45|Unistress

In der Küche brannte bereits das kleine Licht über der Spüle, Sandy musste also schon hier gewesen sein, während ich unter der Dusche gestanden hatte. Ich schaltete das Deckenlicht und anschließend die Kaffeemaschine ein und holte zwei Tassen aus dem Schrank. Dann öffnete ich unseren Kühlschrank und ließ meinen Blick über seinen Inhalt geistern, der zugegebenermaßen ziemlich überschaubar war.

Mist. Liam hatte am Montag zwar gesagt, dass er diese Woche noch einen Großeinkauf mit seinem Auto machen wollte, aber wie es aussah, stand das erst heute Nachmittag auf dem Tagesplan. Neben einem (vermutlich bereits verfallenen) Blätterteig, einem fast leeren Glas mit Essiggurken und ein paar verschrumpelten Paprikas und Karotten im unteren Fach fand sich kaum etwas Essbares - und nichts davon konnte ich Zayn zum Frühstück anbieten. Einzig ein Eierkarton im oberen Teil des Kühlschranks kam mir vielversprechend vor und ich angelte ihn mir zusammen mit der Butter herunter. Dann würden wir eben im spärlich-britischen Stil Toast mit Ei frühstücken.

Aus dem Flur vernahm ich das Öffnen einer Tür und Schritte, die der Küche näher kamen und schließlich im Rahmen stehen blieben.

Im nächsten Moment ertönte Sandys Stimme: "Hast du Zayn etwa schon nach seinen Eiern gefragt?"

Mein Kopf fuhr so ruckartig herum, dass mein Hals ein unschönes Knacken von sich gab.

"Was?!"

"Na, zum Frühstück", sagte mein Mitbewohner und nickte zu dem Karton in meinen Händen hin. "Ob er lieber Spiegel- oder Rührei mag, meine ich. Was dachtest du denn?" Er versuchte, mich unschuldig anzuschauen, aber ich sah das unterdrückte Feixen ganz genau.

"Nichts", erwiderte ich jedoch nur und rollte mit den Augen, während ich mich wieder zur Arbeitsplatte drehte. "Gar nichts. Wann haust du eigentlich ab heute?" Das unausgesprochene 'endlich' mitten im Satz hing deutlich zwischen uns im Raum.

Sandy schnaubte. "Ich bin gleich weg, keine Angst. Du und dein Loverboy müsst nicht auf mich Rücksicht nehmen."

Ich warf ihm über meine Schulter einen funkensprühenden Blick zu. "Er ist nicht-"

Aus dem Flur ertönte das Geräusch meiner Zimmertür und ich brach schlagartig ab. Erstmal schien Zayn jedoch im Bad zu verschwinden und ich atmete erleichtert durch. Nicht auszumalen, wie peinlich es wäre, wenn er dieses Gespräch mitbekäme!

Sandy grinste mich wissend an, dann ging er zum Kühlschrank und schnappte sich das Glas mit den Essiggurken, um es zu öffnen. Ich verzog angewidert das Gesicht, als er eine davon heraus angelte und sich in den Mund steckte. Nur Psychopathen aßen zum Frühstück in Essig eingelegtes Gemüse.

"Du bist wirklich widerlich", sagte ich, aber er zuckte bloß mit den Schultern.

"Dann sei doch einfach froh, dass du nicht mich datest, sondern Zayn."

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Mal wieder die ganze Dating-Thematik bestreiten? Sandys Aussage zustimmen? Das Thema wechseln?

Schlussendlich sagte ich einfach gar nichts, zum Glück schien meinem Mitbewohner nun aber sowieso aufzufallen, dass es bei ihm zeitlich etwas knapp wurde, denn mit einem "Mist!" schraubte er das Gurkenglas wieder zu, stellte es unkoordiniert zurück in den Kühlschrank und verließ die Küche, um im Flur hastig seine sieben Sachen zusammen zu sammeln.

Vermutlich vergaß er dabei die Hälfte, aber eigentlich war es mir auch egal, als er schließlich seinen Kopf zurück in die Küche steckte und sich verabschiedete. Wenige Sekunden später fiel die Wohnungstür ins Schloss.

Gleichzeitig hörte ich, wie am anderen Flurende die Badtür aufging und Zayn näher kam.

"Hey", sagte er, als er die Küche betrat.

Ich sah mich zu ihm um und tat, als hätte ich nicht wie auf heißen Kohlen auf ihn gewartet. "Du hast sechs Minuten gebraucht."

Noch immer wirkte er alles andere als wach (geschweige denn in irgendeiner Weise fit), aber bei meinen Worten breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus.

