Vertrauen

,,Aber ich weiß dass du besonders bist. Glaub mir, du musst nur der Welt erlauben es zu sehen."

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Ich schaue ihn verdutzt an. Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. ,,Du siehst aus wie eine Ente." gluckst er. Ich schaue beschämt zu Boden. ,Reiß dich zusammen, Lindsay. Zeig ihm nichts, zeig ihm keine Gefühle, er wird sie nur ausnutzen und auf ihnen mit Stollenschuhen herumtrampeln.' rufe ich mir ins Gedächtnis. Ich möchte mutig sein, aber soll ich riskieren verletzt zu werden? Soll ich alle Vorsicht fahren lassen und ihm vertrauen? Nein. Vertrauen ist etwas dass aus dem inneren kommt, aus den tiefsten Tiefen einer Seele. Mein Problem ist bloß.. ich habe keine Seele. Meine Seele ist versprengt und zerstückelt, während die schrecklichen Wunden nie aufhören zu bluten. Selbst wenn ich in meinem ganzen, kurzen Leben je einem Menschen kennen lerne, der mich versteht und mich vielleicht liebt, so wie ich bin, nein. Vertrauen werde ich niemals können. Dafür wurde ich zu oft ausgenutzt. ,,Lindsay." Holt mich eine weiche Stimme zurück in die Gegenwart. Ich nicke, ganz leicht, nur um zu verstehen zu geben, dass ich gehört habe. ,,Weißt du, ich weiß nicht wie es ist seelisch zu sterben, aber ich weiß wie es ist geliebte Menschen zu verlieren." Mir wird heiß und das Blut strömt in meinen Kopf. Er hat jemanden verloren. Er weiß wie es ist, wenn in deinem Herzen plötzlich ein klaffendes Loch ist, genau dort, wo diese Person früher einmal war, und jetzt alles plötzlich kalt und ausgehärtet ist. ,,Wen.. Wen hast du verloren?" Frage ich flüsternd und starre weiterhin meine Schuhe an. Kurz ist es still. ,,Meine Schwester." sagt er dann und seine Stimme zittert. ,,Meine Schwester." Plötzlich höre ich ihn schluchzen. Ich schaue auf und sehe in seinen Augen Tränen. Echte Tränen. Ich öffne den Mund, möchte etwas tröstendes sagen, während er hemmungslos in seine Hände weint. ,,Ich.. Dean.." Versuche ich einen Satz zu bilden, doch die Wörter entfleuchen meiner Zunge, bis ich den Mund schließe und den weinenden Jungen hilflos ansehe. Nach einiger Zeit, ob es Minuten oder Stunden waren weiß ich nicht, fährt er sich mit dem Handrücken über die Augen und schaut mich lächelnd an. ,,Du hast meinen Namen gesagt." sagt er während seine Stimme noch schwer von Tränen ist. ,,Was?" Frage ich leise. ,,Meinen Namen. Dean." sagt er leise. ,,Das hast du noch nie getan. Warum jetzt?" Ich zucke mit den Achultern und starre wieder nach unten. Nach einiger Zeit des Schweigens flüstere ich. ,,Weil du plötzlich ein anderer warst." Durch das Sonnenlicht blinzelnd schaut er zu mir. ,,Wie meinst du das?" hakt der Junge mit den grauen Augen nach. ,,Ich hätte nicht gedacht, dass du vor jemandem wie mir weinst." sage ich und Wende meine Augen nicht vom wogenden, gelben Gras ab. ,,Lindsay, was jemanden stark macht, ist es vor anderen schwach sein zu können." ertönt die Stimme des Sohnes eines Geschäftsmannes. ,,Sieh, meine Schwester Anny war stark. Sie war eine unfassbar starke Persönlichkeit, doch.. sie wollte nicht schwach sein. Sie dachte sie wäre stärker als alles oder auch der Tod, doch sie war nicht stärker." Dean stockt und bricht ab, während er in die Ferne sieht. Nach kurzer Zeit nimmt er den Faden wieder auf und erzählt weiter. ,,Sie war jünger als