Alles war gut, aber dann doch nicht mehr

TRIGGERWARNUNG

"Muss das echt sein, Taddl?" Ich starrte das Wasser an.

"Komm endlich rein, es ist warm und nicht tief!" Taddl streckte mir eine Hand entgegen.

Seufzend ließ ich mich an den Beckenrand sinken. Ich rutschte vorsichtig ins Wasser und klammerte mich direkt am Rand fest, weil ich Angst hatte unterzugehen.

"Ardian, du kannst hier stehen." 

Er hatte recht, meine Füße berührten ohne Probleme den Boden und ich war mit dem Kopf immer noch über Wasser. Sogar meinen eingegipster Arm konnte ich mühelos aus dem Wasser halten. Trotzdem war ich mir unsicher, ob das eine gute Idee war.

"Taddl, ich weiß echt nicht, ob das so clever ist", jammerte ich.

"Jetzt halt die Klappe und komm zu mir." Taddl grinste und breitete die Arme aus.

Ich ging vorsichtig zu ihm rüber und küsste ihn. Es nahm mir ein wenig von der Angst, die sich in meinem Kopf ausgebreitet hatte.

Taddl versuchte mir beizubringen, wie man schwimmt, aber das war nicht wirklich leicht mit nur einem funktionsfähigen Arm, also gaben wir es schon nach ein paar Minuten wieder auf. Stattdessen lehnten wir uns an den Beckenrand und unterhielten uns über unwichtige Dinge. Ich fragte Taddl, wie es war, ein ganz normales Leben zu führen und er erzählte mir von seinen Freunden, von seiner Schule und seinen Hobbies. Je mehr ich von seinem Leben erfuhr, desto mehr wünschte ich mir, es auch gelebt zu haben. Ich kam mir einfach vor, wie ein Vollidiot, weil ich keine Ahnung hatte, wie man Fußball spielte, oder wie es sich anfühlte, ohne Alkohol glücklich zu sein. Es gab eine Zeit, da füllte Zack mich Tag für Tag ab, damit ich mich nicht so sehr wehrte. Manchmal spüre ich noch das berauschende Gefühl, manchmal höre ich alles wieder so laut, manchmal schmecke ich Zack auf meinen Lippen. 

Ich bemerkte nicht, dass ich angefangen hatte zu weinen. Erst als Taddl mich in den Arm nahm und mir beruhigend über den Rücken strich, fiel es mir auf. Seine Berührung löste eine derartige Gänsehaut in mir aus, dass er dachte, mir wäre kalt. Er bot mir an, den Pool zu verlassen und ich nahm dankend an, auch wenn der Grund nicht die Kälte war.

"Ardian?"

"Ja?"

"Es wird alles gut werden." 

Als er das sagte, glaubte ich ihm. Und ich wünschte, es für immer glauben zu können. Nie wieder einen anderen Gedanken haben zu müssen. Aber mit Wünschen ist es wie mit Vertrauen. Sie halten nie lange an.

--- 

Vier Tage später standen wir in der Küche und machten uns etwas zu essen. Taddls Eltern hatte ich immer noch nicht kennen lernen müssen und darüber war ich ziemlich froh, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie es gut heißen würden, dass ein obdachloser Teenager bei ihnen wohnte und ihren Sohn damit in Lebensgefahr brachte. Darüber hatte ich schon oft nachgedacht. Was, wenn Zack nochmal hier auftauchte. Ich war mir ziemlich sicher, dass er nicht nur mich fertig machen würde. 

"Willst du nachher einen Film gucken?", fragte Taddl, während er Tomaten auf die Pizza legte. 

Ich gab ein bestätigendes Geräusch von mir, was wie ein Grunzen klang. Taddl lachte leise. "Welchen denn?"

"Ich kenne keine Filme, Tjarks." Ich lehnte mich gegen den Küchentisch und verschränkte die Arme. 

"James Bond?"

"Ich steh nicht so auf Agentenscheiß."

"Saw?"

"Kenn ich nicht."

"Sehr viel Blut."

"Hast du vielleicht etwas... na ja fröhlicheres?"

"Barbie."

"Taddl!"

"Na gut. Teenage Mutant Ninjaturtels."

"Kenn ich nicht, aber klingt gut."

Tatsächlich saßen wir eine halbe Stunde später mit Pizza und Bier vor dem Fernseher und schauten Schildkröten beim Kämpfen zu. Es kam mir bescheuert und belanglos vor, aber Taddl war vollkommen fasziniert. Ich sah mehr Taddl an, als den Film zu schauen, aber er war auch einfach viel spannender. 

Ich dachte erst, das Klopfen wäre im Film gewesen. Ein Geräusch, durchgehend im selben Rhythmus, nur wurde es immer und immer lauter. Irgendwann drehte Taddl verwundert den Kopf zum Flur, und da wusste ich, ich hatte es mir nicht nur eingebildet. Wer um alles in der Welt klopfte an Türen, die eine Klingel hatten? 
Ich stand auf, um nachzusehen, aber Taddl hielt mich fest und sah mir in die Augen. 

"Es könnte Zack sein", sagte er leise. 

