Kapitel 1
„Glaubst du wirklich, dass uns dieser Mann aus der Misere helfen kann, nur, weil er bisher nur in den höchsten Restaurants gearbeitet hat?", fragte ich meinen Vater und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Ich betrachtete das Chaos auf dem Schreibtisch vor mir und das Bild von Gaspar de Ignalio, einem bekannten Koch. Doch ich war mir sicher, dass er dem Restaurant meines Vaters nicht helfen könnte. Er hatte zu lang gewartet, um sich um ein besseres Image zu bemühen.
„Bitte glaub mir doch. Er ist einer der Besten. Was glaubst du welche Leute zu uns kommen werden, wenn wir ihn erst eingestellt haben."
Ich zog eine Augenbraue hoch und starrte meinen Vater an. „Dad, das ist ja alles schon und gut, aber doch nicht zu diesem Gehalt! Sechstausend Euro ist wirklich viel zu viel! Das ist das doppelte, was unsere anderen Angestellten bekommen."
„Er hat aber Auszeichnungen. Gaspar hat in den angesehensten Hotels und Restaurant gearbeitet, und-" Ich unterbrach ihn. „Das ist aber keine Rechtfertigung für dieses Gehalt!"
Mein Vater seufzte und lehnte sich ebenfalls zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster. Er schien einen Moment zu überlegen. Schließlich beugte er sich vor und stützte seine Ellenbogen auf dem Tisch ab.
„Dieses Restaurant ist alles was ich habe. Mein Vater hat es aufgebaut und ich habe ihm geschworen, es in Würde weiter zu unterhalten. Doch sieh dir an was daraus geworden ist."
„Meiner Meinung nach können wir auch mit ganz anderen Mitteln zu mehr Gästen kommen. Wir könnten Shows anbieten, oder-" Dieses Mal war es mein Vater der mich unterbrach. „Shows? Ich bitte dich, Liebes, aber wer schaut sich denn heute noch bei einem Essen eine Show an?"
Ich gab mich geschlagen. Womöglich war es doch keine so gute Idee. Aber einem Mann so viel Geld zu bezahlen, damit er unser Restaurant rettet? Und dazu kam, dass wir nicht einmal eine Garantie hatten, dass es wirklich gut laufen würde.
„Dad, ich bin mir sicher, dass es noch andere gute Köche gibt, die nicht ganz so viel Gehalt fordern. Hast du überhaupt schon einmal mit ihm gesprochen?"
Gerade als mein Vater antworten wollte, klingelte das Telefon auf dem Tisch. „Das ist er", freute sich mein Vater. „Er hat versprochen sich gegen dreizehn Uhr zu melden." Er griff nach dem Telefon, doch ich war schneller.
„Restaurant de Cuisine. Sie sprechen mit Anastasia Wittenberg", meldete ich mich und ignorierte den entsetzten Gesichtsausdruck meines Vaters. Auf seine Aufforderung mir das Telefon zu geben ging ich nicht ein und verließ den Raum.
„Ja, hallo. Hier spricht Gaspar de Ignalio. Ich hatte Herrn Wittenberg versprochen zurück zu rufen", antwortete eine raue Stimme am anderen Ende der Leitung. Irgendwie war er mir unsympathisch.
„Das freut uns sehr. Ich bin die Tochter. Mein Vater ist momentan nicht zu sprechen, aber ich bin mir sicher ich kann ihnen weiterhelfen." Ich versuchte so höflich wie möglich zu sein.
„Ich wollte nur fragen, ob das Angebot jetzt steht. Sechstausend Euro Gehalt und ich bin dabei." Meine Hand ballte sich zur Faust und ich musste all meine Kraft zusammen nehmen, um diesen Kerl nicht zu fragen, ob er einen Knall hatte.
