Melody Rosenberg's Vermächtnis pt4
Morgens liege ich jedoch alleine im Bett. Ich denke, Tom ist schon früh Laufen gegangen, wie er es immer macht. Ich stecke mein Nase in das Kissen und atme tief ein. Doch ich rieche nur den leichten Rauchgeruch meiner Haare, Tom's Duft ist verschwunden, wie schade! Ich stehe auf und stelle mich unter die kalte Dusche, brr!
Im Speisesaal duftet es nach Eiern und Speck und ich merke, dass ich völlig ausgehungert bin. Sarah guckt mich traurig an.
„Schon wieder ein Tag vorbei und Kai ist noch nicht wieder aufgetaucht. Tut mir leid, Liebes."
„Er wird schon irgendwo stecken." brummt Leon und hält seinen Kopf.
Ich nicke und umarme Sarah.
„Ist okay. Und ja, das glaube ich auch, Leon. War wohl einer zu viel gestern, was?" kichere ich.
Leon nickt knurrend.
„Hast du meinen Bruder gesehen? Er müsste längst vom Joggen zurück sein..." grinst Sarah dann, als wenn sie wüßte, dass Tom bei mir geschlafen hat.
Mein Herz macht einen Hüpfer und ich schüttele den Kopf. Dann stürzt Chris in den Saal und ruft:
„Leute, kommt mal mit! Das müsst ihr euch ansehen!"
Etwas später stehen wir fassungslos vor der Wandvertäfelung, die wir gestern nahezu komplett herausgerissen hatten. Das morsche Brett, das mir die kleine Wunde beschert hatte, sitzt ganz unschuldig wieder da, wo ich es entfernt hatte. Jedenfalls denke ich das. Obwohl es unmöglich ist, die Wunde ist doch Beweis genug!
„Vielleicht haben wir den Raum verwechselt... hier sieht ja alles so gleich aus..." murmelt Mel.
Wir durchsuchen alle Räume. In der ehemaligen Küche stoßen wir endlich auf Tom, der kopfschüttelnd die unberührten Fliesen an den Wänden betrachtet.
„Sie waren alle runter! Hab den ganzen Nachmittag damit verbracht!" murmelt er verwirrt.
Ich habe den dringenden Wunsch, mich an ihn zu schmiegen, doch kann ich mich gerade noch bremsen. Sein schöner Blick trifft meinen und ich werde rot. Er guckt mich ernst an und ich zucke mit den Schultern. Die anderen verlassen die Küche, als Tom hinterher will, halte ich ihn am Arm fest und frage leise:
„Können wir das vielleicht erst einmal für uns behalten?"
Tom guckt verwirrt.
„Was genau meinst du?"
Sein Miene verrät keine Emotion. Ich seufze.
„Hör auf damit, es ist mir ernst!" blaffe ich.
„Ich hab keinen blassen Schimmer, wovon du redest." brummt er und macht sich los.
Langsam zieht sich eine Gänsehaut über meinen Körper und ich bekomme das gleiche, unwirkliche Gefühl wie gestern, als ich mich verletzt hatte. Wieso tut Tom so unwissend? Und warum ist er so abweisend, so kenne ich ihn gar nicht! Ich schlinge meine Arme um meine Brust.
„Das ist nicht komisch, Tom! Ist es dir jetzt zu peinlich, mit mir geschlafen zu haben?" fauche ich.
Tom entweichen alle Gesichtszüge und er raunt:
„Wie bitte? Wir haben nicht...du musst geträumt haben."
Tom schaut mich an, als wäre ich eine Verrückte. Ich schluchze vor Scham auf und laufe davon. Und wie soll's auch anders sein, draußen schüttet es mal wieder wie aus Eimern! Merkwürdigerweise zieht es mich zum Irrgarten, vielleicht ist Kai ja immer noch hier? Ich suche mir kleine Steine und verteile sie hinter mir.
https://youtu.be/u7K72X4eo_s
Um mir Mut zu machen, singe ich leise vor mich hin:
"Love, Love is a verb. Love is a doing word. Fearless on my... breath. Gentle impulsion. Shakes me, makes me lighter. Fearless on my ...breath. Teardrop on the fire. Fearless on my breath...Night night after day, black flowers blossom..."
Kai mochte den Song „Teardrop" von Massive Attack nie. Obwohl wir uns durch diesen Song kennen gelernt hatten- er hatte damals in einem Club, in dem ich meinen dreißigsten Geburtstag gefeiert hatte, aufgelegt und ich hatte mir genau diesen Song von ihm gewünscht. DJ war Kai jedoch nur nebenbei gewesen, und vor zehn Jahren hatte er damit aufgehört. Irgendwie tut er mir leid, so ganz alleine da draußen.
„Kai?" rufe ich. „Komm schon, lass uns reden! Langsam ist es doch mal gut, oder?"