Ich wusste, dass er recht hatte, aber ich wollte nicht warten. Wenn es wirklich Zack war, würde es mir auch nichts bringen, hier sitzen zu bleiben, Taddl erst recht nicht. Aber der Ausdruck, die Angst um mich, die Taddl ausstrahlte, ließ mich einfach nicken, obwohl ich nicht wollte, dass er sich für mich in Gefahr brachte. 
Ich beobachtete, wie er in den Flur ging, dann konnte ich ihn nicht mehr sehen. Ich betete, dass es nur der Nachbar war, oder sonst jemand, nur nicht Zack. Ich war so leise, dass ich mein eigenes Herz schlagen hören konnte. Die Tür quietschte, als Taddl sie öffnete. Ich hörte eine Stimme - eine Unbekannte - und ich wollte schon aufatmen, als ich verstand, was gesagt wurde.

"Wo ist Ardian Bora?"

Mir rutschte das Herz in die Hose. Es konnte nicht sein, es konnte wirklich nicht wahr sein. Taddl sagte: "Ich kenne keinen Ardian Bora." und dann hörte ich ein dumpfes Geräusch. Schritte kamen auf das Wohnzimmer zu und ich rutschte vom Sofa und versteckte mich dahinter. 

In der Geschichte der besten Verstecke hätte ich keinen Preis gewonnen. Der Typ zog mich hoch und drückte mich gegen die nächstbeste Wand. Sein Blick ging suchend über meinen Körper, blieb an einigen Stellen etwas zu lange hängen und wanderte dann wieder zu meinen Augen. "Zack!", rief er.

Scheiße, dachte ich.

Ich erkannte meinen brutalen Exfreund bereits an den Schritten. Mein Herz klopfte so schnell, dass ich Angst hatte einen Anfall zu bekommen. Tränen stauten sich auf. Alles in mir zog sich zusammen. 

"Wen haben wir denn da?" Zacks Stimme zerriss mein Trommelfell.

"Lass mich endlich in Ruhe, Zack." Ich spuckte ihm ins Gesicht.

Ich wusste nicht, woher ich den Mut nahm, aber inzwischen war mir alles so egal geworden, dass ich es in Kauf nahm, ihn noch wütender zu machen. Doch zu meinem Erstaunen blieb er ruhig und wischte sich nur meinen Speichel von der Wange. 

"Mach ihn fertig." Zack sah den Typen, der mich immer noch festhielt, an.

"Sir?", fragte dieser und ich wusste, dass er nicht wusste, wie hart Zacks Geschäft war.

"VERDAMMTE SCHEISSE PRÜGEL IHM DIE SEELE AUS DEM LEIB!", schrie Zack und rauschte aus dem Raum.

Das war der Typ, den ich kannte und vor dem ich Angst hatte. "Du musst das nicht tun", sagte ich und schaute den jungen Mann vor mir an. 

"Doch, muss ich, sonst stellt er mit mir das gleiche an, wie mit dir." Er sah mich entschuldigend an. 

"Sagst du mir noch deinen Namen?", fragte ich.

"Jack", antwortete er und schlug mir ins Gesicht. Ich taumelte zur Seite und versuchte, das Sofa wiederzufinden. Jack schlug mich wieder, fester, sodass meine Lippe aufplatze und das Blut Taddls teuren weißen Teppich versaute. Ich drehte mich zu Jack, der gerade ausholte und genau mein Auge traf. Ich hörte, wie er sich durchgehend bei mir entschuldigte. Aber es kam nichts mehr. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Seine Faust hing in der Luft und er sah mich an.

"Ich kann das nicht."

"Doch, du kannst das", sagte ich mit Mühe. "Los, mach weiter."

"Du forderst mich auf, dich zu verprügeln?"

"Wenn ich dir damit den Arsch retten kann, dann ja."

Jack sah mich dankbar an und seine Faust traf meinen Kiefer so hart, dass mein Kopf zur Seite geschleudert wurde. Immer wieder schlug er dagegen, das Blut tropfte mir von den Lippen auf mein Shirt. Alles in mir schrie, mich zu wehren, aber ich tat nichts. Ich kippte zur Seite und Jack erledigte seinen Job an meiner Schulter weiter, an meiner Hüfte und knallte dann meinen Kopf mit so einer Heftigkeit auf die Fliesen, dass ich die schlimmsten Kopfschmerzen bekam, die ich je hatte. 

Ich spürte, dass ich hochgehoben und weggetragen wurde. Ich öffnete die Augen und sah Zack, der mich aus einiger Entfernung ansah. Jack setzte mich in einem Anhänger ab, der an Zacks Auto gekuppelt war und stopfte mir ein Tuch in den Mund. Mir gegenüber lehnte Taddl mit einer blutigen Wunde am Kopf. 

"Nicht Taddl", wollte ich sagen, aber ich brachte keinen Ton heraus. Jack band meine Hände hinter dem Rücken zusammen und sprang dann aus dem Hänger. Er schloss die Türen und ich saß im Dunkeln. 

Taddl brummte. Ich versuchte, das Tuch auszuspucken, was aber nicht funktionierte. Ich robbte zu ihm rüber und starrte ihn an. Durch ein paar Lücken kam Licht, sodass ich Taddl gerade so erkennen konnte. Er hatte die Augen geschlossen, also stupste ich ihn so lange an, bis er mich ansah. Seine Augen weiteten sich und er nahm mir das Tuch aus dem Mund. Ich spuckte das Blut, das sich angesammelt hatte, neben mich.

"Alles okay?", fragte ich mit krächzender Stimme.

"Mir geht's gut, aber du siehst ziemlich beschissen aus." Taddl strich mir über die Wange. 

"Ist schon gut." Ich lehnte mich an seine Schulter. 

"Hey, Ardian." 

"Hm?"

"Alles wird gut."

Nein. Es wird alles nur noch schlimmer.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top