3 | Alpha

Die Flure mit den vielen Türen flogen verschwommen an Ruby vorbei, so schnell rannte sie.
Obwohl sie sich nicht verwandeln konnte, standen ihre Reflexe und motorischen Fähigkeiten den anderen in nichts nach.
Sie hörte ihre eigenen Schritte dumpf und rhythmisch auf dem glatten Boden auftreffen - und dann waren da noch andere Schritte, Schritte, die schneller waren als ihre, direkt hinter ihr.

Verdammt.
Natürlich war er ihr gefolgt und natürlich hatte sie keine Chance gegen einen männlichen Alpha und dessen körperliche Überlegenheit.
Sie spitzte die Ohren, versuchte abzuschätzen, wie groß ihr Vorsprung war. Sechs Meter? Oder fünf?

Am Ende des Ganges erschien die Tür zum Abstellraum.
Er war geräumig und konnte von Innen mit einem Riegel verschlossen werden. Ruby kannte diesen Raum gut. Er war ihr Zufluchtsort gewesen, wann immer die anderen sie gejagt hatten. Sie musste ihn nur rechtzeitig erreichen, dann konnte sie dort abwarten, bis es zum Schulende klingelte.
Nur noch wenige Meter trennten sie von dem glänzenden Metall der Klinke.
Noch 4...3...2...

Der Schmerz, der durch ihren Körper schoss, als sie mit dem Rücken gegen die Wand geschleudert wurde, drückte ihr die Luft weg.
Ein gequältes Wimmern entwich ihren Lippen, das einem Fiepsen glich, und verzweifelt schnappte sie nach Sauerstoff wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Mit vor Schreck aufgerissenen Augen starrte sie in Alarics vor Wut verzerrtes Gesicht.
Seine Hände pinnten ihre Handgelenke über ihrem Kopf fest und er stand so nah, dass sie seinen holzigen Geruch wahrnahm, Kiefer mit einem Hauch von Zimt.

"Wage es nicht... Nicht nochmal..."
Jedes Wort, das Alaric aussprach, glich einem tiefen Knurren, das Ruby durch Mark und Bein ging. Sein Kopf war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt und sie konnte die spitzen Eckzähne sehen, wenn er den Mund öffnete.
"Wage es nicht noch einmal, vor mir wegzulaufen."

Ihre Angst wandelte sich in Verwirrung.
Das war sein Problem? Dass sie vor ihm weglief? Nicht der Kaffee im Gesicht?
"O... Okay."
Ruby nickte schnell und heftig. Wenn er so einfach zufrieden zu stellen war, konnte sie sich glücklich schätzen.
Der Zorn in Alarics Augen schien geringer zu werden, die Gesichtszüge weicher, besänftigter. Seine Augen, die zuvor ihre fixiert hatten, gingen auf Wanderschaft, streiften ihre Lippen, ihren Nacken, glitten über ihren Körper.

Unter seiner Musterung wandte Ruby sich nervös, als wolle sie seinem Blick entkommen, doch Alaric schien sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Er schob ihre Handgelenke, die er noch immer gegen die Wand pinnte, zusammen, griff beide mühelos mit der Linken. Seine Finger fühlten sich an wie Stahl, die Armmuskeln spannten sich unter dem dunklen Hemd und sein Körpergewicht machte es ihr unmöglich, sich von der Stelle zu bewegen. Sein Körper strahlte eine Wärme aus, die sich auf sie zu übertragen schien.
Die Rechte legte er an ihre Wange, strich ihr wie beiläufig eine braune Haarsträhne hinter das Ohr, bevor er ihr Kinn zwischen die Finger nahm und fixierte, sodass sie gezwungen war, ihn anzuschauen. Die Berührung war ungewohnt für Ruby und ihr Herz setzte einen Schlag aus, so nah war sie ihm. Die Luft um sie herum schien dünn zu werden.