Keine Antwort. Statt dessen verdunkelt sich der Himmel und ich stehe wieder einmal vor dem Jesuskind. Sein Kopf ist abgebrochen und eine rote, glänzende Flüssigkeit ist über den nackten Steinkörper verteilt. Das Kind sieht aus, als wäre es blutüberströmt und erinnert mich an...meine Fehlgeburt vor zwei Jahren. Im sechsten Monat, die Kleine hätte es fast geschafft gehabt. Ich hatte sie tot gebären müssen.
You stumble in the dark
Ich mache panisch kehrt und laufe meinen Steinchen hinterher. Sie verschwimmen vor meinen Augen, denn in der Dunkelheit kann ich sie kaum erkennen. Ich stolpere, falle. Vor mir liegt ein Ring. Kai's Verlobungsring! Er hatte ihn an einer Kette um seinen Hals hängen, da er ihn nicht bei den Schleifarbeiten zerkratzen wollte. Mein eigener liegt brav zuhause...ich habe ihn vergessen, wie schon so oft. Ich hebe den Ring auf und rufe Kai ein weiteres Mal. Schließlich habe ich den Ausgang gefunden, sofort klart der Himmel auf.
Puh. Was hat das alles nur zu bedeuten? Die Vögel zwitschern, als wäre nie etwas gewesen. Ich höre lautes Hämmern und Poltern aus dem Haus. Anscheinend haben die Anderen beschlossen, einfach weiter zu machen, trotz der merkwürdigen Vorkommnisse. Ich atme tief durch, gehe ins Haus und erzähle den Frauen, die wieder mit dem Wandpaneel beschäftigt sind, dass ich noch einmal im Irrgarten nach Kai gesucht hätte und den Ring gefunden habe. Emma guckt mich mitleidig an, doch ich sage ihr, dass ich okay wäre. Was ich nicht bin, aber das hat nicht unbedingt mit Kai zu tun. Die Arbeit hilft, meine Panik zu besänftigen und dieses Mal kommen wir schneller voran. Zum Mittagessen gehe ich nicht in den Speisesaal, sondern setze mich ans Wasser, gehe Tom konsequent aus dem Weg. Er mir anscheinend auch. Natürlich, das würde ich an seiner Stelle auch machen, denn die letzten Tage habe ich mich wie ein hysterisches Weib benommen, wer hat da schon Lust drauf? Und dann noch die Story von heute morgen!
Am Abend, als Sarah und ich die letzten Bretter entfernen, klingt plötzlich ein gellender Schrei aus den Räumen im Südflügel. Emma und Mel waren in den Lesesaal gegangen, um die alten Bücher, die sich dort befinden, in Kisten zu räumen. Wir rennen los. Als ich die massive Tür aufschiebe, hören wir Mel stöhnen. Sie liegt in der Mitte des Raumes und ist unter einem schweren Regal begraben!
„Helft ihr doch!" schreit Emma panisch und wir greifen zu, um mit ihr zusammen das Regal hoch zu heben.
Doch es ist zwecklos, es ist viel zu schwer! Während Sarah und ich weiter an dem Regal zerren, springt Emma auf und läuft in den Flur. Ich höre, wie sie nach den Männern ruft. Unser Geruckel bereitet Mel starke Schmerzen, sie heult wie ein Wolf und schnell weise ich Sarah an, aufzuhören. Mel ist blass und schweißig und ich vermute, das sie in den nächsten Minuten bestimmt ohnmächtig wird. Endlich kommt Emma mit den Jungs zurück. Bis auf Tom! Ich versuche gerade, das Regal mit einem Holzbrett als Hebel von Mel weg zu halten, was auch mäßig gelingt. Sarah zieht an Mel.
„Hör auf! Es tut weh!" jammert die Blondine.
Callum übernimmt den Hebel und sagt:
„Clevere Idee, Mädchen! Leon, Chris- stellt euch da rüber, wir hebeln das Ding runter!"
„Macht schnell! Sie wird ohnmächtig!" ruft Sarah.
Es knallt heftig, als das Regal zu anderen Seite kippt und vor der Tür liegen bleibt. Leon kniet sich besorgt zu seiner neuen Eroberung hinunter.
„Ist dir auch aufgefallen, dass wir das Regal vorhin nicht gehört haben, Sarah?" murmele ich.
Sie guckt zu mir hoch.
„Weiß nicht... Hol bitte Verbandszeug, wir müssen die Wunde versorgen."
Ich nicke. Klar, ich bin mal wieder zu schnell im Investigationsmodus! Callum lacht zynisch auf.
„Was?" frage ich, doch dann bemerke ich es auch.
„Verdammt, wir haben uns eingesperrt!" fluche ich.
Die Tür wird von außen geöffnet und knallt gegen das Regal.
