5 | Seath

Der junge Werwolf ging in die Klasse unter Ruby und stand in der Rangordnung der männlichen Werwölfe ihrer Generation ganz am Ende. Auch wenn er nicht direkt ein Omega war, so verband sie das geringe Ansehen und machte sie zu Leidensgenossen.

„Ich habe das in der Cafeteria heute mitbekommen. Ist alles okay? Hat er dir etwas getan?"
Unter Seath sorgenvollen Blick rutschte Ruby verlegen hin und her, fuhr sich mit der Zungenspitze fahrig über die trockene Lippe. Sie verabscheute Mitleid und reagierte oft patzig darauf, aber deswegen ihren langjährigen Schulfreund vor den Kopf zu stoßen, brachte sie nicht übers Herz. 

„Es ist alles gut. Wir haben das geklärt."
Sie wich seinem forschenden Blick aus, hoffte, dass er nicht bemerkte, wie ihre Wangen sich röteten vor Scham, dass sie ihm nicht die volle Wahrheit sagte.
Aber sie konnte ihm unmöglich erzählen, dass Alaric sie gejagt, gegen die Wand gepinnt und sich ihr angenähert hatte.
Von seinem komischen „Ein männlicher Wolf hat andere Mittel ein Weibchen gefügig zu machen"-Satz ganz zu schweigen. Noch immer klopfte Rubys Herz schneller, wenn sie daran dachte, an seine raue Stimme direkt an ihrem Ohr, seine Lippen, die über die Haut an ihrem Hals strichen.

Seath legte nachdenklich den Kopf schief, die braunen Augen schienen eine Spur dunkler zu werden, fixierten sie, als wolle er ihre Gedanken entziffern.
"Ich glaube dir nicht."
Seine Stimme klang fest und eine Spur Ärgernis schwang darin mit, sodass Ruby überrascht aufschaute. Der junge Wolf war ein freundlicher, umgänglicher Zeitgenosse und es schien ihr das erste Mal, dass sie diese Emotionen bei ihm wahrnahm.
„Haben sie dich wieder schikaniert?"
Ein dunkles Knurren begleitete seine Worte und seine Augenbrauen zogen sich zu einem Runzeln.
„So wie früher?"

Er griff nach ihren Schultern, drehte ihren Körper zu sich, sodass sie ihm direkt ins Gesicht sah. Sie bemerkte die Wut, die sich in seinen Augen spiegelte, die Kraft, die von seinen Händen ausging, die sie festhielten. Zwar stand er in der Rangordnung weit unten, wie sie, aber trotzdem war er ein männlicher Wolf – und in diesem Moment wurde ihr diese Tatsache wirklich bewusst.

Sie nahm den herben Geruch von Zedern wahr, spürte die Wärme, die von ihm ausging. Ihr Herz setzte einen Schlag aus und eine feine Röte breitete sich über ihrem Nasenrücken aus. Einem Mann so nahe zu sein, machte sie unsicher und verlegen.

„Es ist wirklich alles in Ordnung." Sie bemühte sich, seinem Blick standzuhalten, ihm keinen Anlass für Zweifel zu geben.
„Kannst du mich jetzt bitte loslassen?"
Die Berührung an ihrer Schulter war nicht aufdringlich, zwar fest, aber nicht brutal – dennoch gab es ihr ein komisches Gefühl.
Sie waren schon viele Jahre Freunde, aber wie er sie festhielt, sie ansah, der dunkle Ton seiner Stimme, fühlte sich nicht freundschaftlich an.

„Sorry."
Er zog die Hände weg, wobei ein leichtes Bedauern in seiner Stimme mitschwang.
„Es ist nur..."
Seath seufzte tief, scharrte mit den Füßen nervös auf dem Boden.
„Ich würde dich gerne beschützen." Zögerlich, als habe er eine zerbrechliche Puppe vor sich, streckte er die Hand aus, berührte Ruby mit den Fingerkuppen an der Wange.
Es fühlte sich leicht an, weich, wie eine Feder, die über die Haut strich. Die Finger zogen eine Spur zu ihrem Ohr und er griff nach einer der losen Haarsträhnen, strich diese nach hinten.

