58|Verräter
Ich wünschte mir so sehr, ich würde Sachen überinterpretieren.
"Wieso- wieso zeigst du mir das jetzt?", fragte ich mit plötzlich kratziger Stimme. Das konnte nicht das bedeuten, was ich glaubte. Es konnte nicht.
Oh, würde Zayn sagen, Wir stehen so kurz vor einer offiziellen Beziehung, ich wollte nur, dass du alle Aspekte aus meinem Leben kennst. Dass dein damaliger One-Night-Stand genauso hieß, ist reiner Zufall.
Aber Zayn sagte nichts davon, schaute mich stattdessen nur mit seinen dunklen Augen an - so dunkle Augen, wie ich sie auch am Abend in der Bar vor zwei Monaten gesehen hatte.
Oh mein Gott.
"Warst-", fing ich an, aber meine Stimme versagte.
Louis musste darüber Bescheid wissen, richtig? Louis war dabei gewesen, er hätte es mir gesagt, dass Zayn die gleiche Person wie mein One-Night-Stand war. Richtig?
Die Erinnerung, wie seltsam er sich an Harrys Geburtstag benommen hatte, als Zayn und ich zusammen an der Bar gestanden hatten, schlich sich in meinen Kopf. Zu dem Zeitpunkt hatte ich es auf den Stress geschoben, den er gehabt haben musste, aber vielleicht hatte sein Verhalten in Wahrheit einen ganz anderen Auslöser gehabt.
Zum Beispiel den, dass er Zayn sehr wohl als den Typen erkannt hatte, auf den er mich selbst nur eine Woche zuvor aufmerksam gemacht hatte.
Ein tonnenschweres Gewicht schien sich auf meine Brust zu senken.
Louis... hatte davon gewusst? Und mir mit keiner Silbe etwas gesagt?
Ich wünschte mir, dass ich mich irrte, dass das alles gerade nur ein gottverdammtes Missverständnis war, aber das erdrückende Gefühl wollte nicht aufhören. Und wenn es wider aller meiner Hoffnungen doch stimmte... woher wusste Zayn dann jetzt davon? Und vor allem: wie lange schon?
"Niall", sprach mein Gegenüber mich vorsichtig an, als ich schon viel zu lange geschwiegen hatte.
"Sind das- sind das die richtigen Schlüsse, die ich hier gerade ziehe?", fragte ich und versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen, was sich aber plötzlich als viel schwieriger herausstellte, als es jemals gewesen war. "Warst das du? Vor zwei Monaten in der Bar?" In meinem Bett.
Zayn nickte nur. "Ja."
"Fuck", brachte ich mitsamt einem Atemzug heraus und mir entwich ein fast schon manischer Lacher, obwohl nichts an der Situation so richtig lustig war - besonders nicht wegen Zayns wahnsinniger Ernsthaftigkeit, die mich ungewollt in Alarmbereitschaft versetzte.
Ich wollte die nächste Frage gar nicht stellen, wollte die Antwort darauf gar nicht wissen, wollte lieber weiter in einer so-tun-als-ob-Welt leben, solange da drinnen alles gut war. Aber ich wusste auch, dass es nichts besser machen würde, das Unvermeidliche einfach nur hinauszuzögern.
"Seit wann weißt du es?", fragte ich also leise.
Wünschte, Louis hatte es ihm heute Morgen erst gesagt. Louis musste es ihm heute Morgen gesagt haben.
Aber Zayns Gesichtsausdruck machte diese Hoffnung zunichte.
"Seit der Nacht, in der wir-" Er räusperte sich. "In der wir es hatten."
Eine eiskalte Faust schien sich fest um mein Herz zu schließen.
Zayn hatte es gewusst. Zayn hatte es gewusst. Er hatte es die ganze Zeit gewusst.
"Du hast es gewusst?", flüsterte ich, aber eigentlich war es gar keine Frage. Er hatte es gewusst.