„Nun, ich bin mir sicher da können wir noch etwas machen. Was sagen sie zu fünftausend Euro?" An der anderen Leitung knackste es, dann brach Ignalio in Gelächter aus. „Hören Sie, ich weiß ja nicht warum sich die Tochter in die Geschäfte ihres Vaters einmischt, aber glauben Sie nicht, dass Sie mit mir feilschen können. Sechstausend oder Sie können es vergessen, dass ich zu Ihnen komme."
Ich knirschte mit den Zähnen und hoffte, dass er es auf der anderen Seite nicht hören konnte. Kurz war ich am Überlegen einfach das Telefonat zu beenden, doch dann hätte mir mein Vater die Hölle heiß gemacht.
„Also gut", gab ich mich geschlagen, „Sie haben zwei Monate Probezeit, wie sie ja sicherlich wissen. Ein Zimmer stellen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Wir arbeiten sieben Tage die Wochen, bis auf wenige Ausnahmen und der Tag beginnt um 6:30 Uhr. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?" Es war kaum zu überhören, dass ich nicht gerade davon begeistert war.
Wieder ertönte ein Lachen. „Zwei Monate Probezeit? Wie süß. Gut, ich komme dann am Samstag, damit ich mich noch ein bisschen einleben kann." Ich stimmte zu und wollte mich verabschieden, als er sagte: „Oh, eine Frage habe ich noch." „Und die wäre?" „Sind Sie noch Single?" Ein schallendes Lachen war zu hören, bevor auf der anderen Seite der Leitung aufgelegt wurde.
Ich konnte nur wie erstarrt auf das silberne Telefon in meinen Händen schauen. Die Tür wurde geöffnet und mein Vater sah mich erwartungsvoll an. „Und, was hat er gesagt?" Ich schüttelte mich kurz, dann wandte ich mich zu meinem Vater um. „Am Samstag will er kommen, um sich hier einzurichten." Dad schlug die Hände zusammen und sendete ein kurzes Gebet gen Himmel. Dann kam er auf mich zu und schloss mich in eine feste Umarmung.
„Habe ich es dir nicht gesagt. Unser Restaurant ist gerettet. Wie war er? Er ist sehr freundlich, nicht wahr." Ich wandte mich von ihm ab und ging Richtung Tür. Diesen Typen musste ich unbedingt googlen. „Ja, sicher. Die Nettigkeit in Person."
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Ich saß vor meinem Laptop und gab „Gaspar de Ignalio" in das Suchfeld von Google ein. Ehrlich gesagt war ich schon neugierig wie er aussehen würde. Hoffentlich war er nicht so ein eingebildeter Schnösel, obwohl, so wie er sich am Telefon verhalten hatte, war er es mit hoher Wahrscheinlichkeit.
Google spuckte so einiges über ihn aus. Sogar ein Wikipedia-Eintrag war vorhanden. Na wunderbar.
Gaspar de Ignalio (*01.01.1991 in Milano, Italien) ist ein mehrfach ausgezeichneter Patissier und arbeitete bereits in angesehen Restaurants, zum Einen das Hotel Adlon in Berlin.
Es stimmte also, was mein Vater über ihn sagte. Er war schon in eigenen angesehen Restaurants angestellt worden. Er war also Italiener. Hoffentlich kein Macho wie er im Buche steht. Ich scrollte weiter nach unten bis ich den Abschnitt „Leben" fand.
Geboren und aufgewachsen ist Ignalo in Milano, Italien, wo er die ersten sieben Jahre seines Lebens verbrachte, bevor sich die Familie entschloss nach Deutschland auszuwandern. Er absolvierte die Ausbildung zum Koch im Edel-Restaurant „Krempinski" in Königstein Taunus und spezialisierte sich zum Hors d'œuvrier.
Eine Ausbildung im Restaurant Krempinski. Ich war beeindruckt. Unsere Küchenhilfe hatte sich auch dort beworben, doch sie fanden sie nicht geeignet und nicht qualifiziert.
