16|Kunst, Kultur und Komfort
First of all: sorry sorry sorry, dass ihr so lang warten musstet!
Second of all: warum hab ich das Gefühl, dass ihr von der Zayn-Sasha-Verwandschaft mehr geflasht wart, als ihr es vom eigentlichen "Plottwist" sein werdet? 😂😂😂
Third of all: viel Spaß mit dem Kapitel :))
Ich wusste nicht, was zur großen, brennenden Hölle mich geritten hatte, aber ich fand mich zwei Tage später tatsächlich auf ein Neues vor dem Freizi wieder. Liam hatte ich nichts davon gesagt, wo ich war, er ging eh davon aus, dass ich etwas später Heim kommen würde. Mein bester Freund war heute den gesamten Tag Zuhause geblieben, da er Mittwochs sowieso schon einen kurzen Tag hatte und kurzfristig auch noch eine seiner Vorlesungen ausgefallen war, woraufhin er beschlossen hatte, dass es sich eh nicht lohnen würde, hinzufahren, und er sich stattdessen um seine sich anbahnende Erkältung kümmern konnte - was übersetzt wohl so viel bedeutete, dass er im Bett liegend netflixen und dabei Unmengen an Ingwertee saufen würde. Mein Mitleid für ihn hielt sich in Grenzen, wenn ich ehrlich war.
Eigentlich hätte ich selbst noch eine Vorlesung gehabt, die allerdings so blöd am Nachmittag gelegt war, dass ich davor jedes Mal noch anderthalb Stunden im Unigebäude rumschlagen musste, weil die Zeit gerade so zu knapp war, um zwischendurch doch nach Hause zu fahren. Normalerweise nutzte ich sie, um mir was zu Essen zu besorgen und mich mit meiner Lerngruppe zusammen zu setzen, aber da ich mich schon die letzten paar Stunden nicht ganz fit gefühlt hatte, während der Vorlesung vermutlich eh einfach eingeschlafen wäre und unter anderem auch schlichtweg absolut keinen Bock mehr gehabt hatte, hatte ich meine Sachen gepackt und schwänzte nun meine letzten 90 Minuten Vorlesung.
Ursprünglich hatte ich einfach nach Hause fahren wollen -war sogar schon kurz davor gewesen, Liam zu schreiben, dass ich früher als gewohnt kommen würde-, aber irgendetwas in meinem Kopf musste sich auf Autopilot geschalten haben und jetzt war ich hier, entgegen aller Laune und Vernunft. Vielleicht lag es daran, dass es endlich aufgehört hatte zu regnen und die Sonne das erste Mal seit Samstag wieder draußen war und, wenn auch nur für wenige Minuten, trotz der immer noch niedrigen Temperaturen einen sanften Regenbogen an den Himmel gemalt hatte, vielleicht war die Antwort aber auch deutlich weniger poetisch und ich wollte einfach wirklich Punkte bei Sasha sammeln, keine Ahnung.
Ein Pärchen mit ineinander verschränkten Fingern lief an mir vorbei zum Eingang, vor dem ich nun schon seit mehreren Minuten stand und zu entscheiden versuchte, ob es eine gute Idee war, einfach so hier aufzutauchen oder ob ich vielleicht doch irgendwie einen ziemlichen Dachschaden hatte. Das Mädchen warf mir ein Lächeln zu, das ich halbherzig erwiderte, während ihr Freund die Tür öffnete und sie eintreten ließ, ehe er fragend zu mir sah, während er sie weiter aufhielt, sodass ich keine richtige Wahl mehr hatte, als tatsächlich das Gebäude zu betreten und mich leise zu bedanken.
Bis auf eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz, die hinter einem Tisch mit mehreren Flyer-Stapeln und Spendenboxen an einem Stehhocker lehnte und auf ihr Handy sah, war der Gang komplett leer, aber die mir gegenüberliegende Tür an seinem anderen Ende war geöffnet, sodass ich direkt in den Veranstaltungsraum sehen konnte, in dem wohl die gesamte Ausstellung stattfinden musste.
