„Wir können den Wind nicht ändern aber die Segel anders setzen."
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TAYLOR ║ 25.10.2016
Tribeca, Manhattan, NYC
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Die braunen Augen, die mich bemitleidend ansehen, schaffen es beinahe meine Dämme erneut zum Einstürzen zu bringen. Und das obwohl ich in den zehn Minuten, die er mich hat möglichst Abseits zu warten, so hart daran gearbeitet habe nicht mehr zu weinen.
„Komm her, Mädchen", spricht er in die Dunkelheit hinein und breitet seine Arme aus. Ohne mit der Wimper zu zucken nimmt er mir die Transportbox aus der Hand und drückt mich mit dem anderen Arm an sich. ‚Ach kacke', denke ich mir und fange erneut an zu weinen. „Was ist denn passiert?" fragt er ruhig aber mit meinem Unterton, der mir versichert ihm nicht antworten zu müssen. Zumindest noch nicht. Ein Angebot, welches ich nur zu gerne annehme. Schon immer hatte Paul ein unbeschreibliches Gespür für die Innenwelt seines Gegenübers. Vielleicht ließen ihn die Jungs deshalb nur sehr ungern gehen.
Wie lange er mich tatsächlich im Arm hält weiß ich nicht. Am liebsten möchte ich das Gefühl von Geborgenheit nicht mehr hergeben. Rational weiß ich aber auch, dass wir uns irgendwann aus der dunklen Ecke bewegen müssen. Die Seitenstraße, in der ich mich versteckt hielt, riecht noch dazu nicht gerade nach Parfümerie und ich möchte lieber nicht wissen, was sich in dem Haufen prall gefüllter Müllsäcke uns gegenüber befindet.
„Können wir?", fragt er in diesem Moment vorsichtig, bewegt sich aber keinen Zentimeter, um mir zu signalisieren, dass die Entscheidung bei mir liegt. Ich möchte ihn nicht weiter belasten, fühle mich ohnehin schon schlecht und somit nicke ich und löse mich aus seinem Griff.
„Oha", entfährt es mir beeindruckt als wir die dunkle Gasse verlassen und ich im sanften Schein der flackernden Straßenlaterne erkenne, mit was er mich hier einsammelt. „Higgins Security?" Mit stolzgeschwellter Brust geht er einen Schritt an mir vorbei und verfrachtet Meredith und Olivia auf die Rückbank des wuchtigen, pechschwarzen Vans. „Ja. All Star Security war ein bisschen drüber, ein bisschen kitschig, weißt du?" Ich nicke und höre ihm gespannt dabei zu, wie er von seinem Umzug in die Staaten erzählt.
„Verstehe mich nicht falsch, Irland ist Heimat und meine heimliche große Liebe", verschmitzt zwinkert er mir zu, während er um den Wagen herumschreitet. Mit entsprechender Gestik versichere ich ihm: Meine Lippen sind versiegelt. Wer wusste schon was Clodagh davon hielt, wenn er ihr diesen Titel absprach. „Aber für unsere vier Kids ist es einfach besser hier."
Überrascht ziehe ich meine Augenbrauen nach oben, lasse mich auf den Beifahrersitz fallen und schaue ihm gespannt zu. „Vier hast du mittlerweile?" Liebevoll und Stolz lächelt er mich an und erzählt weiter, während er im Handschuhfach nach seinem Portemonnaie sucht. Die Bilder, die er mir zeigt sind unfassbar süß. Drei Jungs und eine selbsternannte Prinzessin strahlen mir auf verschiedenen Schnapschüssen entgegen und für einen Moment vergesse ich alles um mich herum. Die vielen eingefangenen Momente des Glücks erinnern mich an die riesigen Alben, die meine Mutter noch heute im großen, hölzernen Schrank im Wohnzimmer verstaut hat. Zahlreiche Augenblicke, verewigt, eingeklebt, verziert und beschrieben erzählen, wie Austin und ich heranwuchsen und uns zu eigenständigen Menschen entwickeln. Zumindest eine Hälfte von uns. Bei mir war ich da nicht so sicher und ob er es möchte oder nicht, Paul erinnert mich daran.
