Nicht mal einen Tag

[Remus p.o.V.]

Den Kopf tief über ein Buch gesenkt saß ich auf dem Boden im Astronomieturm.

Als Außenstehender würde man meinen, ich wäre nur ein übereifriger Schüler, den es noch vor dem Frühstück zu den unzähligen Teleskopen hier gezogen hatte.

Doch in Wahrheit war ich aus einem anderen Grund hier: der Turm war an diesem Samstag Morgen herrlich leer und kühl, und genau der Ort, an den Sirius nicht kommen würde.

Ich konnte ihm im Moment nicht begegnen; dann würde ich sofort wieder in Tränen ausbrechen, und das wollte ich nicht. Zwar liebte ich ihn immer noch mehr als alles andere, aber er hatte mich zutiefst verletzt; wenn ich jetzt vor ihm weinen würde, symbolisierte das nur Schwäche.

Deshalb saß ich jetzt hier, inzwischen leicht fröstelnd an die Wand neben einem großen Teleskop gelehnt, und versuchte mir eine Zukunft ohne Sirius vor zu stellen.

Doch es ging nicht.

Seit Sirius und ich zusammen gekommen waren, hatte sich das so fix, so unerschütterlich angefühlt. Es war immer klar gewesen, dass wir zusammen bleiben würden, auch nach Hogwarts. Das diese gemeinsame Zukunft eventuell nicht stattfinden würde, brach mir das Herz.

Plötzlich hörte ich ein Schnaufen aus Treppenrichtung und zuckte zusammen. Oh Gott, bitte lass es nicht Sirius sein, dachte ich.

Während ich überlegte, aus dem Fenster zu flüchten, und ehe ich realisierte, dass ich mich hundert Meter über dem Boden befand, hörte ich eine weibliche Stimme.

So hatte ich Sirius' Stimme nicht in Erinnerung, dachte ich, als Amelia mit hüpfenden Locken und vor Anstrengung roten Wangen durch die Tür kam.

Noch besser. Hatte es das Schicksal auf mich abgesehen?

"Hi", murmelte ich und sah schnell wieder auf mein Buch.

"Hey, Remus. Darf ich?" Ich sah auf und sah, wie Amelia, immer noch schnell atmend, neben mir auf den Boden deutete.

Obwohl ich nichts weniger wollte, dass sich Sirius' Zukünftige neben mich sitzt, nickte ich.

Mit einem Seufzen ließ sich Amelia auf den Boden fallen. Das Treppensteigen hatte ihr einen Hauch Rosa ins Gesicht getrieben.

Wie hübsch sie war, dachte ich missmutig. Natürlich hatte Sirius es auf sie abgesehen.

"Hm, also", begann Amelia unsicher und wickelte ihre Jacke fester um sich, "Ich hab gehört- also, ich wusste, dass Sirius mit dir zusammen ist, Remus. Einfach weil ich Lilys Freundin bin."

Sie lächelte mich knapp an, während ich versuchte, so desinteressiert wie möglich zu schauen.

"Und ja, ich war mit Sirius vorletzten Sommer zusammen, aber du sollst wissen, dass ich genau nichts mehr für ihn empfinde. Ehrlich gesagt habe ich inzwischen einen anderen Freund." Ihre Augen blitzten kurz auf.

Ich gab mir alle Mühe, ihr nicht zu glauben und sie zu hassen, weil sie anscheinend ihre Freunde so schnell wechselte. Doch es ging nicht. Sie wirkte einfach zu aufrichtig.

"Sieh mal, Remus, alles was ich sagen will, ist- Sirius wollte mich nicht küssen. Wir haben nur rumgeblödelt. Ich sage die Wahrheit."

Amelia blickte mir bei den letzten Sätzen in die Augen, und ich erkannte, das sie nicht log.

Aber das hieß- Ohne, dass ich etwas dagegen machen konnte, wanderten meine Mundwinkel nach oben. Verdammt, Sirius wollte mich nicht betrügen. Natürlich war ich immer noch etwas gekrängt wegen der Werwolf- Beleidigung, aber das hatte er vermutlich nur aus Wut über meine Unterstellung gesagt. Er hatte mich nicht fallen gelassen.

Plötzlich kam ein freudiges Glucksen aus meinem Mund.

Amelia sah mich inzwischen ziemlich verstört an. "Remus, alles okay?"

Jetzt lachte ich auch noch, was es nur noch schlimmer machte. Doch ich konnte nichts gegen die Glücksgefühle tun, die in mir hochstiegen.

Bevor Amelia noch dachte, ich wäre verrückt geworden, sagte ich schnell: "Ja, alles in Ordung. Ich- hab nur grad was erkannt. Weißt du, wo Sirius ist?"

Nun lächelte auch Amelia, vielleicht, weil ich ihr glaubte und sie die Beziehung doch nicht zerstört hatte, vielleicht auch nur aus Erleichterung, dass sie nicht mit einem Verrückten im Astronomieturm festsaß.

"Ich glaube, auf dem Quidditch Feld." "Danke", strahlte ich sie an. "Für alles." Mit diesen Worten flitzte ich aus dem Turm und ließ sogar mein Buch liegen. Und das war nun wirklich eine Seltenheit.

