Kapitel 13
[Levi]
Es war nun schon drei Wochen her, seit ich diesen Bastard meinen Fuß ins Gesicht getreten hatte. In dieser Zeit habe ich die Namen aus dem Notizheft abgearbeitet. Anhand verschiedener Netzwerke im Internet konnte ich aber nur über eine Handvoll in Erfahrung bringen. Jedoch wohnten die meisten weit weg, wo ein Treffen nicht wirklich zustande kam.
Der kühle Nachmittagswind fuhr mir durchs Haar, als ich den Balkon betrat und auflegte. Immerhin eine von der Liste war bereit sich mit mir zutreffen.
Sie klang nicht gerade begeistert, als sein Name fiel. Doch auf meiner Bitte hin war sie doch bereit für eine Aussprache. Endlich konnte ich mehr über diesen Bastard erfahren! Er verstand es echt gut, nichts in den sozialen Netzwerken preiszugeben.
Während ich mein Handy in die Jeanstasche zurückwandern ließ, glitt mein Blick hinüber zu Cassandras Balkon. In den letzten Wochen hatten wir kein Wort miteinander gewechselt, lediglich eine stumme Begrüßung kam ihrerseits, wenn man sich auf dem Flur begegnete. Auch so bemerkte ich das sie die letzten Tage kaum Zuhause war.
Mein Blick verfinsterte sich und ich zündete mir eine Zigarette an. Verdammt!
Ich vermisste sie! Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte. Mir war es scheißegal, ob sie mich anzicken würde, so sprach sie wenigstens mit mir! So schenkte sie mir Aufmerksamkeit, beachtete mich. Aber der jetzige Umstand ließ alles in meinem Inneren verkrampfen! Ich hatte lange genug Rücksicht genommen!
Nach langer Zeit hörte ich mal wieder ihre Balkontür aufgehen. Mit einem angestrengten Seufzer trat sie auf den Balkon und streckte sich. Erst als der Rauch meiner Zigarette zu ihr rüberzog, wanderte ihr Kopf zögernd in meine Richtung. Für eine gefühlte Ewigkeit sahen wir uns nur an, bis sie ansetzte sich abzuwenden, um reinzugehen.
»Oii! Wie lange soll das noch so weiter gehen?«, brummte ich tonlos und nahm einen langen Zug.
Cassandra hielt inne und drehte sich zu mir. »Ich weiß nicht, was du meinst. Ich habe halt viel zu tun!«
»Dein kurzer Nebenjob, ist mir schon klar! Hör doch auf! Es kommt dir doch ganz gelegen, dass du mir so noch besser aus dem Weg gehen kannst!«, knurrte ich tief und pustete den Rauch aus.
»D-Das ist doch gar nicht wahr!«, argumentierte sie nervös.
»Wenn das so ist«, begann ich und schnipste meine Kippe weg, »dann lass uns heute mal wieder zusammen zu Abend essen!«
[Cassandra]
Ich presste die Lippen zusammen. Natürlich kam mir mein Job gelegen, um Levi nicht unnötig oft sehen zu müssen! Aber mir war schon klar, dass dieser Zustand nicht ewig andauern konnte!
Diese Spannung zwischen uns war immer noch greifbar. Doch so, würde sie niemals verschwinden …
»V-Von mir aus! Aber du kochst!«, antwortete ich.
»Nein.« Verwirrt schob ich die Brauen zusammen. »Ich will mit dir essen gehen, Cassandra!«
»W-Was … was soll das denn auf einmal?«
»Passt es die etwa nicht? Passt es dir nicht, dass ich dich zum Essen ausführe? Wahrscheinlich wäre dir dieser Bastard lieber, hm?!«
»Hör endlich auf damit! Wenn du mich nur wieder aufziehen willst, dann verzichte ich auf die Einladung!«
»Mach dich fertig! In einer Stunde gehen wir los!«, murmelte er beiläufig und verschwand wieder zurück in seine Wohnung.
[Levi]
Ein letztes Mal schaute ich in den Spiegel und richtete den Kragen meines Hemdes. Mein Blick glitt hinüber zur Kommode und auf das schwarze Kästchen, was sich darauf befand. Hörbar atmete ich aus und musste unweigerlich an die Zeit zurückdenken, als ich und Cassandra uns das letzte Mal gesehen hatten, als wir zehn Jahre alt gewesen waren, bevor ich ins Internat gegangen war.
Ausdruckslos ging ich zur Kommode herüber und öffnete das Kästchen. Cassandra erschien vor meinem geistigen Auge, mit ihren zarten, unschuldigen zehn Jahren, wie sie mir das Armband entgegenhielt.
,,Hier großer Bruder! Damit du mich nicht vergisst! Wenn du dich einsam fühlst, soll dich das Armband daran erinnern, dass ich immer an dich denke!“
Es war kein besonders ausgefallenes Schmuckstück, und wahrscheinlich hatte ihr Vater ihr bei der Auswahl geholfen. Jedoch bedeutete es mir damals, wie heute, sehr viel. Natürlich hatte ich mir das nicht anmerken lassen. Damals nahm ich es ohne ein Wort einfach an. Zu dieser Zeit hatte ich keinen besonderen Gedanken an Cassandra verschwendet. Dies änderte sich jedoch, als ich dann auf dem Internat war. Oft lag ich Nachts wach und fühlte mich verloren, doch dann blickte ich auf das Armband und mir wurde seltsam warm ums Herz. Tja, es war halt die naive Denkweise eines Zwölfjährigen.
Sie war meine Schwester, die ich vor allem Bösen beschützen wollte. Nach fünf langen Jahren kam ich dann wieder Zuhause an. Erst da bemerkte ich es, was mir unbewusst auch schon bei den Wochenendbesuchen aufgefallen war, aber nicht an mich heranlassen wollte. Cassandra war zu einer jungen, hübschen Frau herangewachsen. Meine Augen betrachteten sie nach dieser Zeit nie wieder, wie die eines Bruders. Ich sah sie nicht mehr als meine Schwester.
Dieses Gefühl, was ich in der ganzen Zeit unterdrücken wollte, wurde in der Zeit intensiver, als dann unsere Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen. Ich hätte damals alles getan, selbst gemordet, nur um zu wissen, dass Cassandra an meiner Seite blieb! Sie brauchte mich doch! Ihre unschuldige, zerbrechliche Art hatte sich bis heute nicht verändert.
Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich das Armband um mein Handgelenk befestigte und es dann unter den Ärmel meines Hemdes zog.
Das Klingeln meiner Haustür löste mich von meinen Gedanken. Welch ein Wunder. Sie war früher fertig?
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