Es klopfte an der Tür und mein Vater steckte den Kopf ins Zimmer. „Es ist schon spät. Ich dachte du schläfst schon."
Ich sah auf die Uhr an meinem Laptop. „Dad, es ist erst kurz nach zehn. Um die Uhrzeit habe ich früher noch gelernt." „Ich weiß, ich weiß." Mein Vater seufzte und kam auf mich zu.
„Du googelst ihn?" Überrascht sah er mich an. „Ja, ich wollte wissen mit was wir es zu tun bekommen." Er lachte auf. „Du redest ja von ihm, als sei er ein Monster oder eine Plage." „Vielleicht ist er das ja", konterte ich und klappte meinen Laptop zu. „Aber hoffentlich finden wir es schnell heraus, damit wir ihn noch in der Probezeit kündigen können."
„Kind, du übertreibst wirklich. Ich denke, wir müssen ihn alle besser kennenlernen. Deswegen möchte ich dich bitten ihn am Samstag herum zu führen. Er soll alles kennenlernen und sich einleben."
Erschrocken riss ich die Augen auf. Ich sollte ihn Herumführen? Ihm alles zeigen? Oh nein bitte nicht. Ich hatte wirklich besseres zu tun.
„Muss das wirklich sein? Es kommt bestimmt nicht so gut rüber, wenn der Restaurantbesitzer alles auf seine Tochter abschiebt." Es war mein letzter Versuch mich aus dieser Lage zu retten. Ohne Erfolg. Dad bestand darauf, dass ich Ignalio alles zeigte.
„Er muss gleich da sein." Aufgeregt wippte mein Vater auf und ab und in diesem Moment fragte ich mich, wer von uns beiden die Jüngere war. „Dad, bitte, du benimmst dich ja wie ein Kind", wies ich ihn zur Ordnung und sah auf meine Uhr. Er musste jede Minute kommen.
In meinem Inneren ging ich noch einmal den Ablauf durch. Zuerst würde ich ihm sein Zimmer zeigen, dann seinen Arbeitsplatz und dann den Rest des Restaurants. Genau so würde ich es machen.
Ich sah nach einigen Minuten erneut auf meine Uhr, als plötzlich das Quietschen von Autoreifen zu hören war. Ein schwarzer BMW trat in mein Blickfeld und hielt nur wenige Meter vor meinem Vater und mir. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich gerade aussah, denn ich musste zugeben, ich hatte eben echt gedacht der fährt uns um.
Aus dem Auto stieg ein Mann. Breit gebaut, braune Haare und einen Vollbart. Dazu kam die große Sonnenbrille, die bei diesem Schmuddelwetter wirklich keine Verwendung fand. Er trug ein weißes Hemd, wobei die ersten beiden Knöpfe nicht geschlossen waren und eine enge, schwarze Jeans mit Löchern und braune Stiefel.
Das sollte er also sein? Ein berühmter Koch, der meinem Vater helfen sollte, das Restaurant wieder auf Vordermann zu bringen? So ein Kerl? Ich war entsetzt. In diesem Moment hätte ich mir selbst dafür in den Arsch treten können, dass ich mir nur seinen Wikipedia-Eintrag durchgelesen habe und keine Bilder gesucht hatte. Ich glaube, dann wäre mir einiges erspart worden.
Ignalio warf uns einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder in das Auto hinein beugte und etwas auf einer anderen Sprache sagte. Wenn ich raten müsste, hätte ich auf Spanisch oder Italienisch getippt. Italienisch lag nahe, da er ja aus Italien kommt. Dabei sah mich der Mann hinter dem Steuer so intensiv an, dass es mir beinahe angst machte. Dann grinste er dreckig und lachte auf einen Kommentar von Ignalio. Nachdem Ignalio sich von dem Typ hinter dem Lenkrad mit einem Handschlag verabschiedet hatte, lief er um das Auto herum zum Kofferraum und nahm zwei große, schwer aussehende Koffer heraus.
