zu deutlich, dass ich mich jetzt von ihm lossagen musste.
Denn ich bezweifelte, dass ich später überhaupt noch dazu in der Lage wäre.

Also holte ich tief Atem und fragte:

"Alessandro...ist das ein spanischer Name?"

Schließlich konnte ich ihn nicht direkt nach seinem vollen Namen fragen. Er würde bestimmt misstrauisch werden.

Er grinste leicht.
"Nicht spanisch, sondern italienisch. Meine Eltern sind Italiener."

Ich lächelte ein wenig schüchtern zurück.
"Und wie heißt du mit vollem Namen?"
Erwartungsvoll wartete ich auf seine Antwort. Mein Herz klopfte laut. Zwar stand ich nun ein paar Schritte entfernt von ihm, aber das war bei Weitem nicht genug, als dass er mein Herzklopfen nicht mehr hören könnte.
Hoffentlich wurde er deswegen nicht misstrauisch.

Für einen kurzen Moment zögerte er. Dann antwortete er jedoch:

"Alessandro Leone. Und wie heißt du mit vollem Namen?"

"Abens. Olivia Abens. Hast du einen Zweitnamen?"

"Nein. Du?".
Ich lächelte leicht. "Auch nicht."

Dann wurde mein Lächeln eine Spur traurig.
"Es tut mir leid, Alessandro."

Verwirrt runzelte er die Stirn. Wahrscheinlich fragte er sich, was ich meinte. Er sollte es gleich erfahren.
Mit einem tiefen Atemzug sammelte ich meinen ganzen Mut für das, was ich gleich tun würde.
Schob die ganzen Gefühle, diese dummen Gefühle, die mich zu ihm hindrängten, beiseite. Ich würde nicht egoistisch sein.
Nein, heute würde ich selbstlos handeln.

Noch einmal atmete ich tief ein, bevor ich die Formel aussprach:

"Ich, Olivia Abens, sage mich von dir, meinem Mate Alessandro Leone, los. Im Namen der Mondgöttin zerschneide ich das heilige Band der Soulmates zwischen uns, auf, dass der andere sein Glück ohne mich erfahre."

So. Ich hatte es geschafft. Hatte die Formel ohne jedes Stottern von mir gegeben. Doch nichts passierte. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Einen Schmerz? Eine Lichtexplosion?
Na ja, auf jeden Fall irgendwas. Und nicht nichts.

Alessandro starrte mich ungläubig an.
Ich meinte auch eine Spur von Traurigkeit in seinen braunen Augen erkennen zu können.
Aber er wurde nicht wütend. Nein, er starrte mich an, als fühlte er sich verraten.
Und irgendwie schmerzte dieser Blick in meiner Brust, mehr als jedes Wutgeschrei es gekonnt hätte.
Aber das musste ich ignorieren.

"Es tut mir leid.", flüsterte ich. "Aber es ist besser so. Glaub mir."

Und mit einem letzten Blick auf ihn drehte ich mich um. Floh vor ihm. Wieder einmal.

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