Zayn schien um Worte zu ringen. "Nicht direkt von Vorneherein", sagte er schließlich. "Aber kurz nachdem wir... uhm... hab ich es dann realisiert und-" Er schluckte schwer. "Ich wollte es dir sagen, wirklich, aber bevor das mit uns losging, hättest du mich wahrscheinlich direkt geköpft und als wir uns dann... näher gekommen sind, wollte ich mein Glück nicht gleich auf die Probe stellen. Aber je länger die Sache mit uns dann ging, desto mehr Angst hatte ich, es irgendwie damit kaputt zu machen, also hab ich es immer weiter rausgezögert, weil ich dich nicht verlieren wollte."
Eigentlich plapperte er nur, ganz egal, wie verzweifelt und flehend er sich dabei anhörte. Eigentlich gab es nichts, was er in diesem Moment sagen konnte und was es in irgendeiner Weise besser machen würde.
"Du hast es gewusst", wiederholte ich. Diesmal war es definitiv keine Frage mehr. "Und du hast mir nichts gesagt." Zwei Monate lang.
"Ich weiß." Noch nie hatte ich jemanden diese Worte so gequält aussprechen gehört. "Ich weiß, Niall. Und ich weiß auch, dass ich es hätte tun sollen. Aber ich hatte auch so Angst davor, weil du das ungefähr Beste bist, was mir jemals passiert ist. Und ich hatte keine Ahnung, wann und wie ich es ansprechen sollte, weil sich kein einziger Moment mit dir wie einer angefühlt hat, in dem ich dir sowas sagen konnte."
Die Worte, die er sagte, kamen kaum in meinem Kopf an.
Er hatte mich angelogen. Zwei Monate lang hatte er mich angelogen. Wie konnte er da noch immer denken, dass mich seine Begründungen interessierten? Dass mich irgendwas von dem interessierte, was er zu seiner Entschuldigung vorzubringen hatte?
Er hatte mich angelogen.
"Du musst mir glauben, Niall, bitte." Zayn versuchte, meinen Blick zu erhaschen, aber ich starrte eigentlich bloß durch ihn hindurch, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. "Ich hab es vollkommen ernst gemeint, als ich dir letzte Woche gesagt hab, wie viel du mir bedeutest."
Ich konnte nur den Kopf schütteln, obwohl ich am liebsten geschrien hätte, bis meine Stimmbänder zerrissen.
Als würden Zayns Worte von letzter Woche jetzt noch irgendwas ändern. Als würden sie noch was bedeuten.
Nur, dass mein dummes, dummes Herz das leider nicht so sah.
Allein, an das zu denken, was Zayn zu mir gesagt hatte, als wir zusammen in meinem Bett gelegen hatten -"Dass mir diese ganze Sache verdammt wichtig ist"- ließ es wieder höher schlagen. Und gleichzeitig riss es mit jedem dieser Schläge noch ein bisschen weiter ein, immer tiefer und immer schmerzvoller.
Es brannte. Es brannte höllisch. Wie ein Lauffeuer, bei dem jeder Löschversuch fruchtlos war. Wie grellweiße Flammen, die über die Innenwände meines Herzens züngelten, Brandblasen warfen, es vollkommen ausbrennen würden, wenn ich nicht bald eine Möglichkeit fand, sie zu ersticken.
Mir fiel das Atmen schwer. Fast so, als hätte das Feuer bereits meine Lungen erreicht, als würde es sich unbarmherzig hindurch fressen und den Rauch durch meine Atemwege schicken.
Zayn hatte mich angelogen, trotz allem, was ich ihm angeblich bedeutete.
Erst, als ich wie benommen blinzelte, stellte ich fest, dass meine Augen feucht waren, aber der brennende Schmerz in meiner Brust ließ kaum zu, dass ich deswegen einen weiteren Gedanken verschwendete. Wie von selbst hob sich eine meiner zitternden Hände, um damit über meine Augen zu wischen.
"Niall." Zayns Stimme klang dünn und hilflos, dabei war nicht er derjenige, dem gerade der Boden unter den Füßen weggerissen worden war.
Nicht er war derjenige, dem wochenlang etwas vorgelogen worden war. Erst recht nicht von einer Person, die ihm mehr als die Welt bedeutete.