„Herr Ignalio, bitte warten Sie! Ich helfe Ihnen!" Mein Vater lief auf den jungen Mann zu und nahm ihm einen der Koffer aus der Hand. Er bedankte sich knapp und lief dann weiter auf mich zu. Seine Augen brannten sich in meine und ich war mir jetzt schon sicher, dass er Ärger machen würde. Allein schon sein Auftreten.
„Herzlich Willkommen, Herr Ignalio." Ich versuchte so höflich wie möglich zu klingen, doch ich befürchtete, dass es mir nicht ganz gelungen war.
„Danke", murrte er und stellte seinen Koffer mit einem lauten Rums ab. Wie gut, dass unser Restaurant dieses Wochenende geschlossen hatte. Was würden die Gäste denken, wenn jemand so einen Aufstand vor der Tür machen würde.
Papa kam keuchend neben mir zum Stehen. „Herr Ignalio, darf ich Ihnen meine Tochter vorstellen. Anastasia." Ignalio nickte mir kurz zu und strich sich durch die Haare. „Ich würde vorschlagen, meine Tochter wird Ihnen unser Anwesen zeigen. Ich habe noch einige Büroarbeit zu erledigen", entschuldigte sich mein Vater und verschwand.
Kurz sah ich ihm hinterher, dann wandte ich mich wieder zu Ignalio um und begann meine Rede aufzusagen, die ich in der Nacht spontan zusammen gestellt hatte.
„Herzlich Willkommen, Herr Ignalio, ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreis-" Er unterbrach mich. „Es heißt „de Ignalio"! Verstanden?" Etwas aus dem Konzept gebracht, und etwas schockiert über seine schroffe Unterbrechung, sagte ich einige Sekunden lang nichts.
„Verzeihen Sie, Herr de Ignalio, es wird nicht noch einmal vorkommen." Ich griff nach dem Henkel seines Koffers und wandte mich zum Eingang. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen, ich werde Sie auf Ihr Zimmer bringen." Diese Freundlichkeit hatte der Typ ganz und gar nicht verdient. So ein aufgeblasener Affe. Was glaubte er eigentlich, wer er war? Er war nur ein dummer Koch. Mehr nicht!
Vor der großen Treppe in den ersten Stock blieb ich stehen und wollte den schweren Koffer die Treppe hinauf hieven, als er mir aus der Hand genommen wurde. „Lass mal gut sein, Mädchen. Du brichst dir ja nur den Rücken." Und schon wieder konnte ich nichts darauf erwidern. Er war unfreundlich! Die Unfreundlichkeit in Person!
Ich begriff, dass es nichts bringen würde ihn darauf anzusprechen, also lief ich einfach hinter ihm her und zeigte ihm sein Zimmer. Es war nicht groß und nicht klein. Ein Zimmer, wie jeder unserer Angestellten es hatte, wenn sie bei uns wohnten. Er schmiss seine Koffer in den Raum und drehte sich zu mir. Erst jetzt sah ich, dass er Kaugummi kaute. „Dann zeig mir mal euer tolles Restaurant." Er sagte es mit solchen Verachtung in der Stimme, dass ich am Liebsten seinen Kaugummi in seinem Bart geschmiert hätte. Jedoch ging ich nicht darauf ein und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Ihnen nun gerne Ihren Arbeitsplatz und den Rest des Restaurants zeigen." Er nickte und folgte mir. Wir liefen den Flur im ersten Stock entlang. „Hier sind die Zimmer unserer Angestellten und von meinem Vater und mir. Am Ende finden Sie eine kleine Küche, wo sie sich in ihren Pausen oder Freizeit Speisen herrichten können. Sollten sie Lebensmittel in den Kühlschrank stellen, würde ich Ihnen empfehlen sie mit Ihrem Namen kenntlich zu machen. Es ist schon öfter zu Verwechslungen gekommen."
