Kapitel 24

[Cassandra]

In den letzten zwei Wochen hatte ich angestrengt über die Worte von Eren nachgedacht. Ja, ich war bei dem Entschluss angelangt, von ihm die Adresse meiner Mutter zubekommen. Nur, damit ich ihr all die Fragen stellen konnte, die sich in mir angesammelt hatten! Ich schickte ihm eine kurze SMS, mit der Bitte um diese Information, nicht mehr und nicht weniger! Ich wollte so wenig Kontakt mit ihm halten wie möglich.

Doch … ich konnte auch nicht sagen, dass er mir vollkommen egal war …

Jedoch hatte ich in den letzten zwei Wochen nicht eine Antwort von ihm bekommen. War ich nicht diejenige, die sauer sein müsste? Obwohl er mich so belogen hatte, hatte es doch Momente zwischen uns gegeben, die mich für kurze Zeit glücklich gemacht hatten. Auch wenn es trügerisches Glück gewesen war.

»Cassandra! Ich komme gleich über den Balkon, wenn du mir nicht zuhörst!«, knurrte Levi und bedachte mein Handy mit einem tödlichen Blick. »Wenn du wieder mit ihm Konta -«

»Ich darf doch wohl sehr bitten, ich habe auch noch Freundinnen!«, unterbrach ich Levi gespielt hochnäsig. Nur um meine Unsicherheit zu verbergen, in der Hoffnung es würde funktionieren.

Argwöhnisch hob Levi eine Braue, und trank kurz aus seiner Tasse. »Du hast Freundinnen? Bisher hast du dich doch mit jedem weiblichen Wesen auseinander gelebt«, merkte er bissig an.

Ich atmete hörbar aus und steckte mein Handy wieder ein. »So wie du!«, argumentierte ich. »Was wolltest du denn von mir? Komm doch einfach in meine Wohnung, wenn du was willst!«

Ich wusste es selbst nicht, aber aus irgendeinen Grund versuchte ich meine Unsicherheit, mit schnippischen Kommentaren gegenüber von Levi, zu verbergen. Wenn er rausfand, warum ich mit Eren noch Kontakt hatte …

Ich wollte ihn nicht belügen … jedoch war das eine Sache, die ich mit mir selber klären musste!

»Wenn es danach geht, würde ich dich am liebsten anketten, weil ich immer etwas von dir möchte, Cassandra.«

Amüsiert verzog ich das Gesicht.
»Ja ja, hör auf! Sag mir lieber, was du möchtest!«, kicherte ich.

»Ich verstehe jetzt den Grund deiner Belustigung nicht«, antwortete er tonlos und für ein paar Sekunden war es so, als würde ich in die Augen eines Fremden blicken. Es kamen gewisse Züge zum Vorschein, die ich noch gar nicht an Levi kannte. Ich wusste, er konnte sarkastisch sein, aber oft wusste ich wirklich nicht, was er nun ernst meinte, oder nur halbherzig. Diese Situation gerade war so ein Moment.

»Ähm … wolltest du mir nicht was sagen?«, stammelte ich. Toll, soviel dazu das ich meine Unsicherheit verstecken wollte.

»Ich habe dich gefragt, was du heute nach der Arbeit noch vorhast.«

Ich lehnte mich ans Geländer des Balkons und legte etwas den Kopf zurück. »Wieso? Möchtest du mich etwa ausführen?«, grinste ich und spürte deutlich, wie die finstere Atmosphäre von gerade eben, sich um Levi aufhellte.

»Wenn du dies möchtest. Also, hast du nichts vor.«

Ich schüttelte den Kopf. Nein, da ich immer noch nicht die Adresse von Eren hatte, hatte ich außer Arbeit wirklich heute nichts vor.

»Du solltest jetzt los, sonst verpasst du die Bahn wieder. Ich hole dich von der Arbeit ab.« Und mit diesen Worten verschwand er auch schon wieder in seine Wohnung. Außer dieses Gespräch vor zwei Wochen im Badezimmer waren nie wieder so zärtliche Worte über Levis Lippen gekommen. Er war wirklich nicht der Typ der Zuneigung, wie andere Menschen, zeigte. Seine Art diese auszudrücken war speziell, wie ich es jetzt bezeichnete.

