64|Keine Geheimnisse mehr

"Seid ihr zwei sicher, dass ihr nicht noch zum Abendbrot bleiben wollt?", fragte Sasha bestimmt schon zum dritten Mal und langsam glaubte ich, dass Zayn irgendwann doch einfach an sein Limit kommen und mit den Augen rollen würde, auch wenn er es sich bis jetzt noch ganz gut verkniff.

"Ja, wir sind uns sicher", sagte er dann allerdings nur.

Ich schenkte ihr ein Lächeln. "Aber trotzdem vielen Dank für das Angebot." Vielleicht würde ich es ja bald tatsächlich mal annehmen.

"Also gut." Sasha seufzte, lächelte dabei aber. "Dann vielleicht beim nächsten Mal, hm? Ich will euch ja zu nichts zwingen und ihr habt bestimmt noch was anderes vor heute Abend."

Die Worte erwischten mich etwas unerwartet. "Äh", machte ich überfordert und umfasste den Riemen meines Rucksacks noch etwas fester. "Äääh..."

"Sasha!" Mit einem strafenden Blick in ihre Richtung, der wohl subtil hatte sein sollen, es aber ganz und gar nicht war, kam Zayn zu meiner Rettung. "Ich fahr Niall einfach nur nach Hause."

Ich nickte zur Zustimmung.

Zayn würde mich nur nach Hause fahren, nichts weiter. So, wie ich es ihm am Freitag gesagt hatte. Und genau so hatte er auch in Sashas Flur gestanden: pünktlich um 17:30 Uhr, kurz nachdem ich mit Yuri alle heutigen Themen abgehakt hatte, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und ein unsicheres Lächeln im Gesicht.

"Natürlich, Entschuldigung." Das wissende Lächeln in Sashas Gesicht wurde bei ihrer Aussage kein bisschen schmallippiger. "Was auch immer noch eure Pläne sind. Ich halte euch nicht auf."

Zayn neben mir seufzte einmal leise auf. "Gut", sagte er dann jedoch nur, ehe er sich mir zuwandte. "Sollen wir los?"

Wieder nickte ich, rang mir dann aber doch noch ein Wort ab: "Klar."

"Na gut, ihr beiden", sagte Sasha und stupste ihren Sohn an, der neben ihr im Türrahmen zum Wohnzimmer stand. "Sagst du bitte Tschüss, Yuri?"

Der Angesprochene schreckte etwas aus seinen Gedanken, nickte dann aber und ging zu Zayn, um ihn zu umarmen. "Tschau, Zaynie!", sagte er und ich musste ein Lachen unterdrücken, als ich sah, wie der Angesprochene bei dieser Verabschiedung das Gesicht verzog. Sah ganz so aus, als würde sich da langsam jemand was von seiner Mutter abschauen...

Meine Mundwinkel waren noch immer nicht ganz unten, als Yuri sich von seinem Cousin löste und sich zu mir drehte. Wie jedes Mal wollte ich gerade meine Hand ausstrecken, um die seine zu schütteln, da schlang mein Nachhilfeschüler auf einmal ohne Vorwarnung seine Arme um meine Mitte und zwitscherte: "Tschau, Niall!"

Leicht überfordert erwiderte ich die von ihm initiierte Umarmung kurz, ehe er sich auch schon wieder aus meinem Griff wand, uns noch einmal angrinste und dann die Treppen nach oben verschwand, während mir noch immer der Mund offen stand. Was genau war hier gerade passiert?

Zayn und Sasha sahen von dem Verlauf der Dinge mindestens genauso überrascht aus, wie ich mich fühlte, aber bevor das hier noch peinlich werden konnte, riss ich mich am Riemen und streckte nun stattdessen meiner Gastgeberin die Hand hin.

"Ähm, dann bis nächste Woche", sagte ich und lächelte mein strahlendstes Lächeln.