"Dein Gehorsam deinem Alpha gegenüber gefällt mir nicht."
Die Feststellung war ruhig und sachlich gesprochen, ohne Wut.
Ruby presste die Lippen zu einem Strich und bemühte sich, seine Worte nicht mit einem abfälligen Schnauben zu quittieren.

Im Gegensatz zu den anderen Wölfen hatte sie nie das Bedürfnis gespürt, sich ihm instinktiv unterzuordnen. Die Göttin verlieh den Alphas ihre Macht über das Rudel, weshalb es Ruby nicht betraf. Zwar unterlag auch sie der Hackordnung und den sozialen Regeln in der Gruppe, aber ihre Instinkte sorgten nur für eine gewisse Furcht aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit, nicht für eine automatische Unterordnung.

"Weil du es nicht verdienst."
Überrascht schossen Alarics Augenbrauen in die Höhe und nachdenklich legte er den Kopf schief.
"Ein Alpha beschützt sein Rudel - alle Mitglieder."
Die Betonung lag auf dem Wort 'alle' und etwas leiser fügte sie hinzu: "Auch den Omega."

Einen Moment lang herrschte eine tiefe, vielsagende Stille zwischen ihnen. Sie beide wussten genau, worauf Ruby anspielte.
Schließlich verzog Alarics Mund sich langsam zu einem breiten, zufriedenen Lächeln.
„Also gut", meinte er nonchalant und seine Finger lösten sich von ihrem Kinn, glitten an ihrer Wange entlang zu ihrem Hals.
„Wenn ich dir also beweise, dass ich ein 'richtiger Alpha' bin, dann ordnest du dich mir unter?" 

Es klang wie eine Fangfrage.
In Rubys Kopf rasten die Gedanken, als sie überlegte, wie sie wieder aus der Sache raus kam. Seine Überlegung war die logische Schlussfolgerung aus ihren Worten, aber fern von dem, was Ruby bezweckt hatte.
„Du musst mir gar nichts beweisen."
Sie bewegte ihre Handgelenke, versuchte sie aus seinem Griff zu befreien, aber dieser schloss sich nur noch härter um die zarten Knochen. Alaric war wie ein Gegner aus Stahl und bewegte sich kein Stück.
„Und ich werde mich dir niemals unterordnen", fügte Ruby zischend hinzu.
Er sollte nicht denken, dass sie sich ihm ergab, nur, weil er ihr körperlich überlegen war und versuchte, sie einzuschüchtern. 

Alaric hob nur träge eine Augenbraue, als ließe ihr Gezeter ihn völlig kalt. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand fuhr er seitlich ihren Hals entlang, bis zu der Stelle, wo die helle Haut sich mit ihrem Schlüsselbein traf.
„Du kannst dich zwar nicht verwandeln, aber du bist dennoch ein Werwolf."
Seine Finger wanderten weiter bis zu ihrem Oberarm, um den sich seine Hand schloss. Die hellen, blauen Augen fixierten ihre und ein seltsamer Glanz glomm darin auf, der Ruby dem Atem verschlug.

Er näherte sein Gesicht dem ihren, brachte seinen Mund nahe an ihr Ohr, wobei er kurz mit den Lippen ihren Hals streifte. Von dort breitete sich eine Wärme aus, die sich über Rubys Wangen legte und sie hoffte inständig, dass Alaric nicht bemerkte, wie heftig ihr Herz schlug und wie schnell ihr Puls raste.
„Ein männlicher Alpha hat noch mehr Möglichkeiten ein Weibchen zu unterwerfen, als nur durch seinen Schutz."
Der Satz war nur ein dunkles Flüstern, aber er jagte Ruby einen Schauer über den Rücken, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, auch wenn ihre Kehle sich wie zugeschnürt anfühlte.
„Du..."

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Das Kapitel gefällt mir nicht so gut. Es ist echt schwer, es so zu schreiben, dass die besondere Spannung zwischen ihnen rüber kommt. 

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