Kapitel 12

[Levi]

Bis zum Äußersten gereizt, verließ ich das Wohngebäude. Ich musste irgendetwas gegen diesen elenden Bastard unternehmen! Wieso war Cassandra nur so blauäugig?

Angepisst schob ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen, und versuchte durch sie runterzukommen. Aus irgendeinen unerfindlichen Grund fiel meine Aufmerksamkeit auf die kleinen Büsche, die an der Hauswand gepflanzt waren, irgendetwas lag da, was definitiv nicht nach Müll aussah. Im selben Augenblick fiel mir auf, dass das die Stelle war, an der ich Cassandra und den Scheißkerl erwischt hatte.

Argwöhnisch trat ich näher und sah bei genauerer Betrachtung, dass ein kleines Notizbuch unter den Zweigen lag. Gerade mal so groß, dass es in die Innentasche einer Jacke passen würde. Hatte Cassandra es verloren? Ich wusste, dass sie ein Notizheft mit sich rumschleppte. Denn vieles vergaß sie einfach. Ich blickte mich kurz um und hob es auf. Ich würde es ihr einfach in den Briefkasten stecken.

Gerade als ich zum Briefkasten, an der Eingangstür des Hauses gehen wollte, sagte mir irgendetwas, dass ich vorher reinsehen sollte. Ich pustete den Rauch aus meinen Lungen und schlug es auf. Die ersten Seiten waren nur mit ein paar Namen beschriftet und alle davon waren durchgestrichen, daneben waren irgendwelche Zahlen gekennzeichnet.

Ich runzelte die Stirn. Was war das denn für ein Blödsinn? Fast beschloss ich es einfach in den Müll zuwerfen, bis ich umblätterte, wieder kamen mir Namen entgegen, die Hälfte von ihnen war auch durchgestrichen. Bis auf drei Namen. Michelle Satomi, Heiji Toruda und Sonoko Aibara.

Ich schob ungläubig die Brauen zusammen. Aibara? Doch bevor ich mir überhaupt weiter Gedanken machen konnte, ließ ein Pfeil, der vom letzten Namen abging, meinen Blick weiter wandern.

Cassandra Aibara.

Meine Augen verengten sich. In der Mitte ihrer Namen war auch eine Zahl notiert.

Was war das?

Mein Kiefer spannte sich an. War das vielleicht das Notizbuch dieses Bastards? Ich fand keine andere Erklärung! Allein Cassandras Name reichte mir, um diese Vermutung aufzustellen. Und diese Zahlen waren definitiv keine Handynummern, sondern irgendetwas anderes!

Doch was?

Und warum trug diese Sonoko den gleichen Nachnamen wie Cassandra? Ich wusste noch genau, dass ihr Vater nicht so einen Nachnamen hatte. Meine Augen weiteten sich kurz.

War das etwa …?!

Wie gerne wäre ich jetzt einfach nach oben gestürmt und hätte den Bastard, in Cassandras Beisein, damit konfrontiert! Aber ich wusste, er würde ganz sicher irgendeine Erklärung finden, damit sie ihm glaubt. Ich wusste doch von Anfang an, dass dieser Bengel irgendetwas an sich hatte. Schon von dem Augenblick an, als ich ihn bei Cassandra gesehen hatte, als ich sie eigentlich von der Uni abholen wollte. Dieses erste Gefühl bestätigte sich noch mehr, als ich ihn nur wenige Tage in der Stadt sah. Eng umschlungen mit einem anderen Weib.

War dieses Buch etwa seine Strichliste? Doch was sollten diese Zahlen? Und auch dieser andere Name machte mich stutzig.

Völlig durcheinander steckte ich das Notizbuch ein.

[Cassandra]

Ich konnte es wirklich nicht leugnen. Ich war in Erens Anwesenheit nervös. Zittrig goss ich den Kaffee in die Tasse. Beruhigen! Ich musste mich beruhigen!

Mit langsamen Schritten ging ich, mit der Tasse, zurück ins Wohnzimmer, wo ich sie vor Eren, auf den Tisch, absetzte.