Sasha brauchte einen kleinen Moment, ehe sie reagierte und meinen Händedruck erwiderte. Dann jedoch lächelte auch sie und sagte: "Bis nächste Woche, Niall. Es ist schön, dass du wieder da bist."

Ich räusperte mich. "Ja", erwiderte ich verlegen, "Das find ich auch."

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Zayn uns musterte, seine Lippen kaum merklich nach oben gezogen, ehe er schließlich selbst vortrat, um sich ebenfalls von seiner Tante zu verabschieden. Ich sah dabei zu, wie Sasha ihn in ihre Arme schloss und ihm einen Kuss auf die Wange drückte, dann lösten sie sich wieder.

"Einen schönen Abend, euch zwei", wünschte sie uns, als sie die Haustür öffnete und wir nach draußen auf die Stufen traten.

"Danke", sagten Zayn und ich simultan. Unsere Blicke trafen sich und ein paar Sekunden lang schauten wir uns einfach nur an, bevor ich mich schließlich mit einem Räuspern abwandte und ihm voran die Treppe hinab stieg. Das Lächeln, das ich dabei nicht unterdrücken konnte, sah er dadurch zum Glück nicht.

Erst, als ich auf dem hellen Steinweg stand und Zayns Präsenz neben mir spürte, drehte ich mich wieder zu Sasha um, die noch immer im Türrahmen stand und schmunzelte, und winkte ihr zum Abschied zu. Sie winkte zurück, dann huschten ihre Augen zu ihrem Neffen und sie verzog ihre Augenbrauen zu irgendeiner verschlüsselten Nachricht, die ich nicht lesen konnte.

Zayn schien es allerdings schon zu tun, denn er antwortete ebenso kryptisch nur mit seiner Mimik, ehe auch er kurz die Hand hob und sich dann mir zuwandte. "Sollen wir los?"

"Ähm... sicher", sagte ich, konnte mir aber einen kurzen, skeptischen Blick nicht verkneifen. Was zur Hölle war das denn gerade gewesen? Hatte Zayn ihr vielleicht irgendwas erzählt, was sie jetzt dazu veranlasste, ihm wortlos irgendwelche Dinge mitzuteilen? Oder war Sasha tatsächlich einfach nur allwissend und hatte beschlossen, dass der Zeitpunkt gekommen war, von diesem Wissen Gebrauch zu machen?

Ich hielt es aus, bis wir in Zayns Auto saßen, dann platzte die Frage aus mir heraus: "Weiß sie Bescheid?"

Mein Nebenmann sah mich überrascht an, seinen Gurt auf halbem Weg in seinen Händen erstarrt. "Du meinst Sasha?", hakte er nach und ich nickte, schluckte einmal, weil mein Hals irgendwie seltsam trocken war.

Zayn räusperte sich. "Das kommt jetzt tatsächlich darauf an, von was genau du redest", sagte er, "Sie weiß nicht von allem."

Ich ging mal stark davon aus, dass sich Zayn mit dem allem besonders auf den One-Night-Stand bezog - bei aller Liebe zu Sasha, aber das wäre dann wirklich etwas zu peinlich für meinen Geschmack. Dennoch fragte ich vorsichtig: "Und was weiß sie dann alles?"

Zayn atmete einmal kurz durch, dann ließ er seinen Gurt endlich einrasten. Ich tat es ihm gleich, sah ihn aber weiterhin erwartungsvoll an, während er seinen VW startete. Erst, als er sich aus der Parklücke herausmanövriert und auf der Straße Gas gegeben hatte, sah er wieder kurz zu mir.

"Sasha ist nicht blind. Ich glaube, sie wusste schon ziemlich von Anfang an, dass da irgendwas läuft - lief. Ich hab es ihr eigentlich nur bestätigt und von ein paar Details erzählt. Und sie weiß, dass ich ziemliche Scheiße gebaut hab, wir jetzt aber offensichtlich wieder miteinander reden, uhm... aber mehr hab ich dazu tatsächlich nicht gesagt." Ein unsicherer Seitenblick traf mich, dann sah Zayn wieder auf die Straße vor sich. "Ich hoffe, das ist okay so."