Wieder riss mein Herz ein Stück weiter ein, wieder züngelten die Flammen höher, versengten mich ein wenig mehr und erneut schlug es mir den Sauerstoff aus den Lungen.
"Niall...", sagte Zayn ein weiteres Mal meinen Namen, aber ich konnte nur den Kopf schütteln.
Irgendwo zwischen seinem Geständnis und jetzt hatte er aufgehört, sich wie mein Name anzufühlen. Irgendwo dazwischen war er bedeutungslos geworden.
Vielleicht, weil Zayns Art, ihn auszusprechen, bedeutungslos geworden war.
Denn was brachte mir noch der warme, melodische Klang seiner Stimme, was brachte es mir noch, wenn er sie an mich richtete, wenn er mir schlussendlich doch nie die ganze Wahrheit gesagt hatte?
Ich spürte kaum, wie ich den Kopf schüttelte. Alles passierte so automatisch, dass ich mir beinahe vorkam wie ein Roboter. Meine Beine handelten von selbst, machten ein paar Schritte zurück, weg von ihm, ehe ich mich schließlich ganz umdrehte und auf die Tür zulief, durch die ich erst wenige Minuten zuvor gekommen war.
Hinter mir hörte ich, wie Zayn ein gepeinigtes Geräusch von sich gab.
"Niall." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, ein kaum hörbares Flehen, aber er kam mir nicht hinterher.
Wieder wurde der Riss in meinem Herzen tiefer. Ich fragte mich, wie lange es wohl noch reißen konnte, bis es nicht mehr weiterging und es endlich zweigeteilt sein würde.
Meine Füße trugen mich aus dem Raum und durch den Flur, dann die Treppen nach oben und zurück durch die Gänge, zurück über den gleichen Weg, den ich vorhin genommen hatte. Ich wollte nur raus. Raus, raus, raus, irgendwie weg. Aber ich kannte mich im Künstlergebäude nicht aus, wusste nicht, welche Türen ins Freie führten und wie ich von dort aus dann nach Hause kam, also nahm ich den vertrauten Weg, bis ich wieder in meiner eigenen Fakultät ankam.
Nieselregen schlug mir entgegen, als ich die Eingangstüren aufstieß und nach draußen trat. Bei der plötzlichen Frischluft taumelte ich beinahe, aber dann sog ich sie in meine Lungen auf, versuchte, irgendwie wieder zu atmen. Der Druck um meine Brust gab nur bedingt nach, aber ich nahm alles, was ich kriegen konnte. Innerhalb von Sekunden hatten die Tropfen das Shirt unter meiner geöffneten Jacke von hellem Grau zu einem Asphalt-Farbton gewandelt. Wasser lief mir über das Gesicht und ließ mir nasse Haarsträhnen in die Stirn hängen, aber nichts davon kümmerte mich in diesem Moment.
Zayn hatte mich angelogen. Die ganze, verdammte Zeit.
***
"Bist du Zuhause?" leuchtete mir von meinem Handy aus entgegen und ich brauchte eine Weile, um zu realisieren, dass tatsächlich ich es gewesen war, der Liam diese Frage gestellt hatte und nicht andersrum.
Ein Wassertropfen löste sich aus meinen nassen Haaren und lief mir über die Schläfe. Ich wischte ihn nur geistesabwesend mit meinem ebenso nassen Jackenärmel weg, während ich weiterhin auf das Display meines Handys starrte, das so locker in meinen zitternden Händen lag, dass es beinahe eine Bruchlandung hinlegte, als der Bus einen Schlenker machte
Mir wäre es egal gewesen.
Meine gesamte Existenz fühlte sich an, als würde ich sie durch ein verkehrt herum gehaltenes Fernglas beobachten - unwirklich und verzerrt. Ich nahm kaum etwas anderes als das Schlagen meines Herzens wahr, so langsam, als wäre alles andere eine zu große Anstrengung. Ein Teil von mir fragte sich, wie ich überhaupt noch einen Herzschlag haben konnte, so dumpf und taub war es in mir.