Ich wusste nicht, ob er mir zuhörte, geschweige denn, ob er überhaupt noch hinter mir lief. Ich drehte mich um, nachdem ich ihm einen kurzen Einblick in unsere Küche gewährt hatte, und lief zurück ans andere Ende des Flurs, die Treppe hinunter und blieb in der Empfangshalle stehen. „Hier ist unser Empfang. Hier kommen die Gäste herein und gehen dann in diesen Raum." Ich deutet auf eine alte Holztür mit Glasverzierung. „Das ist der Speisesaal."
„Mädchen, ich bin nicht blöd, und ich habe Augen im Kopf. Ich werde mich schon zu Recht finden. Also zeig mir einfach die Küche und dann ist gut." Ich sah wie er genervt die Augen verdrehte und die Arme vor der Brust verschränkte.
Ich war wirklich kurz davor gewesen ihm zu sagen, dass er seine dämlichen Koffer nehmen sollte und abzischen sollte, doch das konnte ich meinem Vater nicht antun. Er setzte alle Hoffnungen in dieses ... dieses ...Uff.
Ich öffnete die Tür zur Küche und ließ sie hinter mir zufallen. Mittlerweile war es mir egal, ob ich unhöflich wirkte oder nicht. Er sollte ruhig spüren, was ich von ihm hielt.
„Hey", beschwerte er sich, als ihm die Tür beinahe ins Gesicht gefallen wäre, „pass doch mal auf!" Ich ging nicht darauf ein, wandte mich nicht einmal zu ihm um, sondern begann zu erzählen. „Hier ist Ihr Arbeitsplatz. Bitte erscheinen Sie pünktlich morgens um 6.30 Uhr. Ich werde Ihnen noch eine Kopie unserer Speisekarte und den Rezepten auf Ihr Zimmer bringen. Sie werden sich hier schon einleben. Sollten Sie Fragen haben, sprechen Sie einfach meinen Vater, Ihre Kollegen oder mich an."
Mit diesen Worten wandte ich mich von ihm ab und verließ die Küche. Ich würde ihm einfach später die Rezepte und Speisekarte geben, und dann hätte ich für den Rest des Tages ruhe vor diesem Typen.
Genervt rüttelte ich an dem Kabel unseres Druckers. Seit geschlagenen 30 Minuten stand ich nun schon im Büro meines Vater und versuchte für diesen aufgeblasenen Affen die Rezepte auszudrucken. Ich betätigte erneut den „Drucken" Button, doch wieder rührte sich nichts.
Gerät kann keinen Anschluss an gewünschten Drucker finden.
Na super. Ich war kurz davor aufzugeben, als der Drucker endlich ein Lebenszeichen von sich gab und die gewünschten Seiten ausspuckte. Ich heftete sie zusammen und legte zur Sicherheit noch die Hausordnung bei. Nicht, dass dieser Typ dachte er könne hier machen was er wollte.
Mit einem großen Stapel Papier in den Händen lief ich hinauf in den ersten Stock und klopfte zaghaft an seiner Tür.
Während ich auf die Erlaubnis wartete, eintreten zu dürfen, dachte ich an das heutige Fernsehprogramm. Ich wollte einfach abschalten und diesen Typen neben meinem Zimmer vergessen und einfach relaxen, bevor mein Vater und ich morgen alle Vorkehrungen treffen mussten, damit das Restaurant am Montag wieder seine Pforten öffnen konnte.
„Ja?", rief eine schlecht gelaunte Stimme von der anderen Seite der Tür. Na der hatte ja wieder eine tolle Laune ... Ich drückte die Klinke herunter und betrat das Zimmer. Einer der drei Vorhänge war zugezogen und der Fernseher an der Wand lief. Ich sah mich im Raum um, konnte jedoch niemanden entdecken.