"Warum sollte es das nicht sein?", fragte ich und zuckte mit den Schultern. "Sie ist deine Tante."

Zayn kam an einer roten Ampel zum Stehen und drehte sich wieder zu mir, seine Mimik ernst. "Aber es ist trotzdem eine Sache, die auch dich betrifft und ich will definitiv keine Informationen in die Welt posaunen, die du eigentlich nur deinem engsten Kreis erzählen willst. Oder überhaupt niemandem." Die Ampel sprang auf grün und Zayn drückte wieder aufs Gaspedal. "Ich mag Sasha und ich erzähle ihr auch öfter mal von meinem Leben, aber sie muss definitiv nicht alles wissen - erst recht nicht, weil sie ja auch noch irgendwie deine Arbeitgeberin ist."

Ups, das stimmte. Bei dem guten Verhältnis, das ich mittlerweile zu ihr und Yuri aufgebaut hatte, entfiel mir das immer mal wieder ein bisschen. Aber Zayn hatte natürlich Recht damit.

"Und weiß Yuri irgendwas?", fragte ich also weiter, "Oder dein Onkel?"

Zayn machte eine halbe Schulterzuck-Geste. "Wenn Yuri nachfragt, würde ich ihm definitiv nichts verschweigen. Er hat auf jeden Fall kapiert, dass ich dich -ähm- ganz gern hab, aber ob er das ganze Konzept von Bez-... von solchen Sachen wirklich schon begreift, weiß ich gar nicht." Er räusperte sich. "Und Ezra hab ich einfach zu lange nicht gesehen, aber es ist gut möglich, dass Sasha mit ihm darüber geredet hat."

Ich nickte nur verstehend, denn ich glaubte nicht, dass meine Stimme mir in diesem Moment gehorchen würde. Mein Kopf hatte sich an den Worten dass ich dich ganz gern hab aufgehängt und versuchte, daraus mögliche Untertöne zu lesen, die vermutlich gar nicht da waren.

"Fanny weiß übrigens Bescheid", fuhr Zayn jetzt fort und riss mich damit aus meinen Grübeleien. "Über... naja, fast alles, eigentlich. Aber erst seit letzter Woche. Sie war sehr... hartnäckig mit ihrer Fragerei und irgendwann bin ich eingeknickt." Er sah mich zerknirscht an. "Tut mir leid."

Ich schüttelte den Kopf. "Muss es nicht. Fanny ist absolut in Ordnung und außerdem deine beste Freundin." Kurz schwieg ich. "Sie war sogar einmal in meiner Fakultät drüben, um mich zu finden."

Zayns Blick huschte kurz überrascht zu mir. "Das hast du mitbekommen?", fragte er.

Ich zuckte etwas verlegen mit den Schultern. Immerhin war ich ihr an diesem Tag ziemlich eiskalt aus dem Weg gegangen. "Vielleicht."

Mein Nebenmann nahm es mir zum Glück nicht übel. "Ja, ich glaube, es war nicht schwer, zu erahnen, dass irgendwas vorgefallen ist, was mit dir zusammenhängen musste. Und weil sie von mir nicht sofort Antworten bekommen hat, ist sie zu dir rüber gelaufen. Sie hat mich danach ziemlich zur Schnecke gemacht - dass sie dich wahrscheinlich gesehen hat, du aber nicht reagiert hast und was zur Hölle ich für einen Bockmist veranstaltet hab." Ein Seufzen entwich ihm, während er seinen Blinker setzte und in den Stadtteil einbog, in dem sich unsere WG befand. "Es war übrigens auch ihr Balkon, von dem aus ich dir um drei auf die Mailbox gesprochen hab. Ich glaube, wenn ich es nicht von selbst durchgezogen hätte, hätten sie und ihre Freundin mich knallhart da draußen ausgesperrt, bis ich es hinbekommen hätte."