Ich erinnerte mich nicht wirklich daran, in diesen Bus eingestiegen zu sein, ich hatte es einfach getan. Wie eine Automatik, die die Kontrolle über meine Handlungen übernommen hatte. Die gleiche Automatik musste ebenfalls mein Handy entsperrt und die Nachricht an Liam geschrieben haben, denn auch daran erinnerte ich mich nicht.
Wieder machte der Bus einen Schlenker und diesmal umgriff ich das Telefon fester. Mein Screen-Timeout von 30 Sekunden lief aus und ich sah dabei zu, wie der Bildschirm zuerst dunkler und dann ganz schwarz wurde. Erst dann hob ich meinen Kopf wieder, sah aus dem Fenster auf die nasse Straße, die grauen Häuser und vorbeiziehenden Geschäfte, ohne sie jedoch wirklich zu sehen. Alles verschwamm miteinander, wie auf dem Bild, das ich vorhin im Atelier gesehen hatte.
Das Bild, das unwichtig geworden war, als ich die Signatur darauf gesehen hatte.
Mein Handy vibrierte mit einer neuen Nachricht und ich sah wieder nach unten. Ich brauchte drei Versuche, bis ich es schaffte, mein Muster zu zeichnen, dann aber leuchtete Whatsapp auf.
"Ne, bin grad erst aus der Arbeit raus" hatte Liam auf meine Frage geantwortet. Eine Sekunde später ploppte die nächste Nachricht auf: "Dauert auch noch ein bisschen, ich wollte gleich nochmal einkaufen gehen"
Ich schüttelte den Kopf, obwohl niemand da war, der es sehen konnte. Meine Finger zitterten noch immer, als ich tippte: "Kannst du nach Hause kommen? Bitte"
Ob Liam meine Dringlichkeit herauslesen können würde, wusste ich nicht. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich sie selbst verstand. Alles, was ich wusste war, dass ich meinen besten Freund jetzt verdammt nochmal brauchte, weil ich ums Verrecken keinen anderen Ort, keine andere Person kannte, bei der ich sein konnte. Bei der ich vollends realisieren konnte, auf welche Weise mein Herz gerade auseinander brach.
Es grenzte beinahe an ein Wunder, dass ich es schaffte, bei der richtigen Haltestelle auszusteigen, aber vermutlich war das auch nur eine automatische Handlung. Es hatte fast aufgehört zu regnen, stattdessen wehte nun ein frischer Wind und fuhr unter meine Jacke, die ich noch immer nicht geschlossen hatte. Aber vermutlich hätte ich so oder so gezittert, also war es egal.
Wie in Trance lief ich den Bürgersteig entlang. Meine Füße schlurften über die Kieselsteine, die im Winter gestreut und auch bis jetzt noch nicht weggeräumt worden waren - dabei war es schon Ende März.
Obwohl eigentlich nur der Wind kalt und es ansonsten definitiv Plusgrade hatte, fühlten sich meine Finger seltsam taub an, als ich schließlich an unserer Haustür ankam, und ich brauchte mehrere Anläufe, ehe ich es schaffte, sie aufzuschließen.
Mein Blick fing das mir vertraute Treppenhaus ein: die gelben Wände, die steinernen Stufen, der abblätternde Putz...
Und irgendwie fühlte sich auf einmal doch nichts daran mehr vertraut an - denn wie konnte das hier das gleiche Treppenhaus sein, das ich vor zwei Monaten betrunken mit Zadd- nein, mit Zayn betreten hatte, ohne auch nur im entferntesten zu ahnen, was das ins Rollen bringen würde? Dass ich am nächsten Morgen aufwachen und eine vollkommene Erinnerungslücke haben würde, während er ganz genau wusste, in wessen Bett er die Nacht verbracht hatte?
Ich spürte erst, dass ich weinte, als ein Schluchzer meinen ganzen Körper erschütterte. Das Geräusch hallte laut im ganzen Flur wider, tanzte wie ein gespenstisches Echo über die Steintreppen und erschrocken hielt ich die Luft an, presste mir die Faust fest auf die Lippen, um jeden weiteren Ton zu vermeiden. Mit einem feuchten Jackenärmel wischte ich mir über die Augen, dann hastete ich die Stufen nach oben in den dritten Stock, obwohl meine Lungen dabei protestierten.