Ich seufzte auf und erschrak, als ich die Uhr auf meinem Handy überprüfte. Verdammt! Er hatte recht! Ich musste mich beeilen!

[Levi]

Mit dem Rücken stieß ich mich von der Balkontür ab und hörte, wie Cassandra ihre Tür zuknallte. Ihr Zeitgefühl war wirklich furchtbar. Ein amüsiertes Grinsen huschte mir über die Lippen, bis es auf einen Schlag wieder verschwand, als ich das Vibrieren in meiner Jeans wahrnahm.

Endlich kam er mal auf die Idee, mir zu antworten. Er war wohl doch nicht so dumm, wie ich dachte. Mit finsterem Blick schaute ich aufs Display
und war sehr verwundert, wie gefügig er sein konnte. Wobei, es anhand der Tatsache, was ich ihn geschrieben hatte, auch nicht verwunderlich war.

>Geht es Cassandra gut? In welchem Krankenhaus liegt sie?<

Ich brummte amüsiert. Ich nahm alles zurück. Dieser Junge konnte so weit denken, wie ein Schwein scheißen konnte!

Mein Daumen huschte über das Display.

>Ich schlage vor, wir treffen uns, und gehen gemeinsam zu ihr. Um ihr zu zeigen, dass der Streit zwischen uns beendet ist.<

Wie zu erwarten, sagte er nach wenigen Augenblicken zu. Ihm kam überhaupt nichts komisch vor. Na ja, er war ja auch in dem Glauben Cassandra hätte irgendeinen Nervenzusammenbruch, da stellte er sich wohl nicht die Frage, warum ich ihm plötzlich so entgegenkam. Nachdem wir den Treffpunkt ausgemacht hatten, beschloss ich die restliche Zeit dafür zu nutzen, um mal wieder Cassandras Wohnung in Ordnung zu bringen.

Seit sie mir an jenen Abend endlich gesagt hatte, dass sie mir gehörte, konnte ich es nicht länger dulden, dass dieser Bastard draußen herumlief. Auch wenn ich es vor Cassandra versuchte, nie deutlich zu zeigen, so bekam ich doch mit, dass sie wieder versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen.

Freundinnen … für wie blöd hielt sie mich denn?

Nachdem ich sie an diesem Abend, wortwörtlich, bis zur Ohnmacht hart ran genommen hatte, nahm sie eh nichts mehr um sich wahr. Bevor ich mich dazu widmete, sie zu waschen, überprüfte ich ihr Handy. Ihren Pin herauszubekommen war noch einfacher, als diesem Bastard weiß zu machen, sie sei im Krankenhaus. Eine einzige Zahl musste ja nur ausgetauscht werden, und schon konnte Cassandra ihn nicht mehr erreichen. Ich wusste genau, sie würde niemals seine Nummer kontrollieren. Doch im Gegensatz zu ihr konnte ich diesen Bastard nun erreichen! Eine, etwas dramatisch gehaltene Nachricht reichte, um ihn dazu zu bewegen, mir zu antworten.

*

Obwohl es erst am späten Nachmittag war, hatte es sich überraschend schnell draußen abgekühlt. Ich ließ meine Hände in den Taschen meiner Jacke verschwinden und ging über die Gleise.

Wie zu erwarten, stand Eren am vereinbarten Treffpunkt.

Mit besorgter Miene, kam er mir hastig entgegen, als er mich bemerkte. »Gott sei Dank, ich dachte, dass du womöglich doch nicht kommen würdest! Ich wollte schon fast Cassandra anrufen, bis mir jedoch einfiel, dass dies nichts bringen würde, da sie ja im Krankenhaus liegt«, überfiel er mich gleich. »Wie geht es ihr? Was ist denn passiert? Und warum liegt sie im Koma? Ich meine, kann das nur von einem Zusammenbruch kommen?«

Ich musste mich wirklich zusammenreißen, ihm nicht gleich in die Fresse zuschlagen! Dieser Typ schien ein wirkliches Interesse an Cassandras Wohlergehen zu haben! Und diese Tatsache brachte mein Blut zum Überkochen! Aber ich konnte nun genau an seiner Frage, wie das passiert war, anhand der Nachricht, die er Cassandra zuletzt geschrieben hatte, anknüpfen.

