63|Ein grausamer Freund

Mein Kiefer spannte sich an, denn ich wusste sofort, worauf er hinaus wollte.

"Lass mich dazu was sagen!", bat Zayn sofort, denn natürlich hatte er die Veränderung meiner Körperhaltung bemerkt. "Ich erwarte gar nichts von dir, ich will dir wirklich nur ans Herz legen, dass du vielleicht doch mal mit Liam redest. Es geht ihm nicht gut mit dieser ganzen Sache, okay?"

Ich wusste nicht, was ich mehr hasste: Dass ich am liebsten schon wieder einen sarkastischen Kommentar à la "Und mir, oder was?" loswerden wollte, oder dass sich mein Herz bei dem Gedanken an meinen eigentlich besten Freund schmerzhaft zusammenzog.

Zayn schien mein Schweigen als Zögern aufzufassen (und vielleicht war es das ja wirklich), denn er sprach weiter: "Ich verstehe, dass du wütend bist, weil er dir nichts gesagt hat, aber das ist eigentlich auch meine Schuld. Immerhin hab ich ihm genauso das Versprechen abgenommen, nichts zu verraten, wie Harry und Louis."

Ich wollte etwas sagen, einfach nur um etwas zu sagen, aber Zayn schüttelte nur seinen Kopf und ich klappte meinen Mund wieder zu.

"Glaub mir, er wollte. Nachdem er es erfahren hat, kam er direkt zu mir und wollte mir das Gesicht einschlagen. Ich hab versucht, ihm die Situation möglichst logisch zu erklären, aber er wollte trotzdem sofort zu dir rennen und dir alles erzählen. Ich hab ihm schwören müssen, dir alles so bald wie möglich zu sagen und ihn fast schon anflehen müssen, bis dahin nichts zu sagen. Er hat mir geglaubt, dass ich es nicht mehr aufschiebe, aber dann hab ich irgendwie doch jedes Mal Schiss bekommen, bevor ich es durchziehen konnte." Zayn seufzte auf und fuhr sich mit den Händen einmal über das Gesicht, ehe er wieder zu mir sah. "Ohne Liam hätte ich es wahrscheinlich noch länger vor mir hergeschoben, aber irgendwann hat er mir gedroht, es dir doch einfach zu sagen, wenn ich es nicht bald selbst hinbekomme."

Ich fühlte das drückende Gefühl eines schlechten Gewissens in mir aufsteigen. Wenn Zayn Recht hatte (und ich bezweifelte mittlerweile wirklich, dass er in diesem Gespräch log), dann hatte Liam, sobald er davon wusste, alles daran gesetzt, dass ich die Wahrheit erfuhr. Aber das entschuldigte noch nicht, dass er es einfach an Sophia weitererzählt hatte.

Das sagte ich Zayn auch, aber natürlich hatte dieser ein Gegenargument zur Hand: "Hast du schon darüber nachgedacht, dass er sich das alles auch mal von der Seele reden musste? Ich sage nicht, dass es richtig war, Sophia davon zu erzählen, aber ich nehme an, er brauchte einfach eine unparteiische Meinung, um zu entscheiden, ob er nicht doch noch mit dir reden sollte."

Leider stimmte es, dass Liam immer eine zweite Meinung zu quasi allem hören wollte. Er hasste es, mit niemandem über wichtige Sachen sprechen zu können - und da er das normalerweise mit mir tat, ich in diesem Fall aber aus offensichtlichen Gründen ausgefallen war, schien er sein Vertrauen wohl in Sophia gelegt zu haben. Nicht die beste Entschuldigung, aber dummerweise eine Handlung, die ich in Anbetracht der Umstände durchaus nachvollziehen konnte.

Mir gingen die Begründungen aus, auf die ganze Welt sauer zu sein. Und auch, wenn ich trotzdem fand, dass ein gewisser Rest Wut und Verletztheit eindeutig noch gerechtfertigt waren, schien der Moment gekommen zu sein, in dem ich mich mit meinen Gefühlen auseinandersetzen und entsprechende Entscheidungen treffen musste.

Wann hatte ich mich nochmal dazu entschlossen, das Leben wie ein tatsächlicher Erwachsener anzugehen?

"Hast du... willst du noch irgendwas wissen?", riss mich Zayns Stimme aus meinen Gedanken - leise und vorsichtig, als sei er sich nicht sicher, ob er es wagen durfte, mich nach allem, was er gesagt hatte, bei meinem philosophischen Prozess zu stören.