Die Blondine begrüßte uns mit einem freundlichen "Hi, herzlich Willkommen" und ich nickte ihr höflich zu, schwieg aber ansonsten. Hier zu sein kam mir plötzlich wie eine unglaublich dumme Idee vor (nicht zuletzt meiner Panik wegen, von irgendwem erkannt zu werden, der auch vergangenen Samstag hier gewesen war, auch wenn die Chancen dafür wohl niedriger waren, als ich im Moment befürchtete) und am liebsten hätte ich mich einfach wieder umgedreht und wäre gegangen, aber jetzt, wo mich schon jemand gesehen hatte, konnte ich das auch nicht mehr wirklich durchziehen, weshalb ich mir einen Ruck gab und dem Pärchen vor mir zum Veranstaltungssaal folgte.
Ein letztes Mal versuchte ich, tief durchzuatmen, bevor die beiden noch immer händchenhaltend die Treppenstufen nach unten stiegen und mir freien Blick auf die Veranstaltung dahinter ermöglichten - ebenso allerdings auch umgekehrt und beinahe stolperte ich über meine eigenen Füße, als ich versuchte, dieses Faktes wegen so schnell wie möglich weg vom Präsentierteller und runter in den Saal zu kommen, bevor mich noch genau die Person sehen konnte, die das ganze hier überhaupt ins Rollen gebracht hatte und deren Blick auf mir ich eigentlich tunlichst vermeiden wollte.
Erst, als ich wirklich unten auf dem Steinboden stand und von mehreren Besuchern etwas abgeschirmt wurde, sah ich mich richtig im Raum um. Gleich rechts von mir stand ein kleiner Tisch mit einem Stapel DinA4-Blätter, die auf meinen flüchtigen Blick hin wie eine Art Laufzettel aussahen und ich vermutete, dass sie genauere Informationen zu den verschiedenen Kunstwerken enthielten, aber da sie optional erschienen, verzichtete ich darauf, mir einen zu nehmen. Stattdessen begann ich, langsam in eine Richtung zu schlendern und den Saal weiter in Augenschein zu nehmen.
Es waren mehr Leute anwesend, als ich um diese Uhrzeit vermutet hätte, immerhin war es erst 13 Uhr und die meisten von ihnen sahen wie berufstätige Personen aus, aber vielleicht irrte ich mich auch und es waren doch einige von ihnen noch Studenten. Fast alle hatten einen Laufzettel in der Hand und besahen sich die Kunst, manche unterhielten sich interessiert mit einzelnen Personen, von denen ich vermutete, dass sie zu den bei der Ausstellung beteiligten Kunststudenten gehörten und gerade die Hintergründe und Gedankengänge ihrer Werke beleuchteten.
Die Kunstwerke selbst waren auf speziellen Sockeln aufgestellt worden, zwischen immer zwei davon standen Pinnwände mit weiteren Informationen und den ersten Skizzen dazu sowie Fotos vom Gestaltungsprozess. Das Ganze war in vier oder fünf parallelen Reihen mit jeweils sechs Ausstellungsstücken aufgebaut worden, soweit ich von hier aus sah, die man sowohl von links als auch von rechts betreten konnte.
Da ich mich in Anbetracht der wenigeren Leute in dieser Ecke eh schon fast automatisch nach rechts gewandt hatte, behielt ich diese Richtung gleich bei und lief dann an der Wand entlang langsam nach hinten, ohne die Gänge überhaupt richtig zu betreten - teilweise, um nicht am Ende mit anderen Besuchern vor einer der Plastiken zu stehen und in eine Konversation verwickelt zu werden, hauptsächlich aber, da es hier drüben mehr Möglichkeiten gab, mich schnell zu verkrümeln, sobald ich Zayn zu nahe kam... wo auch immer der sich versteckte, gesehen hatte ich ihn innerhalb der letzten paar Minuten nämlich noch nicht.
Da sein musste er aber eigentlich schon, außer ich hatte verdammtes Glück und er war genau heute zu krank, um sich nach draußen zu bewegen. Vermutlich befand er sich aber einfach nur hinter einer der Pinnwände und ich würde ihn noch früh genug zu Gesicht bekommen. Was ich davon hielt, konnte ich, wenn ich ehrlich war, gar nicht so genau sagen. Ausstehen konnte ich ihn immer noch nicht, das hatte sich auf die Schnelle auch nicht geändert. Seine Arroganz, seine abweisende Art, seine grundlose Unfreundlichkeit - all das war genug, um mich mit positiven Gefühlen ihm gegenüber weit hinter dem Berg zu halten.
