Kapitel 19
[Cassandra]
Überrumpelt weiteten sich meine Augen, und mit einem Schlag löste sich meine Versteinerung. Grob stieß ich Levi von mir und schob meine Brauen zusammen.
Warum war er jetzt hier? Warum musste er mich vor Eren küssen?
Hektisch drehte ich meinen Kopf zu Eren. Dieser stand einfach nur da, und blickte mich und Levi fassungslos an. Meine Kehle fühlte sich unerträglich trocken an, und mein Magen verkrampfte sich. »E-Eren … das … bitte, ich will alles erklären …«, stotterte ich überfordert. Doch Levi legte seinen Arm um meine Taille und zog mich dichter zu sich. Langsam sah ich zu ihm auf. Ein finsteres Grinsen lag auf seinem Gesicht.
Hatte er Freude daran? Freude daran, mich so vorzuführen? Freude daran, Eren so einen Schlag ins Gesicht zu verpassen?
Ich presste die Lippen zusammen. Jegliche Gefühle in meinem Inneren wirbelten durcheinander. Ich entriss mich Levis Griff und nahm Abstand zu ihm. »Was stimmt denn nicht mit dir?!«, fuhr ich ihn gereizt an. »Ich sagte, du sollst dich nicht einmischen!«
»Tcch! Das dauert mir zu lange! Dies ist der schnellste Weg, um diesen Bastard vor Augen zuführen, was Sach -«
Meine Gefühle kochten über, ehe ich es selbst kontrollieren konnte, hob ich meine Hand und verpasste ihm eine Ohrfeige.
»Verschwinde!«, schrie ich aufgebracht und Tränen liefen meine Wangen herunter. Überfordert. Das alles überforderte mich einfach!
Ohne eine Regung im Gesicht drehte Levi wieder seinen Kopf zu mir und sah mich von oben herab an. Ein finsterer Ausdruck lag in seinen Augen.
Bei diesem Ausdruck verspürte ich Angst. Seine ganze Aura machte mir Angst. So hatte ich ihn noch nie gesehen! Momentan traute ich ihm alles zu!
Ich blinzelte als Eren plötzlich zwischen uns ging. Mit entschlossenen Augen blickte er Levi an. »Du solltest jetzt wirklich verschwinden! Findest du nicht, dass du hier zu weit gehst?! Was willst du hier eigentlich gerade beweisen? Deine Bruderliebe zu ihr ist ja krankhaft!«, merkte er ernst an und stellte sich schützend vor mich. »Wage es ja nicht, ihr was anzutun! Hör auf die Worte deiner Schwester und geh einfach!«
Levis Ausdruck veränderte sich kein Stück, im Gegenteil er verfinsterte sich noch mehr. Ein letztes Mal blickte er zu mir. Ich wiederum wich seinem Blick eingeschüchtert aus und schaute zur Seite. »Tcch!« Mit einem tiefen Brummen wandte Levi sich um und ging einfach weg, hinein in die Menschenmenge.
Eren atmete hörbar aus und drehte sich zu mir um. »Cassandra, nimm es mir bitte nicht übel, aber dein Bruder scheint nicht ganz dicht zu sein! Ich hatte wirklich die Befürchtung, er würde dich schlagen!«
Schützend hielt ich meine Hände vor der Brust, und schüttelte den Kopf. »Dass … das, was ich getan habe, war nicht richtig …«, flüsterte ich.
»Ist das jetzt ein Witz?! Er hat dich geküsst! Da ist es dein gutes Recht, dass du ihm eine knallst!«
»Eren … du verstehst nicht …«, ich brachte keine Worte mehr heraus.
»Cassandra, was zum Teufel ist hier los? Bitte erkläre es mir! Lass uns irgendwo hingehen, wo kaum Leute sind. Dort kannst du es mir erzählen.« Er hatte recht. Ich musste endlich die Wahrheit sagen. So konnte es nicht weiter gehen.
*
Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, fuhren ich und Eren in den kleinen Stadtpark, ganz in der Nähe. Mit einem Smoothie in der Hand, versuchte ich Worte in meinen Inneren zu sortieren, um Eren alles besser erklären zu können. Aber jedes Mal scheiterte ich an einem bestimmten Punkt.
Wollte ich mich wirklich von ihm trennen, oder war das nicht viel mehr Levis Wunsch, der eventuell auf mich übergegangen war?
»Falls du nicht weißt, wie du es sagen sollst«, durchbrach Eren leise die Stille, »ich war die Zeit über auch nicht ganz ehrlich zu dir, Cassandra.«
Ich blieb stehen und sah ihn ungläubig an. »W-Wie meinst du das?«
Eren sah nachdenklich zur Seite und atmete nervös aus. Mit einem Kopfnicken wies er auf eine Bank, und wir setzten uns. Mit bebenden Händen umschloss ich meinen Smoothie und wartete darauf, was Eren mir zu sagen hatte.
