Ich widersetze mich, bleibe unbemerkt und es bringt mir trotzdem nichts
TRIGGERWARNUNG
Zwei Tage später musste Zack irgendwo hin. Ich wollte gar nicht wissen, was genau er da tat. Er sagte, er sei in ungefähr vier Stunden wieder da und würde mich verprügeln, wenn ich in der Zeit verschwinden würde. Mir war klar, dass er das ernst meinte, aber das war mir ziemlich egal.
"Sehr charmant", murmelte ich sarkastisch, wofür ich mir eine Ohrfeige einfing.
Gleich nachdem Zack die Wohnung verlassen hatte, zog ich mich an und war ein paar Minuten später auf dem Weg zu Taddl. Ich musste ihn einfach sehen, auch wenn mir klar war, dass das ziemlich blöd wäre, wenn Zack das herausfinden würde. Ich rannte die Straßen entlang zu Taddls Haus. Ich hoffte, er war da, ich wollte nicht riskieren, um sonst zu ihm gelaufen zu sein. Der Weg kam mir so unendlich lang vor und ich war vollkommen außer Atem, als ich bei Taddl vor der Tür ankam. Ich klingelte. Nichts passierte. ich verfluchte Taddl innerlich. Ich wollte gerade gehen, da wurde die Tür aufgerissen, und ein großer warmer Körper hüllte meinen. Ich schloss die Augen und lehnte mich erleichtert an Taddl. Wir standen ein paar Minuten so da, bis er mich endlich losließ und von unten bis oben ansah. Er lächelte glücklich, bis sein Blick auf mein Gesicht fiel. Mir war klar, er hatte das blaue Auge bemerkt.
"Komm rein", sagte er steif und ging vor mir durch die Tür. Ich folgte ihm. Drinnen zog ich meine Jacke aus und hängte sie auf.
"Ich hab nicht viel Zeit, bevor Zack nach hause kommt, muss ich wieder da sein." Ich trat nervös von einem Fuß auf den Anderen.
"War er das?" Taddl deutete auf mein Auge. "Und das?" Er starrte mein Arme an, die grün und blau waren.
Ich seufzte. "Es geht mir gut. Ich bin das gewohnt, ich komm mit Zack klar."
"Du bist das gewohnt? Schlägt er dich öfter?" Taddls Stimme klang schrill.
Ich hätte gern verneint und ihn beruhigt, aber ich brachte es nicht über mich, ihn anzulügen. Also blieb ich stumm und starrte auf den Boden.
"Das kann doch nicht wahr sein." Er raufte sich die Haare. "Ich hol dich da raus, versprochen"
"Misch dich da bitte nicht ein, ich will nicht, dass dir was passiert."
"Aber ich kann dich nicht bei so 'nem Psychopathen lassen!", erwiderte er aufgebracht.
"Hey, hör zu. Ich hab das selbst zu verantworten, ich sollte einfach lernen, die Klappe zu halten, dann schlägt er mich auch nicht." Ich lächelte. "Mir geht's gut!"
Taddl starrte mich ungläubig an. "Selbst zu verantworten? Sag mal, welche Schraube hat der bitte bei dir verdreht?"
"Lass uns da bitte nicht jetzt drüber reden, ich bin gekommen, um ein bisschen Zeit mit dir zu verbringen. Ich mag dich nämlich." Ich schaute bittend.
Taddl schaute unschlüssig, nickte dann aber widerwillig. Er nahm mich mit in sein Zimmer und schmiss sich neben mich aufs Bett. "Erzähl mir bitte ein bisschen von deinem Leben."
Ich dachte nach. "Ich bin mit elf auf der Straße gelandet. Am Anfang hab ich bei Freunden gepennt, und war in diesen Hilfsorganisationen, aber die Freunde wurden immer weniger und irgendwann bin ich hier nach Köln gegangen. Vorher hab ich nämlich in Düsseldorf gelebt. Hier gibt's so 'ne Gruppe, die haben die Brücke unter Kontrolle, bei denen hab ich dann 'ne Zeit lang gelebt, aber dann hab ich was Dummes gemacht und seitdem kann ich nicht mehr zu denen. Als ich gerade fünfzehn geworden bin, hab ich dann Zack kennengelernt und bin irgendwann mit ihm zusammen gekommen. Irgendwie hat mich das wenig gejuckt, dass er fünf Jahre älter war. Na ja, mit der Zeit wurde er dann ein bisschen anders und ist gewalttätig geworden. Ich hab mal versucht, abzuhauen, aber weil ich sich irgendwann das Sorgerecht für mich gekrallt hat musste ich wieder zu ihm und danach wollte ich nie wieder abhauen."
"Was hat er gemacht?"
Ich blieb ein paar Sekunden still. "Er hat mich verprügelt. Am Ende lag ich mit gebrochenen Rippen und Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Aber das ist schon okay, ich kann damit umgehen. Wenn er kriegt, was er will, ist er nett."
"Er sollte aber immer nett sein, nicht nur, wenn du machst, was er will."
"Ich will echt nicht darüber reden." Ich drehte mich zu ihm. "Weißt du... Ich könnte ein bisschen Ablenkung gebrauchen."
"Was für Ablenkung?" Taddl klang interessiert.