Zayn zog eine Grimasse und ich musste beinahe lachen, denn die Vorstellung hatte definitiv etwas.

Stattdessen wandte ich allerdings nur meinen Blick aus dem Fenster und beobachtete die mir bekannten Straßen, an denen wir vorbei fuhren. Dass ich lächelte, bemerkte ich erst eine ganze Weile später.

Zwischen uns lag Schweigen, aber es war weder peinlich noch gezwungen, sondern einfach nur normal. Ich brach es, als wir in unsere Straße einbogen und Zayn am Straßenrand hielt, um mich aussteigen zu lassen, denn die Parkplätze waren voll besetzt und selbst in der üblichen Einfahrt stand heute ein Auto.

"Also...", sagte ich mit einem leichten Grinsen und hob eine Augenbraue, "Sollte ich noch irgendwas wissen, bevor ich aussteige? Irgendwelche ungesagten Sachen? Irgendwelche Geheimnisse?" Eigentlich hatte ich die Worte eher scherzhaft gemeint, aber Zayn schien sie deutlich ernster zu nehmen

"Keine Geheimnisse mehr", sagte er und sah mich mit seinen dunklen Augen eindringlich an, "Du weißt ab jetzt alles, was du wissen musst. Ich lüg dich nie wieder an."

Mein Hals wurde trocken. "Okay, ähm... okay." Ich musste mich räuspern, trotzdem klang meine Stimme noch immer irgendwie piepsig, als ich sagte: "Dann, äh, bis demnächst."

"Ja", sagte Zayn. Seine Augen klebten auf mir, als ich die Beifahrertür öffnete und ausstieg. "Bis dann."

Ich hob mit einem schiefen Lächeln die Hand, dann ließ ich die Tür zufallen und atmete die paar Meter, die ich bis zu unserem Hauseingang lief, mehrmals durch.

Keine Geheimnisse mehr.

Das war alles, was ich wollte, richtig? Dass er mir die Wahrheit sagte.

Jemand hatte die Haustür in den Stopper an der Wand eingehängt, sodass sie offen stand - vermutlich eine unserer Nachbarinnen aus dem ersten Stock, die wohl die letzten Sonnenstrahlen des Tages ausnutzen wollte. Zusammen mit ihrem kleinen Sohn hockte sie nur ein paar Meter weiter auf dem Gehweg und malte mit Kreidestiften einen Regenbogen auf die Pflastersteine.

Ich nickte ihr lächelnd zu und sie erwiderte die Begrüßung, dann trat ich in den Hausflur. Noch immer in Gedanken versunken stieg ich die sechs Treppenabsätze nach oben, ehe ich schließlich die Wohnungstür aufsperrte und meinen Rucksack im Flur abstellte. Sandys Zimmertür war nur angelehnt und ich glaubte, die Mario Kart-Musik laufen zu hören, meine zwei Mitbewohner schienen also da zu sein.

Ich wollte gerade die Tür hinter mir schließen und mich bei den beiden bemerkbar machen, aber bevor es soweit kommen konnte, schallte mein Name durch das Treppenhaus und hastige Schritte klangen die Stufen hinauf.

Irritiert hielt ich inne, als Zayn in meinem Blickfeld erschien, schwer atmend und beinahe über seine eigenen Füße fallend. Der Ring seines Autoschlüssels hing um seinen Mittelfinger und ich fragte mich, ob er seinen VW kurzerhand einfach ins Halteverbot gestellt hatte, um mich noch zu erwischen - was auch immer so wichtig war, dass er nicht einfach nochmal hätte klingeln können.

"Niall", sagte Zayn erneut, diesmal etwas ruhiger, als er die letzten Stufen erklomm und sich erstmal am Treppengeländer abstützen musste, um wieder genug Luft zum weiterreden zu bekommen.