Gerade hatte ich wirklich keinen Nerv dafür, möglicherweise auch noch von irgendwelchen Nachbarn abgefangen und nach meinem Befinden gefragt zu werden ("Mir geht es richtig beschissen, danke, und selbst?").
Ich hielt immer noch die Luft an, als ich schließlich an unserer Wohnungstür den Schlüssel herumdrehte und in den Flur stolperte. Erst, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, erlaubte ich es mir, einen Atemzug zu nehmen, den ich dann wieder hielt. Das schien gerade das einzige zu sein, was mich daran hinderte, dem Schmerz in meiner Brust nachzugeben und einfach heulend auf dem Boden zusammenzubrechen.
Zayn hatte mich angelogen.
Wie ein grausames Mantra kehrte dieser eine Satz immer und immer wieder in meinen Kopf zurück, erschwerte mir die Atmung und schien das Brennen in meinem Herzen mit jedem Mal heißer werden zu lassen.
Wieder erlaubte ich mir einen einzelnen, tiefen Atemzug, dann stellte ich mit zitternden Händen meinen Rucksack an die Wand neben der Tür, möglichst darum bemüht, kein Geräusch zu machen. Die Küchentür war nur angelehnt und ich hörte Sandys Stimme von drinnen. Vermutlich telefonierte er gerade mit Shanna und ich wollte ihn weder dabei stören, noch wollte ich, dass er mich so sah, denn ohne Zweifel würde er direkt sehen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte und dann nachfragen.
Noch ein einzelner Atemzug.
Irgendwie schaffte ich es beinahe geräuschlos aus meiner Jacke und hängte sie an einen der freien Garderobenhaken. Dann griff ich nach meinem Handy und warf einen Blick darauf.
Eine einzelne Nachricht hatte ich. Sie war von Liam vor knapp fünf Minuten geschrieben worden: "Ich bin auf dem Weg"
Mehr nicht, aber das reichte mir schon. Liam war auf dem Weg. Mein bester Freund würde bald hier sein.
Die Erleichterung, die meinen Körper flutete, war allerdings nur von kurzer Dauer. Unmittelbar war da wieder das Mantra Zayn hat dich angelogen in meinem Kopf - und diesmal erwischte es mich hart.
Meine Hand krallte sich über meinem Herzen in das T-Shirt, als mich die Welle aus Schmerz und Enttäuschung überrollte und mir kurzzeitig das Gefühl gab, ich würde hier und jetzt einfach ersticken. Durch den Tränenschleier vor meinen Augen hindurch tastete ich mich den Meter zu Liams Zimmertür, schob mich hindurch und schloss sie hinter mir wieder, ehe ich schließlich auf dem Boden vor seinem Bett in mich zusammensank und weinte, weinte, weinte.
Ich drückte mein Gesicht in seine ordentlich zusammengefaltete Bettdecke, aber das wäre gar nicht nötig gewesen, denn ich weinte so heftig, dass meine Schluchzer völlig tonlos waren. Immer und immer wieder erschütterten sie meinen Körper, drückten meine Lungen schmerzhaft zusammen und doch kam mir kein einziger Laut über die Lippen, als gäbe es einfach keinen, der meinem Leid in diesem Moment Ausdruck verleihen konnte.
Zayn hatte mich angelogen.
Wochenlang hatte er mir die Wahrheit verschwiegen, hatte mir etwas vorgespielt - und ich Idiot hatte absolut nichts geahnt. Ich hatte ihm nur in die dunklen, warmen Augen gestarrt und ihm mit jeder Sekunde ein bisschen mehr von meinem Herzen geschenkt.
All die bedeutungsvollen Dinge, die er gesagt hatte - wie viel davon war echt gewesen? Ich wollte nicht glauben, dass er das alles nicht ernst gemeint hatte, dass ich ihm nichts bedeutete, aber... er hatte mich in einer Sache angelogen. Wie sehr konnte ich darauf vertrauen, dass es seine einzige Lüge gewesen war?