"Ich weiß nicht, was Freunde halt so machen."
"Freunde?" Er schaute mich überrascht an.
"Ja. Das sind wir doch, oder?"
"Natürlich."
"Du bist mein einziger Freund, Taddl", murmelte ich.
"Ich bin stolz, dieser Freund zu sein, Ardian."
"Du nennst mich Ardian. Das macht sonst keiner."
"Ist das schlimm?" Er stützte sich auf seinen Arm und grinste mich an.
Ich beobachtete ihn. "Nein, mir gefällt das." Ich griff nach seinen Haaren. "Mir gefällt es auch, dass deine Haare ungemacht sind."
"Echt?"
"Ja, das sieht natürlich aus."
Er lachte. Tief, das mochte ich.
"Ich mag es, wenn du lachst."
"Dich hab ich noch nicht lachen gehört."
"Ich lache nicht."
"Warum nicht?"
"Hab selten einen Grund."
"Was ist viereckig und einen Sprachfehler?"
"Ich weiß nicht, sag du's mir."
"Ein Legostheniker."
"Ich hab aber keinen Sprachfehler, ich kann nur nicht richtig lesen und schreiben."
"Du bist ja auch Legastheniker, Legostheniker haben meistens den Sprachfehler."
"Du kennst dich ja aus."
"Wie ist das, nicht richtig lesen zu können?"
"Es ist, als würden die Buchstaben vor dir weglaufen. Es lässt sich einfach kein Zusammenhang zwischen ihnen herstellen."
"Versuchst du manchmal, die Buchstaben einzufangen?"
"Das hab ich früher oft gemacht."
"Du bist ein spannender Mensch, Ardian."
Ich lächelte bloß. Ich hatte das perverse Verlangen, ihn zu küssen, aber das wäre komplett fehl am Platz. Außerdem küsste ich eigentlich keine Leute, die ich nicht liebte, Zack ausgeschlossen.
"Wie viel Zeit hast du noch?", fragte Taddl.
Ich schaute auf die Uhr. "Eine halbe Stunde."
"Gut, das reicht", meinte Taddl und küsste mich.
Mein Gehirn verarbeitete nicht schnell genug. Als ich verstand, was er tat, war es auch schon wieder vorbei. Ich starrte ihn ungläubig an und fragte mich, ob er Gedanken lesen konnte. Ich merkte, dass er interessiert meine Reaktion abwartete. Die wollte ich ihm geben. Ich zog ihn zu mir runter und küsste ihn erneut. Ich mochte den Geschmack seiner Lippen. Eukalyptus-Zahnpasta. Er bewegte seine Lippen gegen meine und stützte sich langsam über mich. Ich legte meine Arme um seinen Nacken. Taddl brachte mich dazu den Mund zu öffnen. Wir knutschten rum, bis wir komplett außer Atem waren.
"Nicht schlecht, Ardian." Er grinste mich an.
"Kann ich nur zurück geben."
Er lächelte. Ich schaute auf die Uhr und bekam sofort Panik. "Ich muss los, Taddl!"
Taddl rutschte von mir runter und zog mich hoch. Ich rannte hinter ihm die Treppe runter, zog mich an und riss die Tür auf.
"Ardian!", hielt Taddl mich auf. Er sah mich einen Moment an und zog mich dann in seine Arme. "Komm so bald wie möglich wieder."
Ich nickte. "Vielleicht sogar schon morgen."
"Hier nimm das." Er gab mir einen Zettel. Es war meine Nachricht, die er korrigiert hatte. Ich hatte ihn letztes Mal wohl hier gelassen.
Ich lächelte dankend und machte mich auf den Weg zu Zacks Wohnung.
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Ich hatte Glück und war noch vor Zack da. Er bemerkte nicht, dass ich weg gewesen war. Ich war ziemlich froh darüber, weil ich nicht wirklich Lust gehabt hätte, vor ihm wegzurennen. Was in seiner Wohnung sowieso fast unmöglich war, sodass er mich irgendwie bekommen und grün und blau geschlagen hätte.
Wir verbrachten einen mehr oder weniger angenehmen Restabend. Ich erkundigte mich, was er genau gemacht hatte und erfuhr, dass er morgen nochmal weg musste. Ich grinste in mich hinein, denn das bedeutete für mich, dass ich zu Taddl konnte.
"Zack, mir ist kalt." Ich schaute zu ihm. Ich erwartete, er würde sagen, dass ich Pech gehabt hätte, aber stattdessen zog er seine Jacke aus und gab sie mir. Ich zog sie an und lehnte mich an seine Brust. Wenn er nicht so gewalttätig wäre, wäre er der perfekte Freund. Ich schloss meine Augen und lauschte seinem Herzschlag.
"Liebst du mich?", fragte ich.
"Ja."
"Wieso schlägst du mich dann?"
"Weil du ein braver Junge zu sein hast."
"Zack, ich bin sechszehn."
"Und ich einundzwanzig und dein Erziehungsberechtigter."
"Hm"
"Liebst du mich denn?"
Ich antwortete nicht. Ich würde auf keinen Fall bejahen. Sollte er mich doch verprügeln soviel er wollte. Und das tat er auch. Damit hatte ich seine Wut für heute zu spüren bekommen und ging schlafen.
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