Kapitel 157

Jaemins Sicht:

Angepisst kaue ich auf meiner Zunge herum und durchbohre Taehyung und Irene mit meinem stechenden Blick, die sich durch die Haare fahren und Hyungjin zuhören, der sich, seit dem wir im Verhör sitzen und die Beweisvideos gesehen haben, über Gott und die Welt beschwert. Ich spiele mit dem Stift in meiner Hand, den mir mein Schwager gegeben hat, um irgendein beschissenes Formular auszufüllen, jedoch habe ich mir nicht mal die Mühe gegeben, es überhaupt durchzulesen.

"Mal ganz ehrlich, wir sind Opfer von Hyesung und Jeffrey und werden hier als die größten Straftäter hingestellt. Die haben uns doch gestalkt und irgendwelche Psychopathen geschickt, die Jaemin verprügeln sollten. Jetzt wurden wir auch noch angezeigt. ANGEZEIGT von Hyesung. Ihr wollt mich doch verarschen oder? Dieser Bastard hätte niemals aus dem Knast entlassen werden dürfen. Der gehört in eine Klapse. Er wollte deinen Ehemann vergewaltigen und hat ihn misshandelt und ihr nimmt eine Anzeige von ihm auf? Was eine Scheiße.. Der Typ ist fast 40 Jahre alt und vergreift sich an einem Minderjährigen und würgt ihn fast zu Tode in diesen ganzen Videos. Was hätten wir denn tun sollen? Uns umbringen lassen? Selbstverteidigung kennt ihr wohl nicht oder? Wir hatten nicht mal eine Wahl als gegen diese Hurensöhne zu kämpfen, sonst wären wir von den ganzen Zuschauern in dieser Halle verprügelt worden", rastet Hyungjin komplett aus und läuft schon vor Wut rot an, während er keine Pause in seinem Rausch einlegt und die Beiden nicht einmal zu Wort kommen lässt.

Taehyung reibt sich die Schläfen und weiß ganz genau, dass Hyungjin nicht wirklich wütend auf ihn ist sondern auf diese ganze Situation, in der wir jetzt stecken. Er würde gerade selbst an die Decke gehen und Hyesung für diese beschissene Aktion eine reinhauen.

"Herr Kim, beruhigen Sie sich-", versucht Irene auf ihn einzureden, jedoch unterbricht Hyung sie sofort.

"Nein, ich will mich nicht beruhigen"

"Halt doch mal die Fresse", zische ich ihn an und schlage ihm gegen die Brust.

Schnaufend schmeißt er sich zurück in den Metallstuhl und schaut zur Seite, während seine Pulsschlagader immer mehr heraussticht, weil er seine Aggressionen unterdrücken muss.

"Wir verstehen, dass Sie aufgebracht sind, aber wir müssen trotzdem wissen, wie Sie diese Situation erlebt haben. Es gibt immer zwei Seiten und wir haben auch gar nicht gesagt, dass wir Sie als die Straftäter sehen. Das ist eindeutig Gruppenzwang, was an diesem Abend vorgegangen ist. Aber das Problem an der Sache ist, dass ihr trotzdem vor wenigen Jahren an illegalen Straßenkämpfen beteiligt wart und Geld damit verdient habt. Darum sitzen wir eigentlich hier. Kim Taehyung, an meiner Seite, hat die Anzeige wegen der Körperverletzung schon ungültig gemacht, weil er Beweise von ihren Verletzungen, die durch Yeonjun entstanden sind, vorzeigte, Herr Jeon. Wenn Sie uns mal etwas Zeit zum Sprechen gegeben hätten, dann hätten Sie sich nicht so in Rage reden müssen", erklärt uns Irene etwas ruhig, doch an ihrer zuckenden Augenbraue erkenne ich, dass sie Hyungjin eigentlich gegen eine Wand klatschen möchte.

Mein Blick wandert zu meinem besten Freund, der deutlich ruhiger geworden ist, nachdem er gehört hat, dass die Anzeige nun ungültig sei und schaut die Beiden mit seinem neutralen Gesichtsausdruck an, da uns ja schon klar war, dass wir noch Probleme wegen unserer Vergangenheit bekommen.