Wieder erbebte mein Körper mit einem stummen Schluchzen, dann aber hörte ich endlich die Haustür gehen.
"Nialler?" Liam war da, draußen im Flur.
Die Erleichterung darüber, meinen besten Freund hier zu haben, ließ meine Stimmbänder endlich wieder ihre Funktion aufnehmen und ich hob meinen Kopf, um schwach seinen Namen zu sagen.
"Niall? Wo bist du?" Ich hörte, wie er mehrere Schritte machte, mich scheinbar in der Wohnung suchte, bis sich endlich seine Zimmertür öffnete.
Bei dem Anblick, wie ich wie ein Häufchen Elend auf seinem Fußboden saß, erstarrte er kurz, seine Augen groß, während er im Sekundenbruchteil zu analysieren versuchte, was passiert war.
Dann aber schnappte er unmittelbar in den bester-Freund-Modus und eilte mit einem kaum hörbaren "Oh Scheiße" auf mich zu. Dass er dabei seine Tür halb offen stehen ließ, war mir in diesem Moment völlig egal. Gerade war es nur wichtig, dass Liam da war.
Ich spürte wie in Trance, dass er nach meinen Oberarmen griff, mich mit seinen starken Armen nach oben zog und mir half, mich aufs Bett zu setzen, ehe er neben mir Platz nahm.
"Niall." Seine Hände hielten mich aufrecht, hielten meine Schultern und zwangen mich dazu, in sein besorgtes Gesicht zu sehen. "Niall, was ist passiert?"
Zu viel. Einfach nur zu viel, um gerade irgendwie damit klar zu kommen.
Die Tränen, die bei Liams Auftauchen kurzzeitig versiegt waren, stiegen mir wieder in die Augen und obwohl ich mit aller Macht versuchte, sie aufzuhalten, konnte ich nur einmal verzweifelt schniefen, ehe sie meine Wangen hinunter liefen.
"Zayn ist..." Meine Stimme klang blechern und ich musste mich unterbrechen, als ich aufschluchzte. "Zayn ist Zadd. Zayn war mein verfluchter One-Night-Stand. Und er wusste es - von Anfang an." Mein Körper bebte, mir war unendlich kalt und ich glaubte langsam wirklich, mein Herz würde einfach ausbrennen.
"Oh, Nialler..." Mein bester Freund schloss seine Arme um mich und ich drückte mein nasses Gesicht in sein T-Shirt. Liam hielt mich fest umschlungen und wiegte mich hin und her, während er immer wieder "Es tut mir so leid" murmelte. Ich heulte seine gesamte Brust nass, aber er sagte nicht ein Wort. Immer wieder kamen mir die Tränen, während das teuflische Mantra von Zayn hat dich angelogen in Endlosschleife durch meine Gedanken hallte, wie als hätte Zayns Geständnis der Schallplatte in meinem Kopf einen Kratzer verpasst.
Warum hatte er es mir nie gesagt? Hatte er etwa geglaubt, ich würde es mit jedem vergangenen Tag besser aufnehmen, oder was? Wohl kaum, so naiv war er nicht. Und selbst, wenn er zu Beginn vielleicht gedacht hatte, ich wüsste Bescheid, musste ihm relativ schnell klar geworden sein, dass das nicht der Fall war.
Ich wollte es nicht denken -wollte es nicht glauben-, aber wieder kam mir in den Sinn, dass er es mit mir von Anfang an nicht ernst gemeint hatte. Diese Befürchtung fühlte sich so unendlich falsch an und tat so schrecklich weh, dass ein weiterer, heftiger Schluchzer aus mir herausbrach.
Liams Griff um mich festigte sich noch ein wenig mehr, zog mich noch ein wenig näher. "Oh, Niall", hörte ich ihn flüstern, "Es tut mir so leid."
