Der Deal
Olivia p.o.v.
Schon seit einigen Minuten versuchte ich, irgendwie aus diesen Fesseln zu kommen. Aber alles, was ich schaffte, war nur, mir noch mehr Schmerzen zuzufügen.
Ich war schon ganz durchgeschwitzt.
Von dem Zustand meiner Handgelenke wollte ich gar nicht erst reden.
Zurzeit war ich froh, dass ich nichts sehen konnte.
Zwar roch ich verbrannte Haut, was mich leicht würgen ließ.
Aber wenn ich sie auch noch sehen musste? Ich glaube, ich hätte kotzen müssen.
Plötzlich hörte ich Schritte. Da kam jemand. War das mein Entführer? Würde er mich von diesen Fesseln befreien? Bei dem Gedanken durchzuckte mich Hoffnung.
Doch gleich darauf schlug ich sie nieder.
Wahrscheinlich würde er mich foltern. Oder irgendwas anderes Schlimmes tun.
Denn diese Fesseln an meinen Handgelenken zeugten keineswegs von seiner Freundlichkeit und Güte.
Die Schritte stoppten. Ein Schlüssel wurde in eine Tür gesteckt. Umgedreht. Mit einem Klicken sprang die Tür auf. Von dem plötzlichen Licht wurde ich so stark geblendet, dass ich instinktiv die Augen zukniff. Dann wurde die Tür auch wieder geschlossen.
Mist. Ich hätte das Licht nutzen sollen. Aber jetzt war es zu spät.
Doch kaum hatte ich das gedacht, wurde es wieder hell. Diesmal hielt ich die Augen offen. Das Licht war zwar nicht so hell wie das von vor der Tür, aber hell genug, um was zu erkennen.
Der Boden bestand aus Fliesen. Und ich saß wirklich auf einem Stuhl. Einem einfachen Holzstuhl.
"Na, sieh mal einer an. Du bist wach.", stellte da eine Männerstimme zufrieden fest.
Schnell blickte ich auf. Wenige Schritte von mir entfernt, an der Tür stand ein Mann. Er war ungefähr 1,80 Meter groß und hatte braune Haare sowie einen Dreitagebart. Seine Augen waren stechend blau.
"Was willst du von mir?", fragte ich mit harter Stimme.
Ich durfte keine Angst zeigen. Das wäre ein Fehler. Denn damit macht man sich zur Beute.
Der Mann lächelte kalt. Dann ging er langsam auf mich zu und kniete sich vor mir hin. Nun waren wir auf einer Augenhöhe.
"Ich will dir ein Angebot machen.", erklärte der Mann noch immer lächelnd. Es sollte wohl freundlich wirken, aber die Kälte in seinen Augen verhinderte das.
Fragend zog ich eine Augenbraue hoch. Er sollte endlich zum Punkt kommen.
"Du hast bestimmt die Silberfesseln an deinen Handgelenken bemerkt.", fing er langsam an.
"Komm endlich zum Punkt.", verlangte ich hart.
Tadelnd hob er den Zeigefinger und die Augenbrauen.
"Aber, aber. Jetzt sei doch nicht so. Nun, aber ich will mal nett sein und ignoriere deinen Ton gerade eben. Folgender Deal: ich befreie dich von den Fesseln und du nimmst Kontakt zu deinem Rudel auf. Sag ihnen, dass du sterben wirst, wenn sich das Rudel von Alpha Leone nicht ergibt."
Für einen Moment konnte ich ihn nur anstarren. Ich sollte was tun?!
Warum wollte er, dass sich Alessandros Rudel ihm ergab? Wollte er der Anführer des mächtigsten Rudels Europas sein?
Aber warum?
"Also?", ungeduldig wartete er auf meine Antwort.
Ich konnte das nicht tun. Alles in mir sträubte sich dagegen. Ich konnte Alessandros Rudel nicht diesen Leuten ausliefern.