Ohne weiter darüber nachzudenken, wo sich der Kerl gerade befand, legte ich den Stapel Papier auf seinem Bett ab und wandte mich zum geben.
Ich hielt erschrocken die Luft an, als er plötzlich vor mir stand. Aus seinen braunen Haaren tropfte Wasser und das einzige was er trug war ein knappes, weißes Handtuch um seine Lenden.
„Oh Gott", stöhnte ich voller Entsetzen und hielt mir die Hände vor die Augen. Zum einen wollte ich ihn nicht so knapp bekleidet sehen, zum andern wollte ich nicht unhöflich erscheinen und ihn anstarren. „Tut mir wirklich leid", murmelte ich noch schnell und wollte an ihm vorbei zur Tür laufen, doch seine Hand an meinem Arm hinderte mich.
„Was machst du hier?" Die Tatsache, dass er mich schon seit unserem ersten Gespräch duzte verärgerte mich. Nicht, dass ich so einen großen Wert darauf legte, gesiezt zu werden, davon fühlte ich mich sowieso immer zehn Jahre älter, aber das zeigte mir auch, dass er mich nicht ernst nahm.
„Bitte verzeihen Sie, Herr Ignalio, ich habe ihnen lediglich einige Unterlagen vorbeigebracht. Sie liegen auf Ihrem Bett."
„Lass mal das alberne Sie weg, Schätzchen. Ist sowieso unnötig. Wir sind doch jetzt Kollegen." Er grinste mich an und ich wusste nicht wirklich, was das zu bedeuten hatte. Irgendwie war er in diesem Moment komisch.
„Nun, wie Sie-" Ich unter brach mich und löste meinen Arm aus seinem Griff, versuchte ihn jedoch nicht anzusehen. „Ich meine - wie du willst, Gaspar." Ich lächelte kurz und wollte mich erneut zum Gehen wenden.
„Was hast du mir da alles gebracht?", fragte er und lief auf sein Bett zu. Ich stand mit dem Rücken zu ihm. „Wie schon gesagt, die Rezepte und die Speisekarte, dazu noch die Hausordnung und einige Details zu unserem Restaurant."
„Das wird lang dauern das zu lesen, du könntest mir das auch alles erklären." In seiner Stimme schwang ein gewisser Unterton mit, den ich nicht richtig einordnen konnte. Ich wollte doch nur meine Ruhe für den Rest des Abends haben und hatte keine Lust ihm alles über unser Restaurant zu erklären, nur, weil der Typ zu faul war sich eine Stunde lang hinzusetzen und sich die Unterlagen durchzulesen.
Einen kurzen Moment suchte ich nach einer passenden Ausrede, ohne ihn zu beleidigen oder mich selbst als faul darzustellen. „Ich glaube du willst dich ja vorher noch mal umziehen, also gehe ich erstmal und komme dann später wieder." Die Türklinke schon in der Hand stoppte ich, als er anfing zu lachen. Es war das gleiche Lachen, was er auch bei unserem Telefonat hatte, als ich versucht hatte sein Gehalt hinunter zu handeln. Es klang irgendwie ... bedrohlich ... verächtlich.
„Wer hat etwas von anziehen gesagt? Du könntest dich auch einfach ausziehen." Geschockte riss ich die Augen auf und öffnete die Tür einen Spalt. „Du bist ja schon ein großer Junge und kannst lesen", sagte ich, bemüht mir meinen Schock über seine Dreistigkeit und seine Anmerkung nicht anmerken zu lassen.
Schnell huschte ich aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter mir zu. Jetzt hatte ich mir wirklich meine Ruhe verdient. Ich öffnete die Tür zu meinem eigenen Zimmer und ließ mich erschöpft aufs Bett fallen. Ich wollte einfach nur noch einen Film schauen und schlafen. Vielleicht würde ich auch während des Films einschlafen, ich wusste es nicht. Nachdem ich mich aufgerafft hatte, wechselte ich meine Alltagskleidung zu meinem bequemen Schlafshirt und legte mich ins Bett, schaltete das Licht aus und griff nach der Fernbedienung.
