2 | Mate
Ruby schnappte hörbar nach Luft.
Obwohl es ein offenes Geheimnis war, sprach niemand sie so direkt darauf an.
Sie forschte in seinem Gesicht nach Zeichen von Spott.
Machte er sich über sie lustig? Oder basierte die Frage auf ernsthaftem Interesse?
Ihre Augen musterten jeden Zug, jeden seiner Gesten, aber sie konnte weder Hohn noch Zynismus darin erkennen. Trotzdem fragte sie sich, ob er sie - wie alle anderen auch - als Kuriosum sah, als Aussätzige, insgeheim bemitleidenswert.
"Da ich ihren Ruf nicht höre...", sie zögerte kurz, fuhr dann aber fort, "da ich keine Verbindung zu ihr habe, wird sie mir auch keinen Mate zuweisen."
Es war eine ehrliche Antwort auf eine ehrliche Frage und sie hoffte, dass der Alpha dies respektierte.
Alarics Gesicht zeigte keine Regung, nur seine Augen schien ein Schatten zu verdunkeln, den Ruby nicht mit ihren Worten in Verbindung bringen konnte, so sehr sie sich auch das Hirn zermarterte.
"Aber warum fragst d..."
Sie stoppte, als die Erkenntnis sie traf wie ein Schlag.
"Du bist am Wochenende 18 geworden."
Endlich fiel der Groschen und sie rutschte vor Aufregung unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
Der 18. Geburtstag war für jeden Werwolf ein besonderer Tag.
Es war der Tag, an dem die Mondgöttin, die Luna, einen Mate auswählte, wobei dieses unsichtbare, immerwährende Band von beiden gespürt wurde, sofern sie volljährig waren. Nicht alle hatten das Glück, dass ihnen von der Luna ein Partner zugewiesen wurde, aber je stärker ihre Verbindung zur Göttin, desto wahrscheinlicher war es - und bei den Alphas war sie am stärksten.
"Wer ist es?"
Rubys Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und ihr Herz pochte so laut, dass sie befürchtete seine Antwort nicht zu hören.
Zwar spielte es für sie nicht wirklich eine Rolle, aber es zu wissen, war wie der letzte Schubs, den sie brauchte, um ihn endlich völlig zu vergessen - und die Gefühle, die sie einst für ihn hegte.
Wer es wohl war?
Vielleicht Mohegan, eine der beliebtesten Mädchen des Rudels, weit oben in der Rangordnung. Sie lief Alaric nach, seit Ruby denken konnte, und sie war sich sicher, dass die beiden mal was miteinander gehabt hatten.
Oder war die hübsche Tala die Auserwählte? Ruhig und bildschön hatte sie die meisten Verehrer unter den männlichen Wölfen.
Der Gedanke daran, dass eine von den beiden Alarics Mate war, versetzte Ruby einen Stich, den sie geflissentlich ignorierte.
Alarics Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln und sofort bereute Ruby ihre Entscheidung, ihn danach gefragt zu haben.
"Warum willst du das wissen?"
Er lehnte sich im Stuhl zurück und streckte die langen Beine aus. "Wünschst du dir, du wärst es?"
Lachen und Kichern brandete um sie herum auf. Hier und da hörte man ein abschätziges Schnauben und Schnalzen. Sogar ein unterschwelliges Knurren meinte Ruby auszumachen.
Wie konnte sie, die Omega, auch nur im Entferntesten daran denken, sie könne die Mate des Alphas sein?
Die Vorstellung war lächerlich, geradezu grotesk.
Aber Ruby wusste, warum Alaric es sagte.
Sie hätte sich Ohrfeigen können. Warum hatte sie auch nur einen Moment geglaubt, er wolle ein normales Gespräch mit ihr führen?
So dumm. So naiv.
Als hätte sie nichts, aber auch gar nichts, aus der Vergangenheit gelernt.
Am liebsten wollte sie es vergessen.