ich. Sie war .. eigenwillig. Und eines Tages wurde ihr das zum Verhängnis. Ich weiß nicht, wie genau es war, ich weiß nur, dass sie einen Fahrradunfall hatte." Ich schaue auf. ,,Das tut mir unfassbar Leid." flüstere ich mit zitternder Stimme. Dean schüttelt den Kopf. ,,Nein.. Nein, Mitleid ist hier falsch. Ich vermisse Anny, aber.. sie war nicht stark genug." Er schaute mich an. Dann holte er einen Fetzen Papier aus der Hosentasche und hielt es mir hin. Es war ein Foto. Ein Junge hatte den Kopf auf den eines Mädchens gelegt und seine Arme um sie geschlungen. Beide lächelten ins Sonnenlicht. Ich brauchte einige Minuten, bis ich erkannte, dass der Junge Dean war. ,,Ist das deine Schwester?" fragte ich heiser. Dean nickte. ,,Ja, das ist Anny. Das Foto ist jetzt gut zwei Jahre alt. Seit ihrem Tod trage ich es immer bei mir. " Ich nicke. Wie mein Medaillon. Einige Minuten höre ich nur auf das Singen der letzten Vögel, dann holt Dean tief Luft. ,,Weißt du, ich möchte nicht noch ein Mädchen verlieren, das ich gern hab." Mein Blick rast zu ihm. Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder. In meinem Kopf schwirren die Gedanken umher. Das kann er nicht ernst gemeint haben... Warum sagt er es dann? Er möchte mein Vertrauen.. Dann gib es ihm... Ich habe kein Vertrauen..
Ich rücke Weg. Nur einen Millimeter, aber ich habe ihn all den Jahren gelernt, wie wichtig Abstand zur Liebe ist. Dean schaut mich an. ,,Ich möchte dir helfen, Lindsay." Ich öffne den Mund, doch er unterbricht mich. ,,Nein, hör mir zu. Ich weiß, dass du mir nicht Vertrauen willst, weil du zu oft missbrauchst wurdest, aber wenn ich dir eins Versprechen kann, dann, dass ich es nicht tun werde." Ich öffne abermals den Mund, doch er legt mir sanft den Finger auf die Lippen, worauf ich zusammenzucke und zurückweiche. ,,Lindsay, Vertrauen kann man nicht erzwingen. Es muss von hier kommen." sagt er und berührt meinen Körper, genau dort, wo sich mein Herz befindet. Ein warmes prickeln geht von der Stelle aus und ich berühre sie. Dann schaue ich hoch und schüttele den Kopf. ,,Ich kann nicht Vertrauen. Meine Seele ist niedergetrampelt und zerrissen. Ich kann nicht mehr vertrauen." flüsterte ich und kämpfe mit Tränen. Die in mir aufsteigen. Dean lächelt mich sanft an. ,,Dann lass sie mich wieder zusammenflicken." flüstert er. Ungläubig starre ich ihn an. Er lächelt und springt vom Ast hinunter. ,,Das Angebot steht." lächelt er und eine leichte Abendbrise zerzaust sein dunkles Haar. ,,Wenn du möchtest, dann nimm es an. Wenn nicht.. Ich kann warten." Mit diesen Worten dreht er sich um und verschwindet im Feld. Verblüfft starre ich ihm nach. Ich lasse mich vom Baum gleiten und Rutsche am Stamm hinunter. Ich stütze meinen Kopf in die Hände und massiere meine Stirn mit den Knöcheln. Alles ist so viel. Meine Gefühle spielen verrückt. Die eine Seite möchte vertrauen und Dean endlich vertrauen können. Die andere Seite warnt mich und schreit, ich solle es nicht tun, er sei nur ein Gewöhnlicher, der mich wie alle ausnutzen will. Ich lehne meinen pochenden Kopf an die Rinde des Baumes und schließe die Augen. Jetzt stelle ich mir nur diese eine Frage. Meint er es ernst?

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Written by: Writer_007

Gewidmet: soul-of-sky

Wörteranzahl: 1090

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