Ich hatte die Wahl zwischen „White House Down", „Harry Potter und der Feuerkelch" oder einer Dokumentation über den Yellowstone Nationalpark. Und natürlich der Option ins Bett zu gehen.
Für Action hatte ich im Moment keinen Nerv, die würde ich ab Montag genug haben. Harry Potter konnte ich mittlerweile auswendig und von der Schönheit des Yellowstone wollte ich mich persönlich überzeugen ... irgendwann, wenn ich die Zeit dazu finden würde.
Letzten Endes entschied ich mich für die letzte Option, lief ins Bad und machte mich bereit für Zubettgehen. Schon fast im Stehen schlief ich ein, war also wirklich froh endlich in meine Decke eingekuschelt im Bett zu liegen und die Augen schließen, bis mir einfiel, dass ich meine Wärmflasche vergessen hatte.
Die Tage mögen warm sein, doch in der Nacht kroch die Temperatur immer noch gegen den Gefrierpunkt. Dieser verdammte Klimawandel. Stöhnend schob ich die Decke von meinem Körper und verließ mein Zimmer. Auf dem Flur war es dunkel und ich öffnete die Tür zur Küche. Niemand zu sehen. Ich nahm den Wasserkocher und füllte das minimale Volumen ein und wartete. Dabei lehnte ich mich gegen die Arbeitsfläche und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
Die Geräusche des Wasserkochers wurden immer lauter und ich schaltete das Gerät aus, bevor ich mir noch den Bauch verbrennen würde. Nachdem ich das Wasser in meine Wärmflasche gefüllt hatte, drehte ich den Deckel zu. Schon seit ich denken konnte, hatte ich fast jede Nacht eine Wärmflasche bei mir im Bett. Meine Mutter hatte mir als Kind immer eine gemacht und mich dann in den Schlaf gesungen oder mir Geschichten aus dem dicken Märchenbuch in meinem Nachttisch vorgelesen. Irgendwie erinnerte mich diese Wärmflasche an sie. Ich betrachtete das Gestickte auf dem Bezug und strich mit den Fingern über das Motiv des kleinen Elefanten.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich heute noch einmal sehe." Die raue Stimme hinter mir ließ mich zusammen fahren und die Wärmflasche zu Boden fallen. Schnell bückte ich mich nach ihr und hob sie auf. Vor mir stand Gaspar, nur in Boxershorts, die Haare zerzaust und die Arme vor der Brust verschränkt. Schlagartig war ich wach und wandte wieder den Blick von ihm ab.
„Hätte ich auch nicht. Aber ich muss jetzt auch. Gute Nacht"
„Warum so schüchtern?" Er lachte wieder und vertrat mir den Weg. „Gaspar, lass mich durch!", forderte ich und wollte ihn zur Seite stemmen, doch er bewegte sich nicht.
„Du bist ganz schön zickig, weißt du das? Eigentlich ganz süß, vor allem in Anbetracht deiner Körpergröße."
Ich schnaubte. Dass ich nicht die Größte Frau auf Erden war mochte ja sein, aber ich konnte ja nicht dafür, dass mein Körper sich dazu entschieden hatte, nach 157 Zentimetern nicht mehr zu wachsen.
„Gaspar, bitte, ich möchte einfach nur noch ins Bett." Ich hoffte inständig, dass ich mich nicht anhörte wie ein kleines Kind.
Wieder lachte er und machte den Weg frei. „Übrigens, schönes Shirt." Ich sah an mir hinunter und bemerkte erst jetzt, dass mir mein Shirt nicht knapp über den Po reichte. Würde ich jetzt auf seinen Kommentar eingehen ... nein, ich ließ es lieber gleich bleiben. Ich war müde und sehnte mich nach meinem Bett.
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