»Sie ist nicht in Lebensgefahr«, antwortete ich ihm, gespielt ruhig, doch innerlich kochte ich über vor Aggression! »Jedoch schien sie die letzte Woche nicht ganz bei sich zu sein. So als würde sie sich über irgendetwas Gedanken machen.«

Für einen kurzen Moment weiteten sich seine Augen. »H-Hat sie dir irgendetwas erzählt?«

Dieser Bastard! Also war doch etwas vorgefallen.
Ruhig! Ich musste ruhig bleiben!

Mit ausdrucksloser Miene schüttelte ich den Kopf und sah hinauf zum Himmel. Doch nur um im Augenwinkel seine Reaktion zu beobachten. »Nein, ich dachte, du wüsstest etwas darüber. Schließlich seid ihr ja zusammen.«

Nervös fuhr er sich über den Nacken.
»Nun ja, mir erscheint es nicht richtig, mit dir, ohne Cassandras Zustimmung, etwas zu sagen. Und … es ist kompliziert …«, stammelte er.

Mein Kiefer spannte sich an. Mit einem gespielten kurzen Lächeln legte ich meine Hand auf seine Schulter. »Ist jetzt auch nicht wichtig. Wir sollten jetzt zu ihr fahren«, gab ich an, und er nickte.

Wie gerne hätte ich ihn jetzt einfach vor die Straßenbahn geworfen! Aber mal abgesehen davon, dass hier zu viele Menschen waren, sollte mir dieser Bastard noch sagen, was vorgefallen war! Jedoch musste ich den Schein weiter wahren, und wir stiegen in eine Straßenbahn ein. Gedankenverloren schaute er aus dem Fenster.

»Sag mal, Eren, kann es sein, dass du dich hier nicht so gut auskennst?«

Verwundert schaute er auf, und grinste peinlich berührt. »Fällt das so sehr auf?«

»Na ja, du hättest mich auch einfach fragen können, in welchem Krankenhaus Cassandra ist, und du wärst alleine gefahren.« Seine naive, dumme Art spielte mir wirklich in die Karten!

»Ja, aber ich habe wirklich null Orientierungssinn. Selbst wenn alles ausgeschildert ist, verlauf’ ich mich, oder biege falsch ab. Deswegen hat sich Cassandra auch meistens nur an Orten mit mir getroffen, die ich kannte.«

Ich brummte nur verstehend und schaute ebenfalls aus dem Fenster. Wieder einmal fragte ich mich, was sie an diesem Typen fand!

Die restliche Fahrt über sagte keiner von uns etwas, und die Straßenbahn wurde immer leerer.

Irritiert schaute sich Eren um. »Sind wir wirklich in der richtigen Bahn?«, fragte er unsicher nach.

Ich nickte nur. »Ja, die letzte Station. Wir müssen ein Stück gehen«, gab ich knapp zurück und blickte auf die Anzeigetafel. Noch zwei Stationen …

Sichtlich wurde Eren nervöser. Ob es die Angst um Cassandra war, oder ob er doch etwas ahnte, war mir sowas von scheißegal! Die Minuten bis zur letzten Station kamen mir vor wie eine Ewigkeit!

Ungläubig blickte sich Eren an der Haltestelle um, als wir ausstiegen. Wie von mir zu erwarten war hier keine Menschenseele zu sehen! Um uns herum waren nur die Hochhäuser in der Ferne zu erkennen. Hätte niemals gedacht, dass mir dieser öde Platz mal dinglich sein würde.

Mit ernster Miene wandte sich Eren zu mir um, als die Bahn wegfuhr, und so die letzte starke Lichtquelle verschwand. »Sag mal … was wird das hier?!«, raunte er mich an.