Während ich die vielen Stufen hinabstieg, dämpfte sich mein Hochgefühl etwas. Was, wenn Sirius viel zu wütend auf mich war, um sich zu versöhnen? Immerhin hatte ich ihn als Betrüger dargestellt und ihn auch noch wegen seiner Familie beleidigt. Aber da war doch noch seine Aussage mit dem Werwolf...

Mehr denn je sehnte ich mich nach einem klärenden Gespräch, noch schneller wollte ich zum Quidditchfeld.

Endlich hörten die Stufen auf und ich sprintete die verlassenen Korridore entlang, während mich die Gemälde misstrauisch beäugten. Meine Lunge brannte, doch ich dachte nicht daran stehen zu bleiben. Wenn Sirius doch nur schon hinter der nächsten Ecke wäre...

Ich schlitterte um die besagte Ecke und glaubte kurz, ich hätte Teleportationsfähigkeiten.

Am Ende des Korridors stand doch tatsächlich Sirius, beziehungsweiße rannte er direkt auf mich zu.

Als er mich sah, wurden seine Augen groß. Erst kurz vor mir kam er schlitternd zu stehen.

Ich unterdrückte den Drang, mich gleich um seinen Hals zu werfen. Erst musste einiges geklärt werden.

"Sirius", setzte ich an, doch dieser kam mir zuvor. "Es tut mir leid", keuchte er und wischte sich die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, die im beim Rennen vor die Augen gefallen waren.

"Es war wirklich dumm, was ich gesagt hatte, und nie- nie würde ich sowas ernst meinen. Du bist ein wunderbarer Mensch, der wunderbarste den ich kenne, und du bist total stark und mutig und nie-"

"Sirius", unterbrach ich ihn, und wieder musste ich grinsen. Seine Worte haben den letzten Zweifel aus meinem Herzen gefegt; nun war da nur noch pure Liebe zu dem Jungen mit den schwarzen Haaren, der vor mir stand.

"Ich verzeihe dir. Und, verdammt, eigentlich sollte ich mich entschuldigen. Ich habe dir unterstellt, dass du mich betrügst- obwohl du mir so oft gesagt hast, das du mich liebst."

Nun grinste auch Sirius. Ohne ein weiteres Wort zog er mich zu sich und küsste mich. Der Kuss war wie Luft holen nach einem langen Tauchgang; die ganze Anspannung und Trauer der letzten Nacht fielen von mir ab. Obwohl wir nur einen Tag auseinander waren, fühlte es sich an, als hätte ich Sirius seit einer Ewigkeit nicht mehr geküsst.

Sirius' Hand lag an meinem Rücken und seine andere fuhr mir durch meine Haare. Ich hatte beide Arme um Sirius' Hals gelegt.

Meine Sinne waren wie benebelt, alles, worauf sie sich konzentrieren konnten, war Sirius. Trotzdem schoss mir ein Gedanke durch den Kopf.

"Das fühlt sich irgendwie an wie bei unserem ersten Kuss", raunte ich gegen Sirius' Lippen, als wir uns kurz lösten. Stirn an Stirn standen wir da, Sirius hatte mich immer noch fest in den Armen. Dieser grinste und murmelte: "Da habe ich auch das getan."

Plötzlich rutschten seine Arme zu meiner Hüfte und er hob mich, als wäre ich leicht wie eine Feder, hoch und drückte mich an die nächste Wand.

Unwillkürlich quietschte ich auf und lachte. "Stimmt." Ich beugte mich zu ihm und fing erneut an, ihn zu küssen.

Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als wir mehrere Kinderstimmen und allgemeiner Schülerlärm unter uns hörten. Da wir uns anscheinend im Korridor über den Kerkern befanden, mussten jeden Moment die Slytherins und Hufflepuffs zum Mittagessen hochkommen.

Nur widerwillig löste ich mich von Sirius. Dieser setzte mich sanft ab, nicht ohne mir noch einen letzten Kuss auf die Nasenspitze zu geben.

In dem Moment kamen die Hufflepuffs in ihren schwarz-gelben Umhängen laut quatschend von links die Stiege hochgepoltert. Ich erhaschte einen Blick auf Amelia, die mir kurz zuzwinkerte, ehe sie von der Menge weiter geschoben wurde.

Hand in Hand liefen Sirius und ich in die andere Richtung zur großen Halle. Erst jetzt merkte ich, wie hungrig ich war.

Auf dem Weg trafen wir auf Lily, James und Peter, die gerade von der Gryffindor Treppe kamen. Als sie uns sahen, fing Lily an, triumphierend zu grinsen, während James und Peter eher erleichtert aussahen. "Maan, wusst' ichs doch!" rief James und schloss sich uns an.

Während wir fünf einvernehmlich neben einander den Korridor entlang gingen, raunte mir Sirius in mein Ohr: "Es ist schon witzig, wir haben es nicht mal einen Tag ohne einander ausgehalten."

"Du wirst mich wohl nie wieder los," meinte ich und sah zu ihm hoch. "Erst wenn ich gestorben oder nach Askaban verfrachtet worden bin", erwiderte er grinsend.

"Ach, selbst dann nicht."

Gemeinsam gingen wir den immer stärker werdenden Essensdüften nach, bis wir bei der großen Halle ankamen.

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[Finally! LG und noch einen schönen Abend, Kathi <3]

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