Ich kramte in meinen Gedanken nach Themen, die für mich noch nicht geklärt und Fragen, die noch offen waren. Aber da war nichts mehr.

Okay, nicht Nichts. Aber das meiste von dem, was da war, war eher meiner allgemeinen Verunsicherung zuzuschreiben, was ich jetzt mit den ganzen Antworten, die ich in der letzten halben Stunde bekommen hatte, eigentlich anfangen sollte. Und ich glaubte nicht, dass mir Zayn -oder irgendjemand außer mir selbst- dabei behilflich sein konnte, diesen Knoten in meinen Gedanken zu lösen.

Also schüttelte ich den Kopf. "Nein", sagte ich leise, "Ich glaube nicht."

Ein verständnisvolles Nicken war seine Antwort. "Ich kann mir vorstellen, dass das alles ziemlich viel für dich ist", sagte er dann, seine Stimme kaum lauter als meine eigene. "Und ich will nur, dass du weißt, dass du mich jederzeit fragen kannst, wenn es noch irgendwas gibt, ja?"

Ich atmete einmal tief durch. "Okay", flüsterte ich, "Danke. Für... das hier." Etwas hilflos deutete ich zwischen uns hin und her, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er begriff, was ich meinte, denn er schüttelte mit ernstem Blick den Kopf.

"Du bist der Letzte, der irgendwem danken sollte", sagte er, "Und erst recht nicht dafür."

Ein paar Sekunden lang schwieg ich und er gewährte mir diesen Moment der Stille.

"Kannst du mich nach Hause fahren?", fragte ich dann.

"Natürlich!", sagte er sofort und drehte den Zündschlüssel herum, sodass sein VW zum Leben erwachte, ehe er doch wieder kurz zögerte und schließlich hinzufügte: "Alles, was du willst."

Und diesmal ließ ich es zu, dass mein Herz bei diesen Worten einen kleinen Hüpfer machte.

***

Zayn brachte sein Auto in einer der Einfahrten gegenüber unseres Wohnhauses zum Stehen, um mich aussteigen zu lassen.

Ich wusste, dass er eigentlich nur ein paar Minuten hier halten durfte, trotzdem hielt ich nach dem Abschnallen nochmal inne, eine Hand bereits am Griff der Beifahrertür. Mir war bewusst, dass Zayn mich ansah, möglicherweise fragend, vielleicht auch unsicher, wie das hier weiter gehen würde.

Und in diesem Moment wurde mir klar, dass ich nicht einfach so aussteigen konnte. Nicht, ohne ihm klar gemacht zu haben, dass dieses Gespräch zwischen uns nicht das letzte gewesen war. Nicht, ohne ihm klar zu machen, dass ich ihn nicht ohne weiteres gehen lassen konnte.

Ich schluckte. Ich drückte meine zitternden Finger in meine Handballen. Ich sah ihn an.

Ich sagte: "Am Dienstag wäre ich wieder bei Sasha für die Nachhilfe. Du könntest mich abholen, wenn du willst."

Zayns Augen wurden groß, ehe er sich offenbar Mühe gab, sich in den Griff zu bekommen. "Ich will", sagte er dann hastig, "Natürlich will ich!"

Ich konnte nicht anders, als ihm ein Lächeln zuzuwerfen, ehe ich nun doch endlich die Autotür öffnete. "Gut. 17:30 Uhr sind wir ungefähr fertig. Sei nicht zu spät." Und mit diesen Worten stieg ich aus und ließ die Tür hinter mir zufallen, ehe ich noch ein bisschen schwächer werden konnte.

Das leise "Ich würde nicht mal im Traum daran denken" erreichte mich trotzdem noch und ich musste mich abwenden, um ihn nicht sehen zu lassen, dass ich mir auf die Unterlippe biss - einerseits, um das Lächeln darauf zu unterdrücken, andererseits aber auch, um sie am Zittern zu hindern, denn seine Worte sorgten für eine verdammt bunte Gefühlsmischung in mir, auf die ich nicht zu reagieren wusste.

Was zur Hölle war das? Wir hatten doch alles gesagt, oder? Zayn hatte mir die gewünschte Erklärung gegeben und ich hatte keine offenen Fragen mehr... richtig?

Warum also hatte ich dann trotzdem noch dieses seltsame Gefühl in meinem Magen? Diese Unentschiedenheit, ob ich ihn lieber auf Abstand halten, oder ihn so nah wie möglich bei mir haben wollte? Den Knoten im Hals, ohne zu wissen, warum eigentlich genau?

