Taehyung und ich sitzen müde im Wartebereich vor der Intensivstation, in der sich Sora seit vier Stunden befindet, und warten darauf, dass unsere Eltern wieder zurück aus der Neugeborenen-Station kommen. Ich habe meinen Kopf auf Taehyungs Schulter gelegt und könnte jeden Moment einschlafen. Es ist erst 22 Uhr, aber ich fühle mich so, als wäre ich schon zwei Tage durchgehend wach. Darum schweigen wir uns gerade nur an und genießen es gerade einfach nur zu sitzen. Absolut niemand wird mich dazu bekommen, von der Bank aufzustehen. Ich schließe meine Augen entspannt und kuschle mich an Taehyung, aber keine Sekunde später spricht uns Dr. Lin an.

„Herr Jeon und Herr Kim, kann ich mit ihnen sprechen?", fragt sie uns und sieht uns ernst an.

„Ja, klar. Was ist los? Stimmt etwas mit Sora nicht?", antwortet Tae und setzt sich direkt aufrecht hin.

Genervt setze ich mich auch aufrecht hin und habe keinen Nerv mehr, mich um irgendwas zu kümmern. Dr. Lin setzt sich neben mich auf die Bank und überlegt, was sie sagen soll. Ich spüre es schon. Es ist überhaupt nichts gutes.

„Also Sora möchte ihr Kind nicht sehen. Sie ist vor einer halben Stunde aufgewacht und weigert sich mit uns zur Neugeborenen-Station zu gehen. Könnt ihr vielleicht versuchen mit ihr zu sprechen?", teilt sie uns mit und dutzt uns unbewusst.

Das kann doch nicht ihr verdammter Ernst sein! Wie auf Knopfdruck werde ich furchtbar wütend und könnte Sora gerade den Hals umdrehen. Sie hat doch im Kreißsaal so geweint, als ihre Tochter nicht mehr geatmet hat und jetzt weist sie ihr Kind ab?!

„Ich rede mit ihr. Dürfen wir rein?", sagt Taehyung total ruhig und ist anscheinend überhaupt nicht wütend.

„Natürlich kommt mit", bejaht Dr. Lin und steht auf.

Tae steht ebenfalls auf und zieht mich mit sich. Wir folgen der Ärztin in die Intensivstation und laufen durch den langen Korridor. In mir brodelt es vor Wut und ich kann mich einfach nicht beruhigen. Mich macht es einfach nur sauer, dass sie so egoistisch ist. Vor einer Tür bleiben wir stehen und Tae bedankt sich bei der Ärztin, bevor er die Tür aufmacht und mich in den Raum zerrt, da ich mich ein wenig dagegen wehre. Sora liegt schluchzend in ihrem Bett und hat ihren Kopf zum Fenster gerichtet. Was heult die denn jetzt? Ich versteh es einfach nicht. Tae lässt meine Hand los und läuft auf seine Cousine zu.

„Warum weinst du denn?", flüstert er leise und setzt sich zu ihr aufs Bett.

Dagegen lehne ich mich nur an die Wand hinter mir und beobachte die Beiden. Ich habe schon so oft mit ihr geredet. Irgendwann habe ich auch kein Bock mehr, wenn es überhaupt nichts nützt.

„Ich-Ich habe Angst. Wenn ich sie sehe, dann geht es richtig los. Ich bin dann ihre Mutter und soll mich um sie kümmern. Ich habe Angst, etwas falsch zu machen", wimmert sie und nun bekomme ich ein schlechtes Gewissen.

„Du wirst etwas falsches machen, wenn du nicht zu ihr gehst, Sora. Das ist viel schlimmer als alles andere", erwidert Tae sanft und nimmt ihre zitternde Hand in seine.

Schniefend dreht sie sich in unsere Richtung und sieht ihren Cousin unsicher an. Einen Moment später bemerkt sie auch mich und erstarrt, als sie meinen harten und ernsten Blick sieht. Anschließend schaue ich auf den Boden, um sie nicht zu stressen. Aber wenn sie sich immer noch weigert, ihr Kind zu sehen, dann werde ich nie wieder mit ihr reden.

„K-Könnt ihr sie her bringen lassen?", fragt sie auf einmal.

Ich hebe meine Augenbraue an und frage mich wirklich, wieso sie nun so schnell einwilligt. Dieses Mädchen ist einfach nur ein riesiges Rätsel und ich werde aus ihr nicht schlau. Ich bin so vertieft in meinen Gedanken, dass ich nicht mal merke, wie Taehyung aus dem Raum geht, um die Ärztin zu holen.

„Guk? Bist du sauer auf mich?", möchte sie wissen und ihre Stimme bebt heftig.

„Was denkst du denn? Soll ich glücklich sein, dass du dein Kind noch vor einer Minute abweisen wolltest, obwohl es fast gestorben wäre? Ich verstehe deinen Gedankengang einfach nicht. Erst heulst du dir die Seele aus dem Leib, weil du so viel Angst hattest, dein Kind zu verlieren und dann bringst du so eine Scheiße", entgegne ich und verberge es nicht, dass ich richtig angepisst bin.

Tränen laufen über Soras Wangen und sie presst ihr Lippen zusammen. Ich schaue ihr einfach nur ins Gesicht und denke nicht mal dran, sie zu trösten. Irgendwann reicht es auch mit diesem Hin und Her.

„Frau Kim! Schön, dass Sie sich doch noch umentschieden haben. Wir werden Sie gleich zu ihrer Tochter und anschließend auf die Mutter-Kind Station bringen", kommt Dr. Kim erfreut in den Raum gestürmt und läuft auf Sora zu, die versucht die Ärztin anzulächeln.

„Jeongguk, komm her", erscheint Taehyung plötzlich neben mir und packt mich an der Hand, um mich aus dem Zimmer zu zerren.

„Hä? Wohin gehen wir denn?", frage ich ihn irritiert, da er mich auch aus der Intensivstation führt.

„Wir gehen jetzt nach Hause. Die Besucherzeit ist schon längst vorbei und Sora muss allein entscheiden, ob sie das Kind behalten möchte. Du kannst ihr nicht mehr ins Wort reden und ihr ein Kind aufdrücken, dass sie vielleicht nicht möchte. Also komm jetzt einfach mit. Wir werden morgen erfahren, wie sie sich entschieden hat", sagt er in einem strengen Ton und verlangt keine Widerrede.

Er wartet nicht mal auf eine Antwort von mir, da er läuft er auch schon weiter. Wie bitte? Was soll der Scheiß? Warum macht er mir denn jetzt Vorwürfe? Ich habe doch gar nichts gesagt und werde einfach angeschissen. Er hat mit ihr geredet, nicht ich.

„Du kannst deine Fingernägel so fest wie du willst in meinen Handrücken drücken, aber ich werde dich nicht hier lassen. Du beeinflusst sie viel zu sehr und mich nervt es auch, wie sie dich manchmal anschaut und auf dich hört. Also beweg dich gefälligst nach draußen, bevor ich ausraste", meckert er mich plötzlich an und wirft mir seinen besten Killerblick zu.

Eigentlich wollte ich mich noch verteidigen, aber er scheint wirklich sauer auf mich zu sein und würde mir eine rein hauen, wenn ich ihn jetzt anzicke. Darum laufe ich ihm schweigend hinter her und beiße mir beunruhigt auf die Unterlippe.

__________

Rip Datenvolumen