"Wenn das mit der Anzeige geregelt ist, heißt das doch, dass wir nicht vors Gericht müssen oder?", frage ich hoffnungsvoll nach.

"Naja, wegen der Anzeige braucht ihr euch keine Sorgen machen. Die illegalen Straßenkämpfe sind jetzt euer Problem. Von denen haben wir etliche Beweise bekommen, aber dieser Jeffrey kriegt nun auch Probleme, weil er diese organisiert und Minderjährige zu seinen eigenen Profiten missbraucht hat. Euer Glück ist es, dass ich direkt, nachdem ihr mir das erzählt habt, eure Aussagen dokumentiert habe und Jeffreys illegale Trainingshalle mit ein paar Kollegen aufgesucht habe. Dadurch sollte eure Strafe um Einiges gesenkt werden. Das heißt, dass ihr auf jeden Fall mit Sozialstunden rechnen solltet", antwortet Taehyung und lächelt uns zum Ende hin fies an.

"Ich werde diese Sozialstunden mit Vergnügen abarbeiten, um mit dieser ganzen Kacke abzuschließen. Mein Gott, ich war in meinem Leben viel zu oft in einem Gericht", gibt Hyungjin ausgelaugt von sich und seufzt leise auf.

"Ach ja, das habe ich ganz vergessen. Es kann sein, dass Hyungjin weniger Sozialstunden und dafür ein paar Therapiestunden bekommt, aufgrund seiner traumatischen Kindheit", wirft Tae noch ein und lässt uns beide entsetzt die Augen aufreißen.

"Ihr wollt mich doch verarschen. Ich muss schon wieder zum Psychodoc? Darf ich dann wenigstens zu meiner alten Therapeutin? Die kann ich wenigstens leiden", erwidert Hyung verächtlich und schüttelt lachend den Kopf.

Alter, Hyung tut mir so leid. Ich weiß noch, wie sehr er es gehasst hat, zum Therapeuten zu gehen. In fünf Jahren musste er über zehn Mal den Therapeuten wechseln, weil er keinen von ihnen leiden konnte und ein riesiges Chaos angerichtet hat, wenn er dort war. Ich presse die Lippen zusammen, als Tae sagt, dass er das nicht weiß und Hyungjin nur still nickt.

"Sind wir fertig? Ich möchte nach Hause", meint er nach wenigen Sekunden.

"Ihr müsst noch die Formulare ausfüllen. Dann könnt ihr gehen", sagt Irene und wir schnappen uns die Formulare, um sie so schnell wie möglich auszufüllen.

Danach stürmen wir förmlich aus der Polizeistation und wollen keine einzige Sekunde länger da drin verweilen. Teddy läuft mit schnellen Schritten voran und hat seine Hände zu Fäusten geballt. Sein ganzer Körper ist total angespannt und ich traue mich fast gar nicht ihm näher zu kommen. Darum laufe ich hinter ihm und behalte ihm im Auge. Entweder wird er sich in den nächsten Minuten beruhigen oder er greift mich an. Eins vom Beiden muss es sein.

Zehn Minuten später folge ich ihm immer noch ohne einen Ton zu sagen und er scheint sich auch nicht beruhigt zu haben. Also irgendwie beunruhigt mich das, wenn er SO ruhig ist. Plötzlich geht er in eine Seitengasse und lässt mich verdutzt stehen bleiben, aber ich renne sofort los, als er sich eine Mülltonne schnappt und sie mit voller Wucht gegen die Hauswand neben ihm knallt. Der ganze Inhalt verteilt sich auf dem Boden und er hat Glück, dass es nur Papier war und kein Biomüll.

"Hey, Hey, HEY! Du willst doch nicht wegen Sachbeschädigung angezeigt werden oder?", rufe ich und stelle mich vor ihn, um seine Arme festzuhalten.