Nur zu gerne hätte ich eine Antwort auf meine verwirrenden Gedanken gefunden, aber noch immer spürte ich Zayns Augen nur zu deutlich auf mir und so priorisierte ich es vorerst, unfallfrei auf die andere Straßenseite zu kommen, ehe ich es schließlich wagte, mich noch einmal zu ihm umzudrehen. Es schien, als hätte er nur darauf gewartet, denn als sich unsere Blicke trafen, schenkte er mir ein vorsichtiges Lächeln und hob eine Hand zum Abschied.

Es war eigentlich ein Automatismus, dass ich das Lächeln erwiderte und ihm ebenfalls kurz zuwinkte. Etwa eine Sekunde später biss ich mir schon wieder auf die Lippe und wandte mich blitzartig ab, denn - verdammte Scheiße. War es wirklich das Richtige, was ich hier tat? Oder machte ich in Wahrheit einen riesengroßen Fehler damit, ihm nicht die kalte Schulter zu zeigen?

Machte ich ihm möglicherweise sogar Hoffnungen, von denen ich nicht wusste, ob ich sie auch wirklich erfüllen konnte? Und machte ich vielleicht auch mir falsche Hoffnungen? Was, wenn ich in einer Woche feststellte, dass ich mir selbst nur damit weh tat, dass ich ihm wieder vertraute? Was, wenn ich in zwei Wochen feststellen musste, dass er seine Worte doch nicht ernst gemeint hatte?

Was, wenn der Grund, aus dem ich ihm vergeben wollte, nur der war, dass ich blind vor Liebe war?

Mit einem frustrierten Seufzer kam ich vor unserer Haustür zum Stehen und zog meinen Schlüsselbund aus der Jackentasche. Warum konnten die Dinge nicht wenigstens ein einziges Mal einfach sein?

Während ich den Schlüssel im Schloss drehte, wanderte mein Blick die Hausfassade hinauf und blieb an den Fenstern im dritten Stockwerk hängen, die zu unserer Wohnung gehörten: Mein eigenes auf der rechten Seite, bei dem ich heute Morgen anscheinend vergessen hatte, die Jalousie ganz hochzuziehen, und links daneben das Küchenfenster, hinter dem ich das Deckenlicht brennen sah.

Sandy arbeitete in seiner Ausbildung Vollzeit, deshalb war es nicht schwer, zu erraten, wer von meinen beiden Mitbewohnern an diesem Freitag wahrscheinlich die Küche besetzte.

Ich musste schlucken.

Das, was Zayn mir bei unserem Gespräch vorhin zu Liam gesagt hatte, geisterte seitdem unaufhörlich in meinem Kopf herum - und ganz besonders die Bitte, vielleicht doch nochmal das Gespräch mit ihm zu suchen. Ein sehr kindischer Teil in mir wollte sich am liebsten weigern, aber der rationale Rest (der die Sache mit dem erwachsen sein anscheinend voll durchziehen wollte) schien bereits zu ahnen, dass daran kein Weg vorbei führte, wohl allein schon, weil mich die ganze Sache selbst sehr viel mehr bedrückte, als ich die letzten anderthalb Wochen hatte durchscheinen lassen.

Natürlich hatte Sandy mit seiner Skepsis Recht gehabt, was das Thema Liam und das Aus unserer Freundschaft betraf... aber wie hätte ich das zugeben können, ohne zu einem mentalen Wrack zu mutieren?

Ich riss mich von dem Anblick des erleuchteten Küchenfensters los und betrat das Treppenhaus, stieg langsam die Stufen hinauf.

Liam war seit meinem siebzehnten Lebensjahr mein bester Freund gewesen. Zu erfahren, dass er mich belogen hatte, war neben Zayns Vertrauensbruch das Schmerzhafteste an der ganzen Sache gewesen. Es hatte sich angefühlt, als wäre ich auf zwei verschiedenen Ebenen gleichzeitig verraten worden.

Und vielleicht war es wirklich legitim gewesen, deshalb verletzt und wütend zu sein. Aber ich konnte auch nicht jetzt darüber nachdenken, Zayn zu vergeben, während ich Liam noch immer vorwarf, mich hintergangen zu haben. Das war nicht fair.

Meine Füße hatten mich mittlerweile in den dritten Stock getragen und etwas unschlüssig blieb ich noch kurz vor der Wohnungstür stehen, ehe ich mir einen Ruck gab und sie bemüht leise aufsperrte.