Und doch... was Sasha am Montag gesagt hatte, die Tatsache, dass Zayn so viel daran gesetzt hatte, mir die zweite Chance zum Vorstellungsgespräch zu ermöglichen und seine Tante dafür sogar angelogen hatte (denn nur eine Diskussion, wie sie gesagt hatte, war das zwischen uns definitiv nicht mehr gewesen und auch beherrscht hatte ich mich in Zayns Gegenwart eher seltener gezeigt), obwohl für ihn eigentlich überhaupt nichts dabei heraus sprang, ging mir seit zwei Tagen nicht aus dem Kopf.
Ein kleiner, fast schon paranoider Teil meiner Gedanken vermutete hinter dem ganzen einen extrem gut durchgeplanten Prank meines Umfelds, so verdammt surreal wirkte es auf mich, wie alles verlaufen war. Der gesamte Rest meines Gehirns zerfraß sich im Gegenzug langsam selbst mit einer gewissen Portion Schuldgefühlen und Zweifeln an meiner Fähigkeit, rationale Reaktionen zu zeigen. Mit allem, was seit Samstag passiert war, kam es mir mehr und mehr wie das dümmste auf der Welt vor, wegen einem schiefgelaufenen Bewerbungsgespräch auf Zayn loszugehen und ihm auch noch die Nase blutig zu schlagen (auch, wenn dieser Teil eher versehentlich zustande gekommen war), nur damit er sich wenige Stunden später darum bemühte, mich wie das größte Unschuldslamm höchstpersönlich darzustellen.
Es war wirklich zum Haareraufen. Und das gemeinste war, dass ich -auch wenn mein Kopf versuchte, diese Tatsache weitestgehend noch zu ignorieren- unterbewusst eigentlich genau wusste, dass ich mich früher oder später noch bei Zayn dafür entschuldigen musste, ihm in meiner samstäglichen Rage ins Gesicht geschlagen zu haben. Das war ein Gedanke, der mir so gar nicht gefiel, was größtenteils aber eher daran lag, dass mir schon jetzt klar war, welche Überwindung und Peinlichkeit es mich kosten würde, die dafür nötigen Worte auszusprechen.
Mehrstimmiger Beifall riss mich aus meinen Gedanken und beinahe rannte ich eine der außen stehenden Plastiken um, als ich mich umdrehte und den Hals reckte, um zu sehen, ob das Klatschen irgendeinen für mich wichtigen Grund hatte, aber wie es aussah, schien nur eine junge Künstlerin gerade einen beeindruckenden Vortrag zu ihrem Ausstellungsstück vor einer interessierten Besuchergruppe beendet zu haben und ich wandte mich wieder den Werken in meiner Nähe zu.
So richtig angesehen hatte ich noch keine davon, war in meinen Überlegungen versunken eher einfach nur vorbei geschlendert, ohne sie wirklich wahrzunehmen, aber jetzt begann ich doch, mir die Skulptur genauer anzusehen, die ich eben fast heruntergeworfen hatte. Hier versehentlich etwas zu zerstören, wäre vermutlich sowieso fatal gewesen, aber besonders bei dieser hier hätte ich wohl nie im Leben Frieden gefunden, denn was ich hier vor meinen Augen stehen hatte, war mehr als beeindruckende Arbeit - sogar für mich als Kunst- und Kulturmuffel.
Die Plastik auf dem Sockel vor mir war alles in allem etwa 30 bis 40 Zentimeter hoch und zeigte deutlich zwei sich im Arm haltende Personen, die gemeinsam unter einer, sich um die Schultern geschlungenen Decke saßen. Aus welchen Materialien die Skulptur gefertigt war, konnte ich nicht sagen (Ton, vielleicht? Oder etwas Knete-artiges?), aber die oberste Schicht unter der Farbe schien unglaublich sorgsam bearbeitet worden zu sein, denn selbst auf einen genaueren Blick fiel mir nichts auf, was die glatte Oberfläche irgendwo unterbrach. Die beiden Personen selbst waren fast komplett weiß bemalt, nicht einmal in den Gesichtern war ein Farbfleck zu erkennen, aber wenn man etwas näher heran ging, konnte man trotzdem gut erkennen, dass sie einen glücklichen Ausdruck darin trugen. Die einzige Farbe an den Statuen waren die blauen Punkte auf ihrer Brust -genau da, wo das Herz saß-, die wie Lichtkegel nach außen blasser wurden und schließlich mit dem Weiß verschmolzen.
