9 | Alaric
Der Schulflur pulsierte vor Menschen, die in verschiedene Richtungen eilten. Das Echo von Schritten und gedämpften Gesprächen durchdrang die Luft, als Alaric zwischen den Schülern hindurch hastete.
Lyalls Worte hallen in seinem Kopf wider, wie der Klang eines einsamen Wolfes in der Ferne.
„Ruby und Seath haben sich geküsst."
Seine Schultern spannten sich an, während das Blut in seinen Adern pulsierte. In seinen Ohren rauschte es und in seinem Kopf schien kein klarer Gedanke mehr Platz zu haben, wie ein weißer Nebel, der ihm jede Sicht raubte.
Ein Gefühl der Hitze breitete sich in Alaric aus, als Ruby endlich in seinem Blickfeld erschien. Ihre braunen Locken fielen wild um ihr Gesicht, während sie sich bemühte, das letzte Buch in ihrem Schließfach zu verstauen.
Rubys Blick hob sich und ihre Augen trafen die seinen. Augenblicklich brach die Erinnerung über Alaric herein. Die Erinnerung an den Tag nach seinem 18. Geburtstag. Die Erinnerung, die er am liebsten aus seinem Gedächtnis verbannt hätte, aber sein Körper, der vor Verlangen zu brennen schien, brachte sie immer wieder zurück.
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Die Flure der Schule waren erfüllt von dem gewöhnlichen, hektischen Treiben. Nichts schien sich verändert zu haben, obwohl Alarics Geburtstag, der Tag an dem er die volle Kraft der Mondgöttin erhielt, gerade vorbei war. Er atmete tief durch und machte sich darauf gefasst, enttäuscht zu werden.
Doch mit einem Mal schien der Geruch in der Luft sich zu verändern, sich zu intensivieren. Seine Nackenhaare stellten sich auf, sein Magen zog sich zusammen, als eine Welle von Erregung durch seinen Körper schoss. Er biss hart die Zähne aufeinander, versuchte, die Hitze nicht überhand nehmen zu lassen, um eine gut sichtbare Beule in der Hose zu verhindern.
Er hielt inne und sein Blick suchte wie getrieben nach der Quelle dieses berauschenden Duftes. Dieser schien vom Hof zu kommen und der Alpha hastete los, ignorierte die freundlichen Begrüßungen, die der ein oder andere ihm auf dem Weg zuwarf.
Und dann sah er sie.
Ruby.
Sie stand ein paar Meter entfernt, vertieft in ein Buch, ihre langen braunen Haare fielen über ihre Schultern. Ihr Profil war vertraut, aber in diesem Moment schien sie anders, strahlender, lebendiger.
Der Duft, der von ihr ausging, durchzog die Luft, fuhr durch jede Faser seines Körpers und ließ ihn erschauern.
Die Gewissheit traf Alaric wie ein Schlag: Sie war seine Mate. Ausgerechnet Ruby.
Er erkannte es an ihrem Geruch, diesem betörenden Duft, der seinen Sinnen entgegenströmte. Ein Gefühl der Bestätigung breitete sich in ihm aus, als die Gewissheit ihn erfasste. Etwas in ihm veränderte sich. Ein Kribbeln, ein Ziehen, als ob unsichtbare Fäden zwischen ihnen gesponnen wurden, wie ein magisches Ereignis.
Die Welt schien für einen Moment still zu stehen, während er die Tragweite dieser Erkenntnis in sich aufnahm: Ruby war seine Mate, von der Mondgöttin selbst ausgewählt. Die Omega. Das Mädchen, dem er in jugendlicher Dummheit so viel Leid zugefügt hatte. Nun hatte die Mondgöttin entschieden, dass sie für ihn bestimmt war.
Es war wie die unerbittliche Ironie des Schicksals. Anstatt Freude darüber, dass er eine Mate hatte, durchströmte ihn Verwirrung und Besorgnis.
Die Schwierigkeiten, die vor ihm lagen, schienen wie eine unüberwindbare Wand.
Wie sollte er jemals eine Verbindung zu ihr aufbauen, wenn sie ihn hasste und die Strukturen des Rudels sie auseinander drängten?
Ruby war nicht einmal ein richtiger Werwolf. Würden die anderen sie als Gefährtin des Alphas akzeptieren? Würde sie IHN akzeptieren?
Ein Hauch von Beklemmung legte sich über seine Brust. Dies war kein einfacher Weg, den die Mondgöttin für ihn vorgesehen hatte. Im Gegenteil, es würde wohl der Schwierigste sein, den er je beschreiten musste. Ruby, seine Mate, und gleichzeitig diejenige, die ihm am fernsten zu stehen schien.
Ein Gefühl der Unsicherheit breitete sich in ihm aus, während sein Blick wie gebannt auf ihr haftete. Unsicherheit tobte in ihm, Verwirrung und gleichzeitig ein schier unbändiges Verlangen sie zu besitzen, sie zu vereinnahmen und jedem anderen Wolf, der ihr zu nahe kam, die Kehle zu zerfetzen.
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Es reichten wenige Schritte, bis Alaric direkt vor Ruby stand.
Ihr Geruch strömte ihm entgegen, vernebelte seine Sinne. Ein schepperndes Geräusch ertönte, als seine Hand neben ihrem Kopf auf das Blech der Schließfachtür traf, die sie soeben geschlossen hatte. Ihr Zusammenzucken registrierte er zwar, aber die Wut hatte zu sehr Besitz von ihm ergriffen, als dass er sich noch zurückhalten konnte. Der Blick aus eisblauen Augen fixierte ihre Lippen, bevor er sein Gesicht neben ihres brachte, sein Mund direkt an ihrem Ohr.
„Ich kann ihn an dir riechen."
Seine Worte waren von einem tiefen Knurren begleitet und er spürte, wie die feinen Härchen in seinem Nacken sich aufstellten. Um sie herum blieben die Schüler stehen, verstummten, als lege sich eine eisige Kälte über den Ort, die alles zum Stillstand brachte.
Alaric wusste wieso.
Die Pheromone eines Alphas, der erzürnt war, fungierten wie eine Warnung für alle um sie herum. Bisher hatte er nicht diese Wirkung gehabt, aber die Situation hatte sich geändert: Seine volle Kraft war erwacht – und er hatte eine Mate.
„Das ist nicht der richtige Ort."
Er griff grob nach Rubys Hand, die andere legte er um ihre Taille, eskortierte sie zu einer Tür, die zu einer kleinen Abstellkammer führte, die nur vom Hausmeister genutzt wurde. Unsanft schob er Ruby hinein, zog die Tür hinter sich mit einem lauten Klacken zu. Die Omega stand gegen die Wand, schaute ihn verunsichert an und Alaric hatte Mühe, die Fassung zu bewahren, sein Verlangen, sie jetzt und hier zu seiner Mate zu machen, in Zaum zu halten.
„Das mit Seath", er positionierte beide Hände rechts und links von ihrem Kopf, bohrte den Blick aus kalten Augen in ihren, „halte ich für keine gute Idee."
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