Den Brief. Ihre Gefühle. Ihre Naivität von damals.
"Natürlich nicht!"
Ihre Stimme erklang lauter, als sie beabsichtigt hatte und das Gelächter um sie herum erstarb. Alle Augen richteten sich auf Alaric.
"Ich würde mir nie, niemals ein egozentrisches, herzloses Arschloch wie dich als Mate wünschen."
Diesmal war es an ihr, dass ihrer Kehle ein Knurren entwich.
Im Raum hätte man eine Stecknadel fallen hören. Die Schüler hielten die Luft an, beobachteten den Alpha. Dass eine Omega es wagte, den ranghöchsten Wolf unter ihnen zu beleidige, schien einem Todesurteil zu gleichen.
Rubys Hand krallte sich um den Kaffeebecher, als suche sie daran halt. In den glänzend grünen Augen loderte der Hass, gemischt mit purer Angst, Angst vor ihrem eigenen Mut.
Aber sie wandte den Blick nicht ab. Hinter den Augenlidern spürte sie die Tränen brennen, angesichts dieser öffentlichen Demütigung.
Doch sie war fest entschlossen, nicht zu weinen.
Diesmal nicht. Diesmal würde sie ihm diese Genugtuung nicht geben.
Alarics Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden und sein Mund stattdessen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Seine Kieferknochen traten scharf hervor, so sehr biss er die Zähne aufeinander. Seine Augen wirkten noch kälter als gewöhnlich und auf seiner Stirn zeichnete sich eine feine, steile Falte ab, als überlege er, was genau er mit ihr anstellen sollte.
„Pass auf, wie du mit mir redest, kleine Omega."
Die Worte waren ruhig gesprochen, aber jedes einzelne glich einer Drohung, wie Nadeln, die kurz davor waren, sie zu durchbohren.
„So bemitleidenswert."
Ruby horchte auf bei diesem Satz, der das aussprach, was sie am meisten hasste. Die Wut züngelte wie unaufhaltbare Flammen durch ihren Körper, ließ das Blut in ihren Ohren rauschen und vernebelte ihren Kopf.
Wie sehr sie seine Arroganz verabscheute.
„Da du nie einen Mate haben wirst, bleibst du wohl allein. Denn kein Werwolf würde jemals so tief fallen, jemanden wie dich freiwillig zu ficken."
Den letzten Satz hatte er ausgespuckt wie etwas Widerliches, etwas, das ihn anekelte.
Das Geräusch der Flüssigkeit, die gegen sein Gesicht traf, hallte durch den Raum.
Für Ruby war es ein befriedigendes Geräusch.
Genauso befriedigend wie Alarics entgeisterter Ausdruck und der dunkle Kaffee, der von seinem Kinn tropfte. Unglaube lag im Blick des Alphas - Unglaube, der sich langsam in etwas anderes verwandelte: Zorn.
Die Hand, in der Ruby den zerknitterten, nun leeren, Kaffeebecher hielt, zitterte unkontrollierbar. Ihre Brust hob und senkte sich heftig, fast schmerzhaft. Wie ein Kaninchen, das vor dem Wolf erstarrte, blickte sie auf Alaric. Sie stand ihm gegenüber, war aufgesprungen, bevor sie es richtig realisierte.
Er schien zu überrumpelt, um sofort zu reagieren, aber mit jeder Sekunde, die verstrich, wurden seine Augen dunkler und Ruby spürte ein Frösteln.
Sie war das Rotkäppchen - und sie hatte den großen, bösen Wolf erzürnt.
"Shit!"
Der Becher landete klirrend auf dem Tablett, als Ruby ihn achtlos fallen ließ.
So schnell ihre Beine sie trugen hastete sie los, ohne sich noch einmal umzudrehen, ohne zu sehen, wo sie hinlief.
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Wollte ein bisschen Spannung reinbringen. Im nächsten Kapitel nimmt es zwischen den beiden dann aber bisschen mehr an Fahrt auf ^^
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