6 | Freunde und Feinde

Auch Ruby hatte sich erhoben, doch im Gegensatz zu Seath, der auf Konfrontation ging, suchten ihre Augen die Umgebung nach der besten Fluchtmöglichkeit ab - eine alte Angewohnheit.

"Wieso sollte ich aufhören?"
Mohegan fixierte den Jungen vor sich, ihr Körper angespannt, als erwarte sie jeden Moment einen physischen Angriff.
"Ich sage nur die Wahrheit. Oder was war das Vorhin im Flur mit Al?"
Ihre Stimme zitterte vor Wut und ihre Aufmerksamkeit glitt zu Ruby.

„Wovon redet sie?"
Die Unsicherheit in Seath Frage war deutlich zu hören, als er sich halb zu Ruby umdrehte.
„Es... Es ist gar nichts passiert!"
Die Omega spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, als sie den Blick aus warmen, honigfarbenen Augen erwiderte, in denen der Zweifel wie mit Großbuchstaben geschrieben stand.
"Wirklich nicht! Ich habe keinerlei Interesse an Alaric! Das ist schon lange vorbei."

Mohegan quittierte ihre Worte mit einem verächtlichen Blick und in den übrigen Gesichtern spiegelte sich die unverhohlene Skepsis.

Sich zum Alpha hingezogen zu fühlen lag in ihrem Instinkt, gehörte zu den impliziten, unumstößlichen biologischen Regeln, denen sie als Werwölfe unterworfen waren. Erst, wenn der Alpha sich offiziell mit seiner Mate vermählte, verschwand diese Anziehungskraft.
Es war also kein Wunder, dass niemand ihr glaubte. Die Vorstellung, nicht den Gesetzen der Luna zu folgen, schien ihnen genauso fremd wie die, sich nicht verwandeln zu können.
Doch Rubys Schwärmerei für den Alpha rührte von einem anderen Umstand - einem, den die wenigsten kannten.

„Ich warne dich, Omega."
Mohegan machte einen weiteren Schritt auf die beiden zu, was Seath dazu veranlasste, Ruby noch mehr abzuschirmen.
„Komm Al nicht noch einmal so nahe sonst..."
Sie ließ den Satz unbeendet ausklingen, aber jeder wusste, dass Mohegan viele Möglichkeiten zur Verfügung standen, Ruby das Leben zur Hölle zu machen.

„Ich sagte doch, ich will nicht..."
Das eiskalte Wasser traf Rubys Oberkörper wie tausend kleine Nadeln, versetzten ihr einen Schock, der sie erstarren ließ.
Seath drehte sich abrupt zu ihr um und auch Mohegan schien für einen Moment aus dem Konzept gebracht.

„Das war die Vergeltung für den Kaffee bei Alaric", stieß das Mädchen aus, das mit einem ausrangierten Blumentopf in der Hand hinter Ruby am Rand des Brunnens stand. Von dem Ton des Topfes tropfte das restliche Wasser auf den Boden.

Die Schülerin war eine aus Mohegans Gefolge, nichts Besonderes und hielt sich meist unauffällig im Hintergrund.
Anscheinend hatte sie die Gunst der Stunde genutzt und die Auseinandersetzung zwischen ihnen, um den Topf zu besorgen und sich von hinten anzuschleichen. Jetzt zierte ein breites, höhnisches Grinsen das schmale, mausähnliche Gesicht.

Einige der anderen kicherten verhalten, nachdem der erste Überraschungsmoment sich gelegt hatte. Auch in Seath kam wieder Bewegung und er machte einen Schritt auf das Mädchen am Brunnen zu, die Hände bedrohlich zu Fäusten geballt.

„Was ist hier los?"
Die laute Stimme der Pausenaufsicht erscholl hinter ihnen und ließ die Gruppe herumfahren.
Mohegan war die erste, die ihre Contenance wiederfand. Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf und stellte sich so hin, dass Ruby aus dem Gesichtsfeld des Lehrers verschwand. Die anderen sammelten sich um sie, sodass die Aufsicht nicht sah, wie Ruby mit durchnässter Bluse und frierend am Brunnen stand.

„Herr Lehrer, Mohegan hat -"
Ruby fasste nach Seath Rücken und schüttelte eindringlich den Kopf, schob ihn mit Nachdruck in die entgegengesetzte Richtung.
"Bitte, Seath, sei still!", flehte sie leise, während sie ihn hinter die Säulen schob, die die Stirnfront des kleinen Platzes säumten.
"Ich will echt keinen Stress."

Ihr ganzes Leben war sie ‚die Omega, ohne Verbindung zur Luna' gewesen. Es hieß, man gewöhnt sich an alles - das stimmte. Und nicht nur das. Man lernte auch, brenzligen Situationen aus dem Weg zu gehen, die Sprüche zu ignorieren und sich von den Bitches fernzuhalten. Das war Rubys Strategie für ein einigermaßen friedliches Leben und sie hatte nicht vor, diese zu ändern.

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Das Kapitel ist etwas kürzer geworden, weil ich nicht so viel Zeit zu schreiben hatte. Aber am Sonntag kommt wieder ein längeres!

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