Barracuda Teil 6

Eine Weile schauen wir uns in die Augen und irgendwas passiert. Nein, es hat nichts mit Liebe zu tun, sich verlieben, Liebe auf den ersten Blick oder so, vielmehr ist es eine Art stiller Pakt. Und das Erkennen des Anderen, der die gleichen Gefühle spiegelt. Es ist so stark, das mir wieder schwindelig wird. Wortlos schnappt Elliot nach mir und trägt mich zurück zum Dorf.

„Verabschiede dich. Ich nehme dich mit." sagt er sanft und ich widerspreche nicht.

Elliot weckt mich in Johor Bahru, denn ich war vor Erschöpfung eingeschlafen. Er bringt mich in seine Unterkunft, die im Gegensatz zu der Hütte wie ein Palast wirkt. Ich dusche mindestens drei Stunden. Naja, gefühlte. Sehe mit Freude, wie all der Dreck aus den Wunden gespült wird. Doch als ich fertig bin, habe ich ein echtes Problem. Rein in die Dusche war einfach, Elliot hatte mir ein bisschen geholfen, doch der Duschboden war ja trocken und ich habe meine Klamotten erst drinnen ausgezogen. Nun ist der Boden nass und ich bin nackt. Wie kommt man einfüßig aus einer Dusche, ohne, das man hinfällt? Elliot klopft.

„Ich habe dir was zum Anziehen besorgt, das müsste hoffentlich passen. Wir haben in einer halben Stunde einen Termin bei einem Arzt. Brauchst du Hilfe?"

Oh, je! Mein Bein fängt an zu zittern und die Stange knirscht bedenklich unter meinem Griff.

„Ja!" rufe ich schnell.

Sofort kommt Elliot ins Bad, schnappt sich ein Handtuch und hält es vor mich. Sanft hebt er mich raus und ich atme auf. Mein Atem geht schnell, mein Herz rast, ich bin am Ende meiner Kräfte. Auch das muss ich ihm nicht sagen, er trägt mich ins Schlafzimmer und legt mich ab. Ich warte, bis ich wieder zu Atem komme. Von wegen, Superheldin! Das hätte ich alles ohne Elliot vergessen können!

„Wieder okay?" fragt er nach einer Weile sanft.

„Hm. Kannst du mir... die Sachen geben?"

„Natürlich." antwortet er und ich stelle fest, das er noch englischer als sein Bruder ist.

So höflich, so...unaufdringlich. Ich meine, ich bin völlig nackt und kann noch nicht mal weglaufen, er könnte alles mit mir tun, was er wollte. Aber nein, ich bin abstoßend, das ist es. Eine halbe Frau! Plötzlich beginnt das fehlende Bein zu schmerzen und ich schiesse hoch, packe den krampfenden Oberschenkel. Elliot kommt wieder und legt sanft die Decke um mich, denn das Handtuch war runter gerutscht.

„Atme. Ein, aus. Ja, so ist gut..." raunt er.

In der Hütte konnte ich mich selbst dazu bringen, aber seit alles wieder hochgekommen ist, fühle ich mich schwach und hilflos. Das muss ein Ende haben! Ich muss selbständig werden, muss es ohne Elliot schaffen. Ich war noch nie von einem Mann abhängig gewesen!

„Ist gut. Es geht wieder..." murmele ich und mache mich los.

Er versteht und löst seine Arme von mir.

„Ich bin gleich vor der Tür, wenn was ist, ja?"

„Ja. Danke."

Als wir wieder im Auto sitzen, fragt er:

„Was ist los, Valerie?"

Er merkt es? Wahnsinn. Ich meine, Daniel war immer aufmerksam, aber auch blind, wenn es darum ging, meine Stimmungen zu erkennen. Es ist ja auch kompliziert, mit uns Frauen! Ich seufze. Ich kann es ihm doch gar nicht wirklich erklären...

„Valerie?" insistiert er.

„Was soll denn sein?" zische ich und schaue aus dem Fenster.

Er fährt an die Seite und hält. Ein Auto hupt, der Fahrer schaut mich genervt an, als er an uns vorbei zieht. Elliot erklärt:

„Im Busch warst du anders. Du warst offen, und da war dieser Moment...vorhin...naja, jetzt erscheint es, als wenn du mich schnell loswerden willst."

Ich seufze und entgegne:

„Ja, mag sein. Weißt du, ich merke gerade, das ich mich von einem Kerl abhängig mache. Ich meine...ich war es nie, hatte meine eigenen Geschäftsbeziehungen, hab ja jahrelang alleine gelebt. Ich will nicht wieder so enden, wie mit Daniel..."

„Wie bitte?" fährt er dazwischen. „Ich bin nicht Daniel! Wenn überhaupt, hat er sich alles von mir abgeguckt! Egal, weißt du was? Wir ziehen das durch, bis du selbständig genug bist, eigene Wege zu gehen, okay?"

Woah. Warum ist Elliot nur so wütend?

„Ja." antworte ich leise, schaue ihn immer noch nicht an.

Ich weiß, ich bin ein Feigling. Aber wenn seine Augen mich fixieren, bin ich verloren. So wie bei...oh. Ich atme tief durch und konzentriere mich darauf, was er gesagt hat. Langsam erkenne ich, was er meint. Ich kannte Daniel zuerst, deshalb dachte ich, er wäre immer so gewesen, doch...Elliot ist wie eine ruhigere, beständigere Ausgabe von ihm. Danny wird ihn genau studiert haben, als er gemerkt hat, das Elliot die Menschen beeindrucken kann. Und wieder...alles aus Berechnung. Elliot ist mittlerweile weiter gefahren. Beim Arzt angekommen, bezweifle ich, das ich hier eine gute Versorgung bekomme, doch er soll sich ja erst einmal nur die Narben anschauen. Er spricht gutes Englisch, wie fast alle in den Städten. Erklärt mir, das er mir zwar eine Prothese anbieten könnte, aber die seien nicht die Besten. Immerhin kriege ich einen besseren Stock und einen Rolli. Ich sehe, das Elliot alles bezahlt.

„Ich geb es dir wieder." murmele ich im Auto.

„Ist schon okay, ich setze es von den Spesen ab..." grinst er.

Nun muss ich auch schmunzeln. Ich merke, das ich nicht nur so verstimmt bin, weil ich mich umsorgen lassen muss, sondern weil ich mir auch immer weniger wie eine Frau vor komme. Da draußen, bei Cahya und Musa, war ich die Heldin, die überlebt hat, alle respektierten mich, wie ich bin. Hier werde ich angestarrt. Das halbe Stück Fleisch, das hinter dem Saum des Kleides verschwindet, auf der anderen Seite das intakte Bein, das aber eine große, häßliche Narbe an der Wade zeigt. Und selbst die vielen kleinen Bisswunden an den Armen leuchten in der Sonne. Ich denke, ich habe wohl versucht, den Barracuda abzuwehren. Ich müsste ja noch etwas Zeit gehabt haben, als er mit der Verdauung meiner Atemmaske beschäftigt war, oder? Ich sollte nicht darüber nachdenken. Ich bin hier...aber wie. Ein zusammengeflicktes Etwas!

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