„Leute, was macht ihr für einen Lärm?" fragt Tom verwirrt.
„Ach, hast du's auch mal mitgekriegt? Wo warst du, Bro?" fragt Callum.
„Wo wohl, in der Küche, muss ja meine Arbeit mal fertig kriegen! Hatte den Hörschutz auf, sorry."
„Tom, hol' bitte'schnell den Verbandskasten, Mel ist verletzt. Und ihr Jungs schiebt das Regal beiseite." weißt Sarah an.
„Ja klar, das ist ja auch nur n Klacks." stöhnt Leon und steht auf.
Sie bauen den Hebel wieder an und ich trage mit Sarah die stöhnende Mel aus der Schusslinie. Emma ist völlig erstarrt und rührt sich kaum. Mel's Bein sieht schlimm aus, es zeigt eine große, klaffende Wunde, die stark blutet. Gut, dass es „nur" ihr Bein getroffen hat! Sarah bindet das Bein mit ihrem Bandana ab, während ich die zerrissene Jeans vorsichtig entferne. Es knallt wieder und die Tür ist endlich frei. Tom kommt herein und reicht Sarah den roten Kasten. Er weicht meinem Blick aus und kümmert sich um seine Schwester Emma, die immer noch geschockt da steht. Er legt den Arm um sie. Emma flüstert:
„Er hat es einfach auf sie drauf geworfen!"
„Wer hat was geworfen, Liebes?" höre ich Tom sanft fragen, während ich Sarah helfe.
„Ein Kerl in einem altmodischem Anzug hat das Regal umgeworfen. Ich...kam gerade rein...als... Es roch nach Pfeife." entgegnet Emma keuchend. „Onkel Harold hat doch Pfeife geraucht, oder?" haucht sie dann.
Der Angesprochene schüttelt den Kopf.
„Ems, Onkel Harold ist doch seit über hundert Jahren tot. Vielleicht war es Kai."
Sofort zucke ich zusammen und fauche:
„Warum sollte Kai so etwas tun? Und außerdem, das hätte keiner von euch alleine geschafft!"
Tom schaut mich ernst an.
„Nun, irgendwas ist mit deinem Ex nicht okay, oder warum versteckt er sich die ganze Zeit?" brummt er.
„Er wird seine Gründe haben, aber er ist kein Killer!" fahre ich ihn an.
„Hey! Könntet ihr bitte mit der Streiterei aufhören? Wir müssen Mel zum Festland bringen!" unterbricht Sarah streng.
Tom nickt und streicht Emma zart über den Rücken.
„Beruhige dich. Das lässt sich sicher erklären."
Ich seufze:
„Okay, ich suche eine Bahre oder sowas ähnliches."
„Ich komme mit, ich weiß, wo wir etwas Brauchbares finden können." brummt Tom nun und löst sich von Emma.
Nein! Ich will ihn nicht dabei haben! Doch schon greift er nach meinem Handgelenk und ich erschaudere. Der neuerdings wieder bärtige Schauspieler zieht mich hinter sich her.
„Hier lang. Ich habe in einem der Zimmer eine alte Pritsche entdeckt."
„Kannst du die nicht alleine tragen?" knurre ich und versuche, meine Hand aus seinem Griff zu befreien.
Tom greift fester zu und schüttelt den Kopf.
„Schon, aber wir müssen dringend reden. Was ist los mit dir? Was hab ich dir getan?"
„Du tust einfach so, als wäre gestern Nacht nie etwas gewesen!" zische ich und mache mich los.
Er bleibt stehen und guckt mich ernst an.
„Da war doch auch nichts außer...naja, vielleicht ein kleiner Eye- Fuck beim Tanzen..."
Uh. Ja. Mir schießt Hitze ins Gesicht und ich gehe schnell weiter.
„Nimmst du Drogen?" frage ich dann.
Tom hält mich fest und schaut mich verärgert an.
„Stop, hier ist es. Natürlich nehme ich keine Drogen! Du etwa?"
„Nein. Also bin ich eine Lügnerin, oder was?"
Tom stöhnt.
„Nein, das ist es nicht, was ich vermute."
Tom lässt mich los und hebt die Liege auf. Ich kann es nicht ertragen, wenn er so herumdruckst!
„Dann sag mir doch bitte, was du über mich denkst!" zische ich und nehme die andere Seite der Liege, um ihm Tragen zu helfen.
„Nun ja, du warst ziemlich durcheinander nach der Sache im Irrgarten..." murmelt Tom.
Ich hole tief Luft.
„Klar. Ich bin verrückt geworden, ist es das, was du mir sagen willst? Dass ich mir alles eingebildet habe?"
Er nickt. Ich lasse meine Seite abrupt fallen und Tom zuckt zusammen. Ich fauche:
„Weißt du was? Ich wünschte, das verdammte Regal hätte dich getroffen!"
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