"Du bist nicht gekommen, um mir die Decke wegzunehmen", entgegnete er und nun musste auch ich schmunzeln.

"Ich dachte mir, die eine Minute gönn ich dir noch."

"Dann kannst du mir jetzt keinen Vorwurf machen." Er zuckte mit den Schultern. "Immerhin bin ich pünktlich plus die eine Minute."

Ich lachte einmal leise auf. "Wenn du so argumentierst...", meinte ich und lächelte ihn an, ehe ich ein anderes Thema aufgriff: "Sag mal, was ist dir zum Frühstück lieber: Rührei oder Spiegelei? Du kannst natürlich auch was anderes haben, aber unser Kühlschrank ist leider etwas, äh... naja. Leer."

Zayn lachte bei meinem verlegen Blick nun selbst auf. "Nein, das ist schon okay. Ähm... wenn es geht, gerne Rührei. Ich krieg das weiße vom Ei allein irgendwie nicht runter."

Ich war mir sicher, dass Sandy -wäre er noch hier gewesen- dazu mit Sicherheit ein wundervoll-unerwünschter Kommentar eingefallen wäre und er auch nicht gezögert hätte, diesen auch auszusprechen. Zum Glück waren wir hier allerdings unter gesitteten Menschen, also nickte ich bloß als Bestätigung, dass ich seinen Essenswunsch wahrgenommen hatte und machte mich dann an die Umsetzung.

"Kann ich dir bei irgendwas helfen?", fragte Zayn und stellte sich so nah hinter mich, dass er über meine Schulter auf die Arbeitsplatte schauen kann. Prompt bekam ich es hin, das zweite Ei mit so viel Schwung auf den Rand meiner Rührschüssel zu hauen, dass mehrere Schalenstückchen ebenfalls darin landeten.

"Fuck", fluchte ich leise und fischte sie umständlich wieder heraus, dann drehte ich meinen Kopf herum. Kurz warf es mich etwas aus der Bahn, Zayn tatsächlich unmittelbar in meinem Rücken zu haben, besonders, da mich seine braunen Augen schon wieder so ausdrucksvoll musterten, dass ich mich völlig in seinem Blick hätte verlieren können. Dann riss ich mich allerdings los und gab ihm eine Antwort: "Nein, das passt schon. Hier hat zum Kochen eigentlich eh nur eine Person richtig Platz." Das traf auch ziemlich allgemein auf unsere Küche zu und lag größtenteils an dem Esstisch, der den meisten Platz im viel zu kleinen Raum einnahm. "Wenn du aber trotzdem unbedingt irgendwas machen willst, kannst du gerne schonmal Teller hinstellen. Ääh, das Schrankfach da drüben." Ich deutete mit dem Finger auf die richtige Tür und Zayn machte sich nickend daran, den Tisch zu decken, während ich die Eier verrührte, würzte und die ganze Mixtur anschließend in die Pfanne warf.

"Willst du eigentlich noch einen Kaffee?" Mit der Frage wandte ich mich zu Zayn um, der gerade mit dem Tischdecken fertig geworden war und nun etwas verloren in der Gegend herumstand.

"Äh, ja, gerne. Wenn das keine Umstände macht."

Ich schnaubte. "Wenn mir jetzt erst einfällt, dass es mir Umstände macht, bin ich reichlich spät dran, meinst du nicht?"

Zayn zuckte bloß mit einem Lächeln die Schultern und ich erwiderte es, ehe ich die Augen verdrehte und zu einem der Stühle nickte. "Setz dich hin, bevor du gleich im Stehen wieder einschläfst. Du kriegst deinen Kaffee, und das Essen ist auch in ein paar Minuten fertig."

Etwas mehr als eine Stunde später traten wir zusammen durch einen der Haupteingänge des Universitätsgebäudes. Ein erleichtertes Seufzen entwich uns, als wir den ekligen Sprühregen hinter uns lassen konnten, der während der knapp zwanzigminütigen Busfahrt wieder eingesetzt hatte. Zwar hatten wir uns gemeinsam unter einen unserer WG-Regenschirme gedrängt (diesmal war es ein schwarzer, den hässlichen geblümten hatte ich heute Liam überlassen, nachdem ich die gesamten letzten Wochen schon damit hatte rumrennen müssen), weshalb wir halbwegs trocken geblieben waren, aber trotzdem war es deutlich angenehmer, nun in einem geschlossenen Gebäude zu sein.