"Ähm. Hi? Ist... alles okay?", fragte ich mit gerunzelter Stirn und lehnte mich mit der linken Schulter gegen den Türrahmen, unsicher, ob das hier eine lange Sache werden würde oder nicht.

"Ja. Nein, ja", meinte Zayn, machte aber im gleichen Moment eine halbe Kopfnick-Schulterzuck-Geste, während sein Gesichtsausdruck plötzlich absolute Unsicherheit zeigte. "Es ist nur... ich war mir eben im Auto noch nicht ganz sicher, aber - ich hab gelogen. Du weißt noch nicht alles, was du wissen solltest."

Mir rutschte das Herz in die Hose, als ich kurz den Gedanken nicht schon wieder hatte, aber dann rief ich mich zumindest etwas zur Vernunft und versuchte, nicht direkt vom Allerschlimmsten auszugehen.

Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass meine Stimme einen deutlich zweifelnden Unterton hatte, als ich es vorsichtig wagte, nachzufragen: "Und was soll es sein, das mir noch entgeht?"

Zayn sah mich an, sein dunkler Blick traf auf meinen und ich war mir für ein paar Sekunden nicht sicher, ob ich überhaupt noch richtig atmete, so ausdrucksvoll war das warme Braun seiner Augen, das mich wie eh und je schwach machte, meine Gefühle beherrschte, mir die Fähigkeit des funktionierenden Denkens nahm.

"Dass ich dich liebe", sagte er dann ernst und, okay, jetzt stockte mir definitiv der Atem.

Mein Mund öffnete sich, ohne dass ein Ton herauskam und ich schloss ihn wieder, räusperte mich, versuchte es nochmal und schaffte es, ein schwaches "Was?" zu krächzen.

"Ich liebe dich", wiederholte Zayn, kein Funken seiner eben noch dagewesenen Unsicherheit mehr in den Worten zu erkennen, als wäre ihr Inhalt die eine Sache, die ihn darin bestärkte, sie auch auszusprechen. "Ich liebe dich mehr, als ich jemals dachte, dass ich jemanden lieben könnte. Du hast mir von Anfang an den Kopf verdreht und mit jeder Sekunde in deiner Nähe kommt es mir vor, als würde ich mich in einen neuen Teil von dir verlieben. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so krasse Gefühle für jemanden, aber du hast meine gesamte Welt vollkommen auf den Kopf gestellt und ich würde absolut nichts daran ändern wollen, selbst wenn ich es könnte."

Vermutlich grenzte es an ein Wunder, dass ich nicht auf der Stelle ohnmächtig wurde oder etwas ähnlich ungünstiges tat. Stattdessen stand ich wie erstarrt im Türrahmen, glotzte ihn nur an und versuchte zu verarbeiten, was zur Hölle er gerade gesagt hatte.

Zayn... liebte mich? Langsam sickerte es auch richtig zu meinem Kopf durch, der meinem Herzen etwas hinterher hing, welches schon seit ein paar Sekunden länger dabei war, wie irre in meiner Brust zu schlagen, als wollte es gleich nach draußen und in Zayns Arme springen. Zayn liebte mich. Oh Gott.

"Ich...", fing ich stammelnd an, aber mehr als dieses eine Wort verließ meine Lippen nicht.

Zayns dunkle Augen waren fest auf mein Gesicht gerichtet und in diesem Moment kam ich nicht einmal auf den Gedanken, an dem zu zweifeln, was er mir gerade gesagt hatte.

"Ich...", startete ich einen zweiten Versuch, jedoch auch diesmal, ohne den Satz zu beenden. Ich liebe dich auch. Wollte ich sagen. Dachte ich. Aber die Worte, die sich stattdessen in meine Gedanken schlichen, waren: Ich konnte das nicht.

Ich konnte die Liebesbekundung nicht aussprechen. Noch nicht. Auch, wenn sie keine Lüge wäre. Denn ich tat es. Ich liebte ihn - oh Gott, und wie ich das tat!