Die Küchentür stand offen und Licht drang in den Flur, aber außer dem Rascheln von Papier vernahm ich nichts. Meine Hände zitterten, als ich meinen Rucksack beinahe lautlos auf den Boden stellte. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, auch meine Straßenkleidung loszuwerden, aber dann entschied ich, dass andere Dinge definitiv Vorrang hatten, und brachte die letzten Schritte zur Küche hinter mich.

Liam saß vornübergebeugt am Tisch, ein Sachbuch, mehrere Textmarker und ein vollbeschriebener Block vor sich ausgebreitet. Er saß mit dem Rücken zum Fenster, mir also eigentlich zugewandt, schien aber so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er mich gar nicht bemerkte. Vermutlich hatte er nicht einmal etwas gehört, denn in seinem rechten Ohr entdeckte ich einen seiner geräuschunterdrückenden Kopfhörer, aus dem wahrscheinlich auch noch Musik tönte.

Ich räusperte mich, klopfte dann an den Türrahmen und endlich hob Liam seinen Kopf. "Hey", sagte ich leise.

Mit großen Augen sah er mich an, dann sprang er auf einmal auf und begann hastig, seine Zettel zusammen zu raffen. "Oh Gott, tut mir leid", haspelte er dabei, "Ich dachte, du kommst später nach Hause, deswegen hab ich mich hier breit gemacht. Tut mir leid, ich bin gleich weg. Du kannst gleich rein."

Etwas perplex beobachtete ich ihn, bis sich mein Gehirn wieder einschaltete.

"Lass", reagierte ich endlich, "Ich muss nicht rein. Du kannst hier bleiben."

Er stoppte mitten in der Bewegung und sah mich verwirrt an.

In diesem Augenblick traf es mich wie ein Schnellzug: Liam hatte sich die letzten anderthalb Wochen kein Stück um sich gekümmert. Er hatte jeden Raum gemieden, in dem ich mich aufgehalten hatte, auch wenn er eigentlich gerade etwas Wichtiges darin zu erledigen hatte. Er hatte wahrscheinlich meinen Vorlesungsplan studiert, damit er Bad und Küche so benutzen konnte, dass er mir nicht in die Quere kam. Er hatte auch bei schlechtem Wetter die Wohnung verlassen oder sich den gesamten Tag in seinem Zimmer verschanzt, er hatte niemanden zu sich eingeladen und auch kein einziges Mal versucht, doch noch mit mir zu sprechen und sich zu erklären. Und das alles nur, damit ich den Abstand von ihm bekam, den ich verlangt hatte - dabei traf ihn nicht einmal wirklich irgendeine Verantwortung für das, was passiert war.

Und ich hatte ihm all diese Sachen vorgeworfen, hatte quasi die Freundschaft beendet, wie ein verdammtes Kindergartenkind. Und das Schlimmste war, dass Liam die ganzen schrecklichen Dinge vermutlich auch noch glaubte: dass er ein schlechter Freund war, dass er mein Vertrauen nicht verdiente und dass er Schuld am gesamten Streit war.

Ich stellte fest, dass ich mal wieder heulte. Ein Schluchzen erschütterte meinen Körper und ich schlug mir die Hände vor den Mund, während Tränen ihren Weg zu meinem Kiefer fanden.

Ich war ein grausamer Freund.

In diesem Moment war mir alles egal, ich stürzte vorwärts und schlang meine Arme um meinen besten Freund, der mit meinem Gefühlsausbruch sichtlich überfordert war, drückte mein Gesicht gegen seine Schulter und rotzte sie voll.

"Es tut mir so leid", weinte ich in sein T-Shirt, "Oh mein Gott, es tut mir so leid."

Ich spürte, wie Liam seine Arme hob und sie erst zögerlich, dann aber immer fester um mich legte, mich näher zog und hielt, während ich einfach nicht aufhören konnte, zu heulen. Erst, als ich das unterdrückte Beben seines Körpers wahrnahm, realisierte ich, dass ich nicht der einzige war, der weinte, auch wenn er es scheinbar vor mir zu verstecken versuchte.

Ich verstärkte meinen Griff um ihn noch ein wenig mehr, versuchte ihm irgendwie klar zu machen, dass es okay war. Dass wir okay waren.

Und endlich merkte ich, wie die Anspannung von ihm abfiel, wie er einen zittrigen Atemzug nahm, wie er sich vollends in die Umarmung sinken ließ. So standen wir mehrere lange Sekunden einfach nur da, bis Liam einmal laut schniefte und vorsichtig seine Arme lockerte.