Allein schon das alles hätte gereicht, um bei mir eine beeindruckte Wirkung zu erzielen, aber was meinen Blick besonders anzog, war die bemerkenswerte Gestaltung der Zudecke über den beiden Personen: Wer auch immer der Erschaffer dieses Kunstwerks war, hatte scheinbar etliche Fotos ausgedruckt, zurecht geschnitten und sie auf die Außenseite der Decke geklebt - wieder gänzlich ohne herausstehende Stellen oder andere sichtbare Makel. Die Bilder selbst waren eine bunte Mischung aus Kinderfotos, Räumlichkeiten, Pflanzen und Haustieren in eben jenen, miteinander verschränkte Hände... nun, man kapierte das ungefähre Gesamtbild.
Die Fotos selbst waren nicht einmal große Meisterwerke, manche waren sogar so verwackelt oder von so schlechter Qualität, dass man eher erahnte als wirklich erkennen konnte, was darauf zu sehen war. Und doch schien die Auswahl der Bilder genau so zusammenzupassen und -zugehören, wie sie hier angeordnet waren - sowohl farblich und ästhetisch, wie auch einfach vom Gefühl her. Beinahe glaubte ich sogar, eine Geschichte daraus lesen zu können, von einer geteilten Vergangenheit, frischer Liebe und tiefer Vertrautheit.
"Hi." Eine Stimme irgendwo hinter mir ließ mich zusammenfahren (ich hatte eigentlich geglaubt, in dieser Ecke hier drüben komplett allein zu sein) und nur meiner Angst, doch noch irgendetwas runter zu reißen war es zu verdanken, dass ich mich in normaler Geschwindigkeit umdrehte, anstatt panisch herum zu wirbeln.
"Witzig, dich hier auch wiederzusehen. Gefällt dir die Kunst? Ist meine, ich kann dir was dazu erzählen, wenn du willst." Das Mädchen, das vor mir stand, schenkte mir ein außergewöhnlich breites Lächeln und ich brauchte ein paar Sekunden, um zu kapieren, woher wir uns bitte schon kennen sollten.
"Du... warst auf Harrys Geburtstag, richtig?", fragte ich, als ich die Connection von Lippenpiercing und Ponyfrisur gemachte hatte.
Sie grinste. "Richtig. Ich bin Fanny. Und du bist der Typ, der Zayn die ganze Zeit ganz sicher nicht angeschaut hat."
Ich war von der Dreistigkeit ihrer Worte so perplex, dass ich gar nicht dazu kam, mir eine schlagfertige Antwort überlegt zu haben, als sie auch schon weiter redete: "Ich hätte nicht gedacht, dass du an Kunst interessiert bist. Was führt dich her? Bist du für jemanden... bestimmten gekommen?" Sie hob keck eine Augenbraue, während ihre Mundwinkel nach oben zuckten.
Eins musste ich ihr lassen: So schamlos und unverschämt sie auch war, mir diese Frage zu stellen - dass sie bei meinem von Herzen kommenden Todesblick kein Bisschen von ihrem Grinsen verlor, war bemerkenswert.
"Okay, okay", gab sie schließlich doch nach, als ich mich standhaft weigerte, ihr eine Antwort darauf zu geben. "Nicht dein Thema, ich versteh schon." Sie nickte zu der Skulptur hinter mir. "Du stehst schon eine ganze Weile vor meiner Kunst, ich wollte mal schauen, ob du irgendwelche Fragen dazu hast oder so."
Ich wusste nicht, ob ich dankbar über diesen Themenwechsel sein sollte oder nicht, denn dass sie nun wohl Erwartungen an mein tatsächliches Interesse am Thema dieser Ausstellung hatte, gefiel mir genauso wenig wie ihre vorherigen Fragen.
"Uhm", machte ich deshalb erstmal nur und wich ihrem fragendem Blick aus, während ich versuchte zu entscheiden, was zur Hölle ich als nächstes sagen sollte. Entweder saugte ich mir jetzt nämlich möglichst schnell eine eloquente Frage aus den Fingern, die ich ihr stellen konnte, oder ich gab zu, dass ich tatsächlich kein besonders kunstinteressierter Mensch war und ihr damit dümmstenfalls die falsche Bestätigung zu ihrer Vermutung, ich wäre nur wegen Zayn hier.