Aber ich brachte es nicht über mich, es auszusprechen.

Zayn schien mein Zögern definitiv zu bemerken und wer weiß, vielleicht sah er mir auch meinen inneren Kampf an, weil er mich einfach gut genug kannte, um zu wissen, was sich in meinem Kopf abspielte. Sein Blick jedenfalls ließ darauf schließen, dass er mehr als eine gewisse Ahnung hatte, warum meine Antwort auf sich warten ließ, und seine Miene wurde verständnisvoll.

"Ich hab es nicht gesagt, um es zurück zu hören. Mir ist klar, dass ich dich verletzt habe und dass du mindestens Zeit brauchst, um dich mir wieder zu öffnen", sagte er, seine Stimme ruhig und gefasst. "Ich hab es gesagt, weil ich es sagen wollte. Und weil ich finde, dass du ein Recht darauf hast, es zu hören. Ich erwarte keine Erwiderung darauf. Ich wollte nur, dass du es weißt."

Noch immer stand ich wie festgefroren in der Tür. Zayns Worte kamen in meinem Kopf an, aber irgendwie schien es keine Verknüpfung zu geben, die mir sagte, wie ich darauf reagieren sollte. Aber anscheinend meinte Zayn seine Worte tatsächlich sehr ernst, denn er atmete nur einmal durch, ehe er mir ein Lächeln zuwarf und "Okay" sagte. Und dann drehte er sich um und stieg die Treppen wieder herunter, während ich mehrere lange Sekunden einfach nur vollkommen überfordert auf die Stelle starren konnte, an der er eben noch gestanden hatte.

Erst ein Geräusch zu meiner Linken riss mich aus meiner Starre und erschrocken wandte ich den Kopf in die Richtung.

"Was zum Geier machst du?" Liam und Sandy standen hinter mir im Flur, letzterer sah mich mit einer solchen Fassungslosigkeit an, dass man denken könnte, ich hätte gerade das Erbrecht auf einen Privatjet abgelehnt, oder so. "Er sagt dir, dass er dich liebt und du läufst ihm nicht nach?"

"Immer wieder schön, was man mit euch als Mitbewohnern so für eine tolle Privatsphäre hat", gab ich mit ironischem Unterton murmelnd von mir, aber eigentlich war ich überhaupt nicht bei der Sache.

Was zur Hölle war da gerade passiert?

"Niall, ich mein das ernst!" Sandy überbrückte die letzten paar Schritte und umfasste meine Oberarme. "Was tust du? Der Typ liebt dich, du liebst ihn-"

"Ich kann nicht", unterbrach ich meinen Kumpel und verfluchte mich im gleichen Moment dafür, wie brüchig meine Stimme aufgrund des Knotens klang, der sich mal wieder in meinem Hals festzurrte. "Ich... ich kann einfach nicht, okay?", wiederholte ich und musste blinzeln, weil die Tränen plötzlich aus dem Nichts in meine Augen stiegen.

Scheiße, ich liebte ihn so sehr, dass es fast schon weh tat. Und doch war da eine Blockade in meinem Kopf, die es nicht zuließ, es auszusprechen. Zumindest noch nicht heute, noch nicht jetzt. Nicht mit dieser absoluten Überforderung in mir. 

"Aber...", fing Sandy erneut an, doch ich schüttelte energisch den Kopf.

"Hör auf. Bitte." Meine Augen huschten hilfesuchend zu Liam, der noch immer etwas weiter hinten im Flur stand, und als mein Blick auf den seinen traf, sah ich nichts als Verständnis in seiner Mimik. Vor Erleichterung weinte ich beinahe wirklich los, denn - mein bester Freund begriff, was in mir vorging.

"Lass gut sein, Sandy", sagte er nun auch und legte unserem Mitbewohner eine Hand auf die Schulter. "Niall macht das schon irgendwie. Sollen wir vielleicht einfach noch ne Runde zocken und Pizza bestellen? Ich geb euch auch einen aus."

