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Ich hasste es wenn Susannes Blick immer so hektisch zu ihrem Display schielte wenn sie einen eingehenden Anruf bekam - immer wenn ihre Tante Evelyn am Apparat war verließ sie immer das Zimmer um dann hinter geschlossener Tür weiter zu telefonieren oder sie verließ sogar ganz die Wohnung und telefonierte unten vor unserem Wohnhaus mit ihr. Irgendetwas an den Gesprächen mit ihrer Tante dürfte wohl so verstörend und geheim sein dass sie es lieber vor mir geheim halten wollte. Ich hasste es wie ihre Tante sie immer wieder aufscheuchte wenn sie fast panisch aufsprang und zu ihrem Handy eilte wenn ein Anruf von ihr einging. Susanne besuchte ihre Tante hin und wieder - eigentlich kam es mir nicht so vor als würden sie diese Besuche allzu sehr mitnehmen weshalb ich nicht verstand warum sie so hektisch reagierte wenn sie anrief. Vielleicht übertreibe ich auch jetzt aus Missfallen darüber dass Susanne mir gezielt verschwieg um was es hier bei der ganzen Sache ging denn eigentlich rief Susannes Tante nur gut 1x im Monat an. Und doch war da immer diese Angst und diese böse Vorahnung in ihren Augen wenn Susanne ans Handy ging. Susanne mochte ihre Tante sehr und langsam hatte ich irgendwie das Gefühl dass sie krank war und Susanne dauernd Angst hatte dass ihr etwas schlimmes zugestoßen ist. Anscheinend war ihre Krankheit sehr unberechenbar und wahrscheinlich sogar tödlich wenn man nach Susannes besorgten Reaktionen gehen konnte. Ich hatte ihre Tante auch schon mal gesehen aber da war mir eigentlich nichts sonderbares und ungesundes an ihr aufgefallen.

Immer wenn mein Handy vibrierte hatte ich Angst dass Evelyn dran war und meine Hilfe brauchte - nicht deswegen weil ich ihr nicht helfen wollte sondern nur weil ich Angst hatte dass meine Hilfe dann vielleicht schon zu spät kommen würde. Ich liebte Evelyn von ganzem Herzen und deshalb fand ich auch dass sie eigentlich mehr Glück und ein unbeschwertes Leben verdiente. Ich hasste die zeit vor ein paar Jahren wo sie noch mit meinem Onkel verheiratet war und wo sie mir wo ich bei ihr zu Besuch war oft Sachen zeigte die ich nicht sehen wollte weil sie so schrecklich und unfair waren. Ich hatte solche Angst dass ich irgendwann nur mehr ihren leblosen toten Körper vorfinden würde. Jetzt war diese schlimme Zeit zumindest vorbei aber es gibt seelische Narben die nicht so schnell verheilen wie die körperlichen Narben. Seelischer Schmerz der betäubt werden wollte und nach Ruhe suchte. Körperlicher Schmerz kommt und geht - seelischer Schmerz ist gekommen um zu bleiben. Sie war süchtig nach Unglück und ihrem eigenen Teufelskreis. Und ich hatte andauernd Angst dass sie es nicht schaffen würde stärker als ihre Dämonen zu bleiben. Wenn ich zu ihr fuhr Riss sie sich zusammen und wir erlebten ein paar unbeschwerte Momente. Doch wenn sie sich unbeobachtet fühlte kam sie immer wieder auf ihren seltsamen und tückischen Trost zurück. Ihre seelischen Narben waren unsichtbar aber tiefer und geschundener als es ihre körperlichen Narben jemals waren. Trauer und Schock sterben nicht auch wenn die Zeit sie ganz langsam verblassen ließ.

Was glaubt ihr ist das „Problem" von Susannes Tante?

Über votes und Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen

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