Seine Hände umfassten die warme Keramik und ein breites Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. »Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Danke.«

Ich nickte nur und setzte mich mit angewinkelten Beinen auf den gegenüberliegenden Sessel.

Fragend legte Eren den Kopf schief. »Hm? Warum bist du so weit weg?«

»Ach, ich … ich fühl’ mich heute nur nicht besonders. Tut mir leid. Wieso hast du mir nicht geschrieben, dass du kommst?«

Eren nahm einen großen Schluck und legte seinen Arm über die Couchlehne. »Ich wollte dich überraschen. Aber ich hätte nicht gedacht, dass dein Bruder so ein Kontrollfreak ist. Er mischt sich ganz schön in dein Leben ein, findest du nicht?«

Unsicher blickte ich zu ihm herüber und kaute kurz auf meiner Unterlippe. »E-Es tut mir wirklich leid, was er getan hat. Hast du Schmerzen? Ich kann es dir nicht verübeln, wenn du ihn anz -«

»Alles gut, Cassandra, es sind nur ein paar Kratzer. Außerdem habe ich mich auch nicht gerade von der besten Seite gezeigt. Tut mir leid.«

Heftig schüttelte ich den Kopf. Warum war mir diese ganze Situation nur so unangenehm? »Ist schon gut, Eren. Ich bin nur froh, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist. Mein Bruder verliert manchmal die Kontrolle, wenn mir irgendjemand zu nahe kommt. Wahrscheinlich glaubt er, es ist seine Pflicht, mich zu beschützen«, murmelte ich.

»Doch im Grunde ist es gar nicht seine Pflicht«, gab Eren ungewohnt kühl an.

Verwirrt sah ich auf. »W-Was?«

»Er spielt sich als dein Bruder auf, was er im Grunde aber gar nicht ist. Eure Eltern haben doch nicht geheiratet. Also seid ihr eigentlich wild Fremde, die nur im gleichen Haushalt aufgewachsen sind.«

Mein Blick senkte sich. »S-So gesehen stimmt das schon … aber …«

Moment! Ich hatte Eren noch nie etwas bezüglich meiner Familiensituation erzählt. Er wusste lediglich, dass ich und Levi Stiefgeschwister waren.

Plötzlich lachte Eren auf. »Was machst du denn für ein Gesicht?«, kicherte er. »Du wirkst so als würdest du glauben, ich spioniere dir hinterher.«

»Ähm … das … nein …«

»Süße, eure Nachnamen sind unterschiedlich, da kann man doch eins und eins zusammen rechnen. Dir scheint es heute wirklich nicht gut zugehen«, merkte er an und seine Stimme wurde schlagartig sanfter.

Unsicher rutschte ich auf dem Sessel hin und her, und mein Blick schweifte den Boden entlang.

Mein Herz setzte für eine Sekunde aus. Unter der Couch blitzte ein kleines Stück meines Slips hervor. Er muss da drunter gerutscht sein als ich und Levi heute Morgen … und Eren saß genau da rüber! Die Situation war so schon unangenehm genug für mich.

»Cassandra, alles ok bei dir? Du bist so blass, vielleicht solltest du dich doch lieber hinlegen.«

»J-Ja … wahrscheinlich hast du recht. Bitte entschuldige«, stammelte ich nervös und erhob mich zügig vom Sessel.

Eren schüttelte den Kopf und kam langsam auf mich zu. Seine Arme legten sich sanft um meine Taille. »Du musst dich nicht entschuldigen, Süße. Ich hätte dir wirklich schreiben sollen, dass ich vorbeikomme. Ruh dich aus«, sprach er mit einem leichten Lächeln und küsste meinen Haaransatz. »Ich liebe dich.«

Ich erwiderte nichts, und nickte nur, während ich beobachtete, wie er die Wohnung verließ. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, sank ich auf den Boden und Tränen bildeten sich in meinen Augenwinkeln. »Was … was tue ich hier eigentlich?«

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