Kapitel 185

Jaemins Sicht:

Am nächsten Tag habe ich mir vorgenommen meinen Plan von gestern in die Tat umzusetzen. Ich werde den ganzen Tag damit verbringen, Hyungjin und Ethan zu beobachten. Juhee habe ich natürlich heute Morgen vor der Schule eingeweiht, sodass wir zusammen an einem Tisch sitzen und den Plan ausführen. Uns kommt es ganz zugute, dass sie weggesetzt wurden, da sie nun vorne an der Fensterfront sitzen. Juhee und ich sitzen in der mittleren Reihe hinter ihnen und können sie somit gut im Auge behalten.

Im Moment haben wir Englischunterricht und sollen eigentlich einen Text durchlesen und Aufgaben dazu bearbeiten, aber das interessiert mich kein Stück. Meine Augen kleben förmlich an meinen besten Freunden, die kein einziges Wort miteinander sprechen und tatsächlich an den Blättern arbeiten. Da stimmt irgendetwas nicht. Ethan und Hyungjin haben es beide nicht nötig fleißig in Englisch zu sein. Sie bekommen ohne größere Mühe die volle Punktzahl in Klausuren und sind die Lieblinge unserer Lehrerin, die sich übrigens nicht mal im Klassenraum befindet, weil sie telefonieren musste.

"Sie schauen sich nicht mal an", murmle ich leise und wende meinen Blick ab, um Juhee anzusehen, die sie auch mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtet.

"Das ist wirklich komisch. Die sind die Einzigen, die diese dummen Aufgaben wirklich machen", flüstert sie zurück und lässt ihre Augen durch Raum schweifen, bevor sie mich ansieht.

"Ich frage mich bloß, was auf einmal zwischen den Beiden passiert ist. Seitdem Hyungjin bei mir lebt, taucht Ethan fast gar nicht bei uns auf. Hyungjin trifft sich auch seit über einer Woche nicht mehr mit ihm. Er unternimmt öfter etwas mit Yuna als mit ihm und sie ist wegen Yeesul auch kaum zuhause", erwidere ich leise.

"Was? Ist das dein Ernst? Wieso sitzen sie dann trotzdem so still nebeneinander?", fragt sie entsetzt und reißt ihre Augen auf.

Gerade als ich etwas sagen möchte, ruft Soobin, der einen Tisch weiter neben Hyungjin sitzt, nach meinem besten Freund, sodass ihnen meine Aufmerksamkeit gilt. Hyungjin dreht sich mit einem Lächeln zu ihm um und legt seinen Kugelschreiber auf den Tisch. Ethan schaut kurz in ihre Richtung und verdreht plötzlich die Augen, was mir wirklich einen Schlag in die Magengrube verpasst. Er widmet sich wieder seinen Aufgaben, während mir kotzübel wird.

"Ich glaube, dass nicht jeder glücklich darüber ist, dass Hyungjin sich verändert hat", sagt Juhee und lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück, während sie das schwere Gefühl in ihrer Brust herauspustet.

"Aber es ist doch schön, dass Hyung viel fröhlicher ist und offener mit anderen spricht. Er raucht kaum noch. Er lacht und grinst die ganze Zeit. Er trägt sogar helle oder sogar bunte Sachen!", gebe ich aufgebracht von mir und versuche so leise wie möglich zu sein.

"Vielleicht passt es ihm nicht, dass Teddys Aufmerksamkeit nicht mehr nur ihm gilt und er nicht ständig seine Nähe sucht", überlegt sie und fährt sich durch die langen braunen Haare.

"Wie meinst du das? Wieso sucht er dann nicht Hyungs Nähe? Wenn ich Minos Aufmerksamkeit brauche, dann hole ich sie mir", werfe ich ein und verstehe nicht, wie diese süße Beziehung so in die Brüche gehen konnte.

"Du musst zugeben, dass Teddy eine Obsession gegenüber Ethan hatte. Er klebte förmlich an ihm und wurde wegen jeder kleinen Sache eifersüchtig. Jetzt gar nicht mehr. Teddy war die ganze Zeit einsam und hat versucht die Leere in ihm mit Ethans Liebe zu füllen. Aber jetzt wo er bei dir wohnt und jeden Tag herzlichst mit offenen Armen empfangen wird, hat diese extreme Abhängigkeit abgelassen. Er weiß, dass deine Familie ihn niemals im Stich lassen oder gar rausschmeißen würde. Deine Eltern füllen gerade diese riesige Lücke in seinem Herzen, die seine Eltern hinterlassen haben", versucht sie mir zu erklären, was wirklich plausibel klingt.