Wer weiß, was sie mit ihnen machen würden. Das Silber an meinen Handgelenken zeigte nur zu deutlich, dass sie nicht welche von der freundlichen Sorte waren. Solche Leute durften kein Rudel führen.
Wahrscheinlich würden sie auch noch Alessandro und seinen Vater töten. Allein, weil sie die Alphas waren.
Nein. Das konnte ich nicht zulassen. Egal, wie sehr ich das Silber verabscheute. Wie sehr es mich verbrannte, mich quälte.
Mich langsam umbrachte.
Vorher noch hatte ich mich gegen den Gedanken gewehrt, hier zu sterben. Aber jetzt? Wenigstens starb ich dann mit dem Gedanken, dass ich die anderen beschützt hatte.
Kalt sah ich diesem Mann in die Augen.
"Das können Sie vergessen."
Kurz sah ich Überraschung in seinen Augen aufflackern. Aber so schnell diese aufgetaucht war, so schnell versteckte er sie auch wieder.
Leicht überheblich sah er mich an.
"Dir ist schon klar, dass dich das Silber umbringen wird, oder? Mit jeder weiteren Minute mehr. Dir bleibt also keine andere Wahl, als auf meinen Deal einzugehen."
Ich zeigte ihm mein zuckersüßes Lächeln.
"Da irrst du dich. Ich werde sowieso sterben. Also wieso nicht jetzt?"
Er sah mich an, als wäre ich verrückt.
Zu der Kälte in seinen Augen meinte ich jetzt einen Funken Zorn zu erkennen.
Hm. Nicht gut. Wenn ich sterben musste, okay. Aber auf noch mehr Schmerzen vor meinem Tod konnte ich gerne verzichten.
"Natürlich wird jeder sterben.", brachte er mit mühsam unterdrücktem Zorn hervor.
"Aber ohne das Silber bleiben dir noch Jahrzehnte. Willst du die einfach so wegwerfen?"
Wieder schenkte ich ihm ein überhebliches Lächeln. Als wäre er dumm. War vielleicht nicht so schlau, aber ich würde mich hüten, meine Angst vor einer möglichen Folter zu zeigen.
"Schon wieder irrst du dich. Denn mir bleiben nur noch wenige Wochen, bis ich sterbe. Da macht es jetzt auch keinen großen Unterschied mehr."
Mit zusammengekniffenen Augen sah er mich prüfend an. Überlegte, ob ich bluffte.
Tatsächlich tat ich das nur zum Teil. Klar, ich würde sterben, aber nicht so bald. Mir blieben noch mehrere Monate. Aber davon musste er ja nichts wissen.
Als er in meinem Gesicht wohl nichts entdecken konnte, was auf eine Lüge hinwies, runzelte er nachdenklich die Stirn.
"Und warum wirst du sterben?"
"Serpens mors lycanthropi. Schon Mal davon gehört? Ist eine Werwolfskrankheit. Bei jedem Vollmond wird man schwächer. Tja, bei mir dauert es nicht mehr lang."
Erkenntnis spiegelte sich auf seinem Gesicht. Yup, er hatte davon gehört.
Gleich darauf verfinsterte sich seine Miene jedoch. Hm, er war wohl nicht so erfreut darüber zu hören, dass er sich die Falsche geschnappt hatte.
"Das verkompliziert natürlich die Dinge.", murmelte er vor sich hin. Dann stand er auf.
"Nun, dann wirst du hier wohl noch ein bisschen länger ausharren müssen, bis ich und die anderen entschieden haben, was wir mit dir machen."
Damit ging er auch schon zur Tür, machte sie auf und schloss sie wieder hinter sich ab.
Wenigstens hatte er das Licht angelassen.
War immer noch besser als im Dunkeln zu hocken.
Nach einem Moment wurde mir auch die Bedeutung seiner Worte klar.
Ich und die anderen.
Er musste zu einem Rudel gehören. Aber welches Rudel hatte es auf das Bloodthirst-Rudel abgesehen?
Und wie konnte ich sie warnen?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top