„Wo soll ich euch denn eigentlich hinbringen? Magst du mit zu mir kommen?" Das Angebot ehrt ihn sehr und spricht Bände über seine Persönlichkeit. Immerhin habe ich ihn seit einigen Jahren weder gesehen, noch gesprochen und trotzdem zögerte er nicht eine Sekunde, um mir zu helfen. Wie ich ihm das danken sollte, wusste ich bisher nicht, doch irgendetwas musste ich mir einfallen lassen. Es ist nicht selbstverständlich nach Jahren der Stille Versprechen einzuhalten.
Nichtsdestotrotz fällt es mir nicht einfach meinen Wunsch auszusprechen. Es kommt mir vor, wie ein ‚Wie du mir, so ich dir' –Moment. Ich weiß allerdings auch, dass ich keine Kraft haben werde für ‚Hab ich dir doch gleich gesagt' – Gespräche. Leider wird es aber genau darauf hinaus laufen, egal, bei welcher meiner Mädels ich auftauche. Diesen Talk kann ich mir später immer noch anhören. „Kannst du mich zu Harry bringen bitte?" Pauls Blick verunsichert mich jedoch ungemein und ich beginne prompt zurück zu rudern und versuche mich mit zittrigen Fingern wieder abzuschnallen. „Weißt du was, vergiss einfach, was passiert ist, ich habe einfach nur massiv über reagiert. Wenn ich ihm richtig zugehört hätte, dann wäre das nicht passiert und ich hätte ihn nicht so aus der Kalten heraus angreifen dürfen, dann hätte er auch nicht ausgeholt, das weiß ich ja, sowas macht er eigentlich nicht und-" „Mädchen...wer hat dich geschlagen?" Seine Miene ist stählern, er zwingt mich ihm in die Augen zu sehen und greift bestimmt nach meinen Händen, umschließt sie fest und macht mir damit mehr Angst, als er vermutlich möchte.
Tränen bahnen sich erneut meine Wange hinab und ich schaffe es nicht seinem Blick standzuhalten, rutsche auf meinem Sitz gegen die Tür und versuche mich aus seinem Griff zu winden. „Entschuldige bitte", sagt er sofort, als er bemerkt, wie unangenehm mir das Ganze hier ist. „Du hast so wild gestikuliert, ich wollte nicht, dass du dir wehtust. Außerdem sind deine Finger ganz schön blau, ich dachte..." Der Rest seines Satzes bleibt in der angespannten Luft hängen, doch er lenkt meine Aufmerksamkeit damit auf meine Finger und er hat recht. Sie sind eiskalt.
Somit greife ich nach seiner Hand und bitte ihn mich anzusehen. „Danke, Paul." Mich zu einem Lächeln zwingend streiche ich über seinen Handrücken.
„Vielleicht war ich auch ein bisschen verwirrt, weil er hier gleich um die Ecke wohnt." Erklärt mir der Ire ruhig, sobald ich ihn darüber aufgeklärt habe, wieso ich mich so panisch aus seinem Auto verkrümeln wollte. Was er da jedoch sagt, verwirrt mich, denn es erklärt einige vergangene Momente, in denen ich glaubte verrückt geworden zu sein. „Moment mal, was?"
Ungeniert zückt Paul sein Handy und reicht es mir nach wenigen Sekunden. „1,5 Meilen, maximal 15 Minuten bei miesem Verkehr bzw. Rush Hour, laut Google Maps maximal acht Minuten."
„Ich fühle mich, wie der größte Idiot unter der Sonne", kommentiere ich trocken, denn es entspricht der Wahrheit. Mein Gesicht bleibt in meinen Händen vergraben, als Paul den Wagen sicher durch die Nacht lenkt. Und er hat recht. Nach exakt zehn Minuten bleiben wir stehen und ich schaue mich um. Die Nachbarschaft kenne ich, wenn ich mich nicht irre hat auch Kendall in dieser Gegend einmal ein kleines Apartment bewohnt.