"Das ist das Ding. Hyungs Wunden werden geheilt und er ist endlich sorgenfrei. Ich hatte wirklich Angst, dass er für immer so verbittert bleibt. Darum kann ich auf keine Weise verstehen, wie man sich nicht darüber freuen kann", meine ich seufzend und werde ein wenig sauer.

"Ich weiß es selbst nicht. Ich befürchte, dass Ethan mit seiner Veränderung einfach nicht klarkommt", gibt sie ratlos von sich und presst die Lippen aufeinander.

Mein Blick wandert wieder zu Hyungjin, der mit seinem Stuhl an Soobins Tisch gerückt ist und ihm irgendetwas erklärt. Es scheint jedoch so, dass es ihm gar nichts ausmacht, dass Ethan ihm die kalte Schulter zeigt. Ich würde gerne wissen, was in seinem Kopf vorgeht. Interessiert es ihn wirklich gar nicht? Wenn ich Mino das alles erzähle, wird er aus allen Wolken fallen. Wieso ist auch ausgerechnet jetzt bei einem Arzttermin? Das könnten wir zu dritt grübeln.

"Was hast du später noch so vor?", frage ich Juhee, die ihre graue Jogginghose am Bund richtet und anschließend das weiße große T-Shirt darüber zieht.

"Sunoo und ich gehen in den Park", antwortet sie und strahlt über das ganze Gesicht.

"Führt er dich etwa zum Gassi aus?", grinse ich sie frech an und kassiere einen schmerzhaften Schlag in den Bauch.

Ein erstickter Laut entweicht meiner Kehle und ich halte mir die schmerzende Stelle mit einer Hand, während sie mir droht, mich zu kastrieren. Ich bin froh, dass sie mir die Sache mit Sunoo so schnell verziehen hat. Ich muss ihm dafür dankbar sein, dass er mir überhaupt verzeihen konnte. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, würde Juhee nie wieder ein Wort mit mir sprechen. Ich lege einen Arm um ihre Schultern und drücke sie etwas an mich, weil mir allein der Gedanke daran Angstzustände bereitet.

"Ey, Jae", ruft plötzlich Hyungjin nach mir und kommt auf mich zu.

"Was willst du?", frage ich ihn und schaue zu ihm hoch.

"Soobin fragt, ob wir mit ihm in die Stadt gehen wollen", teilt er mir mit, wodurch meine Augen zu Soobin wandern, der mit seinen Augenbrauen wackelt und mich verführerisch anlächelt.

"Klar. Kommt Ethan auch mit?", nicke ich und warte gespannt auf seine Antwort.

"Nein, sein Bruder möchte etwas mit ihm unternehmen. Okay, ich geh zurück", schüttelt er den Kopf und zuckt gleichgültig mit den Schultern, bevor er sich wieder neben Ethan setzt, der ihm keinerlei Beachtung schenkt, aber der Blonde unterhält sich fröhlich weiter mit Soobin.

Juhee und ich schauen uns gleichzeitig an und sind völlig sprachlos. Die sind so herzlos zueinander. Das ist unglaublich. In der Schule haben sie nie richtig gezeigt, dass sie ein Paar waren, aber ihre Blicke haben Bände gesprochen. Davon ist rein gar nichts mehr übrig. Ich muss unbedingt mal mit Ethan sprechen. Aus Hyungjin bekomme ich nichts raus.

"Ich muss mir Ethan nochmal vorknöpfen. Wie konnte das passieren? Sie waren so ein süßes Paar", spricht Juhee meinen Gedanken aus.

"Keine Ahnung", kommt es betreten von mir.

Langsam gebe ich mir die Schuld, obwohl ich nicht mal den richtigen Grund dafür weiß. Mir war von vorne rein klar, dass es Ethan gestört hat, dass Hyungjin immer bei mir nach Rat gefragt hat und jetzt zu mir und meinen Eltern gezogen ist. Aber ich wusste nicht, dass es so enden wird.

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