Wir waren etwas später dran, als ich ursprünglich geplant hatte. Unser Bus hatte eine ganze Weile im stop-and-go-Verkehr gehangen, bis er endlich die blöde neue Baustelle auf der Hauptstraße hinter sich gelassen hatte. Zayn und ich hatten irgendwie durch Glück und Zufall zwei Sitzplätze ergattern können, sodass auch diese Fahrt ziemlich zu ertragen war. Meine außerplanmäßige Begleitung war außerdem beinahe wieder eingeschlafen -auch wenn mir rätselhaft war, wie das bei dem Krach, den dieses Gefährt machte, möglich war- und schließlich hatte ich ihn sich an meine Schulter lehnen lassen, während ich selbst ziellos durch mein Handy gescrollt hatte. Anders als Zayn scheinbar, fiel es mir schwer, nach dem Aufstehen noch einmal die Augen zu schließen, auch wenn ich in diesem einen Moment nichts lieber getan hätte, als mich einfach ebenfalls an ihn zu lehnen und zu schlafen. Zudem ließ es mein rasender Puls aufgrund der so vertraulichen Geste nicht zu, dass ich ausreichend zur Ruhe kam, weshalb ich einfach bis zur richtigen Haltestelle als Kissen für Zayn herhielt. Ich hatte daran nichts zu beanstanden.

Nun allerdings hatten wir sehr wohl eine kleine Schwierigkeit:

"Ähm... wie genau komm ich jetzt zum Gebäude mit den Kunsträumen? Normalerweise komm ich immer von einer ganz anderen Seite in die Uni."

Verloren sah Zayn sich nach einer Beschilderung um, die ihm den Weg weisen würde, mir war allerdings schon bewusst, dass das ziemlich vergebens war. Immerhin hatte ich mich hier selbst schon oft genug verlaufen - und ich hielt mich sehr viel regelmäßiger in diesen Räumen auf, als Zayn es tat. Dieser hatte mit den naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen schließlich eher weniger am Hut, deren Professoren sich im hiesigen Gebäudekomplex der Uni aufhielten.

"Ich glaube, du musst durch diesen einen Hinterhofgarten laufen", rief ich mir meinen letzten Besuch in die Kunsträume in Erinnerung (und hoffte nebenbei, dass ich ihm damit keinen völligen Umweg vorschlug). "Der mit dem kleinen Brunnen, kennst du den?" Zayn nickte und ich fuhr fort: "Von hier aus musst du dafür einfach gleich da vorne rechts den Gang runter, dann läufst du eigentlich direkt darauf zu. Ähm... ich schätze, in deinem Gebäude kennst du dich dann eh etwas besser aus, als ich." Ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. "Ich würde dich ja hinbringen, aber ich muss leider in genau die andere Richtung und das ist die Vorlesung, bei der man sich die guten Plätze sichern sollte..."

"Alles gut." Zayn lächelte mich an. "Ich find den Weg schon irgendwie... hoffe ich. Danke."

"Kein Problem", sagte ich und lächelte zurück. Und dann musste wieder irgendwas von mir Besitz nehmen, denn ich fragte: "Willst du am Wochenende wieder vorbei kommen?"

Zayn sah mich überrascht an (obwohl ich mich langsam fragte, warum er das nach allem immer noch bei jeder einzelnen meiner Einladungen tat). "Gerne", sagte er dann jedoch, ohne zu zögern. "Morgen Abend muss ich arbeiten, aber Samstag hätte ich Zeit."

Ich musste mir auf die Lippe beißen. "Samstag klingt super." Wann immer er es einrichten konnte, würde in meinen Ohren super klingen, aber das sagte ich nicht.

"Ich muss dir vermutlich nochmal schreiben, wann ich es genau schaffe, weil ich endlich mal den ganzen Haushaltskram nachholen muss, der liegengeblieben ist, aber ich krieg es übermorgen auf jeden Fall hin."

Ein warmes Gefühl schwemmte bei dieser festen Zusicherung durch meinen Körper. "Gar kein Stress. Bei mir sieht es vermutlich ähnlich aus." Liam würde mich wahrscheinlich töten, wenn ich diese Woche nicht wenigstens nochmal die Wohnung saugte. Ich hatte meine WG-Pflichten in letzter Zeit viel zu sehr schleifen lassen. 

"Alles klar", sagte Zayn und nickte, aber ich sah, dass er langsam doch etwas in Zeitdruck geriet. "Dann... sehen wir uns?" Er legte den Kopf schief.

"Klar", antwortete ich und lächelte ihn erneut an. "Ich schreib dir. Hab einen schönen Tag."

Er erwiderte das Lächeln. "Danke", sagte er, "Du auch."

