Kapitel 140
Seit einer Stunde bin ich nun hellwach, während Taehyung tief und fest neben mir schläft und sich an mich gekuschelt hat. Er hat mich vorhin in sein Zimmer getragen, da ich im Auto eingeschlafen bin und mich deswegen nicht wecken wollte. Aber jetzt bin ich hellwach und kann nicht mehr einschlafen. Seufzend drehe ich mich mit dem Gesicht zu Taehyung und fahre ihm durch die verwuschelten, blauen Haare. Wenn er schläft, ist er echt süß, weil keine dummen Bemerkungen aus seinem Mund kommen, falls ich ihn mal zu lange anstarre.
Irgendwie erinnert mich das gerade an den Moment, als ich ihm meine Liebe gestanden habe und dachte, dass er schlafen würde, aber er bloß so getan hat und hellwach war. Meine Mundwinkel heben sich augenblicklich wegen dieser Erinnerung. Wenn ich das damals nicht gemacht hätte, wären wir vielleicht erst gar nicht zusammengekommen oder hätten noch länger gebraucht, um zu kapieren, dass wir uns gegenseitig lieben.
„Ich bin verweichlicht. Was hast du bloß aus mir gemacht?", frage ich Taehyung, da ich merke wie schnulzig meine Gedanken werden.
Vor ein paar Monaten hätte ich Taehyung nur mit Beleidigungen in Verbindungen gesetzt, was ich immer noch tue, aber es hat sich deutlich verringert und ich fange meistens an über ihn zu schwärmen, wenn er mich nicht schon wieder aufregt. Unsere Beziehung ist eine reine Achterbahn, dennoch werde ich es nie bereuen mich auf diese eingelassen zu haben. Ein Leben ohne Tae ist einfach unvorstellbar geworden.
Wieso fange ich jedes Mal erst in der Nacht an über mein Leben nachzudenken? Das ist echt nervig und raubt mir meinen Schlaf. Ich sollte auch wieder schlafen, weil Taehyung irgendwas mit mir vorhat und dafür muss ich ausgeschlafen sein. Ächzend rolle ich mich aus dem Bett, da ich auf die Toilette muss, und höre Taehyung unzufrieden murren.
„Sei ruhig, Fettsack", murmle ich ihm zu und verlasse schleichend das Zimmer.
Mit schnellen Schritten gehe ich ins Bad und stoppe in meinen Bewegungen, als ich ein lautes Schluchzen, welches unten aus dem Wohnzimmer kommt, höre. Irritiert steige ich leise die Treppen nach unten und verstecke mich im Flur hinter einer Wand, um zu schauen, wer dasitzt und weint. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen, als ich Soras Hinterkopf erkenne und frage mich, wieso sie noch um diese Uhrzeit wach ist. Ihr ganzer Körper bebt und sie versucht ihr Schluchzen zu unterdrücken, was anscheinend nicht so gut funktioniert.
Soll ich jetzt einfach abhauen und so tun, als hätte ich sie nicht gesehen oder zu ihr gehen und nachfragen, warum sie weint?
Mehrere Sekunden bleibe ich im Flur stehen und bin etwas zwiegespalten. Ich mag sie nicht, aber sie tut mir auch irgendwie leid. Jeder kackt sie von der Seite an und gibt ihr zu verstehen, dass sie hier unerwünscht ist. Nicht mal ihre Eltern und Großeltern wollen etwas von ihr wissen. Manno, wieso muss ich auf einmal so nett sein?
Seufzend stoße ich mich von der Wand ab und betrete das Wohnzimmer. Sora dreht sich ruckartig zu mir um und wischt hektisch ihre Tränen mit den Ärmeln ihres Pullovers weg. Sie versucht mich abwertend anzuschauen, doch auch das gelingt ihr nicht, da mehrere Tränen ihre Augen verlassen und sie dadurch einfach nur verletzlich aussieht. Ich setze mich schweigend neben sie auf die Couch und schaue auf den Fernseher, der sich gegenüber der Couch befindet und ausgeschaltet ist.