"Sollen das du und deine Freundin sein?", wollte ich schließlich wissen und nickte in Richtung der Skulptur, froh darüber, dass mir zumindest noch eingefallen war, dass sie in einer Beziehung war.
Es war eine etwas schwache Frage, aber Fanny nahm sie nichtsdestotrotz an und sah nun selbst mit einem Lächeln auf das Kunstwerk neben uns. "Das war zumindest die Inspiration dafür, ja", sagte sie, "Die meisten Fotos sind Schnappschüsse aus unserer Wohnung. Und das sind Bartholomeow und Toastie." Sie zeigte auf eins der Bilder, das zwei auf einem Fensterbrett sitzende Katzen zeigte und mir entwich nun doch ein Lachen.
"Bartholomeow und Toastie?", wiederholte ich grinsend und Fanny sah mich mit gespielt strafender Miene an.
"Sag jetzt nichts falsches, das ist meine Familie! Nein, eigentlich wollte ich nur den Komfort von einem geteilten Zuhause darstellen, mit seinen Pflanzen, Tieren, Kindern, was auch immer. Sehr vereinfacht und kitschig gesagt: Man fühlt sich wohl, wo man sich mit der Person, die man liebt, ein Leben teilt. Es werden alte Erinnerungen miteinander ausgetauscht und neue erstellt. Da kann sich jeder drin sehen, der möchte, meine Kunst ist nicht nur auf meine eigenen Erlebnisse limitiert." Sie zuckte lächelnd mit den Schultern.
"Das ist... wirklich süß", sagte ich und erwiderte ihr Lächeln. "Voll ernst gemeint, jetzt. Und, uhm, ich hab es glaub ich noch gar nicht ausgesprochen, aber ich find deine Kunst echt gut. Und ich mag deine Erklärung dazu."
Fanny strahlte mich an. "Dankeschön!", sagte sie, nur um im nächsten Moment zu meinem Schrecken feuchte Augen zu bekommen und mehrmals zu schniefen.
"Oh shit", murmelte ich. Hatte ich was auf irgendeine Weise falsches gesagt? "Ist... alles okay?"
"Ja. Nein, ja", sagte Fanny, tupfte sich mit einem Finger über die Augenwinkel. "Es ist nur... meine Professorin meinte, es wäre zu simpel, obwohl ich so viel Arbeit da reingesteckt hab und ich hatte so Angst, dass das auch jeder andere denkt. Ich find es nur so schön, dass du es magst." Wieder entkam ihr ein Schniefen. "Und außerdem hab ich auch meine Tage und bin emotional wie Scheiße. Das ist schon das dritte Mal, dass ich heute am Flennen bin." Sie lachte -noch immer etwas verheult- einmal auf.
Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mitlachen durfte oder ob sie mir dann ihren Fuß in die Eier rammen würde, also lächelte ich sie nur etwas schief an und meinte: "Das find ich ja gerade das gute dran, auch dass du Platz für verschiedene Interpretationen lässt und alles." Und, dass man auch wirklich erkannte, was das Werk darstellen sollte, aber das verschwieg ich dann doch lieber, weil es mein allgemeines Kunst-des-interesse wohl endgültig ans Licht bringen würde.
Erneut bedankte sich Fanny lächelnd (diesmal jedoch, ohne loszuheulen), ehe sie kurz aufseufzte, sich mit den Daumen erneut unter den Augen entlang fuhr, nur um nach einem kurzen Blick auf die schwarzen Schlieren darauf ein unbegeistertes Geräusch, gefolgt von einem "Shit" von sich zu geben.
"Hab ich mein Makeup verschmiert?", wollte sie von mir wissen.
"Äääh", machte ich und versuchte in ihrem Gesicht zu erkennen, was von dem dunklen Rand unter ihren Augen gewollt war und was nicht. "Deine Wimperntusche... glaube ich?"
Fanny seufzte. "Mist, ich hätte heute wirklich wasserfeste nehmen sollen. Fehlgriff meinerseits. Hast du vielleicht ein Taschentuch?"
Zu wohl unser beider Überraschung konnte ich ihr tatsächlich eins reichen und sie begann, mit einer Ecke das leicht verlaufene Makeup in ihrem Gesicht wegzuwischen, während sie, plötzlich wieder vollkommen normal gestimmt, begann, mich sehr random vollzuquasseln.