Und dann, völlig unerwartet, gab er mir einen Abschiedskuss auf den linken Mundwinkel, so flüchtig und sanft, dass ich ihn für eine Frühlingsbrise hätte halten können.

Mein erster Instinkt war es, ihn wieder zu mir zu ziehen und ihn richtig zu küssen, aber bevor ich dazu kam, sagte Zayn leise "Bis dann" und drehte sich mit einem letzten Winken in die Richtung, die ich ihm vorher angegeben hatte.

Er war noch keine zehn Meter weit gekommen, da vermisste ich ihn schon.

***

"Harry!", rief ich und ignorierte die genervten Blicke meiner Kommilitonen, an denen ich mich vorbeidrängelte. "Harry, hey!"

Die Gänge vor den Vorlesungsräumen waren gerammelt voll - eigentlich kein Wunder, es war Mittags und eine Menge Kurse mussten, genau wie meiner, gerade zum Schluss gekommen sein. Normalerweise mied ich es, mich um diese Uhrzeit direkt nach draußen zu kämpfen, aber heute war ich mit dem Kopf völlig woanders gewesen (in meinen beiden Vorlesungen hatte ich keine einzige Notiz gemacht und stattdessen bloß träumerisch aus dem Fenster gestarrt, bis mein zweiter Professor, der sonst immer ziemlich auf meine Mitarbeit zählte, ein Wort an mich gerichtet und mich damit vor der gesamten Belegschaft blamiert hatte). Dass es eine dumme Idee gewesen war, am Ende des Tages, anstatt noch ein paar Minuten sitzen zu bleiben, zusammen mit den anderen Studenten den Saal zu verlassen, war mir leider erst aufgefallen, als der Weg zurück vermutlich genauso lange gedauert hätte, wie der an die frische Luft.

Immerhin hatte ich so allerdings auch Harry entdeckt, der ein kleines Stück vor mir in der Menge lief und drohte, mir bei der nächsten Kurve verloren zu gehen. Irgendwie schaffte ich es, mich zwischen einer riesigen Menschentraube hindurchzuzwängen und meinen Kumpel einzuholen, bevor er gänzlich von den Massen verschluckt wurde, die sich in Richtung Hauptausgang drängten.

"Hey!", rief ich erneut über das Geplapper um uns herum und legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulter, als er keine Anstalten machte, auf mich zu reagieren. "Haz?"

Harrys Locken zuckten mit ihm gemeinsam zusammen und mit riesigen Augen drehte er sich zu mir um. In seinen Ohren steckten, verdeckt von seinen Haaren, ein paar In-Ear-Kopfhörer und vermutlich hätte nicht viel gefehlt, um ihn vor Schreck ein paar Karate-Moves durchführen zu lassen. Ups.

Ich hatte ein paar Sekunden lang den Anstand, mich etwas schuldig zu fühlen, dann grinste ich ihn an. "Hey", sagte ich ein drittes Mal, während er sich scheinbar völlig verstört die Stöpsel aus den Ohren zog.

"N-Niall? Was, äh... was machst du denn hier?", stammelte er völlig verplant und lief dabei fast gegen eine der großen Steinsäulen, die im Eingangsbereich die hohe Decke hielten. Gerade so schaffte ich es, ihn aus dem Weg zu ziehen, bevor es zu einer schmerzhaften und vor allem peinlichen Kollision kommen konnte. 

"Ähm... ich studiere hier?" Mit gerunzelter Stirn sah ich ihm dabei zu, wie er erfolglos versuchte, sein Kopfhörerkabel ordentlich zusammenzuwickeln und es dabei eher völlig verknotete.

Himmelherrgott. Ich wusste ja, dass Harry manchmal wirklich verplant sein konnte, aber das war nun selbst für seine Verhältnisse seltsam.

"Sag mal, ist alles okay bei dir?", fragte ich also - etwa eine Sekunde, bevor mir wieder der Grund einfiel, warum ich die letzte Nacht nicht allein in meinem Bett geschlafen hatte: Zayn, der klatschnass vor meiner Wohnungstür gestanden hatte, weil er nach einem Streit mit Harry aus Louis' Bar geflohen war.

Wie zur Hölle hatte ich das vergessen können? Gut, Zayn war nicht wirklich auf meine Nachfragen zu dem Thema eingegangen und der restliche Abend hatte mir weiß Gott genug andere Dinge zum Nachdenken gegeben... aber trotzdem! Ich hielt es nicht für unwahrscheinlich, dass Harry deswegen etwas durch den Wind war.