"Mir ist es gerade scheiß egal, wem diese bescheuerten Mülltonnen gehören, Jae. Ich bin kurz davor den Verstand zu verlieren! Ich werde immer dieses emotional verkrüppelte und instabile Kind für euch sein oder? Ihr behandelt mich alle wie ein kleines Kind. Bemerkst du das nicht? Oh, der arme Hyungjin hatte keine Kindheit. Der große Kerl mag es nicht zu lachen, wie süß. Wie traurig. Hyungjin muss wieder zur Therapie, weil er mit seiner Vergangenheit nicht klar kommt und durch Gewalt sein Trauma verarbeiten möchte. Das denkt sich doch jeder. Alle sehen mich jeden Tag mit diesem mitleidigen Blick an, als würde ein beeinträchtigtes Kind vor ihnen stehen", offenbart er seine riesige Verzweiflung und reißt sich von mir los.

Sprachlos und schockiert stehe ich wie eine Salzsäule vor ihm und weiß im Moment nicht, was ich darauf erwidern soll. Ich wusste nicht, dass es Hyungjin so ergeht. In mir breitet sich gleichzeitig ein riesiges schlechtes Gewissen aus, da ich wirklich immer so denke und Hyungjin so übermuttere, obwohl er das anscheinend überhaupt nicht leiden kann.

"W-Wieso hast du denn nie was gesagt?", frage ich ihn und komme mir etwas dumm vor, nur das zu sagen oder eher zu fragen.

"Was soll ich euch denn sagen? Hört auf mich so traurig anzuschauen? Es nervt? Ich gehe lieber kurz eine Zigarette rauchen oder leg mich irgendwo hin, um euren Blicken zu entgehen. Ich bin Dauer gestresst, wenn ihr die Aufmerksamkeit von allen auf mich zieht. Ich liebe euch wirklich vom ganzen Herzen und mag es euch zu umarmen, aber wenn ihr dann rumschreit, wie süß ich doch sei, dann könnte ich euch den Hals umdrehen. Die Einzige, die mich nicht als ein Kind sieht, ist Yuna und das nur, weil sie mich hasst", antwortet er aufgebracht. 

"Ich weiß gerade gar nicht, was ich sagen soll. Du bist für uns kein Kind. Du bist der Älteste und der Größte von uns", meine ich und bringe Hyungjin dazu mit den Augen zu rollen.

"Du verstehst mich gerade nicht oder? Ich will nicht mehr mit diesem hilflosen Kind von damals verglichen werden. Ich bin für alles dankbar, was ihr für mich getan habt, aber hört einfach auf mit dieser Überfürsorge. Ich hasse es in der Aufmerksamkeit zu stehen und bemitleidet zu werden. Jetzt muss ich wieder zum Therapeuten, was ich überhaupt nicht benötige. Ich habe nicht bei diesen Straßenkämpfen mitgemacht, um irgendwas zu kompensieren. Ich brauchte dieses beschissene Geld, nichts weiter. Es ist unfair, dass ich nie normal behandelt werde. Ich gehe vielleicht anders mit Problemen um und bin sehr ruhig, aber das bin ich. Das ist meine Persönlichkeit. Ich bin nicht verkorkst", antwortet er und hat einen Gesichtsausdruck drauf, den ich wirklich noch nie bei ihm gesehen habe.

Seine grünen Augen sind total wässrig und ihnen schimmert diese Mischung aus Wut, Verzweiflung, Schmerz,  Enttäuschung und Angst. Nicht mal vor der Gerichtsverhandlung sah er so aus. Diesmal reagiere ich überhaupt nicht und schaue dabei zu, wie Hyung sich von mir abwendet und aus der Gasse verschwindet. In den letzten Tagen muss ich ihn extrem gestresst haben, damit er so ausrastet. Jetzt macht es Sinn, warum er ständig so schlechte Laune hat. Wenn er noch in seiner Wohnung gelebt hätte, dann hätte er sich dort wieder sammeln und zur Ruhe kommen können. Ich bin der schlechteste beste Freund dieser Welt. Wie konnte ich nicht bemerken, dass es ihm unangenehm ist? Kein Wunder raucht er eine Kippe nach der anderen. Meine Fresse, wieso bin ich so blind?

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Geht's euch allen eigentlich soweit gut?

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