Eine gefühlte Ewigkeit der Stille brach über uns herein, bis Eren wieder das Wort ergriff. »In meinen Leben habe ich mich immer mit Minijobs durchs Leben geschlagen. Seit ich denken kann, gab es für mich nichts anderes. Ich behielt sie nie lange, aber gerade so lang genug, um soviel sparen zu können, meinen Bildungsweg aufzubessern. Und nun studiere ich.« Eine kurze Pause seinerseits folgte und er sah zum Himmel hinauf. »Es klingt bestimmt komisch, und ist auch keine Rechtfertigung für das, was ich getan habe, aber … seit ich klein war, war ich von Spionage und geheimen Verfolgungsjagden fasziniert. Vielleicht ist es der Nervenkitzel, oder das Gefühl wie ein unsichtbarer Schatten zu sein, wenn man jemanden observiert. Ich kann es nicht beantworten.« Eren atmete tief durch und schaute dann langsam zu mir. »Cassandra, zunächst, möchte ich dir versichern, dass meine Gefühle für dich echt sind. Auch wenn es Anfangs nicht der Fall war. Aber mit der Zeit habe ich deine Persönlichkeit und deine ganze Art einfach in mein Herz geschlossen. Deswegen habe ich beschlossen, nicht weiter mit einer Lüge unsere Beziehung weiter zuführen.«
Völlig verwirrt schob ich die Brauen zusammen. Ich verstand gerade gar nicht, was vor sich ging! »Eren … ich versteh’ nicht ganz«, murmelte ich.
Eren atmete nervös aus und sah auf den Boden. »Anfangs dachte ich, bei diesem Job würde eh nichts herauskommen. Dass ich ihn eh wieder nicht lange behalten würde, aber dem war nicht so. Ehe ich mich versah, war ich ein festes Mitglied des Teams geworden. Es schien, als hätte ich endlich meinen Platz gefunden.«
»Eren, was willst du mir sagen?«
»Cassandra, ich versichere dir, ich habe diesen Job jetzt aufgegeben. Dir zuliebe. Ich will dich nicht verletzen, oder anlügen!«
»Eren?«
Nochmals atmete er tief durch. »Deine Mutter hat unsere Detektei damit beauftragt, dich ausfindig zu machen. Die Hintergründe, warum sie sich nicht an andere Ämter, diesbezüglich gewandt hat, ist uns verborgen. Aber Fakt ist, dass ich zunächst deinen Freund spielen sollte, um nähere Informationen zu erhalten.«
Ich blinzelte. Ein ironisches Lachen entfloh mir, und ich schüttelte den Kopf. »D-das ist ein richtig guter Witz!«, grinste ich. »A-Aber meine Mutter ist tot!«
»Wer hat dir das erzählt? Kannst du es mit Gewissheit sagen?«
»W-Wie? Mein … mein Vater sagte es zu mir als ich noch klein war …«
»Doch du kannst dich nicht an sie erinnern, oder? Sie erzählte uns, dass sie euch verlassen hat. Sie war wohl noch nicht bereit für ein Kind. Natürlich ist das nicht zu entschuldigen, aber sie möchte dich gerne kennenlernen. Sie möchte ihre Tochter wieder sehen.«
Ich schluckte schwer. »M-Moment mal! Heißt das, du arbeitest für solche Schnüffler?! Die für Geld Leute ausspionieren? Für solche Leute, die beauftragt werden, um den Partner beim eventuellen Seitensprung zu erwischen?!«, fuhr ich auf und erhob mich.
Eren blickte betrübt zur Seite. »Wenn du es so bezeichnen willst … ja … aber nicht mehr! Ich habe damit aufgehört! Weil ich mich wirklich in dich verliebt habe, Cassandra!«
»Da kann also jeder daher kommen und sowas behaupten?«
»Nein, natürlich nicht. Wir haben uns mit einem DNA-Test versichert, dass sie die Wahrheit sagt.«
»M-Mit einem …?! Du hast unerlaubt von mir DNA genommen?!«, presste er geschockt hervor. In meinem Kopf drehte sich alles. Das war doch hier ein schlechter Scherz! Meine Mutter war tot!
»Cassandra, ich verstehe, dass du jetzt wütend und aufgebracht bist. Aber, bitte, denk über die ganze Sache nochmal gründlich nach! Wenn du möchtest, kann ich dir die Unterlagen geb -«
»Ich … ich brauche gar nichts! Meine Mutter ist tot! Diese ganze Geschichte ist doch eine Lüge! Dein Sinn für Humor ist grausam!«
»C-Cassandra, ich habe dir die Wahrheit gesagt. Bitte … bitte handel nicht vorschnell, und denk über all das in Ruhe nach!«
Ich presste die Lippen zusammen und warf meinen Becher auf den Boden. Ich hielt meine Hand vor dem Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Ich konnte nicht mehr! Dies alles war zu viel! Zuerst die Sache mit ihm und Levi. Doch nun erzählt Eren mir so etwas! Das konnte doch nur ein Scherz sein.
Ich kniff die Augen zusammen und unterdrückte die Tränen. Ohne auf Eren weiter zu achten, entfernte ich mich von ihm und lief weg. Ich rannte einfach irgendwo hin. Ich wollte nur noch weg von allem!
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