Erleichtert über den Themenwechsel nickte ich und schließlich willigte auch Sandy ein und verschwand dann in der Küche, um nach dem Katalog unserer Stamm-Pizzeria zu suchen, der irgendwo am Kühlschrank hängen musste.

"Danke", flüsterte ich Liam zu, der mir nur zunickte und dann einen Arm um mich legte.

"Alles in deinem Tempo, Nialler", sagte er und ich musste lächeln, denn natürlich war mein bester Freund ein großer Befürworter davon, Dinge nicht zu überstürzen.

"Leute, hab den Katalog gefunden", rief Sandy aus der Küche, "Was wollt ihr haben?"

Liam sah mich an und verdrehte einmal die Augen, aber genau wie ich musste er schließlich doch über unseren dämlichen Freund schmunzeln. Ohne Sandy wäre es in dieser WG ohne Frage ruhiger, aber lange nicht so lustig - auch, wenn er uns regelmäßig in den Wahnsinn trieb.

"Ich mach das schon", antwortete Liam ihm dann, ehe er sich wieder an mich wandte und seine Stimme etwas senkte: "Bist du okay?"

Ich nahm einen tiefen Atemzug. "Ja", sagte ich und nickte. "Alles in Ordnung. Ich muss nur langsam wirklich mal pissen. Bestellst du für mich mit?"

Liam lachte einmal leise auf. "Klar. Das Übliche?"

Ich grinste, weil sich bei diesen Worten eine gewisse Erinnerung in meinen Kopf schlich. "Was denkst du denn?"

Auch er grinste, dachte vermutlich an genau das gleiche wie ich. "Alles klar. Einmal Pizza Hawaii für Niall." Er klopfte mir noch einmal auf die Schulter, dann verschwand er bei Sandy in der Küche, während ich mich ins Bad verdrückte - und das nicht nur zur Flucht, ich musste nämlich tatsächlich mal pissen.

Etwa eine Minute später ließ ich mir warmes Wasser über die Hände laufen und zupfte mir anschließend die Frisur zurecht, die über den Tag hinweg irgendwie in sich zusammengefallen war. Eigentlich wollte ich wirklich nur kurz zu meinem Haarspray greifen und die schlimmsten Strähnen wieder in Form bringen, aber als ich mein Schrankabteil öffnete, fiel mein Blick auf die zusätzliche Zahnbürste, die noch immer darin lag, und ich erstarrte mitten in der Bewegung.

Oh.

Ein paar Sekunden lang tat ich gar nichts, dann griff ich in Schneckentempo danach und holte sie aus dem Schrankfach. Intuitiv wusste ich, dass ich hiermit eine Entscheidung treffen musste, die nicht nur diese blöde Zahnbürste, sondern alles weitere auch betraf. Und ich wusste, dass ich sie jetzt treffen musste.

Es gab nur zwei Möglichkeiten und eine davon war, sie in den Müll zu werfen. Mein Blick zuckte zu dem kleinen blauen Eimer, der neben der Toilette stand. Wir besaßen das Teil nur, weil Liam (der einzige von uns dreien, der Schwestern hatte) ihn mal für potenziellen Frauenbesuch angeschleppt hatte, aber es war kein Geheimnis, dass er so gut wie nie benutzt wurde.

Ich sah wieder auf, direkt in den Spiegel. Meine Reflektion starrte zurück, ihre Mimik viel selbstbewusster, als ich mich in diesem Moment tatsächlich fühlte. Na?, schien sie provokant zu fragen, Worauf zur Hölle wartest du denn noch?

Und... tja, worauf eigentlich?

Ich atmete einmal tief durch, dann legte ich die Zahnbürste zurück ins Regal. 

Übrigens, nur um euch mal drauf einzustellen... das hier war das vorletzte Kapitel von IhyIly, es kommt nur noch ein einziges und dann ist die Geschichte einfach beendet 🥺🫣

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