„Eigentlich müsstest du schon einmal hier gewesen sein", bricht Paul schließlich die Stille. „Das ist die Greenwich Street und hier wohnen unter anderem-" „Blake und Ryan", es fällt mir wie Schuppen von den Augen und ich lasse den Kopf gegen die Scheibe fallen.
„Mädchen, das muss dir wirklich nicht unangenehm sein. Ich hab's dir vor Jahren schon gesagt: Wenn du Hilfe brauchst bin ich da. Ohne Fragen, ohne Alles."
Er sagte es und er war einer der wenigen Menschen, der es auch wirklich so meinte. Er ist ein Engel, daran besteht kein Zweifel und genau das verkünde ich ihm auch, als er mir meine beiden Katzen reicht. „Darf ich dich mal drücken?" fragt er leise und vorsichtig. Der Unterton und der traurige Ausdruck seiner Augen lassen mein schlechtes Gewissen ins Unermessliche ansteigen; ich schäme mich, ihm ein komisches Gefühl gegeben zu haben, nur, weil ich mich im Auto nicht unter Kontrolle hatte. „Bitte, ja." Sage ich deshalb und lächle. Vielleicht lächelt auch er dann, denke ich mir und genieße das Gefühl von Sicherheit ein letztes Mal, bevor ich mich auf den Weg in die Lobby mache.
Paul wäre jedoch nicht Paul und hätte vermutlich seinen Job verfehlt, wenn er nicht einige Meter hinter mir laufen würde, um sicher zu gehen, dass ich auch wirklich an meinem Ziel ankomme.
Meine Finger sind eisig und meine zwei Katzen deutlich schwerer, als ich vermutet hätte und so braucht es nur einen großen Sprung nach vorne und der liebste Mann, der mir seit langem unter gekommen ist, hält mir zuvorkommend aber keck grinsend die Tür auf.
„Danke", antworte ich, muss mir dabei auch ein Grinsen verkneifen und gehe an ihm vorbei in die warme Lobby.
Aufgrund des 24h-Service, der sowohl einen Concierge als auch einen Pförtner beinhaltet, kommen wir zwar leicht in die Lobby des Hochhauses, doch eigentlich keinen Schritt weiter.
Zumindest nicht, wenn dort nicht ein zerlumpter, junger Mann stehen würde, der eifrig mit besagtem Pförtner diskutiert.
„Okay, noch einmal von vorne: Wenn Sie bitte einfach so freundlich wären, Mr. Jefferson zu kontaktieren, ich versichere Ihnen, er kennt mich." „Tut mir leid, Sir. Noch einmal: Ohne entsprechenden Ausweis, Schlüsselkarte oder jedwede andere Form der Identifikation, kann ich Sie nicht passieren lassen."
Gefrustet streicht er sich die dunklen Locken nach hinten, ich höre ihn laut schnauben.
„Verdammter Mist, Sie aufgeblasener Schnösel. Meinen Sie denn, ich blättere ihr über 6 Millionen Dollar für die Bude hin, um mich jetzt von Ihnen aussperren zu lassen? Geben Sie mir das Telefon, ich erledige den Mist jetzt selbst."
Die Tonlage in der Harry mit dem armen Mann spricht, lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Aus Reflex trete ich einen Schritt zurück und stoße gegen Pauls muskulöse Brust. Ob es ein Fehler war herzukommen?
Noch bevor der Sänger vor unserer Nase sich über den Tresen schwingen kann, hat der Pförtner schon einen Teaser gezückt. Um Himmels Willen. Bin ich hier in einem schlechten James Bond gelandet?
„Harry!" rufe ich eine Spur zu laut und vermutlich auch einige Oktaven zu hoch und schrill.
Erschrocken drehen sich beide Männer zu mir und ich bilde mir ein, dass auch Paul mir Löcher in den Rücken starrt.
In meinem Kopf möchten sich auf die Schnelle einfach keine Wörter bilden, weshalb eine seltsame Stille entsteht, in der sich alle Beteiligten nur ratlos ansehen.