Noch immer wiegte er mich sanft hin und her, versuchte mich zu beruhigen und mir irgendwie Trost zu spenden, indem er immer wieder Worte gegen meinen Scheitel murmelte. Und irgendwann schienen meine Tränen tatsächlich langsam zu versiegen - das Zittern meines Körpers jedoch blieb und so hielt mich Liam weiterhin fest in seinen Armen, lockerte seinen Griff nicht einmal, als ich mein Gesicht etwas anhob und ihn schwach um ein Taschentuch bat.
Er reichte es mir und ich putzte mir die Nase, während er mich mit einem gepeinigten Ausdruck in seinen Augen ansah. Erst, als ich das Taschentuch weggesteckt hatte und meinen Blick (aus vom Heulen vermutlich vollkommen geröteten Augen) auf ihn richtete, sagte er etwas: "Es tut mir so wahnsinnig leid, Niall."
Ich schaffte es, trotz meinem Zustand die Stirn zu runzeln. Warum zur Hölle entschuldigte er sich eigentlich die ganze Zeit, wenn er absolut nichts damit zu tun hatte, was passiert war?
Und dann traf mich die Erkenntnis mit einer solchen Wucht, dass ich das Gefühl hatte, mein brennendes Herz würde ein paar Schläge aussetzen. Eine Erkenntnis, die mir diesmal wirklich die Luft abschnürte.
Oh Gott, dachte ich. Bitte nicht. Bitte, bitte nicht.
Geschockt löste ich mich aus Liams Armen und starrte meinen besten Freund an.
"Du wusstest es", sagte ich tonlos, während ich im Sekundenbruchteil die Puzzleteile zusammen setzte. "Du warst gar nicht überrascht, du hast mich sofort getröstet, anstatt es in Frage zu stellen. Du wusstest, dass er Zadd ist."
Ich hoffte, dass er widersprach. Ich hoffte, er würde mich verständnislos anschauen und meine Worte als Bullshit betiteln. Aber ich wusste, dass er genau das nicht tun würde. Bei dieser Sache würde er mich nicht anlügen.
Und ich hatte Recht, Liam nickte. Sein Gesicht sah aus, als hätte er sich gerade in fremden Urin gesetzt, aber im Moment war es mir komplett egal, was er fühlte.
"Ja. Es tut mir leid."
"Seit wann?", wollte ich wissen.
Er wich meinem Blick aus und schüttelte den Kopf. Ich nahm einen zittrigen Atemzug.
"Seit wann, Liam? Sag es mir", forderte ich mit Nachdruck.
"Drei Wochen", flüsterte er und verzog das Gesicht.
Seine Worte fühlten sich an wie Faustschläge in den Bauch. "Dann war das der Grund, weswegen du letztens so komisch drauf warst?", fragte ich, bezog mich auf unser letztes ausführliches Gespräch in der Küche.
Er nickte.
Ich schloss kurz die Augen. "Das hatte nichts mit Sophia zu tun, richtig? Es hat dir nur in die Karten gespielt, dass ich das vermutet habe?"
Wieder bejahte er leise.
Bitter lachte ich auf, obwohl mir eigentlich so gar nicht danach war. "Wow. Was für ein wunderbarer Freund du doch bist."
"Es tut mir so leid." Er schaute überall hin, nur nicht in meine Augen. Feigling.
"Woher weißt du es? Hat Zayn es dir gesagt, oder-"
"Nein!", fiel er mir ins Wort. "Zayn hat mir gar nichts erzählt. Ich hab es zufällig mitbekommen, als Harry und Louis miteinander geredet haben und-"
"Harry weiß auch Bescheid?", fragte ich entsetzt.
"Soweit ich weiß, hat Zayn es ihm irgendwann von sich aus erzählt." Liam sah mich flehend an. "Ich bin sofort zu Zayn gefahren und hab ihn zur Rede gestellt, als ich es erfahren hab, das musst du mir glauben, Niall. Er wollte dir das selber erklären, nur deswegen hab ich dicht gehalten."
