1 | Ruby

Seufzend stellte Ruby ihren Kaffeebecher zurück auf das Tablett und versuchte die beißenden Stimmen hinter sich zu ignorieren.

"Wie kann das eigentlich sein? Kann sich nicht verwandeln. Ist sie überhaupt ein Werwolf?"

"Vielleicht ist sie nur ein stinkender Mensch, der sich bei uns eingeschlichen hat."

"Wir sollten sie einfach fressen. Ist sowieso nur 'ne dumme Omega."

Die Wortfetzen schwirrten wie vergiftete Pfeile durch den großen Raum der Cafeteria, gerichtet auf ihren Rücken, mit dem Ziel, sie zu verletzen.
Es waren die gleichen Sätze, die gleichen leeren Phrasen und Sprüche, die sie schon ihr ganzes Leben begleiteten.

'Keine Verbindung zur Göttin', so hatte die Weise des Rudels damals über sie gesagt.
Zwar die Tochter von zwei Werwölfen, mit den gleichen scharfen Sinnen, Reflexen und Eigenschaften wie die anderen - aber unfähig sich bei Vollmond in einen Wolf zu verwandeln.

Was war sie überhaupt? Ein halber Werwolf? Ein Wolfsmensch? Oder doch nur ein Mensch mit wolfähnlichen Eigenschaften?
Sie war es leid, sich diese Fragen zu stellen - und sie war es leid, sich das Gerede weiter anzuhören.

Gerade griff Ruby nach ihrem Pappbecher, um aufzustehen und zu gehen, als ein großer Schatten über sie fiel.
"Ich glaube, du hast vergessen, mir zum Geburtstag zu gratulieren, Omega? Wo ist der Respekt deinem zukünftigen Alpha gegenüber?"
Trotz der unfreundlichen Anrede jagte der tiefe Bariton ihr einen heißen Schauer über den Rücken.
Mist. Und sie hatte geglaubt, sie sei über ihn hinweg.

Ruby hob den Blick und sah in die eisblauen Augen des Alpha Alaric Fenris, Sohn und Erbe des Rudelführers, Amarok Fenris - und ihr Herz vollführte einen zusätzlichen Schlag.
Es war unmöglich in sein scharf geschnittenes Gesicht zu blicken, ohne dass es in ihrer Brust zu flattern begann. Sie biss sich auf die Lippe und drehte schnell den Kopf zur Seite, um seinem stechenden Blick zu entgehen.

Das Getuschel um sie herum verstummte und tausend Blicke bohrten sich wie Messerstiche in ihre Haut.
Der Alpha sprach mit ihr, der wertlosen Omega. So wie sie selbst fragte sich sicherlich auch jedes andere weibliche Wesen in diesem Raum, was Alaric von ihr wollte.

Die Omega hatte sich von Anfang an darin geübt, nicht zu zeigen, welche Wirkung der attraktive Werwolf, mit den schneeweißen Haaren und strahlend blauen Augen, auf sie hatte. Doch während sie sich nach außen hin kühl und gefasst gab, kämpfte sie innerlich gegen einen Ansturm ungebetener Gefühle.

"Hast du da nicht jemanden vergessen?", zischte Ruby als Erwiderung zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Vielleicht wirst nicht du sondern Skoll mein zukünftiger Alpha."
Skoll war Alarics älterer Bruder und kämpfte verbissen darum, dem begabten Rivalen seinen Platz streitig zu machen.

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, ging ein schmerzhafter Ruck durch ihren Kopf. Alaric hatte in ihre langen, braunen Haare gegriffen und diese kraftvoll nach unten gezogen.
Den Kopf gezwungenermaßen in den Nacken gelegt schaute Ruby zu ihm hoch. Nur ihre vor Schreck leicht geweiteten Pupillen verrieten, wie sehr sie sich in diesem Augenblick bemühte, die Fassung zu bewahren.

Einige im Publikum kicherten. Offenbar hatte diese Behandlung deren Weltbild wieder gerade gerückt.

"Er wird niemals DEIN Alpha werden."
Die Worte waren so leise gesprochen, einem Knurren gleich, dass nur Ruby sie hören konnte.

Gerade fragte sie sich, was zur Hölle diese merkwürdige Betonung auf dem Wort 'dein' bedeutete, als Alaric sie abrupt losließ. Er ging um den Tisch herum und legte die große, kräftige Hand auf die Rückenlehne des Stuhls gegenüber.
Trotz ihres erratischen Herzschlags, der sich anfühlte, als sprenge er ihre Brust, atmete Ruby tief durch und stemmte sich hoch.
"Ich wollte gerade gehen, also..."

Ein fester Händedruck auf ihrer Schulter drückte sie sanft, aber bestimmt zurück auf ihren Sitz. Sie musste nicht einmal den Blick heben, um zu wissen, von wem sie hier festgehalten wurde: Lyall, Beta und damit rechte Hand des zukünftigen Anführers.
Der breit gebaute, schwarzhaarige junge Mann mit den Augen, die an Kohle erinnerten, wich nicht von Alarics Seite.

"Na, na."
Ein Schnalzen war zu hören und Alarics blaue Augen bohrten sich in ihre wie Zapfen aus Eis.
Ruby unterdrückte ein Schaudern und zwang sich, seinem Blick standzuhalten, obwohl die Härchen in ihrem Nacken sich aufrichteten.
"So unhöflich wirst du doch nicht sein?"
Die weiße Augenbraue wanderte abschätzig nach oben. "Oder hast du deine Stellung vergessen?"
Ein süffisantes Lächeln umspielte Alarics Mundwinkel, aber die dunkle Färbung seiner Stimme enthielt eine unterschwellige Drohung, als besage sie: "Wage es ja nicht, mich zu ignorieren."

Er zog den Stuhl vom Tisch und setzte sich, wobei seine langen Beine die ihren berührten. Reflexartig zog Ruby sie zurück, begleitet von einem scharfen Einziehen der Luft. Von der Stelle, die er berührt hatte, schienen Stromstöße wie Elektrizität durch ihren Körper zu schießen und sie verfluchte sich dafür, dass ihre erste große Liebe sie immer noch so aus dem Gleichgewicht brachte, trotz allem, was er ihr angetan hatte.
Ihre Reaktion wurde mit einem amüsierten Lächeln seitens Alaric quittiert und sie hätte sich dafür Ohrfeigen können, dass es so offensichtlich war.

"Also."
Alaric schlug gelassen die Beine übereinander, lehnte sich vor, stellte die Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn in die übereinander gefalteten Hände.
"Ich bin neugierig. Da du keine Verbindung zur Luna hast, heißt das, du wirst niemals einen Mate haben?"

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Ich hatte Lust eine neue Geschichte zu schreiben und wollte mal das Werwolf-Genre ausprobieren.

Ich freue mich über alle Kommentare, Anmerkungen, Feedback und Votes!

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