„Was machst du hier, Jeon?", fragt mich Sora gespielt genervt und hört sich dabei total nasal an.
„Dasselbe kann ich dich auch fragen, Sora", erwidere ich und drehe mein Gesicht zu ihr, um sie etwas ernster anzuschauen.
Sie wendet ihren Blick ab und schaut stattdessen ihre Hände, die in ihrem Schoß liegen, an. Ihre Augen sind gerötet und es haben sich dicke Tränensäcke unter ihnen gebildet. Wer weiß, wie lange sie schon hier saß und vor sich hin geweint hat.
„Wieso weinst du?", frage ich gerade heraus, als sie nichts mehr sagt.
„Warum interessiert dich das? Wir können uns nicht leiden", sie schaut mich verwirrt an und zieht die Augenbrauen zusammen.
„Auch wenn ich dich nicht ausstehen kann, bin ich trotzdem nicht so herzlos und frage nicht, weshalb du weinst. Ich weiß doch, dass momentan jeder nicht so nett zu dir ist und dir zu spüren gibt, dass du nicht erwünscht bist. Wenn du möchtest, kannst du mir jetzt erzählen, was genau dich belastet, damit du nicht alles in dich herein frisst oder du lässt es sein. Ich werde dich nicht zwingen", biete ich ihr an und starre ihr in die Augen, um meine Ernsthaftigkeit zu verdeutlichen.
Ihre Augen füllen sich mit Tränen und sie beißt sich fest auf die Lippen. Nun ist sie diejenige, die nicht weiß, was sie tun soll. Ich bleibe still neben ihr sitzen und betrachte die Bilder von Taehyung und seiner Familie. Auf manchen Bildern war ich sogar zu sehen, was irgendwie keine Überraschung ist, da Ahri Noona jedes Mal Bilder von uns geschossen hat, wenn wir zusammengespielt haben.
„Aber du wirst das nicht gegen mich verwenden oder?", fragt sie mich verunsichert und umarmt ihre Beine.
„Natürlich nicht. So gemein bin ich auch wieder nicht, obwohl ich so rüberkomme", lächle ich sie aufmunternd an und entlocke ihr ein kleines Lachen.
Nach paar Sekunden schweigen wir wieder und ich sehe sie aufmerksam an. Sie sieht mich immer noch verunsichert an, aber räuspert sich irgendwann und senkt ihren Blick.
„Also i-ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es ist so viel passiert", murmelt sie und sieht mich etwas hilflos an.
„Fang doch einfach vom Anfang an", sage ich ihr und sehe runter zu ihrem Bauch, in dem sich ein zweites Leben entwickelt.
„Okay, ich h-habe es noch nie jemanden erzählt. Aber Ich weiß ganz genau, von wem das Baby ist. Er heißt Ye-Yejun und war vor drei Monaten noch mein fe-fester Freund, doch als er erfahren hat, dass ich Schwan-Schwanger von ihm geworden bin, hat er sofort mit mir Sch-Schluss gemacht und wollte nichts mehr von mir wissen, nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich das Kind nicht abtreiben werde. Wir haben sogar verhütet, Jeongguk! Ich schwöre es dir, dass wir das haben, aber irgendwie scheint das Kondom gerissen zu sein. Ich wusste doch ganz genau, dass mein Vater mich aus dem Haus schmeißen wird, wenn ich in diesem Alter Schwanger werde. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun soll und habe es über zwei Monate versucht, zu verheimlichen. Aber mein Bauch wurde immer dicker und ich musste mich beinahe jeden Morgen übergeben. Meine Mutter war nicht dumm und hat es nach einiger Zeit gemerkt. Auch sie verlangte von mir das Kind abzutreiben, bevor es mein Vater erfährt, aber ich kann doch nicht einfach ein Kind abtreiben! Das ist Mord und ich könnte das niemals über mein Herz bringen!", erzählt sie mir und fängt zum Ende hin bitterlich an zu weinen.