"Ich, ähm...", fing er mit kratziger Stimme an, "Ich sollte mir vermutlich mal die Nase putzen, bevor ich dir was in die Haare schmiere, was du nicht in deinen Haaren haben willst."

Eher widerwillig ließ ich ihn los, löste mich dann aber doch von meinem besten Freund und machte einen kleinen Schritt rückwärts.

"Klar, sorry, ähm... oh, shit." Ich verzog mein Gesicht, als ich den dunklen Fleck auf Liams Oberteil sah, den mein kleiner Heulanfall auf dem Stoff hinterlassen hatte. "Ich... befürchte, ich hab dich schon damit vollgeschmiert. Sorry, ääh..." Verlegen zog ich nun selbst die Nase hoch und wischte mir mit dem Handrücken einmal über die nassen Wangen.

Liam folgte meinem Blick und sah ein paar Sekunden lang auf die feuchte Stelle, ehe er wieder den Kopf hob. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten und sein Bart sah irgendwie unordentlicher gestutzt aus, als sonst. "Ach", sagte er und griff gleichzeitig in Richtung der Taschentuchbox, die auf unserem Esstisch stand. "Ist schon okay."

Ich beobachtete ihn dabei, wie er sich erst die Nase putzte und anschließend meine Rotze von seiner Schulter wischte, bis er plötzlich unerwartet zu mir aufsah und sich unsere Blicke trafen. Ein paar Sekunden lang passierte nichts, aber dann spürte ich, wie meine Mundwinkel grundlos zuckten  - und im nächsten Moment lachten wir auf einmal beide los. 

"Scheiße", sagte ich, als wir uns von der ersten Salve erholt hatten. "Tut mir leid, dass ich dich so angerotzt hab. Das wollte ich nicht." Und irgendwie musste ich jetzt doch wieder heulen, auch wenn ich nicht ganz sagen konnte, warum eigentlich.

Ich blinzelte ein paar Mal heftig und Liam schluckte ebenfalls.

"Ich hab einen Fehler gemacht", platzte ich dann heraus, bevor ich es wieder zerdenken konnte, "Mit den Vorwürfen, die ich dir gemacht habe und... eigentlich auch dem ganzen Rest, den ich gesagt hab. Ich will nicht, dass du nicht mehr mein bester Freund bist, du bist die wichtigste Person in meinem Leben und ich kann den ganzen Scheiß nicht ohne dich machen. Außerdem hab ich heute mit Zayn geredet und er hat mir alles erklärt - auch, was mit dir los war und warum du mir nichts gesagt hast und-" 

Weiter kam ich nicht. Diesmal war es Liam, der in meine Arme stürzte und mich mit seiner Umarmung beinahe zerquetschte.

Mir entwich ein Laut der Überraschung und beinahe stolperte ich unter unserem gemeinsamen Gewicht nach hinten, aber im letzten Moment fingen wir uns, bevor wir unfreiwillig Bekanntschaft mit dem Küchenfußboden machen konnten. Noch bevor ich endlich realisierte, was hier passierte, hatten sich meine Arme wohl aus Gewohnheit schon selbstständig gemacht und erwiderten diese zweite Umarmung, die mir ohne gesprochene Worte bestätigte, was ich mir seit anderthalb Wochen wünschte: Ich hatte meinen besten Freund wieder. 

***

Etwa drei Stunden später (Liam hatte jedes einzelne Wort meines Gesprächs mit Zayn analysieren wollen) saßen wir uns noch immer in der Küche gegenüber, als Sandy von der Arbeit nach Hause kam. Begleitet von einer Menge Krach wurde er seine Schuhe und seine Tasche los, ehe er schließlich im Türrahmen erschien und dort wie angewurzelt stehen blieb, als er uns entdeckte.

Mehrmals huschte sein Blick von mir zu Liam und wieder zurück, dann flüsterte er nur "Oh mein Gott" und brach vor unseren Augen beinahe in Tränen aus.

"Ich hasse euch!", sagte er und deutete mit seinem Finger auf uns, "Ich hasse euch beide so sehr, oh mein Gott! Was stellt ihr mit meinen Emotionen an? Ihr seid absolut schrecklich!"

Liam fing meinen Blick auf und hob eine Augenbraue, während ein Grinsen an seinem Mundwinkel zupfte. "Er ist fast so dramatisch wie du, meinst du nicht?"

Ich versuchte, grimmig zu schauen, musste dann aber selbst Lachen. "Du verdammtes Arschloch!", sagte ich und Liams Augen strahlten. 

Niam-friendship? Niam-friendship! :)))

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