Ein Frösteln lief durch Rubys Körper. Wie ein verschwommener Traum erschien das Bild von Alaric in ihrem Kopf.
Wie sie im Flur standen, nur Zentimeter voneinander getrennt, er sie auf die gleiche Weise berührte wie Seath.
Doch es war anders, ganz anders.
Während ihr Freund eine Wärme und Geborgenheit ausstrahlte, ähnlich eines liebgewonnenen Familienmitglieds, hatte Alarics Annäherung ihren Körper gefesselt wie ein Stromschlag.

„Ruby, ich..."
Seaths Stimme holte ihre Aufmerksamkeit zurück und sie sah sich noch immer fixiert von den bernsteinfarbenen Augen ihres Gegenübers.
Wie in Zeitlupe beobachtete sie, wie er sich zu ihr vorlehnte, erneut seine Hand hob, ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger nahm.
Vielleicht war sie naiv, vielleicht blind oder das Bild von Seath als ihr ‚bester Freund' zu eingefahren, aber was als Nächstes passierte, hätte sie nie vorhergesehen und überrumpelte sie völlig.

Erst, als sie seine weichen Lippen auf ihren spürte, realisierte sie, was gerade geschah. Sie war zu überrascht, um den Kopf wegzuziehen, und schon lag Seath linke Hand auf ihrem Rücken, zog sie näher an sich. Seine Lippen bewegten sich auf ihren und Ruby spürte, wie sich eine prickelnde Wärme von dem Punkt ausbreitete, an dem ihre Münder sich vereinten.
„Öffne den Mund", raunte Seath, als er kurz von ihr abließ, während seine Finger ihr Kinn nach unten zog. Wieder verschloss er ihre Lippen mit seinen, doch diesmal schlüpfte seine Zunge hindurch, stupste die ihre an.

„Du kleine Schlampe!"
Die hohe, schrille Mädchenstimme ließ beide gleichzeitig herumfahren. Seath zog seine Hände weg und sprang vom Brunnenrand auf, stellte sich reflexartig vor Ruby.
„Zuerst machst du dich an meinen Mate ran und dann rennst du zum nächsten, um dich besteigen zu lassen."
Mohegan kam in langen Schritten auf die beiden zu, hinter sich eine Handvoll weiterer Mädchen, ihr treues Gefolge. Sie kam zum Halt, baute sich breitbeinig auf und stützte die Hände in die Seite. Eine Position, die sie größer wirken ließ, und an die typische Drohgebärde von Wölfen erinnerte.

„Schaut sie euch an!"
Ein verächtliches Schnauben entfuhr ihr und die blauen Augen funkelten vor Empörung.
"Kann es nicht erwarten, die Beine breit zu machen, sobald ein Kerl den Hauch von Interesse zeigt. Die Omega scheint es ja echt nötig zu haben."

„Hör sofort damit auf!"
Seath machte einen Schritt nach vorne, die Hände zu Fäusten geballt, die Zähne aufeinandergepresst. Ein unterschwelliges, tiefes Knurren entwich seiner Kehle und Ruby beobachtete, wie ein paar der Mädchen, die hinter Mohegan standen, zögerlich zurückwichen. Obwohl Seath eine niedrige Stellung hatte, schienen sie Respekt vor der körperlichen Überlegenheit eines männlichen Wolfes zu haben.

●═════════════════════●

Das hat jetzt doch mehr Fahrt bekommen, als ich zuvor dachte. Außerdem gefällt mir, wie sich das zwischen Ruby und Seath langsam entwickelt. Das werde ich die nächsten Kapitel noch bisschen ausbauen. Alaric wird das allerdings ganz und gar nicht gefallen :D

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top