Erinnerung

Ich betrachte meinen Vater noch einige Zeit. Sein Gesicht ist fleckig und an einigen Stellen gerötet. Seine Haare fallen in unregelmäßigen und fettigen Strähnen in seine geschlossenen Augen.
,,Ach Papa.." flüstere ich und drücke ihm einen sanften Kuss auf die äderige Wange bevor ich mich in mein Giebelzimmer unterm Dach verziehe.
Als ich ankomme öffne ich erstmal das Fenster und lasse die frische Luft in meine Lungen strömen. Ich seufze tief und Stütze meinen Kopf auf den Ellbogen ab.
Mit verschleiertem Blick schaue ich in die Ferne. Vielleicht sollte ich erzählen, dass nicht nur meine Großeltern gestorben sind.
Vor 6 Jahren, als ich in der 1. Klasse war, war alles perfekt. Mein Vater hatte war Angestellter bei einer Firma und meine Mutter arbeitete nur Halbtags in einem Blumenladen.
Doch an diesem einen Abend änderte sich alles...

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Der erste Elternabend stand bevor. Die Klasse hatte sich erst neu zusammengefügt und dies war eine Art Kennen lernen unter den Eltern.
Auch für Maria Nasel.
Sie stand schon angekleidet an der Haustür und wollte gerade die Tür öffnen als ein kleines Mädchen mit gelbem Nachthemd um die Ecke sauste.
,,Mami!" quiekte sie und sprang in die ausgebreiteten Arme der Mutter. ,,Wo geht's du hin? Du musst mir noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen." sagte das Kind und hielt Maria ein Kinderbuch entgegen.
Ein Lächeln breitete sich auf Maria's Gesicht aus als sie die süße, bettelnde Miene des Mädchens sah.
Sie setzte das Kind ab und ging in die Knie.
,,Lindsay." sagte sie bestimmt. ,,Ein ander Mal, okay Süße. Ich muss in die Schule wegen deinem Elternabend."
,,Wieso?" heulte Lindsay und klammerte sich an das Bein von ihrer Mutter.
,,Hör zu Kleines." versuchte Maria die Situation zu retten. ,,Morgen les ich dir zwei Geschichten vor, okay?"
Lindsay schluchzte noch einmal und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
Hilfesuchend blickte die Mutter zu ihrem Mann. Dieser stand auf und nahm Lindsay an der Hand. ,,Guck mal, Süße." sagte der Vater. ,,Mama muss jetzt weg wegen der Schule. Aber ich mach dich Bettfertig und dann schläfst du ganz schnell ein, und wenn du aufwachst dann ist sie schon längst wieder da."
Lächelnd küsste Maria ihren Gatten auf die Wange und umarmte ihre Tochter.
,,Bis morgen, Süße!" rief sie dem Mädchen noch nach und schloss dann die Tür auf.
,,MAMA!" schrie Lindsay ihrer Mutter noch nach, doch sie war schon durch die Tür. Das Letzte was sie noch rief war.
,Wir sehen uns morgen, mein Engel!'
Doch dazu würde es nie kommen...

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Ich starre immer noch aus dem Fenster leise bahnt sich eine Träne ihren Weg über meine Wange.
,,Warum?" flüstere ich leise. ,,Warum musstest du zu diesem dummen Elternabend gehen?" Eine Stunde nachdem meine Mutter das Haus verließ erhielten wir eine Nachricht, dass meine Mutter einen Autounfall gehabt hatte. Ich konnte das damals noch nicht verstehen, ich war 6. ich dachte immer sie würde gleich wieder zur Tür reinkommen und sagen. ,Jetzt les' ich dir deine versprochenen Geschichten vor, mein Engel.'
Aber es war nie so gekommen. Sie war nie wieder aus dem Auto gestiegen. Hatte mir nie wieder eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen.
Erst nachdem meine Mama nach einer Woche immer noch nicht zurück gekehrt war, habe ich realisiert dass sie nie wieder kommen würde.
Mein Vater fiel in ein tiefes Loch. Er kündigte seine Arbeit und ertränkte seinen Kummer in Alkohol. Seitdem bekomme ich tagtäglich meine Prügel.
Ich bin Schuld daran, dass sie gestorben ist. Ich hätte mich an Sie Klammern müssen um sie aufzuhalten, doch ich habe nichts getan. Gar nichts.. Und meine Mutter ist tot.
Hilfesuchend wandern meine Finger zu meinem Hals hoch um die tröstende Wärme meines Medaillons zu empfangen, doch sie greifen ins Nichts.
Erneut steigen die Tränen in mir auf. Es ist weg. Natürlich. Die Gewöhnlichen in der Schule haben es mir vom Leib gerissen und vor meinen Augen ins Feuer geworfen.
Es war das Einzige was ich noch besaß. Das Einzige was mir Kraft gab. Das Einzige was mir Hoffnung gab, wenn ich allein war und misshandelt wurde oder dem täglichen Mobbing ausgesetzt war.
Die einzige Hoffnung, wenn ich blutend und wimmernd in der Ecke lag und die Gewöhnlichen meine Wunden nur noch vertieft haben.
Es war das Einzige.
Denn es sandte eine Botschaft.
,Du bist nicht allein.'


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Written by Writer_007

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