Statt das einfach zuzugeben, gab mir mein Kumpel jedoch die Antwort: "Klar, alles gut."

Ich glaubte ihm kein Wort. Und vermutlich spiegelte mein Gesicht mal wieder alle meine Gedanken wider, denn Harry musste mich nur einmal kurz ansehen, um sofort defensiv zu werden. "Es ist wirklich nichts!", sagte er und verdrehte die Augen. "Ich hab's nur... eilig."

"Du hast es eilig?", wiederholte ich skeptisch. Wo sollte er denn so dringend hinmüssen? Und das an einem Donnerstag, direkt nach der letzten Mittagsvorlesung? "Eigentlich wollte ich dich jetzt spontan fragen, ob du dir nicht mit mir zusammen irgendwas zu Essen holen willst. Ich bin erst in einer Stunde mit meiner Lerngruppe verabredet und fühl die Mensa heute irgendwie so gar nicht." Ich zuckte mit den Schultern. "Mir wäre nach indisch, da gibt es doch diesen einen Laden in der Seitenstraße zum Friseur. Ich könnte mich für den Döner letztens revanchieren und-"

"Tut mir leid, Niall", fiel mir Harry ins Wort und erstickte meine Einladung damit im Keim. "Ich kann wirklich nicht, ich muss noch zu dieser einen Vorlesung heute und davor noch ein Essay korrekturlesen, für das ich nur noch bis Mitternacht Zeit hab."

"Oh", machte ich, ließ mich davon aber nicht entmutigen. "Dann vielleicht morgen um die Mittagszeit? Oder am Nachmittag?" Wenn Zayn erst Samstags wieder konnte, hätte ich morgen sogar bis Abends Zeit. "Es muss auch gar nicht indisch sein, wir können sonst vielleicht einfach einen Kaffee trinken, oder so?"

"Nein, ich... morgen geht es auch nicht, da bin ich schon verplant." Harry wich meinem Blick aus. "Sorry."

Ich schluckte. Mein Kumpel verhielt sich komisch. "Nächste Woche?"

"Hör zu, Nialler." Er seufzte und sah dabei aus, als könnte er sich tausend andere Dinge vorstellen, die er gerade lieber machen würde, als dieses Gespräch mit mir zu führen. "Es ist gerade ein bisschen... schwierig. Die Profs drücken uns zu Zeit ein Essay nach dem nächsten rein und allgemein ist es einfach extrem stressig, okay? Ich brauch jede Minute, die ich kriegen kann, da ist ein gemütliches Mittagessen einfach nicht drin."

Ein gemütliches Mittagessen allgemein oder eher eins speziell mit mir? Ich versuchte zwar, diesen giftigen Gedanken zu ignorieren, aber er war nunmal leider schon ausgedacht und hallte wie ein spottendes Echo durch meinen Kopf.

"Okay", murmelte ich dann allerdings nur, weil ich wirklich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. "Ich mein... ist schon okay. Ich versteh das. Du kannst dich ja melden, wenn du mal etwas Luft hast...?"

Sofern er nicht nur Luft, sondern auch Lust darauf hatte, mich zu sehen. Ich wusste schließlich noch von unserem ersten gemeinsamen Semester, wie Harry sich bei Unistress benahm und so war es noch nie gewesen. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass er letzten Sonntag noch völlig normal drauf gewesen war.

"Ist gut." Harry wirkte regelrecht erleichtert, dass ich so schnell beigegeben hatte. "Ich... ich sag dir Bescheid, wenn es sich etwas beruhigt hat. Uhm..." Er wippte von einem Bein aufs andere. "Ich muss jetzt leider wirklich los, wir -äh- hören voneinander, ja?"

Ich schaffte es gerade so, halbherzig zu nicken, da hatte er sich auch schon umgedreht und lief so schnell über den Campus, dass es eher Ähnlichkeiten mit einer Flucht hatte. 

Mich ließ er vor der Eingangstür stehen, als wäre ich ein Amazon-Päckchen, mit der Frage im Kopf, was hier eigentlich gerade alles schief gegangen war. 

Hmm... was wohl bei Harry los ist, dass der so komisch reagiert? 🤔

Ich hab übrigens eine Familienfeier mit der ausgedehnten Verwandtschaft überlebt (samt Frage von meiner Oma, wie es denn mal mit Urenkeln aussieht *würg*) und kann es absolut nicht weiterempfehlen, mit seinem schnarchenden Bruder in einem viel zu kleinen Bett schlafen zu müssen... besonders, wenn man am nächsten Tag eine 8-Stunden Autofahrt vor sich hat 🥴

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