Ein finsteres Grinsen umspielte meine Züge. Hätte mich auch sehr gewundert, wenn er jetzt nichts bemerkt hätte. Selbst ein Blinder hätte jetzt begriffen, dass irgendetwas nicht stimmte. Jedoch, war seine Erkenntnis nun zu spät. »Wusstest du, dass hier nur alle Eineinhalbstunden eine Straßenbahn vorbeikommt«, merkte ich an und kramte in der Innentasche meiner Jacke, ehe ich amüsiert auflachte. »Oh, ich vergaß, du weißt es ja nicht.«

»W-Was soll das? Ich dachte, wir fahren ins Krankenhaus?! Was ist nur los mit dir?«

Mir gefiel der Ton, in dem er mit mir sprach, absolut nicht! Ich hatte mich wirklich lange genug zurückgehalten. Viel zu lange!

Seine Augen weiteten sich, und Eren nahm größeren Abstand zu mir, als er die Waffe in meiner Hand erblickte.

Völlig überfordert, hob er die Hände. »Hey! L-Lass uns reden! Mach keinen Scheiß!«, stotterte er unbeholfen.

Mit kalter Miene fixierte ich den Lauf in der Höhe seiner Stirn. »Tatsächlich möchte ich mit dir reden, du wertloses Stück Scheiße! Sag mir, was beim letzten Treffen zwischen dir und Cassandra vorgefallen ist!«, knurrte ich tief, und legte den Finger am Abzug.

»G-Ganz ruhig! D-Du kannst mich doch nicht ernsthaft abknallen!«

»Doch, kann ich! Ich mach’ nur den Finger krumm, und schon verteilt sich das bisschen Hirn, was du hast auf den Boden, und du bist tot!«, antwortete ich tonlos. »Also rede endlich du Bastard, ich neige sehr schnell zu nervösen Zuckungen!«

»I-Ich weiß nicht, was du hören willst?! Cassandra und ich haben ganz normal geredet. Eigentlich wollte sie mir etwas sagen … doch … ich habe sie unterbrochen …«

»Was hast du ihr gesagt? Junge! Komm zum Punkt!«

»Ich habe ihr gebeichtet, dass ich anfangs nur mit ihr eine Beziehung eingegangen bin, um sie zu beschatten. Ihre Mutter hat unsere Agentur beauftragt!«, presste er hastig hervor, und seine Stimme zitterte.

Für Millisekunden verschwand jeglicher Ausdruck in meinem Gesicht.

Was erzählte mir dieser Bastard da gerade? Sollte das ein schlechter Scherz sein?

Doch dann fiel mir wieder das Notizbuch ein, und die vielen Namen darin. Über Cassandras Namen stand eine Person mit dem gleichen Nachnamen wie sie. Aber … ihre Mutter war doch tot, oder nicht?

»Oii! Seit wann können Tote sich an eure Agentur wenden, hm? Erklär mir das, Bursche!«

»I-Ihre Mutter ist nicht tot! S-Sie hat Cassandra früh verlassen, weil sie noch nicht bereit für ein Kind war!« Das Metall der Waffe klirrte kurz auf, als ich mich weiter auf Eren zu bewegte. »B-Bitte! Das ist alles, was ich weiß! Es ist die Wahrheit!«

Meine Augen verengten sich. Ich hatte genug gehört! Damit konnte ich etwas anfangen.

Hörbar atmete ich aus, und wandte den Blick ab.
In der Ferne konnte ich erkennen, wie sich das Licht der Straßenbahn näherte. Vom Instinkt getrieben, löste sich Eren aus seiner Versteinerung und hastete los.

»Ach ja«, murmelte ich, eher zu mir selbst, und positionierte den Lauf, ein finsteres Grinsen legte sich auf meine Lippen, »das mit den Eineinhalbstunden war natürlich gelogen.«

So ein Schalldämpfer war doch wirklich praktisch. Hätte ich den Rückstoß nicht gespürt, sah es fast so aus, als würde dieser Bastard betrunken auf die Gleise wanken.

Ich schloss die Augen, wandte mich um und ließ mich von der Dunkelheit umhüllen. In der Ferne hörte ich die Bremse der Bahn, und hektische Stimmen, gemischt mit panischen Schreien. Ich sah auf das Handy des Bastardes. Er hatte nicht mal mitbekommen, wie ich es ihm in der Bahn entwendet hatte. Er war wirklich zu dämlich!

Die Zeit war doch schneller vergangen als erwartet. Ich musste mich beeilen, wenn ich Cassandra rechtzeitig abholen wollte!

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