"Aber drei Wochen, Liam!" Ich wurde schon wieder wütend und stand von seinem Bett auf. "Hast du geglaubt, es wird besser, je länger ich keine Ahnung hab?" Meine Stimme wurde immer lauter. "Hast du geglaubt, ich freu mich, dass du mir wichtige Informationen vorenthältst? Hast du geglaubt, es ist mir egal, wenn mich mein bester Freund wochenlang anlügt? Hast du überhaupt mal nachgedacht, Liam? Scheiße, es geht hier um mich, nicht um Louis oder Harry oder dich. Und ich bin scheinbar der Einzige, der die ganze Zeit im Dunkeln gelassen wurde. Wer weiß denn noch davon, hm? Hast du es vielleicht noch an Josh weitererzählt, oder an deine Schwestern oder vielleicht an Sophia?"
Mein bester Freund sah mit schuldbewusstem Blick zu mir auf.
Oh fuck. Oh fuck, nein.
"Wer?", fragte ich ausdruckslos, "Verfickte Scheiße, wer, Liam?"
Er schlug die Augen nieder und flüsterte: "Sophia."
Ich wollte sterben. Genau in diesem Moment wollte ich einfach nur sterben. Meine Augen brannten mit meinem Herz um die Wette und ich spürte, wie sich doch noch eine stumme Träne löste und meine Wange herunter lief.
Weinend sah ich auf ihn hinunter und nickte. "Okay", sagte ich, "Schönes Leben noch."
Mir über die Wangen wischend drehte ich mich um und verließ sein Zimmer. Sandy sah mich durch die geöffnete Küchentür hindurch irritiert an. Scheinbar war unser Streit im Gegensatz zu meinem Zusammenbruch nicht mehr zu überhören gewesen.
"Niall!", rief mir Liam hinterher und ich hörte, wie er vom Bett aufstand. "Was soll das heißen? Wo gehst du hin?"
Ich drehte mich zu ihm um. Meine Sicht war verschwommen. "Weg von dir", schniefte ich.
"Niall...", begann er, aber ich unterbrach ihn.
"Kapierst du es nicht? Du hast gerade eine fünfjährige Freundschaft beendet. Ich will dich nicht mehr sehen!"
Mein Ex-bester Freund wurde weiß wie eine Wand. "W-was?"
"Niall!" Ich drehte mich zu Sandy, der mittlerweile erschrocken im Türrahmen stand. "Was ist denn passiert?"
Kurz überlegte ich, ob ich einfach abhauen und die Erklärung Liam überlassen sollte, aber dann zuckte ich mit den Schultern. "Zayn war mein One-Night-Stand vor zwei Monaten, Liam wusste seit drei Wochen davon und hat es nicht für nötig gehalten, es mir zu sagen. Außerdem hat er es an Sophia weiter geplappert", lieferte ich tonlos die Kurzversion. Obwohl ich geglaubt hatte, keine mehr zu haben, liefen nun immer mehr Tränen meine Wangen herunter und tropften in den Ausschnitt meines T-Shirts.
"Was? Zayn?" Mein Mitbewohner starrte mich mit großen Augen an. "Du verarschst mich gerade", sagte er, schien aber schnell den Ernst der Lage zu erkennen. "Und er hat es dir heute gesagt?"
Ich nickte. Mehr musste Sandy nicht wissen.
"Niall, bitte", klinkte sich Liam nun wieder ein, "Bitte lass uns darüber reden. Lass es mich erklären."
Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und griff dann nach meiner Jacke an der Garderobe. "Ich wüsste nicht, was du mir noch erklären solltest. Oder gab es einen ernsthaft nachvollziehbaren Grund, deiner Freundin etwas Privates zu erzählen, was sie in keinster Weise betrifft? Ich denke nicht."
Ruppig schlüpfte ich in meine Jacke und griff nach meinem Schlüsselbund, ehe ich mich an Sandy und Liam vorbei zur Wohnungstür drängte.
"Wenn du denkst, dass du jemals nochmal ein Wort an mich richten kannst, hast du dich übrigens geschnitten", wandte ich mich ein letztes Mal an meinen ehemaligen besten Freund, "Ich bin verdammt nochmal fertig mit dir, Liam!"
Dann knallte ich die Tür hinter mir zu.
...oops 😅
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top