Mir schießen selbst Tränen in die Augen und ich hatte noch nie so viel Mitleid mit ihr wie jetzt. Wieso hat sie das bloß alles verheimlicht? Sonst hätten wir sie nicht so abwertend behandelt und sie wie eine Schlampe dahingestellt. Sie schluchzt heftig auf und wischt sich mehrmals über die Augen. Ich ziehe sie nach kurzem Überlegen einfach in meine Arme und streichle ihr über den Rücken, während sie sich an meinem Pullover klammert.
„Wieso hast du uns nicht die Wahrheit erzählt?", frage ich sie leise und mein schlechtes Gewissen macht mich einfach fertig.
„Als mein Vater es erfahren hat, hat er mich so angeschrien und hat Oma und Opa erzählt, dass er mich nicht mehr sehen will, weil ich von einem fremden Mann geschwängert wurde, als ich auf einer Party war und das Kind auch noch abtreiben wollte. Sie haben das dann auch Ahri und Jonghyun erzählt und niemand wollte mir zuhören, weil sie meinem Vater geglaubt haben, der sich einfach nur im guten Licht und mich als Hure darstellen wollte", weint sie und vergräbt ihr Gesicht in meiner Schulter. Dass sie meinen Pullover durchnässt, war mir im Moment echt egal.
„Fuck..", kommt es nur leise aus mir und ich streichle ihr weiterhin beruhigend über den Rücken.
Ich war so wütend auf Suha, dieser elende Bastard. Wie kann er so etwas seiner eigenen Tochter antun? Ich habe ihn schon immer gehasst, aber nun kann ich ihn wirklich nur noch verabscheuen. Am liebsten würde ich jetzt nach Daegu fahren und ihm die Fresse einschlagen, aber erst muss ich das hier klarstellen, dass Suha nur scheiße von sich gegeben hat. Sora tut mir so wahnsinnig leid. Es ist jetzt unwichtig, ob ich sie mag oder nicht. Niemand, wirklich niemand, hat so etwas verdient.
„Danke, dass du mir wenigstens zugehört hast, Jeongguk", flüstert sie leise gegen meine Schulter und ich merke, wie sie am ganzen Körper zittert.
„Nichts zu danken, aber du musst mir versprechen, dass du zu Ahri Noona gehst und ihr die Wahrheit erzählst. Du hast es nicht verdient, so behandelt zu werden, obwohl du dieses Kind in deinem Bauch ständig beschützt hast", entgegne ich und sehe sie danach flehend an.
Sie schaut mich mit wässrigen Augen an und nickt leicht. Ich lächle sie an und streiche ihr die Tränen mit meinem Pullover weg. Ich hätte niemals gedacht, dass ich so viel Empathie für Sora haben könnte und nachdem sie mir auch noch die Wahrheit erzählt hat, ist sie mir nun deutlich sympathischer als vorher.
„Komm, wir sollten endlich schlafen gehen. Es ist schon halb vier", meine ich mit einem kurzen Blick auf die Uhr und stehe dann von der Couch auf.
Sora stimmt mir zu und steht ebenfalls auf. Schweigend laufen wir in den Flur und sie hält mich plötzlich am Arm fest. Verwirrt sehe ich zu ihr runter, da sie beinahe zwei Köpfe kleiner als ich ist.
„Können wir unser Kriegsbeil begraben und Freunde werden? Ich habe sonst niemanden hier", fragt sie nach und sieht dabei so ängstlich aus.
„Was für ein Kriegsbeil? Kenne ich nicht. Wir sind doch schon Freunde", antworte ich lächelnd und bringe sie ebenfalls zum Lächeln.
„Dankeschön", bedankt sie sich erleichtert.
„Bitteschön", sage ich nur und steige die Treppen nach oben.
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