„Was machst du hier?" fragt Harry schließlich und Paul beginnt im selben Moment: „Ich hab dir mal deine Freundin gebracht" und schiebt noch ein Mr. Styles hinterher. Nichts hat sich je falscher angehört.
Die gewünschte Wirkung scheint es aber zu haben. Statt unseren gemeinsamen Freund teasern zu wollen, treibt ihm die Erkenntnis Schamesröte ins Gesicht. „Mr. Styles, bitte entschuldigen Sie, ich-" „Ja, ja egal jetzt. Kann ich bitte endlich diesen blöden Ersatzschlüssel bekommen?" wird der inzwischen schwitzende Mann angefahren. Beinahe tut er mir Leid, doch der Frust in Harrys Stimme spricht Bände. Widerstand würde er nicht dulden und statt uns zu begleiten, wie es normalerweise der Fall wäre, bekommt Harry einfach den Generalschlüssel ausgehändigt. Im Gegensatz zu mir wird er nicht gebeten ihn so schnell wie möglich zurück zu bringen. Vermutlich traut sich der arme Tropf nicht mehr als nötig zu sprechen.
„Kommt ihr?" fragt Harry schließlich, grinst frech in unsere Richtung und zwinkert noch frecher im Vorbeigehen in Richtung des Pförtners. Man hört ihn erleichtert ausatmen, sobald wir vor dem Fahrstuhl stehen.
Weder Paul, noch ich machen einen Mucks auf dem Weg nach oben. Es ist, als würden wir abwarten bis Harry explodiert.
Nervös spiele ich mit einer kleinen Plastikkappe am Korb von Meredith und Olivia. Auch die beiden geben keinen Pieps von sich.
Noch bevor wir das zweite Stockwerk erreichen, nimmt Harry mir die Box aus der Hand und greift mit seiner freien Hand nach meiner. „Sorry", flüstere ich fast tonlos. Ich weiß, wie sehr ihm diese nervösen Ticks und Spielereien auf die Nerven fallen.
Mit einem leisen ‚Bing' kommen wir im obersten Stockwerk an und erst als ich sehe, wie Harry sich die Handflächen an der Hose abwischt wird mir bewusst, warum er wirklich nach meiner Hand griff. Das Lächeln muss ich mir verkneifen.
Schneller, als Paul und ich eigentlich reagieren können, ist Harry in der Tür zu seinem Apartment verschwunden.
Während wir noch außerhalb des Lofts stehen und uns anschauen, wie bestellt und nicht abgeholt, höre ich meine beiden Katzen miauen und fauchen. „Shit" kommt es von Harry und jetzt kann ich mir das Kichern nicht verkneifen.
„Er hat sich immer die allerbeste Mühe gegeben. Aber Olivia hasst ihn einfach", erkläre ich ungefragt und laufe auf Harrys Tür zu. „Blöde Kuh", zischt er, wischt sich ein wenig Blut an der Hose ab und grinst mich an. „Sie hasst mich immer noch." Mehr als zu nicken, bleibt mir nicht übrig. Es ist offensichtlich.
„Noch jemand ein Glas Wein?" Ohne eine Antwort abzuwarten verschwindet Harry wieder und kommt schließlich mit zwei Gläsern und einer Flasche Rotwein wieder zurück in den geräumigen, gänzlich weißen Flur. „Keine Sorge, Pauly. Im Wohnzimmer habe ich noch Wasser."
„Ich will euch keine Umstände machen und mich gleich wieder verkrümeln", spricht der Ire gegen jede meiner Erwartungen und hat schon die Türklinke in der Hand. Er hält noch einmal inne bevor er die schwere Tür öffnet. „Wenn ihr schon nicht mit mir redet, sprecht wenigstens mit einander. Ich denke es ist offensichtlich, dass hier einiges nicht richtig läuft."
Mit einem Peace-Zeichen und einem müden Lächeln auf den Lippen verschwindet er schließlich und lässt mich in einem betretenen Schweigen alleine bei Harry.
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