"Wenn du es nicht schon gemacht hast, solltest du dir übrigens wirklich noch Zayns Sachen anschauen", meinte sie, sehr von dieser Aussage überzeugt. "Er hat zwei Projekte gemacht; von dem ersten hab ich gar nicht viel mitbekommen, nur dass er sich immer wieder gefragt hat, wie weit er vom vorgegebenen Thema abweichen kann. Ich glaube, deswegen hat er auch vorsichtshalber das zweite begonnen, obwohl er da lange Zeit nichtmal sicher war, was es überhaupt genau werden soll und er es am Ende aus Zeitmangel auch nicht ganz geschafft hat, eine ordentliche Zusammenfassung zu seinem Projekt-Ablauf zu schreiben. Naja, blöd, aber wenigstens ist die Kunst selbst was geworden - und oh Gott." Fanny lachte einmal auf. "Ich weiß noch, wie er am Montag letzte Woche mit dem fertig gebauten Grundgerüst seiner Skulptur ins Atelier kam und dann fast jeden Nachmittag total fieberhaft daran gearbeitet hat - keine Ahnung, welche Muse ihn da geküsst hat, aber er hatte wohl plötzlich eine ziemlich sichere Vorstellung davon, wie sein "Plan B" aussehen sollte." Meine Gesprächspartnerin zuckte grinsend mit den Schultern, während ich von ihrem Stimmungswechsel und dieser Flut an ungefragten Informationen über Zayn und sein Projekt vollkommen überfordert war.
"Jedenfalls-", sprach sie auch schon weiter, ohne dass ich die Chance gehabt hatte, überhaupt an einen Einwurf meinerseits zu denken. "-wirst du wohl einige Ähnlichkeiten finden, wenn du sein Zweitprojekt mit dem hier vergleichst." Sie nickte zu ihrer eigenen Kunst hin. "Wir hatten die ziemlich gleichen Materialien zur Hand und haben uns auch gegenseitig ein bisschen inspiriert, deswegen komm ich überhaupt drauf, dass es dir gefallen könnte."
Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, wenn ich ehrlich war. Trotz Kulturmuffelei auf eine Kunstausstellung zu gehen, war eine Sache. Auf dieser aber spezifisch Zayns Kunst anzuschauen, in deren Nähe er sich höchstwahrscheinlich auch selbst aufhalten würde... nun, ich hätte kein Problem damit, wenn sich dieses Erlebnis vermeiden ließ.
"Ach", sagte ich aus Nettigkeit aber trotzdem und zwang mich dazu, dabei zumindest annähernd interessiert und weniger wie ein heuchlerisches Arschloch zu klingen. "In welcher Ecke steht sein Zeug denn?"
Vielleicht hatte ich ja Glück und es war weit genug von hier entfernt, um es unauffällig in einem großen Bogen umgehen zu können und so die Chance zu minimieren, von Zayn überhaupt gesehen zu werden...
"Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich war beim Aufbau gar nicht mit dabei und hab ihn auch immer nur flüchtig gesehen, aber ich glaube, da drüben irgendwo." Fanny deutete in Richtung der uns gegenüberliegenden Fensterfront, bevor sie endlich das Taschentuch aus ihrem Gesicht nahm und mit einer Grimasse auf die von ihrer Schminke schwarz gefärbte Ecke sah. "Ugh, da muss auch was von meinem Eyeliner mit dabei sein, ich glaub, ich muss das nachziehen. Du kommst doch auch allein klar, oder? Ich brauch nämlich einen Spiegel dazu."
Sie wartete gar nicht ab, ob ich ihr eine bestätigende Antwort geben konnte, sondern setzte sich schon bei ihrem letzten Satz in Bewegung und schlängelte sich geschickt zwischen mir uns ihrer Skulptur hindurch, sodass sie nur eine Sekunde später aus meinem Blickfeld verschwand und mir eigentlich gar nichts anderes übrig blieb, als wie bestellt und nicht abgeholt hier im Gang stehen zu bleiben und mich fast schon automatisch in die vermeintliche Richtung zu drehen, in der laut Fanny Zayns Kunst stehen sollte.
Achja... die nächsten paar Kapitel werden schön hehehe :) ich freu mich schon auf eure Reaktionen... und worauf ich mich noch freue ist, eine ganz ganz wundervolle Person am Montag endlich wieder live zu treffen 😊
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